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Updated: 18.12.2012 16:00
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Der Kurs – oder ein seltenes „VorHartz-Programm“

Das Arbeitslosengeld läuft langsam aus, der Puls geht schneller, Hartz droht. Bewerbungen laufen – einige von den Milliarden, welche die 5 Millionen Arbeitslosen dieses Landes geschrieben haben, stammen von mir. Illusionen braucht man sich aber keinen hinzugeben, denn es gibt nun einmal nur 300.000 offene Stellen. Mit anderen Worten 0,06 Stellen für einen Bewerber ...

Also noch eine Weiterbildung, möglichst lange, fast egal was. (Ich erinnere mich an meinen ersten Aufenthalt im westlichen Ausland nahezu ohne Geld. Es war Ostern in Wien. Am letzten Tag, als wir uns das billigste Hotelzimmer nicht mehr leisten konnten und beschlossen auf dem Bahnhof zu nächtigen, organisierten wir uns noch zuvor Karten für die Wiener Oper. Sichtbehinderte Plätze genau hinter der Säule, aber wir saßen fast fünf Stunden im Warmen – was das Wichtigste war. Warm und trocken, darauf kommt es an.) „Weiterbildung? Na mal sehen ...“ Die Beraterin ist kooperativ. „PR-Referent mit Schwerpunkt Journalismus? Da hätte ich etwas. Z e h n M o n a t e!“ Zehn Monate, zwar kein Jahr, aber immerhin.

Vor ca. 10 Jahren war ich in einer ähnlichen Situation. Frisch vom Studium, keine Lust auf das Sozialamt und keine Arbeit. Also Weiterbildung. „Medienreferent“, ca. zwölf Monate. Die Anzeigen waren groß und fett in der Tageszeitung. Massen strömten an einem Termin zum Gespräch bei der gleichen Bildungseinrichtung, 25 Teilnehmer aus meiner Stadt drückten die Schulbänke. Damals wie heute wurden Illusionen verkauft: „Medienreferent“, ein toller Name für viel heiße Luft. Später traf ich zwei ehemalige Teilnehmerinnen, die eine arbeitet als Hilfs-Streetworkerin mit drogenabhängigen Jugendlichen, die andere steht im größten Buchgeschäft der Stadt hinter der Theke. Wie hatte der führende Bildungssoziologe in Ost-Berlin Anfang der 90er Jahre formuliert: „In Ostdeutschland wurden und werden Hunderttausende Hoch- und Fachschulabsolventen zu Hilfsfacharbeitern qualifiziert – sie werden angepasst an einen Markt, den es gar nicht gibt.“ Auch Medienreferenten brauchte keine Mensch.

Wie sieht es heute aus? Die Anzeigen für den Kurs stehen unscheinbar zwischen Angeboten von Telefonsex und Escort-Service in der gleichen Tageszeitung. Es wird auf Voraussetzungen hingewiesen, die zu erbringen aber kaum zu erfüllen sind. (Im Prinzip wird erwartet, dass jeder, der einen Bildungsgutschein haben will, gleich einen Job dazu mitbringt – sonst gibt es den Gutschein nicht.) Im Ergebnis fängt der PR-Referenten-Kurs erst gar nicht an. „Wir verschieben auf unbestimmt!“ Eine Nachfrage beim Arbeitsamt ergibt, dass zu wenige Teilnehmer gefunden wurden, die die Voraussetzungen mitbringen. (Auch das erinnert an längst vergangene Tage. In der DDR-Zeit fand das Dresdner Jugendtouristbüro -Jugendtourist war die Reiseorganisation der staatlichen Freien Deutschen Jugend in der DDR - partout keinen Reiseteilnehmer für die Winterolympiade in Calgary. Dabei waren die Bedingungen äußerst „einfach“: ein Mann oder eine Frau bis 25 Jahre sollte es sein, Arbeiter, Parteimitgliedschaft seit dem 18. Lebensjahr, zwei Kinder und seit mehreren Jahren verheiratet, keine Kontakte zu Personen im Westen und keine Verwandten dort, keinerlei Kenntnisse von Englisch oder Französisch – die Dresdner konnten die Reise nicht loswerden und gaben sie nach Berlin zurück.)

Plötzlich, mit einmonatiger Verspätung, beginnt der Kurs. Es sieht so aus wie in alten Zeiten. Über 20 Menschen sitzen erwartungsvoll im Raum. Dunkelheit empfängt den Eintretenden, keiner macht Licht, keiner spricht. Bei der Vorstellung dann die Überraschung: Die meisten Teilnehmer kommen gar nicht aus der Stadt, sondern aus dem „Umland“, manche aus benachbarten oder entfernteren Bundesländern und es sitzen Teilnehmer von mehreren Kursen im Raum. Man hat schlicht und einfach die Reste zusammengewürfelt und zieht eine „Allround-Einführungsveranstaltung“ erst einmal über zwei, drei Monate in die Länge. Computer- und Vertriebsfreaks sitzen neben angehenden PR-Leuten. Die Mischung ist bunt und die Gespräche sind angenehm. Keiner lernt irgend etwas, was er nicht an anderer Stelle nur etwas qualifizierter von besseren Dozenten vorgetragen gehört hätte. Als die Einführung endlich vorbei ist, sind wir lediglich vier Leute. Jeder Dozent wundert sich, dann stockt es. Inzwischen beginnen andere Lehrgänge. Wir sitzen mal da und mal dort dabei. Wöchentlich ist bei der Schulleitung Krisenmanagement angesagt, teilweise täglich. Schließlich gibt es die heilsame Einrichtung von „Heimarbeitstagen“. Die sind eigentlich illegal und darüber darf nicht gesprochen werden. „Geht bloß nicht aufs Arbeitsamt!“ Eine Teilnehmerin ignoriert das - die „Heimarbeitstage“ werden umgehend gestrichen. Nun wird ausschließlich über die „Lernplattform im PC-Saal“ gelernt. Die Lernplattform ist auch von zu Hause erreichbar, das ist ja gerade der Sinn des Online-Lernens. Aber die Anwesenheitspflicht ist der Lernpflicht übergeordnet. Freilich sind gut ausgestatteten Computer Mangelware. Die meisten PCs der Teilnehmer zu Hause sind besser als die der Einrichtung. Trotzdem brechen Diebe ein und klauen einen großen Teil der Ausrüstung. Im Prinzip alles was neu und gut war. Alle Flachbildschirme verschwinden so an einem Freitagabend.

Wir gehen ins Praktikum. Der „Weiterbildungsträger“, der damit wirbt, zahlreiche hervorragende Wirtschaftspartner zu haben, ist nicht in der Lage, auch nur einen einzigen Praktikumplatz zu vermitteln. Die Teilnehmer vermitteln sich selbst, die Firmen lachen sich scheckig: „4 Wochen – soll das ein Witz sein? Aber wenn wir keinen Cent bezahlen müssen und ihr euch ruhig und anständig verhaltet, könnt ihr vier Wochen bei uns still sitzen. Irgendwas zu tun gibt es immer.“

Kurs-Ende, Zertifikatübergabe. Tief beeindruckt lesen wir, was wir in den zehn Monaten alles gelernt haben sollen. Es gibt Blümchen, Kaffee und Kekse. Draußen harzen die Bäume und im Briefkasten liegt der Frühlingsgruß vom Arbeitsamt: „Ihr Restanspruch auf Arbeitslosengeld beträgt 30 Tage ...“

Ralf Richter, Dresden, 15. April 2005


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