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Updated: 18.12.2012 15:51
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Missbrauch bei Alg II/Sozialhilfe - Wer missbraucht hier wen?

Text des Vortrags von Rainer Roth in Osnabrück am 08.11.2006

 

I) Das Übliche: Gesetzesübertretungen durch Behörden

Frau Müller (fiktiver Name) absolviert in einem Berufsförderungswerk eine Ausbildung, wohnt dort die Woche über in einem Wohnheim und, da dieses an Wochenenden geschlossen ist, ansonsten in einem 100 km entfernten Landkreis in Hessen.

a) Sie hat eine Erstausstattung für diese Wohnung bekommen, nachdem sie aus dem Ausland zurückgezogen war, allerdings auf Darlehensbasis. Das Darlehen wird mit 5 Euro im Monat getilgt. Erstausstattungen für die Wohnung auf Darlehensbasis sind laut _ 23 SGB II illegal. Sie vom Regelsatz abzuziehen ebenso.

Begründung des Sachbearbeiters: Darlehen deshalb, weil sie aus dem Ausland zurückgekommen sei und die Übernahme von bestimmten Möbelstücken verweigert hätte, die schon in der Wohnung gestanden hätten. Ersteres ist gar kein Grund, letzteres kann allenfalls zu einer geringeren Erstausstattung führen, begründet aber kein Darlehen.

b) Die Kaution für diese Wohnung wurde von der Behörde übernommen, ebenfalls auf Darlehensbasis. Zur Rückzahlung des Darlehens werden zehn Euro mtl. vom Regelsatz abgezogen.

Die Übernahme einer Kaution auf Darlehensbasis hatte bis zum 1.4.2006 keine Rechtsgrundlage, war also illegal. Seitdem ist das legal. Die Rückzahlung eines Darlehens wegen einer Kaution dagegen ist auch heute nicht im SGB II vorgesehen, also illegal.

c) Die Umschülerin wird während der Woche im Wohnheim des Bfw verpflegt, an den Wochenenden muss sie sich zu Hause verpflegen. Die Behörde zieht ihr für Verpflegung 202,75 Euro mtl. vom Regelsatz ab. Grundlage ist eine sogenannte Sachbezugsverordnung.

Frau Müller wird mit dem Abzug für den ganzen Monat auch das Geld entzogen, sich am Wochenende selbst verpflegen zu können. In der Sachbezugsverordnung steht, dass der Verpflegungsaufwand tageweise oder sogar mahlzeitenweise festgestellt werden muss. Ihr hätten also nach den eigenen Bestimmungen der Behörde nur etwa 150 Euro abgezogen werden dürfen.

Wie aber kann man 150 Euro für 22 Tage Verpflegung abziehen, wenn im Regelsatz von 345 Euro selbst für 30 Tage Essen und Trinken nur rd. 114 Euro enthalten sind?

Der Landkreis ist eine sogenannte Optionskommune, in der die Bundesagentur für Arbeit (BA) nichts zu sagen hat. Die BA rechnet für Vollverpflegung nur 120,75 Euro pro Monat an, nicht 202,75 Euro. Es heißt, die Optionskommunen seien besser geeignet, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, weil sie näher am Menschen seien. Je näher die Behörde am Menschen ist, desto mehr kann sie ihm anscheinend illegalerweise vom Regelsatz abziehen, weil sie sich nicht an zentrale Vorgaben halten muss.

Belassen wir Frau Müller gnädigerweise wenigstens 3,79 pro Tag für je 4 Samstage und Sonntage (das ist das Regelsatzniveau), könnten also allenfalls 83 Euro vom Regelsatz abgezogen werden, nicht 202.75 Euro. Die Behörde zieht rd. 120 Euro zu viel ab. Sie verweigert Frau Müller nicht nur Geld zum Essen an den Wochenenden, sondern auch alle im Regelsatz enthaltenen Bedarfe für Möbel, Kleidung, Verkehrsmittel und Kommunikation.

d) Im Bescheid steht, dass die 202,75 Euro Einkommen seien. Von jedem Einkommen volljähriger Personen muss die Versicherungspauschale von 30 Euro abgezogen werden. Das geschieht nicht. Offensichtlich gibt die Software das nicht automatisch an (warum wohl?) und der Sachbearbeiter weiß es auch nicht.

Die 202,75 Euro sind aber gar kein Einkommen, sondern eine bedarfsmindernde Leistung. So jedenfalls die BA über die Verpflegungskosten in Einrichtungen. Es gibt jedoch im SGB II im Gegensatz zum SGB XII keine Bestimmung, die eine Senkung des Regelsatzes vorsieht, wenn ein Bedarf anderweitig gedeckt ist. Genausowenig wie es keine Bestimmung gibt, die eine Regelsatzerhöhung bei höherem Bedarf vorsieht.

Wenn Behörden meinen, dass in Einrichtungen nicht der volle Regelsatz ausgezahlt werden soll, dann müssen sie auf eine Gesetzesänderung hinwirken. Das machen aber weder die Optionskommunen, noch die ARGE's. Sie missachten das geltende Gesetz und machen ihr eigenes.

e) Frau Müller bekommt nicht die vollen Unterkunftskosten bezahlt, sondern 20 Euro weniger, da ihre Miete von 370 Euro nicht als angemessen gilt.

Das alles ist nur ein Teil der Probleme, mit denen sie sich während ihrer Ausbildung herumschlagen muss. Probleme durch eine Behörde, die den gesetzlichen Auftrag hat, ihre Integration in den Arbeitsmarkt zu fördern und nicht zu behindern.

Frau Müller hat statt 345 Euro 108 Euro im Monat zum Leben übrig, und wird werktags mit Naturalien verpflegt. Sie lebt weit unterhalb des Existenzminimums. In diesem Klima soll sie lernen und ihre Ausbildung erfolgreich beenden.

Bei den Rechtsbrüchen gehen auf das Konto des Sachbearbeiters die Erstausstattung als Darlehen und die monatliche statt tageweise Anrechnung der Verpflegungskosten. Ansonsten vollstreckt er nur die Richtlinien des Landkreises. Ihm die Schuld anzulasten, greift im Übrigen voll daneben, denn die Behörde korrigiert ihn nicht, sondern deckt ihn.

Frau Müller gehört zu denen, die sich verteidigen können. Sie hat unseren Leitfaden entdeckt. Sie schreibt Widersprüche, telefoniert, und macht klar, dass ihr die Mittel für ihre Existenz entzogen werden. Sie bedroht und beschimpft dennoch niemanden, bleibt sachlich. Die Behörde, die ein kundenfreundliches Dienstleistungsunternehmen sein will, reagiert aber seit Monaten nicht und lässt Frau Müller schmoren. Damit zwingt sie sie, auch noch ein Gerichtsverfahren gegen die Behörde zu betreiben. Statt Lernen steht der Kampf ums Überleben bei ihr auf der Tagesordnung.

Die Propaganda redet von Fördern. Im Wirklichkeit steht das Eigeninteresse der Behörde im Mittelpunkt, unter dem Bruch von Gesetzen möglichst wenig auszugeben.

Frau Müllers einziger bisheriger Erfolg: die illegale Rückzahlung der Kaution wird von 30 Euro mtl. auf zehn Euro vermindert.

Frau Müller kann nicht ohne fremde Hilfe überleben. Ein freundlicher Spender schenkt ihr Geld und überweist drei Monate lang 300 Euro auf ihr Konto. Die Behörde hat das entdeckt, weil sie bei Folgeanträgen die Kontoauszüge verlangt, obwohl das laut einem Urteil des Landessozialgerichtes Hessen rechtswidrig ist. 900 Euro Einkommen nicht anzugeben, ist Betrug, d.h. eine Gesetzesübertretung und gilt als Missbrauch. Frau Müller muss zehn Euro monatlich zurückzahlen. Das kürzt ihren Regelsatz noch weiter. Sie sieht das ein, während die Behörde nach wie vor nichts einsieht.

Das hier Geschilderte passiert in vielfältigen Formen tagtäglich in den Arbeitslosenbehörden. Im Grundgesetz steht überraschenderweise:" Die vollziehende Gewalt ... (ist) an Gesetz und Recht gebunden. " (Art. 20 Abs. 3 GG) Davon kann nach der Einführung von Hartz IV weniger die Rede sein als jemals zuvor.

Offensichtlich fällt das von Politikern und Medienkonzerne nicht unter den schwammigen Begriff Missbrauch. Es wird unter den Stichworten Anlaufschwierigkeiten und Einzelfälle abgelegt.

Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank gibt die Richtung an:" Das Niveau der Lohnersatzzahlungen muss reduziert oder es müssen die Bedingungen für den Anspruch auf diese Leistungen verschärft werden ." (Passauer Neue Presse 02.08.2006) Die Bedingungen für den Anspruch auf Leistungen müssen verschärft werden. Ob legal oder illegal, ist egal.

II) Neue Qualität von Gesetzesübertretungen - der Bundestag mischt mit

Völlig neu ist, dass der Gesetzgeber selbst ein Gesetz, das SGB II, benutzt, um andere Gesetze zu brechen. Im Mittelpunkt steht dabei die sogenannte Bedarfsgemeinschaft .

Angehörige einer Bedarfsgemeinschaft müssen ihr Einkommen und Vermögen in vollem Umfang füreinander einsetzen, werden also wie gesteigert Unterhaltspflichtige behandelt. Gesteigert unterhaltspflichtig sind laut Bürgerlichem Gesetzbuch (BGB) nur Ehegatten untereinander und im Verhältnis zu ihren minderjährigen, unverheirateten Kindern sowie eingetragene Lebenspartner untereinander. So steht es auch noch im SGB XII als direktem Nachfolger des BSHG. (_ 19 Abs. 1 SGB XII)

Mit dem SGB II hat der Bundestag jedoch über die Konstruktion der Bedarfsgemeinschaft den vollen Einsatz von Einkommen und Vermögen füreinander tendenziell auf alle Haushalte ausgedehnt, in denen Erwachsene und bis zu 25 Jahre alte Kinder leben.

Obwohl sie gar nicht unterhaltspflichtig sind, sollen

  • Stiefeltern in vollem Umfang für die Kinder des Partners aufkommen. Ab 1.8. sogar fortentwickelt bis zum 25. Lebensjahr des Kindes. Die gesteigerte Unterhaltspflicht allgemein, wenn sie überhaupt greift, gilt aber nur bis zum 18. Lebensjahr, nicht bis zum 25 ten.
  • Auch Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft sollen für die Kinder des Partners voll aufkommen, als wären sie die eigenen. Und ebenfalls für bis zu 25-jährige, als wären diese noch unter 18.
    Das alles widerspricht dem Bürgerlichen Gesetzbuch. Von Missbrauch redet in diesem Zusammenhang niemand. Rechtsbrüche sind vom Gesetzgeber erwünscht und sogar in eine gesetzliche Form gegossen.
  • Zur Bedarfsgemeinschaft gehören ferner " als Partner der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen ...
    c) eine Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. " (_ 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II neu) Die Annahme greift nach dem "Rückentwicklungsgesetz" ab 1.8.2006, wenn ein Mann und eine Frau länger als ein Jahr zusammenleben. Eine volle Unterstützung wie in einer Ehe wird angenommen, ohne Rücksicht darauf, ob Partner ihre eigenen Verpflichtungen erfüllen können oder überhaupt leistungsfähig sind, ohne Rücksicht darauf, ob sie es wollen bzw. tatsächlich tun. Sie werden von den Standesämtern der Arbeitslosenverwaltung zwangsverheiratet.

Das widerspricht den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts, die ausdrücklich die Bereitschaft zu Unterhaltszahlungen wie in einer Ehe zur Grundlage einer eheähnlichen Gemeinschaft erklären.

"Ohne rechtlichen Hinderungsgrund kann der mit dem Arbeitslosen nicht verheiratete Partner ... jederzeit sein bisheriges Verhalten ändern und sein Einkommen ausschließlich zur Befriedigung eigener Bedürfnisse oder zur Erfüllung eigener Verpflichtungen einsetzen. Wenn sich ein Partner entsprechend verhält. besteht eine eheähnliche Gemeinschaft nicht oder jedenfalls nicht mehr ." (BVerfG 17.11.1992) Wenn ein Partner dieses Verhalten gar nicht erst an den Tag legt, besteht ebenfalls keine eheähnliche Gemeinschaft. Und dabei gibt es keinen " rechtlichen Hinderungsgrund ", d.h. keine Unterhaltsverpflichtung.

Nur das, was freiwillig gezahlt wird, kann angerechnet werden, nicht das, was unterstellt wird.

Die rechtswidrige Ausdehnung einer "gesteigerten Unterhaltsvermutung" per Gesetz führt dazu, dass verstärkt Wohngemeinschaften bzw. Haushaltsgemeinschaften aufgelöst werden. Und das gilt dann als Missbrauch, nicht die Zwangsverheiratung.

III) Wer Rechte in Anspruch nimmt, missbraucht den "Sozialstaat"

"Jeder hat Anspruch auf Beratung über seine Rechte und Pflichten nach diesem Gesetzbuch ." (_ 14 SGB I) Wie schön.

Die FAZ aber klagt: " Wenn jeder nimmt, was ihm zusteht, kollabiert unser Sozialsystem ." (04.06.2006, 51) Damit wird die Wahrnehmung von Rechtsansprüchen als Anspruchsmentalität und diese wiederum als Missbrauch hingestellt.

Wenn es Missbrauch ist, zu nehmen, was einem zusteht, kann es kein Missbrauch sein, den zügellosen Arbeitslosen nicht das zu geben, was ihnen zusteht. Das würde ja bedeuten, Unverschämtheiten auch noch zu begünstigen. So handeln die Arbeitslosenbehörden täglich ungestraft und ebenso der Gesetzgeber, der mit dem SGB II andere Gesetze skrupellos außer Kraft setzt. (->Bedarfsgemeinschaft)

Hauptsache Kostensenkung.

Typisch für die Haltung des heutigen Staates ist die Reaktion der früheren SPD-Grünen Bundesregierung auf den von Harald Thomé und mir verfassten Leitfaden.

Wolfgang Clement und sein Ministerium bezichtigte uns der "Beihilfe zum Betrug statt Beratung." Wir wären Helfershelfer des Betrugs.

Beispiel für Betrug:

"Im Kapitel über Bedarfsgemeinschaften stellt der Leitfaden den Geist der neuen Grundsicherung für Arbeitsuchende auf den Kopf:' Bevor Sie aufgrund ihres Alltagsverständnisses angeben, dass Sie in einer eheähnlichen Gemeinschaft leben, prüfen Sie also, ob Sie wirklich ihr gesamtes Einkommen und Vermögen vorrangig für ihren Partner einsetzen wollen, bevor sie ihre eigenen Verpflichtungen erfüllen. Nur dann liegt nämlich eine eheähnliche Gemeinschaft vor ." (Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, Vorrang für die Anständigen - Gegen Missbrauch, "Abzocke" und Selbstbedienung im Sozialstaat, Ein Report vom Arbeitsmarkt August 2005, 21)

Wir stellen den Geist des SGB II auf den Kopf (einen Geist auf den Kopf zu stellen, ist eine Kunst für sich), in dem wir den Kern des Urteils des BVerfG zitieren. Das, was im Leitfaden steht, ist fast wörtlich einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts entnommen. Mit anderen Worten: Der Geist des SGB II, bzw. das SGB II selbst, das diesen Geist verkörpert, hat mit dem Urteil des BVerfG über eheähnlichen Gemeinschaften nichts zu tun. Deswegen passte dieses Urteil der SPD-Grünen-Bundesregierung nicht. In Wirklichkeit hätte sie die Verfassungsrichter der Beihilfe zum Betrug anklagen müssen. So weit wollte sie nicht gehen. Stattdessen prangerte sie den Überbringer der für sie schlechten Nachrichten als Betrugshelfer an.

Was Clement, inzwischen Aufsichtsrat u.a. einer Leiharbeitsfirma und eines Reinigungskonzerns, als eheähnlich definiert, hat mit dem Urteil des BVerfG und der sich darauf stützenden Rechtsprechung der Sozialgerichte nichts zu tun.

Werfen wir einen Blick in die Revolverbroschüre des Ministeriums.

"Mit ihrem Partner lebt (Brigitte Holthaus) seit Jahren im zweiten Stock einer belebten Straße im Zentrum einer Ruhrgebietsstadt. Der Mietvertrag weist beide als gemeinsame Mieter der Wohnung aus, beide sind auf dieselbe Adresse angemeldet. Aber Brigitte Holthaus mag nicht einsehen, dass sie damit ( !!! ) keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II hat.

(Kommentar: Mit dieser Begründung kann auch Wohngemeinschaften jegliche Leistung verweigert werden. Das ist rechtswidrig. )

Mit einer langen Ausgabenliste ihres Lebensgefährten will sie belegen, dass er nicht in der Lage sei, für sie einzustehen. Frau Holthaus gibt an: "Wohngemeinschaft - keine finanziell Unterstützung".

Das ist glatt gelogen, wie sich beim Prüfbesuch herausstellt. (Kommentar: Mit Hausbesuchen kann man keine eheähnliche Gemeinschaft feststellen, so Urteile von Sozialgerichten.)

Günter Meyer, ihr Lebensgefährte, kommt mit nacktem Oberkörper aus dem Ehebett (Kommentar: Sind die beiden also verheiratet? Allenfalls wäre es ein eheähnliches Bett.) , die Saugnäpfchen eines Medizingeräts kleben auf seiner Brust, das dazugehörige Gerät steht auf der Konsole im Schlafzimmer. Standhaft behauptet er, auf der Schlafcouch im Kinderzimmer zu schlafen. Dort finden sich jedoch keine persönlichen Gegenstände. (Kommentar: Ob Herr Meyer im Bett von Frau Holthaus schläft oder nicht, ist völlig unerheblich, weil intime Beziehungen noch keine eheähnliche Gemeinschaft mit wechselseitigen Verpflichtungen wie in einer Ehe begründen, so das Urteil des BVerfG.)

Die Lebensmittel im Kühlschrank werden gemeinsam aufbewahrt (Kommentar: für die Bundesregierung beruht die Ehe auf der gemeinsamen Nutzung des Kühlschranks und des Betts. Daraus geht jedoch nicht hervor, dass Herr Meyer sein Einkommen und Vermögen voll für Frau H. einsetzt. So die Rechtsprechung.), ein eigenes Zimmer kann der Lebensgefährten nicht vorweisen. (Kommentar: Und deswegen gibt er sein Geld vorrangig für Frau H. aus? Ob er sein Geld vorrangig für sich ausgibt, interessiert die Behörde überhaupt nicht. Wenn sie auf dem Boden der Verfassungsmäßigkeit, definiert durch Urteile des Bundesverfassungsgericht, stehen wollte, müsste sie das aber.) So fällt das Urteil des Prüfteams eindeutig aus: Wieder mal ein Fall von versuchtem Sozialmissbrauch."

(Kommentar: Eindeutig wieder mal ein Fall Rechtsbruch durch eine Behörde. Offensichtlich sind Frau H. alle Leistungen verweigert worden, nur weil ein Mann in ihrer Wohnung wohnt. Da reicht aber als Beleg für Unterhaltszahlungen wie in einer Ehe nicht aus.)

Clement (vor seiner Ministerzeit Botschafter der von der Metallindustrie finanzierten Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft) ist Sprachrohr der Interessen des Kapitals, wie sie durch Peter Clever, Mitglied der Hauptgeschäftsführung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) formuliert werden:" " Künftig muss es genügen, wenn zwei zusammen leben und sich Bett und Schrank teilen ." (focus Nr. 1/2006) Bzw. einen Kühlschrank.

Das stellt den "Geist" der Urteile des BVerfG auf den Kopf. Die Behörden werden durch die Bundesregierung ermuntert, sich darüber hinwegzusetzen und ihr eigenes Gesetz zu machen. Und Bundesregierung und Bundestag verfälschen mit dem "Fortentwicklungsgesetz" das Urteil so, dass ein Zusammenleben von einem Jahr ausreicht, um zwei Partner zwangszuverheiraten und Unterhaltszahlungen wie in einer Ehe zu unterstellen.

Zweck des Gesetzesbruchs ist, dem Staat und dem Kapital (Stichwort Gewinnsteuersenkungen) finanzielle Vorteile zu verschaffen.

IV) Gesetzesübertretungen seitens der Alg II-Bezieher werden zum Elefanten aufgeblasen , wie früher schon der Missbrauch durch Sozialhilfebezieher.

Gestützt auf ihr tägliches Missbrauchsgebet haben die sozialdemokratisch-christlichen Hartz IV-Parteien die vorbeugenden Datenabgleiche bei Arbeitslosen ab dem 1.8.2006 erheblich ausgedehnt. Ob Daten automatisiert abgeglichen werden, liegt seither nicht mehr im Ermessen der Alg II -Behörden. Sie müssen zum 1.1., 1.4., 1.7. und 1.10. die entsprechenden Datenbestände überprüfen. (_ 52 Abs. 1 SGB II neu)

Angaben darüber, welchen Umfang die Schäden überhaupt hatten, die durch unberechtigten Bezug von Alg II entstehen, wurden nicht gemacht. Es reicht wie immer, dass man Behauptungen aufstellt. Der frühere Missbrauchspropagandaminister Clement hatte z.B. 2005 im Verein mit dem Arbeitgebervertreter bei der BA, Peter Clever die Zahl von 10% Missbrauch in die Welt gesetzt, um dann kurze Zeit auf 20% zu erhöhen.

Der Bundesbeauftragte für Datenschutz rügte vor der diesjährigen Verschärfung, dass Maßnahmen beschlossen würden, ohne entsprechende Fakten darzulegen.

Ergebnisse lagen aber schon vor. Ein automatisierter Datenabgleich von 3,2 Mio. Datensätzen im Oktober 2005 ergab knapp 60.000 Fälle von nicht angegebenen Einkommen (1,9%) und einen Fehlbetrag von 26,9 Mio. Euro plus 8,8 Mio. bei Miet- und Heizkosten. Die Überzahlung pro Fall belief sich im Durchschnitt auf sagenhafte 595 Euro.

Hier sind aber auch die Fälle erfasst, in denen ein Einkommen erzielt, aber nicht rechtzeitig oder aus Unkenntnis nicht angegeben worden war oder angegeben worden war, aber im Chaos der Behörde unter den Tisch gefallen war. Vermutlich deswegen bestand nur in 22.900 Fällen der Verdacht auf eine Ordnungswidrigkeit oder eine Straftat aufgrund falscher Angaben. Bis jetzt liegen keine Informationen vor, bei wievielen Personen sich der Verdacht bestätigt hat.

Nur in 4.200 Fällen wurde der Anspruch auf Alg II gestrichen. Das sind jämmerliche Ergebnisse. Sie strafen nicht nur Clement und Co. Lügen, sondern auch seine würdigen Nachfolger in der jetzigen Regierung.

Aber es kommt bekanntlich nicht auf Tatsachen an, wenn man hetzen will, um für das Kapital finanzielle Vorteile herauszuschlagen.

Auch der zwecks Missbrauchsbekämpfung eingeführte automatisierte Datenabgleich in der früheren Sozialhilfe brachte nur kümmerliche Ergebnisse. 1993 wurde von der damaligen Kohl-Regierung und Medienkonzernen ebenfalls die Zahl 10-20% Missbrauch in die Welt gesetzt. Ergebnis war die Einführung automatisierter Datenabgleiche, um den Missbrauch zu bekämpfen. Zu Beginn der Datenabgleiche (1999) wurde ermittelt, dass 2,3% der Sozialhilfe-Haushalte Einkommen nicht angegeben hatten und 0,5% der Sozialhilfe zu Unrecht gezahlt worden war. Wobei in den meisten Fällen nach Angaben von Sachbearbeitern nicht bewusster Missbrauch, sondern Unkenntnis und fehlender Überblick die Motive waren. (Rainer Roth, Sozialhilfemissbrauch, Wer missbraucht hier wen?, Frankfurt 2004, 19) Seither wurden immer weniger "Missbrauchsfälle" ermittelt.

Die Bundesregierung hofft jetzt, dass man mit dem ausgebauten Datenabgleich 40.000 Haushalten Missbrauch nachweisen kann oder 0,01% der Alg II-Haushalte. (FTD 04.05.2006) Sie weiß also selbst, dass gar nicht so viel zu holen ist, wie sie ansonsten verlauten lässt. Aber was soll's. Argumente zählen nicht, nur Wirtschaftsinteressen.

Was die von der FAZ bejammerte Anspruchsmentalität angeht, ergeben alle Untersuchungen dasselbe Bild. Von hundert Berechtigten nehmen nur rd. 50 ihren Anspruch wahr. Möglicherweise ist die Dunkelziffer im Zuge von Hartz IV gefallen. Irene Becker stellte fest, dass von 100 Berechtigten 27 ihren Anspruch nicht wahrnahmen. (FR 10.10.2006) Von 100 Erwerbstätigen, die Anspruch haben, würden allerdings nur 32 ihren Anspruch einlösen, der Rest nicht. Eine frühere Untersuchung hatte 20 von 100 Erwerbstätigen ermittelt, die ihre Anspruch nicht einlösten.

Irene Becker schätzt, dass der Staat aufgrund fehlender "Anspruchsmentalität" 6 bis 8 Mrd. Euro spart, weil eben nicht alle Menschen ihre Rechte einfordern. Und weitere Milliarden dürfte er einsparen, weil die meisten Menschen gegen Rechtsbrüche der Behörden gar nicht vorgehen. Sie erdulden sie meistens bzw. wissen gar nicht, dass es welche sind. Rechtsbrüche durch Sozialbehörden sind nicht strafbar. Man kann es also mal versuchen. Wenn es im Einzelfall zu nachträglichen Nachzahlungen kommt, hat man immer noch genug an denen verdient, die sich nicht rühren.

Die Missbrauchshetze dient dazu, die Zahl derjenigen zu vergrößern, die ihr "gutes Recht" lieber gar nicht einfordern wollen. Sie will die Scham vergrößern. Sie dient der Sanierung der Staatsfinanzen auf dem Rücken der Armutsbevölkerung.

Die steigenden Kosten von Alg II sind keine Folge des gestiegenen Missbrauchs, wie uns die Spitzen der Sozialdemokraten und der Parteien der Christen weismachen wollen, sondern in erster Linie Folge der steigenden Zahl von BezieherInnen.

Es ist das Kapital selbst, das die höheren Kosten verursacht.

Mehr und mehr erzwingen Armutslöhne Anträge auf ergänzendes Alg II, ebenso die Verkürzung der Bezugsdauer des Alg I, die wachsende Zahl von Menschen, die selbst im Aufschwung kein Unternehmen mehr für seine Profitzwecke braucht, der Ruin von Selbstständigen durch mächtige private und staatliche Auftraggeber bzw. durch die Banken usw..

Das Kapital will die höheren Kosten der von ihm überflüssig Gemachten senken, damit es dennoch Gewinnsteuersenkungen durchsetzen kann, z.B. die geplante Senkung des Körperschaftssteuersatzes von 25% auf 15% und damit es das Lohnniveau absenken kann.

Medienkonzerne, Auftragswissenschaftler und Regierungsparteien produzieren täglich den vollautomatisierten Reflex: Arbeitslos=Faul=Missbrauch.

Damit wollen sie die Zustimmung der Erwerbstätigen zu Kürzungen bei den "unverschämten" Erwerbslosen erreichen (unverschämt ist bekanntlich das Gegenteil von verschämt) oder sie zumindest an Solidarität mit Erwerbslosen hindern und sie wollen die Erwerbslosen einschüchtern.

Jedes Paket von Änderungen von Hartz IV wurde mit Missbrauchspropaganda vorbereitet. Das jetzige natürlich auch. Die Missbrauchshetze nimmt die größten Ausmaße immer in Krisenzeiten an, wenn Kürzungen durchgesetzt werden sollen.

Das Kapital zwingt uns dieses Thema auf.

Wir müssen ein anderes Thema auf die Tagesordnung setzen: Wer oder was macht immer mehr Menschen zu Hilfsbedürftigen, die nicht auf eigenen Füßen stehen können? Wie werden die Hilfsbedürftigen um das betrogen, das ihnen zustehen müsste und warum ist das so?

Zur Klarstellung:

Ich bin nicht der Meinung, dass Alg II-Bezieher nie Gesetze brechen. Der Egoismus, die rücksichtslose Verfolgung von Privatinteressen gegen gesellschaftliche Interessen ist die Grundlage des Kapitalismus. Günter Ogger sprach von einer "Betrüger-Ökonomie": " Jeder nimmt, was er kriegen kann und behält, was er geben sollte. " (vgl. Roth 2004, 87) Kriminalität geht nicht am SGB II vorbei. Die krassesten Fälle stammen dabei in der Regel von abgesunkenen Kleinkapitalisten, die ihr Vermögen und damit einen Teil ihres früheren Lebensstandards vor dem Zugriff der Arbeitslosenbehörde schützen wollen. Solche Fälle greift BILD auf, um Stimmung gegen alle Alg II-Sozialhilfebezieher zu machen.

Aber:

Hier können nur peanuts ergaunert werden, Keine Abfindungen in Höhe von 60 Mio. Euro, keine millionenschweren Bestechungsgelder zur Finanzierung von Formel 1-Leidenschaften, wie bei Schumacher, dem ehemaligen Infineon-Chef, keine Milliarden hinterzogener Steuern und keine aus Firmenmitteln abgezweigten Bordellbesuche.

Jahr für Jahr geben z.B. Unternehmen Gewinne in Höhe 65 Mrd. Euro nicht an. Wenn man einen realen Steuersatz von 20% unterstellt, kommt man auf diese Summe. Denn Betriebsprüfer holen Jahr für Jahr 13 Mrd. Euro durch Prüfungen wieder herein.

Einkommen nicht angeben, zählt bei Armen, z.B. der eingangs erwähnten Frau Müller, als Missbrauch, nicht aber z.B. Siemens und der Deutschen Bank.

Wie wäre es, mal einen Kapitaldetektiv (Betriebsprüfer) mit der Kamera zu begleiten und die vorgetäuschte Einkommenslosigkeit von Konzernen aufzudecken, statt mit Sozialdetektiven in versiffte Wohnungen einzudringen und heruntergekommene Existenzen zu präsentieren?

V) Die Höhe von Alg II erzwingt Gesetzesübertretungen.

Mit dem Regelsatz von 345 Euro stehen ab Juli 2006 pro Tag zur Verfügung:

  • 3,79 Euro für Ernährung und Getränke, darunter 83 Cent für Frühstück und je 1,48 für Mittag- und Abendessen
  • 27 Cent für Cafe- und Kneipenbesuche = ein Cappuccino die Woche
  • 47 Cent für öffentlichen Nahverkehr = eine Hin- und Rückfahrt in der Woche
  • 77 Cent für Telefon/Fax incl. Grundgebühren = 24 Cent für Gespräche/Faxe
  • 0 Cent für Bildung
  • 25 Cent für Zeitungen/Zeitschriften = einmal in der Woche eine Tageszeitung und
  • 21 Cent für Sport- und Freizeitveranstaltungen = alle zwei Monate einmal Kino

345 Euro reichen nicht aus, um Grundbedürfnisse ausreichend zu befriedigen. 345 Euro bedeuten Existenzunsicherheit, Armut und soziale Isolation. 345 Euro stehen oft sogar nur auf dem Papier, weil z.B.

  • tatsächliche Mieten und Heizkosten bzw.
  • Tilgungsraten bei selbst genutzten Eigenheimen nicht anerkannt werden,
  • einmalige Anschaffungen nicht von den vorgesehenen Minibeträgen angespart werden konnten,
  • Kontogebühren nicht im Regelsatz drin sind,
  • Bewerbungs- oder Krankheitskosten anfallen,
  • Schulden zurückgezahlt oder
  • die seit Januar 2005 gekürzten Regelsätze der Schulkinder aufgefangen werden müssen usw..

Wenn das Gesetz es nicht ermöglicht, bis zum Ende des Monats über die Runden zu kommen, bleiben nur illegale Möglichkeiten, da man sein Leben nicht für eine Woche stilllegen kann.

Gesetzesübertretungen sind in erster Linie Beweis für Mangel, nicht dafür, dass man genug hat und nicht bedürftig ist.

Daraus folgt: Um Gesetzesübertretungen aus Not zu vermeiden, müsste der Regelsatz erhöht werden.

VI) Regelsätze für Kinder - Missbrauch

Als Missbrauch wird vor allem die Nutzung des Gesetzes hingestellt. Die VertreterInnen des Kapitals argumentieren meistens so:

"Die 4-köpfige Familie des Alg II-beziehenden Herrn Maier erhält z.B. 1.600 bis 1.900 Euro netto fürs Nichtstun. Herr Schmidt dagegen arbeitet 40 Stunden die Woche und verdient nur 1.000 Euro. Seine Familie hat weniger als die des nichtstuenden Herrn Maier.
Kein Wunder, dass Herr Maier keinen Bock auf Arbeit hat. Die Höhe von Alg II ist deswegen ein Fehlanreiz und regt zum Missbrauch an. Sie schafft eine Armutsfalle, aus der keiner herauskommt. Deshalb muss das Alg II gesenkt werden, um Herrn Maier aus der Hängematte zu werfen."

Was bedeutet das?

Die Löhne von Millionen Menschen reichen nicht aus, um den Nachwuchs an Arbeitskräften, die Kinder, zu unterhalten, sondern allenfalls die Arbeitskraft eines Elternteils selbst. Wenn also das Regelsatzniveau höher ist als das Lohnniveau vieler Arbeitskräfte, dann deswegen, weil das SGB II die Kosten von Kindern noch als notwendig anerkennt.

Der Spruch: wer arbeitet soll mehr haben, als einer der nicht arbeitet, ob er von Merkel oder Müntefering geäußert wird, bereitet das Klima dafür vor, dass die Kosten von Kindern nicht nur bei Löhnen, sondern auch bei Alg II weniger oder gar nicht mehr berücksichtigt werden sollen. Wenn Herr Maier weniger haben soll als Herr Schmidt, dürften die maximal 552 Euro plus anteilige Mietkosten seiner Kinder nicht mehr gezahlt werden. Nur dann hätte die vierköpfige Familie eines Erwerbslosen weniger als die vierköpfige Familie eines Armutslöhners. Dann wäre der Zustand der 20 und 30er Jahre wiederhergestellt, der erst mit der Einführung des BSHG abgeschafft worden war. Bis dahin musste nämlich das Niveau der Fürsorge, unabhängig von der Zahl der Kinder, immer 15 oder 20% unter dem Niveau des Lohns ungelernter Arbeiter bleiben. Diese Grenze wurde als Auffanggrenze bezeichnet, mit der - nach dem heutigen Sprachgebrauch - Arbeitsanreize geschaffen werden sollten.

Die Missbrauchshetze richtet sich also in diesem Punkt vor allem dagegen, dass Erwerbslose Kinder haben. Folglich setzen Regelsatzkürzungen auch vor allem bei Kindern an. Die Regelsätze aller Kinder von 7 bis 18 Jahren wurden ab 2005 gekürzt.

Alle Pläne, den Eckregelsatz zu kürzen, bedeuten immer auch, dass die Regelsätze für Kinder gesenkt werden, die ja nur Prozentsätze des Eckregelsatzes sind. Daran sollte man abundzu mal denken.

VII) Missbrauchskampagnen bezwecken Leistungskürzungen.

Je tiefer das Leistungsniveau gedrückt wird, desto mehr Gesetzesübertretungen sind notwendig, um sich am Ende des Monats über Wasser zu halten. Das gilt für Erwerbslose genauso wie für Lohnabhängige. Auch Armutslöhne erzwingen Nebeneineinnahmen, die nicht angegeben werden. Und wenn es sich dabei um Schwarzarbeit handelt, profitieren hiervon in erster Linie Unternehmen.

Der Sachverständigenrat hat wie jedes Jahr wieder eine 30%-ige Kürzung des Regelsatzes verlangt. Andere verlangen die völlige Streichung des Regelsatzes, wie Hans-Werner Sinn oder die Bertelsmann-Stiftung. Warum? Alg II stellt eine Art Mindestlohn dar, unter dem Arbeitslose nicht arbeiten wollen.

Die Missbrauchspropagandisten bereiten mit den Regelsatzkürzungen objektiv die Senkung des Mindestlohns Alg II vor.

Wenn Erwerbstätige für die Senkung von Arbeitslosenunterstützungen eintreten, kämpfen sie letztlich gegen sich selbst. Deshalb ist es unsere Aufgabe klarzumachen, dass ein unauflöslicher Zusammenhang zwischen Arbeitslosengeld II und Lohnhöhe besteht.

Der Missbrauchspropaganda entgegenwirken, heißt also auch, einen gesetzlichen Mindestlohn oberhalb des Hartz IV-Niveaus zu verlangen und zu zeigen, dass das Lohnniveau, das als Maßstab für die Angemessenheit der Höhe von Alg II dienen soll, unterhalb des Existenzminimums liegt.

Mindestens zehn Euro brutto sollten es sein. Das ist eine äußerst bescheidene Forderung, dann von 10 Euro die Stunde kann man nicht einmal ein einziges Kind unterhalten.

VIII) Zweierlei Maß - Warum?

Offensichtlich werden Gesetzesübertretungen seitens des Staates oder des Kapitals und die von Erwerbslosen und Armen mit zweierlei Maß gemessen. Letztlich ist es aber nur ein einziges Maß. Dieser alleinige Maßstab besteht darin, ob ein Sachverhalt der Vermehrung von Profiten und Renditen nützt oder nicht.

Steuerhinterziehung erhöht die Nettorenditen und - profite.

Rechtsbrüche der Behörden gegen Alg II-Bezieher üben Druck auf Erwerbslose aus, lieber zu Armutslöhnen zu arbeiten, als Alg II in Anspruch zu nehmen. Beides vermehrt die Profite, ist also nützlich.

Außerdem werden die Kosten der überflüssig Gemachten vermindert. Das erzeugt neue Spielräume für Gewinnsteuersenkungen und erhöht ebenfalls die Profitmöglichkeiten.

Wenn der Staat bei Steuerhinterziehung Verständnis zeigt, begünstigt er Profite. Wenn er bei Erwerbslosen mit Härte vorgeht, ebenfalls.

IX) Was der Missbrauchspropanda entgegensetzen?

a) Die Profitinteressen des Kapitals müssen aufgedeckt werden, die hinter der Missbrauchspropaganda stehen.

Dabei geht es nicht darum, Gesetzesübertretungen bei Alg II-Beziehern zu leugnen oder nur zu erklären, es sei doch nicht so schlimm. Gesetzesübertretungen hier sind überwiegend durch das bewußt niedrig gehaltene Leistungsniveau verursacht, also indirekt durch die Interessen des Kapitals selbst. Gesetzesübertretungen des Kapitals dagegen entspringen der Profitsucht. Sie fördern die Prozentsätze der Kapitalverwertung.

Das zum Thema zu machen, wäre ein gegenüber dem Kapital selbstständiger Standpunkt.

b) Die Kosten für Alg II, die immer wieder als Anlass für Missbrauchskampagnen herhalten, werden in erster Linie nicht durch die Alg II-BezieherInnen, sondern durch das Kapital verursacht.

Nicht nur in den Sinne, dass hier die Wurzeln von Arbeitslosigkeit und Armut liegen. Die Kosten für Miete, Heizung, Strom, Lebensmittel usw. werden durch die Profitinteressen von Unternehmen beeeinflusst. Was Alg II zahlt, fließt in deren Taschen. Außerdem trägt der Staat mit der ständigen Erhöhung indirekter Steuern ebenfalls zu steigenden Kosten von Alg II bei.

c) Die chronischen, von oben geförderten Gesetzesübertretungen müssten dokumentiert werden. Das wäre doch eine Aufgabe der kirchlichen Anwälte der Armen. Betrug an Erwerbslosen und Armen - das müsste unser Thema sein.

d) Überall müssten unabhängige Beratungsstellen für Alg II-Bezieher finanziert werden, damit ein Gegengewicht gegen die Rechtsbrüche der Behörden geschaffen wird. Stattdessen werden hier die Mittel gekürzt. Das fördert Missbrauch durch die Ämter.

e) Leitfäden zu verbreiten, z.B. unseren (Roth, Thomé, Leitfaden Alg II/Sozialhilfe von A-Z, Stand 1.Oktober 2006) wäre ebenfalls ein Mittel, um den "Missbrauch" seitens der Behörden zu bekämpfen.

f) Das Kapital sieht Steuersenkungen als Mittel des Kampfs gegen Steuerhinterziehung an.

Umgekehrt gilt dann: Die Regelsätze müssen erhöht werden, damit Erwerbslose und Arme nicht gezwungen sind, das SGB II/SGB XII zu übertreten. Ihr Leben muss sich in legalem Rahmen abspielen können.

Früher gab es viel Propaganda über die Mercedesse, mit den SH-Bezieher vorm Sozialamt vorfahren. Missbrauch wurde in diesen Fällen erzeugt, weil bis 1998 Autos in keinem Fall geschütztes Vermögen war und danach nur Rostschüsseln bis 1.300 Euro erlaubt waren, aber selbst in dieser Höhe nur, wenn kein Barvermögen da war. Diesen staatlich erzeugten Missbrauchstatbestand aufzudecken, diente der Datenabgleich mit den Kfz-Zulassungsstellen. Heute ist er für Alg II-BezieherInnen überflüssig geworden, weil das, was früher Missbrauch war, heute für Erwerbsfähige legal ist. Kfz mit einem Marktwert bis weit über 5.000 Euro sind geschütztes Vermögen.

g) Es gilt, die Zusammenhänge zwischen Alg II und Lohn aufzuzeigen. Das Missbrauchsgeschrei nützt nicht den Erwerbstätigen, sondern dem Kapital. Es dient letztlich auch dazu, den Druck auf die Beschäftigten zu erhöhen, die mit der Drohung von Hartz IV weichgekocht werden, Lohnsenkungen und Arbeitszeitverlängerung in Kauf zu nehmen.

h) Nur eine Gesellschaft, in der die private Bereicherung nicht im Mittelpunkt steht, in die Grundbedürfnisse aller befriedigt werden, in der nicht Millionen Menschen zu Armut und Untätigkeit verurteilt werden, während Milliarden an Kapital aufgetürmt sind, die in Wetten fließen, ob das Wetter besser oder schlechter wird, ob der Dollar steigt oder fällt oder ob Stahl morgen mehr kostet als heute. Den Egoismus der breiten Masse bekämpfen, um den egoistischen Bereicherungstrieb des Kapitals fördern, ist reine Heuchelei.

Bleibt nur zu sagen:
"Armes Deutschland, das sein Mütchen an Arbeitslosen und an der Armutsbevölkerung kühlen muss."


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