Weltbank und OECD contra Welt der Arbeit

 

Angesichts neu aufgenommener Verhandlungen über das Multilaterale Abkommen über Investitionsschutz (MAI) ist es nützlich, sich die Entwürfe vor Augen zu führen, die die Weltbank (WB) und die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in den vergangenen Jahren in Bezug auf die Arbeitswelt entwickelt haben. Ein regelrechter "Leitfaden zur Durchsetzung von Sparpolitik" ist hier entstanden.

Eric Toussaint

 

Die Weltbank empfiehlt, die Regulierung der Arbeitswelt aufzuweichen. Unter dem Titel Die Arbeitswelt in einer Wirtschaft ohne Grenzen(1) widmete sie diesem Thema im Jahr 1995 die gesamte Ausgabe ihres Weltentwicklungsberichts. Und dieser Bericht spricht Klartext: "Anstrengungen, die größtmögliche Mobilität der Beschäftigten zu erreichen, führen oft zur Umsetzung von Maßnahmen, die den Prozess der Vernichtung von Arbeitsplätzen - auch durch Entlassungen im öffentlichen Sektor - weiter vorantreiben." (sic!)

Für die Weltbank geht es jedoch nicht darum, Sozialleistungen zur Abfederung der Arbeitslosigkeit längerfristig auszubauen oder aufrechtzuerhalten. Nach ihrer Ansicht seien diese vielmehr Ursache der Arbeitslosigkeit. Sie definiert eine "aktive Arbeitsmarktpolitik" wie folgt: "Ein Politik, die darauf zielt, Arbeitslose wieder in Arbeit zu bringen und die Zukunfsaussichten der Arbeitenden zu verbessern; dies umschließt Hilfe bei der Arbeitssuche, Ausbildung und Initiativen zur Schaffung von Arbeitsplätzen." Dagegen steht für sie "eine passive Politik, die darauf abzielt, den Lebensstandard derjenigen, die nicht arbeiten, aufrechtzuerhalten mit finanziellen und anderen Mitteln."

 

DIE GEWERKSCHAFTEN

Was die Einkommen betrifft, so setzt die WB sich unmissverständlich dafür ein, jedweden Mindestlohn in den Ländern der Dritten Welt abzuschaffen. Denn dort, wo ein Mindestlohn existiere, so die WB, "sei er viel zu hoch im Vergleich zu den Staatseinnahmen und den Gehältern, so dass schon eine geringe Anhebung dieses Mindestlohns Arbeitsplätze vernichtet." Hieraus ergibt sich für die WB die Schussfolgerung: "Ein Mindestlohn mag in den Industriestaaten seinen Sinn haben, aber er ist in Ländern mit schwachen oder mittleren Einkünften kaum zu rechtfertigen."

Nach Ansicht der WB verteidigen die Gewerkschaften die "Privilegien" der Beschäftigten, was dazu führe, dass sie "am Spiel der Umverteilung von Einkommen teilnehmen zuungunsten der Mehrheit derjenigen, die die aktive Bevölkerung im informellen Sektor oder im Sektor der Landwirtschaft stellen."

 

GOOD GOVERNANCE

Nachdem die Umsetzung von Strukturanpassungsmaßnahmen in einer Vielzahl von Ländern der Dritten Welt Revolten der Bevölkerung ausgelöst hatten, besitzt das Prinzip der good governance [gute Staatsführung] in der Themenliste der WB seit Anfang der 90er Jahre einen hohen Stellenwert. Tatsächlich verloren die Behörden in Ländern, die die Strukturanpassungsprogramme umsetzten, in dem Maße an Legitimität in der Bevölkerung, in dem sie augenscheinlich die staatliche Autonomie an internationale Finanzinstitutionen abgaben. Die WB reagierte darauf erstens damit, dass sie ihre Unschuld erklärte, zweitens dadurch, dass sie die Verantwortung für Unruhen im Land den jeweiligen Regierungen in ihrer Fehlerzählung anrechnete. Das Thema good governance wurde so zu einem ergänzenden Instrument bei der Unterwerfung verschuldeter Länder.

In Wirklichkeit bedeutet nämlich die Umsetzung von good governance nicht Demokratie, sondern nur eine Politik, die die Zustimmung der Unterdrückten gewinnen kann. In den meisten Fällen führte sie zu einer kaum verhüllten Stärkung der exekutiven Kräfte und einer Schwächung sozialer Bewegungen.

Dies wird durch einen Leitfaden der OECD bestätigt, in dem sie den Regierungen Ratschläge gibt, wie sie antisoziale Maßnahmen durchsetzen sollten.

 

DER OECD-LEITFADEN

In einem an die Regierungen adressierten Dokument breitet Christian Morrisson, Beamter bei der OECD, seine Vorschläge aus, die einen das Gruseln lehren. Hier einige Auszüge. Zunächst zu den Zielen dieses Berichts, der den Titel Politische Schwächen der Anpassungspolitik(2) trägt:

"Das Zentrum für Entwicklung hat sich damit beschäftigt, Probleme, die sich früher oder später in Ländern der OECD oder außerhalb stellen können, zu identifizieren und zu analysieren, um rechtzeitig Leitlinien für die Erarbeitung einer adäquaten Politik aufzuzeigen. Diese Ausgabe der Wirtschaftspolitischen Hefte präsentiert die Ergebnisse dieser Untersuchungen des Zentrums und richtet sich mit seinen Ratschlägen insbesondere an politisch Verantwortliche und betroffene Entscheidungsträger. Die Politik der wirtschaftlichen Stabilisierung und Anpassung kann soziale Unruhen hervorrufen und damit vor allem die politische Stabilität der Ländern gefährden. Im vorliegenden Wirtschaftspolitischen Heft werden die politischen Konsequenzen solcher Programme analysiert. Fünf profunde Fallstudien und zwei Musterbeispiele wichtiger Länder in Lateinamerika und Afrika zeigen, dass die politischen Kosten in Form von Streiks, Demonstrationen oder Aufruhr sehr unterschiedlich sein können, je nachdem, welchen Maßstab für Stabilität man anlegt. Diese Untersuchungen zeigen, wie die Charakteristik eines optimalen politischen Stabilitätsprogramms zu definieren und präzisieren ist, in dem Sinne, dass die politischen Gefahren minimiert werden."

Und etwas später die kühle kaufmännische Kalkulation: "Im Falle eines Anpassungsprogrammes kann die Regierung ihre aufgrund von Ausgabenkürzungen gesunkene Popularität nötigenfalls durch Repression ausgleichen, doch dies hat andere Ausgabenerhöhungen (Armee, negative Reaktionen im Ausland) zur Folge."

 

AM LEICHTESTEN DURCHZUSETZEN

Wie setzt man nun Sparmaßnahmen am raffiniertesten durch: "Kürzungen der Investitionsausgaben im Haushalt führen gewöhnlich zu keinerlei Reaktionen, selbst wenn sie einschneidend sind: minus 40% in Marokko in drei Jahren, minus 40% im Staat Elfenbeinküste in zwei Jahren, minus 66% in Venezuela zwischen 1982 und 1985 und minus 60% auf den Philippinen in zwei Jahren. [ ] Ein Programm, das alle gesellschaftlichen Gruppen gleichermaßen betrifft, wird viel schwieriger durchzusetzen sein als ein diskriminierendes Programm, das die Kosten der Anpassung gewissen Gruppen auflastet, während es andere, nämlich die Regierung stützende, Gruppen davon profitieren lässt."

"Im Fall der Fälle stellt das außerordentliche politische Gewicht des Staatschefs ein entscheidendes Kapital für den Erfolg der Anpassungspolitik dar. Sicher gibt es in den Regierungen immer auch ein gewisses Widerstandspotential gegenüber den Ordnungskräften. Doch wenn ein Aufstand ein Regime ins Wanken bringt, ist die Autorität des Staatschefs ein sehr wichtiger Trumpf. Dies war so im Falle Marokkos, der Elfenbeinküste und Venezuelas: der Präsident hatte 1990 diese Autorität, weil dieselbe Partei den Präsidenten, das Parlament und die wichtigsten Gewerkschaften kontrollierte."

 

DIE GEWERKSCHAFTEN SCHWÄCHEN

"Wenn die Beschäftigten halböffentlicher Unternehmen gut organisiert sind, können sie sich Entscheidungen der Regierung [für Privatisierung oder massive Entlassungen, d. Autor] recht wirksam widersetzen. Darum ist jede Politik, die auf die Schwächung dieses Korporativismus [beachtenswert, dass Morrisson den Begriff 'Korporativismus' verwendet, wo er eindeutig die Gewerkschaftsbewegung meint, E.T.] abzielt, zu begrüßen: Aus wirtschaftlicher Sicht wird damit ein Hindernis für Wirtschaftswachstum aus dem Weg geräumt und politisch gewinnt die Regierung dadurch eine Handlungsfreiheit, die für sie bei der Durchsetzung von Anpassungsprogrammen wertvoll sein kann. Man könnte einwenden, dass durch eine solche Politik der Widerstand gestärkt wird, doch es ist besser, die Regierung führt die Auseinandersetzung in einer Phase befriedigender wirtschaftlicher Konjunktur als im Fall einer Krise, wenn sie angeschlagen ist."

 

ZU VERMEIDENDE MASSNAHMEN

"Viele Bewohner der Elends- und Armutsviertel fühlen sich frustriert und ausgeschlossen vom Rest der städtischen Bevölkerung. Die Plünderung und Zerstörung von Geschäften in betuchteren Vierteln erlaubt ihnen, dieses Gefühl zum Ausdruck zu bringen. Wenn eine Stabilisierungsmaßnahme - zum Beispiel die Kürzung von Investitionen - die Preise für notwendige Lebensmittel weiter nach oben treibt, werden die Menschen ihre Verzweiflung mit Gewalt abreagieren. Denn eine solche Maßnahme reduziert den sowieso schon niedrigen Lebensstandard noch weiter, und die Armen haben nichts mehr zu verlieren."

"Ein Streik der Studenten ist, als solcher, für die Regierung keine Bedrohung, aber er ist indirekt gefährlich, weil er der Jugend das Demonstrieren beibringt."

 

TEILE UND HERRSCHE

"Die Verweigerung von Gehaltszulagen lässt sich in bestimmten Verwaltungen durchdrücken, wenn man nur eine diskriminierende Politik anwendet, um einen gemeinsamen Widerstand der Beamten zu verhindern. Dagegen ist es in schwierigeren Situationen offensichtlich nicht ratsam, mit den Ordnungskräften, die man ja gegebenenfalls noch braucht, dasselbe zu tun."

"Nichts ist politisch gefährlicher, als generelle Maßnahmen anzuwenden, um ein makroökonomisches Problem zu lösen. Wenn man beispielsweise die Einkommen der Beamten senken will, so sollte man sie in einem Sektor drücken, in einem anderen das Nominaleinkommen blockieren, in einem politisch entscheidenden Sektor die Einkommen nötigenfalls aber auch erhöhen."

 

EINFACH DURCHSETZBARE MASSNAHMEN

Dann listet der OECD-Autor einige besonders unauffällige Sparmöglichkeiten auf: "Es lässt sich eine Vielzahl von Maßnahmen empfehlen, deren Durchsetzung keinerlei politische Schwierigkeiten bereitet. Will man das Haushaltsdefizit verringern, so stellen eine Reduktion der öffentlichen Investitionen oder die Herabsetzung der Funktionsfähigkeit [staatlicher Einrichtungen, d. Üb.] keinerlei politische Risiken dar. Senkt man die Ausgaben für öffentliche Leistungen, so sollte man bei der Qualität der Leistungen ansetzen, nicht bei der Quantität. Beispielsweise könnte man Zuwendungen oder Kredite an Schulen einschränken, aber es wäre gefährlich, die Zahl der Schüler oder Studenten einzuschränken. Die Familien der Betroffenen würden hierauf heftig reagieren, nicht aber auf ein schrittweises Sinken der Qualität im Bildungsbereich. Hier und da würde die Schule Unterstützung von den Eltern erhalten oder gewisse Angebote einschränken. Das alles müsste Schritt für Schritt durchgesetzt werden; wenn das mal da und dort in einer Schule passiert, aber nicht gerade in der Nachbareinrichtung, dann wird sich daraus keine allgemeine Unzufriedenheit in der Bevölkerung einstellen."

 

FÜR EINE STARKE REGIERUNG

"Eine Regierung sollte von ein oder zwei großen Parteien gestellt werden, nicht von einer Koalition vieler kleiner Parteien, denn nur so hat sie den Handlungsspielraum, die notwendigen Anpassungsmaßnahmen durchzusetzen. Deshalb sollte das Persönlichkeitswahlrecht gegenüber dem Verhältniswahlrecht für Parlamentswahlen favorisiert werden (oder wenigstens eine Mischung beider Wahlsysteme). Darüber hinaus gibt es Maßnahmen, die Exekutive zu stärken, zum Beispiel durch befristete Sonderrechte oder eine Kontrolle über die Judikative von oben. Damit kann verhindert werden, dass Richter die Umsetzung eines Programms im Voraus unterbinden. Schließlich stellt auch das Referendum eine wirkungsvolle Waffe dar, wenn die gesamte Initiative bei der Regierung ist."

Man sieht, dass Weltbank und OECD Institutionen im Dienste des Kapitals sind. Seit Jahren schon richten sie ihre Waffen gegen die Beschäftigten, die Gewerkschaftsbewegung und, ganz allgemein, die Unterdrückten.


Aus: Inprecor Nr. 433 (März 1999)

Übers.: Georg Rodenhausen

1. Im Internet zu finden unter www.worldbank.org.

2. Im Internet zu finden unter www.oecd.org