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Updated: 18.12.2012 15:51
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Wenn der Schnüffler zwei Mal klingelt

Neue Formen der Verfolgungsbetreuung gegen Erwerbslose

Eine der letzten Amtshandlungen des alten Arbeitsministers Wolfgang Clement war der Neuaufguss der widerlichen Sozialschmarotzer-Kampagne gegen Erwerbslose. Mit Telefonterror zur Überprüfung der Verfügbarkeit und ausgedehnten Hausbesuchen wollte er Alg II-BezieherInnen auf die Pelle rücken. Die rot-schwarze Koalition hat nunmehr beide Elemente der Clementschen Steilvorlage aufgegriffen.

Die Rundum-Verfügbarkeit und deren telefonische Überprüfung ist sowohl in den Vereinbarungen zur großen Koalition als auch in einem Schreiben des Vorstands der Bundesagentur Anfang Januar 2006 fortgeschrieben: Aus dem Pilotprojekt aus den letzten rot-grünen Monaten wird nun eine Dauereinrichtung. Die "telefonische Abfrage von Kundendaten" steht den ARGEn seit Anfang des Jahres zur Verfügung. Die Bundesagentur gründete dafür eigens eine zentrale Organisationseinheit. Als "sinnvolle Ergänzung zum persönlichen Kundenkontakt" sollen Erwerbslose von "mehrtägig" geschulten TelefonagentInnen maximal drei Mal angerufen werden. Die Telefonbelästigung durch die amtlichen Stalker kann montags bis freitags zwischen 8 und 20 Uhr erfolgen. "Nach dem dritten erfolglosen Anrufversuch wird der Kunde als nicht erreicht eingestuft". In diesem Fall wird die zuständige ARGE informiert und der/die Betroffene zum persönlichen Gespräch vorgeladen. Dasselbe gilt, wenn Angerufene es ablehnen, per Telefon Auskünfte über sich zu erteilen. Um dem Vorwurf unzulänglicher Berücksichtigung des Datenschutzes zu entgehen, gibt die Bundesagentur vor, ausschließlich BeamtInnen in ihren neuen Call-Centern mit dem Telefonterror zu betrauen.

Die telefonische Befragung wird zentral in drei neu eingerichteten "Service-Centern Kundenbetreuung SGB II" an den Standorten Hamburg, Offenburg und Göppingen durchgeführt. Das Projekt startet zunächst in Zusammenarbeit mit Deutschlands 60 größten ARGEn und soll im zweiten Quartal 2006 flächendeckend ausgeweitet werden. Eine Evaluierung findet am Beispiel der Arbeitsgemeinschaft Oberhausen statt. Ausgangsbasis waren die Erfahrungen, die mit der telefonischen Klärung von Bewerberdaten im Sommer 2005 gemacht wurden. Bei immerhin sieben Prozent der kontaktierten Personen hätten sich seit dem letzten Kontakt mit der Arbeitsgemeinschaft Veränderungen ergeben, "die dazu führten, dass diese Personen nicht mehr arbeitslos waren.", so die Bundesagentur.

Was Hausbesuche betrifft, sind SozialschnüfflerInnen mittlerweile in den meisten Städten aktiv; entweder in Form eines speziellen Außendienstes, der ausschließlich zur Überprüfung der Wohnverhältnisse abgestellt ist, oder über die alltägliche Arbeit der FallmanagerInnen, die ausrücken können, sobald sie "Klärungsbedarf" sehen. Mitunter werden auch Dritte für solche Spionagezwecke hinzugezogen. Im Kreis Offenbach ist die Kommserve GmbH mit der Bespitzelung von Arbeitslosen betraut. Sie rekrutiert ihr Personal ganz offen per Tageszeitung. Gesucht werden MitarbeiterInnen zum Aufbau einer "Observierungsgruppe". Sie sollen "akribisch in der Verfolgung ihrer Ziele" sein und "Fallakten aus ermittlungstechnischer Sicht" bearbeiten.

Inhaltlicher Fokus der Hausbesuche ist die Unterstellung von eheähnlichen Gemeinschaften. Ist diese "nachweisbar", werden die beiden vermeintlichen PartnerInnen als Bedarfsgemeinschaft zusammen gerechnet. Damit sinkt oder entfällt der Anspruch auf Alg II. In oftmals unangemeldeten Besuchen werden daher gern Kochgelegenheiten gezählt, Doppelbetten gesucht und nach sexuellen Beziehungen gefragt. Bereits in einer Entscheidung vom September 2004 hatte das Bundesverfassungsgericht dieser Praxis widersprochen. Mehrere Sozialgerichte haben sich inzwischen darauf bezogen und in zahlreichen Klagefällen für die Arbeitslosen entschieden. Quintessenz der Urteile: Der Hausbesuch ist vielfach nicht nur unrechtmäßig, sondern vor allem ungeeignet zur Aufklärung des Sachverhalts, ob sich ein (finanzielles) "für einander einstehen" zwischen den PartnerInnen entwickelt hat.

Wie kann mensch sich gegen diese Formen der forcierten Verfolgungsbetreuung wehren? Auf individueller Ebene sollte sich jede/r zunächst einmal soweit es geht dem Zugriff auf die Privatsphäre entziehen. Der amtlichen Telefonbelästigung beugt mensch am besten rigoros vor: Wer gegenüber der Arbeitsagentur Telefon- und Email-Kontakt bereits angegeben hat, beantragt deren Löschung (Formular unter http://www.alg-2.info/info_argumente/antrag-loeschung externer Link). Die Angabe dieser Daten ist freiwillig. Für die Erreichbarkeit besteht lediglich die Verpflichtung wochentags in den Briefkasten zu schauen.

Für Hausbesuche gilt, dass diese von Seiten des Amtes schriftlich (begründet) angekündigt werden müssen. Die angemeldeten SozialschnüfflerInnen müssen sich ausweisen, bevor sie in die Wohnung gelassen werden. Die Besichtigung darf sich nur auf die Räume der/s AntragsstellerIn erstrecken. In den Räumen von MitbewohnerInnen haben sie nichts zu suchen. Darüber hinaus eröffnen sich auch Möglichkeiten zur kollektiven Gegenwehr. Die Arbeitsloseninitiative ALSO in Oldenburg begleitete angemeldete AmtsschnüfflerInnen per Videokamera. Schon über die Anwesenheit einer befreundeten ZeugIn beim Hausbesuch ließ sich in mehreren Fällen all zu forsche Neugier eindämmen.

Mit vielen UnterstützerInnen könnte der Prüfdienst in eine Kissenschlacht geraten. Es könnte Zahnbürsten regnen oder ein Auto-Konvoi könnte den AußendienstmitarbeiterInnen auf ihrem weiteren Trip folgen, Arbeitsweise und -gerät in öffentlichen Foren dokumentiert werden. Besonders engagierte Sozialdetektive verdienen besondere Anerkennung. Plakate bezeugen ihren Arbeitseifer gegenüber den Betroffenen am Arbeitsamt und gegenüber den Nachbarn zu Hause. Blockaden können das morgendliche "Ausschwärmen" der amtlichen Stalker verhindern, und unangemeldete Schlapphüte in den Büros der SozialschnüfflerInnen auftauchen und diese räumen.

Alles sozialromantisch verklärte Träumerei? Nicht unbedingt! Eine anonyme Initiative bittet bereits jetzt in zahlreichen Städten um Mithilfe, "den Sozialschnüfflern das Handwerk zu legen". Auf Plakaten im Ede-Zimmermann-Stil werden Details wie Namen, Adressen der Schnüffler sowie Berichte von erfolgten Hausbesuchen erbeten: "Sachdienliche Hinweise an vorsichtschnueffler@yahoo.de".

Lutz Wehring, agenturschluss

ak - zeitung für linke debatte und praxis / Nr. 503 / 17.2.2006


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