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Der Kapitalismus kann nicht abgeschafft werden, denn sonst würde das Leben auf unerträgliche Weise langweilig. Nichts wäre beispielsweise schlimmer, als am 3. März zu wissen, am 1. April seine Miete noch bezahlen zu können. Daß die ökonomische Existenz nicht gesichert ist, macht das Leben in dieser Gesellschaft doch gerade erst spannend und interessant. Damit es auch Erwerbslosen nicht zu langweilig wird, werden sie vom Arbeitsamt gelegentlich aufgefordert an einer "Trainingsmaßnahme" teilzunehmen. Der Aufforderung liegt eine Rechtsbelehrung bei, die sie auf ihre "Mitwirkungspflicht" hinweist. Bei nicht Erscheinen bei der Maßnahme wird ihnen eine dreimonatige Sperrzeit ihrer Stütze angedroht, eine Drohung, die durchaus ernst zu nehmen ist, insbesondere weil die Betreffenden bei zwei Sperrzeiten ganz aus dem Leistungsbezug fliegen. Daher machen die meisten gute Miene zum bösen Spiel und erscheinen zum angegebenen Termin beim Maßnahmeträger. Dort tritt dann ein selbsternannter "Personal Coach" auf, der die Eingeladenen an seinen Weisheiten teilhaben läßt, zum Beispiel an jener über das spannende Leben im Kapitalismus. Es ist klar, wir haben hier eine Persönlichkeit vor uns, die das Risiko liebt. Stolz erzählt er, wie er als junger Mensch seinen sicheren Job bei der Lufthansa gekündigt habe, um sich selbständig zu machen. Zwar hat er dann bankrottiert und außerdem ging darüber seine Ehe in die Brüche, trotzdem möchte er diese Erfahrung auf keinen Fall missen. Denn sie hat in stärker gemacht, hat ihn gelehrt, daß das Leben voller Risiken ist, und dadurch erst lebenswert wird. Mit dieser Einstellung, die es erlaube, alles mal zu versuchen, habe er es schließlich doch noch ziemlich weit gebracht: nämlich bis zum "Personal-Trainer". Er empfehle den Erwerbslosen, sich diese Sichtweise zu eigen zu machen, dann würden sie bald wieder in Lohn und Brot stehen.
Dabei müßten sie allerdings auch Mißerfolgen etwas Positives abgewinnen und daraus lernen. Keineswegs dürften sie z. B. erwarten, daß sie für ihre Arbeitskraft, die sie anderen zu Verfügung stellen, gleich einen Lohn erhalten. Aber sie könnten ihre Fähigkeiten durch kleine Dienstleistungen austesten, Kontakte knüpfen, Selbstbewußtsein erlangen, und so vielleicht zu einem Job kommen: "Es gibt doch in ihrer Umgebung bestimmt jemanden, dessen Rasen mal gemäht werden müßte. Bieten sie ihre Hilfe an, ohne gleich Geld zu verlangen. Wenn sie die Arbeit zufriedenstellend erledigen, wird man ihnen beim nächsten Mal Geld anbieten. Und ihre Hilfsbereitschaft wird sich rumsprechen, sie werden von anderen Leuten Aufträge bekommen. Probieren sie es einfach aus, selbst wenn es nicht klappt, sie haben dabei was gelernt". Und stolz erzählt er, wie ihm als jungem Studenten in Frankreich das Geld ausging, und er als Bauarbeiter angeheuerte. Das Geld war dabei aber gar nicht das wichtigste: "Vielmehr habe ich dadurch gelernt, wie man in Frankreich baut". Probieren sie einfach alles mal aus, empfiehlt er seiner Klientel. Z. B. könnten sie doch auf Bahnhöfen Geschäftsleuten die Koffer schleppen: "Vielleicht lernen sie dabei ja einen Manager kennen, der ihnen einen Job anbietet".
Ach das Leben kann so schön sein. Nur schade, daß so viele alleinerziehende Mütter in der Maßnahme sitzen, denen der Vortrag überhaupt nicht gefällt. Deren Empörung kann der "Personal Coach" gar nicht verstehen. Die Frauen weisen darauf hin, daß es schwierig ist einen Job zu bekommen, wenn gleichzeitig Kinder versorgt werden müssen. Und die Gefahr, aus ihrer Wohnung zu fliegen, betrachten sie keineswegs als Ausdruck eines spannungsreichen Lebens, sondern dies ist für sie eine erschreckende Aussicht. "Seien sie doch nicht so dogmatisch", lautet die Antwort. "Wir müssen uns in Deutschland von diesem Sicherheitsdenken lösen. Die USA muß da unser Vorbild sein". Und er erzählt mit verträumten Augen wie er bei einem USA-Aufenthalt Tina Turner und Ray Charles getroffen hat und die ihm erzählt haben, daß sie in ganz kleinen Clubs angefangen haben, bevor sie große Stars wurden. "Machen sie es wie die beiden, kämpfen sie für ihre Träume" sagt er, bevor er sich wegen eines dringenden Termins vorerst verabschiedet. Wahrscheinlich mußte er seinem Nachbarn noch den Rasen mähen.
Nach dem "Personal-Coach" tritt die "Kommunikationstrainerin" auf. Sie ist gerade sowieso im Haus, da sie in einem Parallelkurs Erwerbslose zum "Call-Center-Agent" ausbildet. Sie erzählt erst mal welch tolle Berufsperspektiven diese Leute hätten und wie anspruchsvoll die Arbeit in einem Call-Center sei. Die Menschen, die dort arbeiten, nähmen nicht nur Telefongespräche entgegen, sondern seien hochqualifizierte Kundenberater, die insbesondere EDV-AnwenderInnen bei Problemen beraten. Dafür würden sie in einem viermonatigen Kurs perfekt in Word, Excel, Access, Internetprogrammierung ausgebildet, würden zusätzlich sämtliche Techniken kommunikativer Gesprächsführung lernen und außerdem ein betriebswirtschaftliches Studium im Schnelldurchgang absolvieren. Die Arbeit im Call-Center sei nicht nur hochqualifiziert, sondern auch angenehm, da jederzeit Pausen gemacht werden könnten. Ein absoluter Traumjob also mit großer beruflicher Perspektive meint die Kommunikationstrainerin und läßt ein Anmeldeformular für den nächsten Kurs kreisen.
Nach diesem Motivationsschub beginnt das eigentliche Kommunikationstraining. Die Dame erzählt, daß sie in der nächsten Woche in ihrer Eigenschaft als Personalberaterin Führungskräfte auswählen werde und zwar mit der Methode des Assessment-Center. Da die Anwesenden natürlich auch jederzeit zu einem solchen Bewerbungsverfahren eingeladen werden könnten, sei es sinnvoll, hierzu ein paar Übungen zu machen. Und so dürfen sich Frauen, die allenfalls Aussicht auf eine Sekretärinnenstelle haben, sich mit den Problemen von ManagerInnen auseinandersetzen. Alles ist schließlich möglich in der schönen neuen Welt des Kapitalismus. In höchstens dreißig Minuten müssen sie sich mit ihren Kolleginnen darauf einigen, auf welche Qualifikationen in einer Stellenausschreibung für Sekretärinnen besonderen Wert gelegt werden soll. Die Gruppe schafft es in zwanzig Minuten und handelt sich ein dickes Lob der Kommunikationstrainerin ein.
"Klasse" meint daraufhin lakonisch eine der Frauen, "dann steht meiner Karriere als Managerin ja nichts mehr im Weg".
Doch zuerst muß sie noch ein paar Übungen für den Führungskräftenachwuchs absolvieren. Zum Beispiel sich mit den anderen TeilnehmerInnen drei verschiedenfarbige Bälle in immer unterschiedlicher Reihenfolge immer schneller zuwerfen. Der "Personal-Coach" ist begeistert, als er am nächsten Tag davon hört: "Eine sehr sinnvolle Übung, da lernen sie auf mehrere Dinge gleichzeitig zu achten. Diese Fähigkeit wird ihnen in ihrem späteren Beruf sehr nützlich sein."
Die eigentlichen Stars der Maßnahme sind jedoch nicht der "Personal-Coach" und die Kommunikationstrainerin, sondern die Vertreter von Zeitarbeitsfirmen, die reihenweise auflaufen. Sie brüsten sich mit ihren guten Kontakten zur Wirtschaft und damit, daß sie viel mehr Möglichkeiten als die Arbeitsämter hätten. Einen Job zu vermitteln? Kein Problem: "Wenn Sie hinreichend flexibel sind, sich vor keiner Arbeit scheuen und es Ihnen nichts ausmacht weit unter Tarif bezahlt zu werden". Wer hingegen so stur ist wie eine Kursteilnehmerin, die wegen ihrer Kinder nur Teilzeit arbeiten will, hat die Zeichen der Zeit einfach nicht erkannt: "Das können wir unseren Kunden nicht vermitteln".
Nun blieben solche Dreistigkeiten noch relativ harmlos, wäre die Maßnahme wirklich nach zwei Wochen vorbei. Immer öfters schließt sich aber ein sechsmonatiges unbezahltes Praktikum an, in dem die Praktikantinnen beweisen sollen, daß sie das, was ihnen beigebracht wurde auch gelernt und verinnerlicht haben. Innerhalb von vier Wochen sollen sie sich einen Praktikumsplatz suchen. Im Kurs werden dann diejenigen demonstrativ gelobt, die schnell erfolgreich waren. Denjenigen aber, die nach drei Wochen immer noch keine Praktikumsstelle vorweisen können, wird angedroht, sie aus der Maßnahme zu schmeißen. An und für sich eine erfreuliche Aussicht, wenn das Arbeitsamt dies nicht als mangelnde Mitarbeit interpretieren und eine Sperrzeit verhängen würde. Schließlich gibt es genügend Praktikumsplätze, z. B. bei einem stadtbekannten Bäcker, der sich in gerne aus dem Pool kostenloser Praktikantinnen bedient. Vorgeblich soll das Praktikum die Chance erhöhen, hinterher in dem Betrieb festangestellt zu werden. Erstaunlich nur, daß es einen solchen Fall noch nie gab. Na ja, macht ja nichts, dafür haben dann andere Praktikanten die Chance 6 Monate lang "Selbstbewußtsein zu tanken", wie es der "Personal Coach" wohl ausdrücken würde.
Wer sich geschickt anstellt, kann unter Umständen einen Praktikumsplatz fälschen; beispielsweise wenn der Wirt seiner Stammkneipe ihn pro forma einstellt. Nur ist der Maßnahmeträger dazu angehalten, gelegentlich bei der Praktikumsstelle aufzutauchen, um zu überprüfen was der Praktikant so macht. Dabei soll vorgeblich überprüft werden, ob das Praktikum "berufsqualifizierend" ist. Das ist jedoch ein dehnbarer Begriff. Berufsqualifizierend ist eine Maßnahme schon, wenn der Praktikant dabei lernt, daß es sinnvoll ist jeden Morgen um sieben Uhr aufzustehen. "Wir müssen die Arbeitslosen wieder an regelmäßige Arbeit gewöhnen", drückt es der Leiter der Maßnahme aus. "Sie müssen lernen, eine Arbeit zu tun, obwohl sie ihnen keinen Spaß macht". Damit ist der Zweck der Maßnahmen treffend beschrieben.
Eine neuer besonders perfider Typus von Maßnahme, nennt sich "assistiertes Bewerbungstraining". Unter Aufsicht eines Bewerbungstrainers, sollen zwei Wochen lang täglich mindestens 5 Bewerbungen geschrieben werden. Kommt es tatsächlich zum Vorstellungsgespräch, ohne daß daraus eine Einstellung resultiert, ist der Bewerbungstrainer angehalten, bei der Firma anzurufen und herauszufinden, warum es nicht geklappt hat. Dabei geht es insbesondere darum, festzustellen, "welche Fehler" der Bewerber gemacht hat, um ihn dann in Einzelgesprächen weiter zu "coachen". Die Bewerbungstrainer sind ihr Geld wirklich wert; es handelt sich meist um frischgebackene Sozialarbeiter, die gerade ihre erste Stelle ergattert haben und hoch motiviert sind. Gelingt es freilich trotz der verstärkten Bewerbungsbemühungen nicht, den Arbeitslosen in eine Stelle zu vermitteln, kann der Sozialarbeiter auch nicht mehr helfen. Dann ist der Arbeitsberater beim Arbeitsamt am Zug und der wird aus den gescheiterten Bemühungen den Schluß ziehen, daß die Qualifikationen des Erwerbslosen auf dem Arbeitsmarkt nichts mehr wert sind, was eine geringere Einstufung und damit eine Kürzung des Leistungsbezugs zur Folge haben kann. Wenn dann die Miete nicht mehr bezahlt werden kann, macht das gar nichts. Denn in der Maßnahme haben wir ja gelernt, daß erst dadurch das Leben im Kapitalismus so richtig spannend wird.
Der AK hat eine größere Dokumentation erstellt, in der der Unsinn
in Trainings- und Fortbildungsmaßnahmen anhand von Angeboten Marburger
Bildungsträger im Einzelnen aufzeigt wird. Die Marburger Fälle sind
bestimmt verallgemeinerbar. Die Dokumentation kann angefordert werden bei
AK-Erwerbslose im DGB Marburg
Krummbogen 2
35039 Marburg
Tel (06421) 62 02 29
E-Mail: RentschlerF@aol.com
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