letzte Änderung am 19. Nov. 2002 | |
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15.11.02
Bereits in den Vorschlägen der Hartz-Kommission nimmt die Ausweitung der Leiharbeit einen zentrale Stellung ein, weil ihr unter den vorgeschlagenen Maßnahmen der größte Beschäftigungseffekt zugesprochen wird. Die Rede war von 780.000 zusätzlichen Arbeitsplätzen, was bei derzeit rund 200.000 LeiharbeiterInnen einer Steigerung um etwa 300 Prozent entspricht. Das Erste und Zweite Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt setzen die Hartz-Vorschläge um und sollen in 2003 zu Einsparungen bei der Bundesanstalt und im Bundeshaushalt von 5,84 M4d. € führen. Wobei das größte Einsparpotenzial auch hier bei der Ausweitung der Leiharbeit veranschlagt wird.
Die neuen Gesetze beseitigen bestehende Schranken der Leiharbeit und schaffen einen direkten Übergang aus der Arbeitslosigkeit in die Leiharbeit. Arbeitslosen wird nach einer bestimmten Frist ein Leiharbeitsverhältnis angeboten, das sie ohne Verlust von Leistungen nicht ablehnen können. Für die Arbeitslosen sollen drei verschiedene Möglichkeiten zur Aufnahme eines Leiharbeitsverhältnisses geschaffen werden. An erster Stelle stehen dabei Verträge des Arbeitsamtes mit gewerblichen Leihagenturen, erst an zweiter Stelle die Einrichtung eigner Personal-Service-Agenturen(PSA) durch die Arbeitsämter und drittens wird auch die Beteiligung der Arbeitsämter an privaten Agenturen ermöglicht.
Im Arbeitnehmer Überlassungsgesetz (AÜG) werden insbesondere folgende Schutzvorschriften beseitigt, beziehungsweise eingeschränkt:
Die Beseitigung der Schutzvorschriften wird damit begründet, dass die Leiharbeit durch die gesetzliche Neuregelung in ein gleichberechtigtes Arbeitsverhältnis erhoben wird. Die Gleichstellung der Leiharbeiter mit den Beschäftigten des ausleihenden Betriebes wird jedoch nicht erreicht. Sie werden nach wie vor schlechter gestellt und müssen erhebliche Einkommenseinbußen hinnehmen:
Die Gleichstellung der Leiharbeiter mit den Beschäftigten des ausleihenden Betriebes ist nur vorgetäuscht, weil es zahlreiche Ausnahmetatbestände gibt, vom Ausfall von Sonderzahlungen bis hin zum Zwang, sechs Wochen lang für einen Lohn in Höhe des letzten Arbeitslosengeldes zu arbeiten. Eine grobe Irreführung ist auch die Vorschrift, dass Betriebe von der betriebsüblichen Bezahlung abweichen können, falls der Arbeitsverleiher einen eigenen Tarifvertrag hat. Wenn solche vom Lohn des entleihenden Betriebes abweichende Tarifverträge zulässig sind, wird kein Unternehmen Leiharbeiter zu den eigenen Bedingungen einstellen.
Da die Bezahlung der Leiharbeiter gegenwärtig im Durchschnitt um 30 bis 40 Prozent niedriger ist, als vergleichbare Tätigkeiten von fest angestellten Beschäftigten, werden auch die demnächst von den Gewerkschaften auszuhandelnden Leiharbeits-Tarifverträge nur unwesentlich über diesem Niveau liegen. Es ist völlig illusionär, dass es den Gewerkschaften gelingen könnte, Entgelttarife durchzusetzen, die im Schnitt um 40 Prozent über der gegenwärtigen Bezahlung liegen. Nicht zu letzt wegen der im Vergleich zu anderen Bereichen deutlich niedrigeren Verhandlungsmacht. Selbst die optimistische Prognose der Hartz-Kommission ist davon ausgegangen, dass die Arbeitslosen als Leiharbeiter mit einem um 20 Prozent niedrigeren Einkommen rechnen müssen.
Die Bundesregierung stützt ihre Gesetzentwürfe auf zwei Argumente. Erstens auf die Absicht Kosten zu senken und erstens zweitens auf einen möglichen Abbau der Arbeitslosigkeit. Das erste Argument ist stichhaltig, weil tatsächlich im erheblichen Umfang Leistungen eingespart werden: Einmal durch eine Reihe von Leistungskürzungen, dann durch mehr Zwang zur Annahme schlecht bezahlter oder sozial unverträglicher Arbeitsangebote und schließlich durch die Verwandlung von Arbeitslosen in Leiharbeiter. Das beschäftigungsfördernde Argument ist dagegen bereits von mehreren Seiten widerlegt worden. Das Schweizer Prognos Institut und das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung bei der Bundesanstalt für Arbeit (IAB) rechnen bei den zu erwartenden Wachstumsraten lediglich mit einem Beschäftigungseffekt von 200.000 bis 300.000 neuen Arbeitsplätzen.
Selbst diese Schätzung dürften sich bei den neueren und deutlich niedrigeren Wachstumsprognosen für die deutsche Wirtschaft als zu positiv erweisen. Es kann viel mehr damit gerechnet werden, dass eine große Anzahl von Unternehmen nicht nur den Arbeitsplatzabbau in Folge der Konjunkturlage vorantreibt, sondern die Chance nutzt, Normalarbeitsplätze im großen Umfang durch Leiharbeiter zu ersetzen.
Eine wesentliche gesetzliche Änderung wird auch im Teilzeit- und Befristungsgesetz vorgenommen. Arbeitnehmern kann faktisch ab dem 48. Lebensjahr eine befristete Beschäftigung ohne jegliche Begrenzung angeboten werden. Das heißt, dass für befristete Arbeitsverträge sämtliche Einschränken wegfallen. Es muss kein sachlicher Grund für die Befristung vorliegen, sie kann in beliebiger Länge festgelegt und so oft wie gewünscht verlängert werden. Bisher bestand diese Möglichkeit nur für über 58jährige.
Zwischen Leiharbeit und befristeter Beschäftigung besteht ein enger Zusammenhang, weil beide Beschäftigungsformen der Flexibilisierung des Personaleinsatzes dienen. Wenn es zum Beispiel in Deutschland weniger Leiharbeiter als in anderen EU-Ländern gibt, so liegt das überwiegend an den großzügigen Befristungsmöglichkeiten. Die Unternehmen wälzen mit dem Abschluss von befristeten Arbeitsverträgen das wirtschaftliche Risikos einseitig auf die Beschäftigten ab und umgehen den Kündigungsschutz, beziehungsweise die gesetzlich begrenzte Probezeit. Wenn jetzt bereits von dem 48. Lebensjahr an eine unbegrenzte Befristung möglich ist, werden Arbeitslose von diesem Alter an kaum noch eine Chance auf ein normales Arbeitsverhältnis haben. Damit wird der Kündigungsschutz faktisch für rund ein Drittels des normalen Arbeitslebens aufgehoben und dies für die schutzbedürftigsten Altersgruppen. Nach Meinung des Vizepräsidenten des BAG verstößt diese Regelung im Übrigen gegen die EU-Richtlinie 1999/70/EG und 2000/78/EG.
Die zunehmende Flexibilisierung der Produktion erfordert zwar in vielen Bereichen einen Rückgriff auf nur befristet einsetzbare Arbeitskräfte, die Zukunftsfähigkeit dieser Beschäftigungsform wird aber weit überschätzt. Die so genannte "atmende Fabrik", die nach Belieben Arbeitskräfte einsaugt und abstößt, ist eine realitätsfremde Fiktion. Schon die statistischen Daten verweisen die Zukunft eines total flexibilisierten Beschäftigungssystems in das Reich der Legenden.
In der EU schwankt der Anteil der Leiharbeiter zwischen 0,3 Prozent in Schweden und 4,6 Prozent in den Niederlanden. Selbst in den USA macht ihr Anteil nur 2,3 Prozent aus. Die Untersuchungen zeigen außerdem, dass die Zunahme der Leiharbeit in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten kaum langfristigen Trends folgt. Die Ausweitung prekärer Beschäftigung dient überwiegend der Jagd nach kurzfristigen Wettbewerbsvorteilen und nicht der technologischen Modernisierung. Dagegen neigen die Zukunftsbranchen mit ihren hochqualifizierten Arbeitskräften zur Bildung neuer, wenn auch betriebsintern flexibler Stammbelegschaften.
Es muss eine deutliche Unterscheidung zwischen Flexibilisierung und Deregulierung der Beschäftigungsverhältnisse gemacht werden. Ökonomisch und technisch notwendige Flexibilisierung muss nicht zur Zunahme prekärer Beschäftigung führen, wird aber überwiegend dazu genutzt. Im Vordergrund steht dabei kein technisch-ökonomischer Aspekt, sondern die Absicht des Lohndumpings. Diese Absicht war in der Debatte um die beiden Gesetze "für neue Dienstleistungen am Arbeitsmarkt" überaus deutlich erkennbar. So argumentierten CDU/CSU, die Arbeitgeber und auch Teile der Grünen, dass kaum eine Chance bestehe, Arbeitslose als Leiharbeiter ins Arbeitsleben zurückzuführen, wenn nicht gleichzeitig ihre Löhne sinken.
Die jetzt verabschiedeten gesetzlichen Regelungen bewegen sich an der untersten Grenze der vorgeschlagenen EU-Richtlinie "über die Arbeitsbedingungen von Leiharbeitnehmern". In vielen anderen EU-Ländern bestehen bereits jetzt schon weitaus günstigere Schutzbestimmungen und Vereinbarungen. Deshalb wird es in den nächsten Jahren in der BRD darauf ankommen, für höhere Schutzrechte zu kämpfen, die flexible Beschäftigung besser zu regulieren und insbesondere wirklich gleiche Arbeits- und Entlohungsbedingungen durchzusetzen. Da Leiharbeit aber immer noch eine Beschäftigung mit größerer Belastung sein wird, muss letztlich eine Besserstellung erreicht werden. Auf diese Weise kann auch erreicht werden, dass flexible Beschäftigung auf das technisch-ökonomisch notwendige Maß beschränkt bleibt. Im Einzelnen wird es dabei um folgende Forderungen gehen, die anderen EU-Ländern wie etwa in Frankreich bereits Wirklichkeit sind:
Zusätzliche Sozialleistungen oder Bildungsmöglichkeiten für Leiharbeiter oder andere prekäre Beschäftigungsverhältnisse können aus Fons bezahlt werden, die von den betreffenden Unternehmen gebildet werden. Wobei der Anspruch der Beschäftigten und die Beiträge der Arbeitgeber nach sozialen und wirtschaftlichen Kriterien zu staffeln wären. In Frankreich beispielsweise beginnt der Leistungsanspruch der Inhaber prekärer Beschäftigungsverhältnisse erst mit einer bestimmten Dauer des Arbeitsverhältnisses. Aus wirtschaftlichen Gründen wäre es dagegen sinnvoll, die Unternehmen einerseits nach dem Anteil ihrer prekären Beschäftigungsverhältnisse und andererseits nach ihrer Wertschöpfung zu belasten, um Wettbewerbsnachteile kleiner Unternehmen auszugleichen.
Wenn flexible Beschäftigungsverhältnisse einen Wettbewerbsvorteil darstellen, was im Prinzip nicht zu bezweifeln ist, dann darf dieser Vorteil nicht mit einem Verlust an sozialstaatlicher Absicherung bezahlt werden. Damit eröffnet sich den Gewerkschaften und der linken Politik ein Hauptkampffeld: Wenn eine Rückkehr in den fordistischen Sozialstaatskompromiss ausgeschlossen ist, müssen dem flexiblen Kapitalismus andere aber vergleichbare Schutzvorschriften für die lebendige Arbeit abgerungen werden. Dies wird auch dazu beitragen, dass prekäre Beschäftigungsverhältnisse nicht zum Lohndumping eingesetzt werden, sondern ausschließlich dort, wo es volkswirtschaftlich sinnvoll erscheint. Dass Leiharbeit sich trotz dieser Belastung rechnet, zeigt die Tatsache, dass in Frankreich, wo die meisten dieser Forderungen bereits realisiert sind, der Anteil der Leiharbeitsverhältnisse dreimal so hoch wie in Deutschland ist.
Man wird die rosarot-grünen Verursachern dieser "Arbeitsmarktreform" nach wie vor scharf kritisieren und die Folgen ihrer Politik enthüllen müssen. Tatsache ist jedoch, dass der Umbruch gesetzlich abgesichert und durch die Interventionsmöglichkeit der unionsregierten Länder im Bundesrat nur noch zum Nachteil für die betroffenen Arbeitnehmer verändert werden dürfte. Deshalb wird es darauf ankommen, die Ansatzpunkte zu finden, mit denen das Konzept entschärft werden kann. Dazu könnten unter anderem folgende Maßnahmen dienen:
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