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Updated: 18.12.2012 15:51
Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Vor/an/gegen die Wand! Maatwerk – Die Geschichte einer fast typischen PSA

Von Mag Wompel

Seit dem Sommer 2003 erreichten die Redaktion des LabourNet Germany mehrere Anfragen zum Gebaren der PSA Maatwerk und Bitten um helfende Auskünfte. Ausdrücklich ohne das den Inte-ressen der Erwerbslosen zuwiderlaufende Konzept der PSA an sich aus der Kritik nehmen zu wol-len, schien daher das Unternehmen Maatwerk genauere Betrachtung wert zu sein. Daher fragten wir im August 2003: »Wer hat welche Erfahrungen mit der Firma Maatwerk gemacht? Wie sehen die Arbeitsbedingungen und -verträge aus?« Nun liegt die daraus entstandene Studie »Maatwerk? Achtung Maatwerk!« in einer aktualisierten und erweiterten zweiten Auflage vor. Sie basiert auf Zuschriften von 41 betroffenen Personen aus fast allen Ecken der Republik – doppelt so viele Zuschriften verweisen auf hohen Beratungsbedarf zu PSAen allgemein und der Maatwerkpleite speziell, der von den Arbeitsämtern nicht gedeckt wird.

Maatwerk ist ein niederländisches Arbeitsvermittlungsunternehmen, das in den frühen 90er Jahren nach Deutschland expandierte. Nach vielen kommunalen Projekten zur Eingliederung von Sozial-hilfeempfängern – 1996 begonnen in Hamburg und bereits 1998 mit 14 Filialen in Deutschland – agierte Maatwerk seit 2003 in Deutschland auch als Zeitarbeitsfirma (oder, um es in unseren Wor-ten zu sagen: Sklavenhändler). Mit 201 von 985 Filialen an 66 Standorten war Maatwerk zugleich größter Betreiber der Personal-Service-Agenturen (PSA). Mitte Februar ging der Wunsch eines unserer Informanten aus dem Kreise der Maatwerk-Beschäftigten in Erfüllung: »Ich wünsche dem dicken Holländer, dass die PSA-Verträge gekündigt werden« – denn Maatwerk hat Insolvenz an-gemeldet und die Bundesagentur für Arbeit hat Maatwerk die Vermittlungserlaubnis entzogen.
Die Studie zeigt, dass Maatwerk keinesfalls die einzige und letzte Pleite einer PSA war, und sie zeigt auch, dass die Kritik am Gebaren des Unternehmens genau so auch für andere PSAen zutrifft. Daher scheint Maatwerk auch nach der Pleite geeignet, beispielhaft diese wichtigste Säule im Hartzschen Gebäude vorzustellen.

Wie kommt man zu einer PSA? Durch »monetäre Erpressung«

Das Arbeitsamt zwingt Arbeitslose unter Androhung von Sanktionen, einen Arbeitsvertrag mit ei-ner PSA für meist neun Monate abzuschließen. Dieser Arbeitsvertrag berechtigt die PSA als Ar-beitgeberin, die ArbeitnehmerInnen an Firmen auszuleihen zu Stundenlöhnen zwischen 5,60 Euro für gewerbliche Hilfskräfte und bis zu 12 Euro für qualifizierte Arbeitskräfte (je nach Zeitarbeitsta-rif). Die Ablehnung einer zumutbaren Beschäftigung ohne wichtigen Grund führt zu einer Sperrzeit des Arbeitslosengeldes/der Arbeitslosenhilfe. Bei erstmaliger Ablehnung beträgt die Sperrzeit drei Wochen. Sperrzeiten addieren sich und führen bei einer »Gesamtsperrzeit« von 21 Wochen zum gänzlichen Verlust des Anspruchs auf Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe.

Die Bewerbungen bei Maatwerk fanden in der Regel in Form eines Gruppengesprächs statt, dem meist Einzelgespräche zur Vertragsunterzeichnung folgten. Fast alle InformantInnen berichten, dass es schwer war, auf ihre Fragen zu den Vertragsbedingungen konkrete Antworten zu bekom-men. Fehlende Berücksichtigung der Qualifikation, rückdatierte Verträge, geschummelter Urlaub, Unklarheit in Bezug auf Fahrtkosten und Pendelbereich – das sind häufig genannte Probleme schon mit dem Arbeitsvertrag. Dies lag einerseits an organisatorischen Problemen einer übereilten Unter-nehmensgründung und andererseits daran, dass es sich bei den Sachbearbeitern (»Disponenten«) zum Teil um ehemalige Erwerbslose handelte, die nach einem nur zweitägigen Vorbereitungskurs nun bei Maatwerk arbeiteten.

Verliehen oder qualifiziert? Beides fast immer Fehlanzeige

Personal-Service-Agenturen – als das Herzstück der Hartz-Reform – sollten zehntausende Erwerbslose vermitteln. Aktenkundig für Maatwerk ist eine Verleihquote von fünf Prozent. Diese ohnehin schon niedrige Verleihquote basiert zudem in vielen Fällen auf der Eigenleistung der LeiharbeiterInnen. Ein Insider schildert es folgendermaßen: »Vermittlungen finden so gut wie gar nicht statt. Maatwerk wird sich berufen auf ›indirekte Vermittlung‹, das heißt: Der Kunde sucht sich die Arbeit, Maatwerk erhält dafür Bonuszahlungen«. Oft wurden die vom Arbeitsamt bezahlten LeiharbeitnehmerInnen als billige Kräfte benutzt, um eigene Personalengpässe bei Maatwerk selbst aufzufangen. Wenn vermittelt wurde, dann unter »Wert« – fachlich wie finanziell, denn Maatwerk nahm keine Rücksichten auf Qualifikation und Einstufung. Ganz in Vorwegnahme der Regelungen ab 2005, die alles zumutbar machen werden.

»Die verleihfreien Zeiten sind von der PSA für arbeitsmarktliche Integrationsbemühungen und in diesem Zusammenhang sinnvolle Kurzzeitqualifizierungen zu nutzen« (Bundesagentur für Arbeit). Die Realität sah anders aus: Schulungen fanden so gut wie nie statt, allenfalls ein Bewerbungstrai-ning. »Qualifizierung« wurde oft nur als Delegierung der Akquise von Jobs auf die Betroffenen verstanden.

Und ob vermittelt oder daheim auf einen Anruf wartend, alle Zwangsbeschäftigten von Maatwerk konnten sich glücklich schätzen, wenn sie pünktlich bezahlt wurden. Zwar zahlten die Arbeitsämter bundesweit monatlich fast zehn Millionen Euro an Maatwerk, doch mit der Auszahlung haperte es. Nach den vorliegenden Informationen haben diejenigen Menschen bevorzugt Geld bekommen, die sich (Kraft einer Rechtsschutzversicherung) zu wehren wussten und das Geld einklagten. Viele der Betreuer bei Maatwerk waren fast ausschließlich damit beschäftigt, Blitzanweisungen auszustellen, um Klagen abzuwenden.

Schneller war Maatwerk mit den Kündigungen, bei denen ein Muster zu erkennen ist: Gekündigt wurde zum einen, wer zu selbstbewusst nachfragte oder auf ihre/seine Rechte pochte, zum anderen soll es eine interne Anweisung gegeben haben, zum 4. oder 7. Monat zu kündigen – dies sind die Zeitpunkte, zu denen der Zuschuss des Arbeitsamtes gestaffelt abnimmt. Die von Maatwerk angegebenen Kündigungsgründe – wohl um eigenes Versagen zu vertuschen – brachten die Erwerbslosen oft in anschließende Probleme mit dem Arbeitsamt.

Auch wenn die Insolvenz von Maatwerk dafür gesorgt hat, dass diese Praktiken nun auch von der bürgerlichen Presse wahrgenommen wurden und endlich die Sinnhaftigkeit von Personal-Service-Agenturen grundsätzlich in Frage gestellt wird, basiert diese Debatte auf vielen Lügen.

Bereits vor der Vergabe der PSA-Lizenzen an Maatwerk stand das Unternehmen in Deutschland durchaus in der Kritik, und die Pleite als PSA ist keinesfalls ein Ausrutscher eines ansonsten vor-bildlichen Unternehmens, wie die Beispiele aus der Maatwerk-Tätigkeit für die Sozialämter bewei-sen. Nicht alle Kommunen, die diese Firma teilweise seit Jahren mit der »Integration und Mobili-sierung« von SozialhilfeempfängerInnen beauftragten, waren so zufrieden, wie uns selbst der DGB glauben lassen wollte. Juristische Auseinandersetzungen gab es nach Angaben eines Insiders (In-formant 33) zumindest in Rostock, Göttingen, Berlin Reinickendorf und Hannover. In Rostock laufen derzeit zwei Klagen.

Geschäftsgebaren bekannt, Pleite absehbar

Die Maatwerk-Pleite kam zudem keinesfalls unerwartet, auch wenn sich Bundesagentur für Arbeit (BA) und Politiker überrascht zeigen. Nach Informanten-Aussagen zahlte Maatwerk im Durchschnitt ca. 1600 Euro an die vom Arbeitsamt zugewiesene Person und erhielt hierfür im Durchschnitt ca. 1400 Euro vom Arbeitsamt. Die BA wusste um die geringen Vermittlungsquoten und um den monatlichen Aufpreis von durchschnittlich ca. 200 Euro, die Maatwerk an jeden Unvermittelten zahlen musste – von eigenen Beschäftigten und den Infrastrukturkosten abgesehen. Spätestens seit Herbst 2003 wusste sie aus unzähligen Arbeitsamtsbezirken auch von den Zahlungsprob-lemen dieser Firma, und spätestens seit Januar 2004 wusste sie auch von der »Lösung« des Prob-lems der monatlichen Mehrkosten für unvermittelte LeiharbeitnehmerInnen durch die so genannte Antidatierung: Durch die Vertragslage mit der Bundesagentur war es möglich, Einstellungen immer innerhalb der letzten Woche des Vormonats und Entlassungen immer am Anfang des Monats vor-zunehmen – woraus sich im »besten« Falle eine vollkommen legale Zahlung von drei Monatspau-schalen des Arbeitsamtes für 33 Kalendertage an Lohnzahlungen ergibt.

Die Bundesagentur für Arbeit trägt demnach selbst die Schuld am »Missbrauch« des PSA-Vertrags und daran, dass eine kleine und durchaus berüchtigte GmbH über Nacht zu einem der größten Un-ternehmen geworden ist. All die genannten Fakten werden jedoch noch heute ignoriert. Ein ehemaliger Maatwerk-Mitarbeiter in Hannover erklärt sich das folgendermaßen: »Welcher Lokalpolitiker hätte es gewagt, ein Projekt, das er anfänglich mit Vehemenz unterstützt hat, nun – nach erwiesener Erfolglosigkeit – zu zerreißen? Nur so ist auch zu erklären, dass Maatwerk den Zuschlag für 201 PSAen bekam. Jetzt die Kostenseite zu zitieren ist absoluter Polit-Schwachsinn. Maatwerk kam in seinen Integrationsprojekten zu keiner Zeit mit den veranschlagten Kosten aus. Wer das geglaubt hat, muss dem Wahnsinn verfallen sein...«

Die Kritik an der unprofessionellen Vergabepraxis ist berechtigt, auch wenn es nun plötzlich alle gewusst haben wollen. Doch Maatwerk war keinesfalls die einzige Pleite einer PSA und sicherlich keine Ausnahme als PSA: Mangelnde oder unqualifizierte Vermittlungsbemühungen und ausblei-bende Qualifizierung in vermittlungsfreien Zeiten werden auch von anderen PSA-Betreibern be-richtet. Hinzu kommt, dass viele PSA-Betreiber Gebrauch von den schlechteren »christlichen« Ta-rifbedingungen für LeiharbeiterInnen machen.

Mangels ausreichenden Erfolgs sind im letzten Jahr bereits 30–40 PSAen von der Bundesarbeits-agentur gekündigt worden. Anfang diesen Jahres kam eine nicht namentlich genannte PSA in Bitburg hinzu. Daher wird es der BA kaum gelingen, allein Maatwerk den Schwarzen Peter zuzuschieben und die Struktur der PSA an sich rein zu waschen.

Auf der Strecke bleiben die ehemaligen Zwangs-LeiharbeitnehmerInnen von Maatwerk, denn viele von ihnen hatten als ehemalige Langzeitarbeitslose bereits im letzten Herbst massive Probleme gehabt, ihre Mieten zu bezahlen. Nun wird im Insolvenzverfahren erst im April entschieden, und die betroffenen Erwerbslosen können nicht vor Mai mit Insolvenzgeld rechnen – wenn die Kon-kursmasse das überhaupt hergibt. Denn offen bleiben die Fragen: Wie wurde die Haftung der Maatwerk-Holding für den Insolvenzfall einbezogen? Wie haftet die Bundesagentur für Arbeit ge-genüber den Menschen, die sie in die Maatwerk-PSA geschickt hat?

Der erfolgslose, aber erzwungene »Ausflug« zur PSA hat auch nach der Kündigung noch weitere fatale Folgen. Sie alle kulminieren in der Aussage: »Wäre ich lieber arbeitslos geblieben«. Drohen-de Sperrfristen, verwaltungstechnische und finanzielle Probleme, Verlust des Vermittlungsgut-scheins, Verlust an Lohn und Lohnersatzleistungen (nach drei Monaten in einer PSA wird das Ar-beitslosengeld auf der Grundlage des PSA-Lohnes neu berechnet[1]) sowie irreparabler Schaden im Lebenslauf.

Dieser menschenverachtende Umgang mit den »Klienten« offenbart die wahre Funktion der PSAen als Instrumente der Statistikbereinigung – auf Kosten wird da nicht geschaut! Die PSAen haben aber noch weitere unbezahlbare Funktionen: Disziplinierung durch staatlichen Arbeitszwang, För-derung des Niedriglohnsektors und Selektion der Arbeitswilligen. Hier spielen PSAen auch ohne Vermittlungs‘erfolge’ eine herausragende Rolle.

Hieraus erklärt sich auch, warum Maatwerk, obwohl bekanntermaßen kein Vorbildunternehmen, ein Drittel aller PSAen betreiben durfte. Denn Maatwerk hatte bereits im Frühjahr 1997 anlässlich des ersten Projekts in Hamburg seine Philosophie folgendermaßen erläutert: »Vor allem in sozial benachteiligten Vierteln und Straßen mit hoher Arbeitslosigkeit herrscht nicht selten die Vorstel-lung vor, dass Arbeit ›nur etwas für Dumme‹ ist. Die erfolgreiche Vermittlung von Leuten aus sol-chen Vierteln oder Straßen – und der sichtbare stabilisierende Effekt einer regelmäßigen Arbeit – kann hier eine wichtige Vorbildfunktion erfüllen.« Im Jahr 2004 ist dem Bund diese Funktion der Personal-Service-Agenturen 600 Mio. Euro im Bundeshaushalt wert.

Uns kann es daher nicht um eine neue Vertragsgestaltung der PSAen oder ihre Kontrolle gehen, sondern darum, PSAen als »moderne Sklavenmärkte« und »Waffe gegen alle Arbeitskräfte« zu bekämpfen!

Ob PSAen oder »einfache« Sklavenhändler – sie gehören bekämpft, denn der Begriff der »Schmuddelecke«, aus der die Gewerkschaften die Leiharbeit rausholen wollten, war die Untertrei-bung des Jahres 2003! Auf die Hilfe der Gewerkschaftsführungen können wir uns dabei nicht ver-lassen, für sie ist das PSA-Konzept mit der Maatwerk-Pleite keinesfalls gescheitert...


Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 3/04

1) Hier ist die Autorin einer Fehlinformation aufgesessen: Denn 1. entsteht durch 3 Monate sozialversicherungspflichtiger Arbeit kein neuer Alg-Anspruch, bei dem dann ggf. die Leistungshöhe neu zu berechnen wäre, 2. gilt immer noch § 133 Abs. 1 SGB III, wonach immer die alte Berechnungsgrundlage für die Berechnung der Alg-Höhe zu nehmen ist, wenn diese für den Erwerbslosen günstiger ist und wenn in den letzten 3 Jahren vor dem Entstehen des neuen Anspruches noch mindestens ein Tag des Bezugs von Alg oder Alhi nach der höheren Berechnungsgrundlage zu finden ist. Sorry!


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