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Updated: 18.12.2012 15:51
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LeiharbeiterInnen raus aus den Gewerkschaften?

Ein dutzend Mitglieder der FAU Frankfurt besuchte im Rahmen der Aktionstage gegen Sozialabbau eine Filiale der DGB eigenen Personal Service Agentur Inab. Im Bericht „Frankfurt - Besuch bei einer DGB eigenen PSA“ von fauffm4 vom 02.04.04 wird aus dem begleitenden Flugblatt zitiert: „…Beschäftigte in PSA's und Leiharbeitsfirmen sollten dringend aus den DGB Gewerkschaften austreten, sonst verzichten sie freiwillig auf 30-50% ihres Lohnes!...“

Dazu liegen mittlerweile eine Stellungnahme von Friedhelm Winkel (Hanau), Rhein-Main-Bündnis gegen Sozialabbau und Billiglöhne, AK-Betrieb und Gewerkschaft, sowie eine Antwort der FAU vor. Wir dokumentieren die Debatte und hoffen auf weitere rege Diskussion eines Aufrufs, der m.E. auf einer richtigen Analyse beruht, jedoch zu kritischen Konsequenzen führen kann…


Aus dem Bericht „Frankfurt - Besuch bei einer DGB eigenen PSA“ von fauffm4 vom 02.04.04 :

"Der DGB beteiligt sich an dieser Form staatlicher Zwangs-Leiharbeit durch seine eigenen PSA’s wie der Inab in Frankfurt. Wir verlangen von der Inab, dass sie ihren Beschäftigten "equal pay", also gleichen Lohn, wie in den Entleihbetrieben bezahlt. Selbstverständlich rückwirkend ab 1.1.2004. Nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) ist sie dazu verpflichtet.
Sollte die Inab Löhne nach einem der Dumpingtarifverträge von DGB oder CGB zahlen, verlangen wir den Nachweis, dass die Belegschaft in einer dieser Gewerkschaften organisiert ist. Nur dann kann ein solcher Tarifvertrag gelten.
Vom DGB - dem Besitzer der Inab - verlangen wir, dass er alle seine Personal Service Agenturen umgehend schließt. « (...) Beschäftigte in PSA's und Leiharbeitsfirmen sollten dringend aus den DGB Gewerkschaften austreten, sonst verzichten sie freiwillig auf 30-50% ihres Lohnes!..."

Diskussionsbeitrag zum Aufruf der FAU an LeiharbeiterInnen, aus den Gewerkschaften auszutreten von Friedhelm Winkel (Hanau), Rhein-Main-Bündnis gegen Sozialabbau und Billiglöhne, AK-Betrieb und Gewerkschaft (Quelle: Informationen des Rhein-Main-Bündnisses gegen Sozialabbau und Billiglöhne vom 08.04.2004)

"Die FAU ruft LeiharbeiterInnen zum Austritt aus den Gewerkschaften auf, und das Rhein-Main-Bündnis gegen Sozialabbau und Billiglöhne verbreitet bedauerlicherweise diesen Aufruf.
Das Vorgehen der FAU ist weder sachlich richtig noch gewerkschaftlich begründet noch als politisch fortschrittlich gerechtfertigt.

Die Kennzeichnung der Leiharbeitstarifverträge (des DGB und anderer) als "Dumpingtarifverträge" ist inhaltlich richtig, falsch ist aber die Behauptung, daß nur Gewerkschaftsmitglieder daran gebunden wären, Nichtmitglieder dementsprechend von dem Diskriminierungsverbot des "equal pay" quasi profitieren könnten. Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz legt zwar in § 3 dieses Diskriminierungsverbot fest, hebt es aber gleichzeitig faktisch wieder auf.

AÜG § 3 Abs. 1 Unterabs. 3 Sätze 2 und 3: "Ein Tarifvertrag kann abweichende Regelungen zulassen. Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrages können nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung der tariflichen Regelungen vereinbaren."

Es wäre wichtig, einen politischen und gewerkschaftlichen Kampf für die Aufhebung dieser Bestimmung (wenn nicht des ganzen Gesetzes) zu führen. Dafür müßte man in politischen Zusammenhängen und in Gewerkschaften Überzeugungsarbeit leisten. Was aber macht die FAU?
1. Sie informiert falsch.
2. Sie behandelt den DGB als normalen "Arbeitgeber", statt eine gewerkschaftspolitische Auseinandersetzung einzufordern.
3. Sie empfiehlt mit dem Austritt eine individuelle, quasi "marktgerechte" Lösung statt gemeinsamer Interessenwahrnehmung.

Ich kann in all dem nichts Fortschrittliches erkennen. Es drängt sich der Verdacht auf, daß die FAU bewußt antigewerkschaftliche (statt: gewerkschaftskritische) Agitation betreibt, vielleicht in der illusionären Hoffnung, davon selbst organisatorisch profitieren zu könen.
Oder meint sie, daß Austritt aus den Gewerkschaften eine Kursänderung in unserem Sinne erwirken könnte? Die Gewerkschaften leiden seit Jahren unter Mitgliederschwund, ohne daß sich in unserer Richtung etwas bewegt. Austritte passieren aus den unterschiedlichsten Gründen (von rechts bis links oder auch rein individuell mit einem versicherungsmathematischen Kalkül), und zumeist werden diese Gründe nicht konkret erklärt. Wer einfach nur wegläuft, überläßt die Interpretation seines/ihres Handelns anderen. Druck auf die Gewerkschaften muß politisch erfolgen und die Richtung konkret benennen, sonst passiert da nichts. Die Demos vom 3. April sind in diesem Sinne Folge der Demo vom 1. November 2003 und -so unzureichend sie uns erscheinen mögen- ein Fortschritt, an dem weiter arbeiten müssen.

Wenn aber jemand meint, Gewerkschaften bräuchten wir nicht, so ist das eine Diskussion, die wegen ihres Grundsatzcharakters den Rahmens dieses Schreibens sprengt. Ich erkläre dazu folgendes: Wenn das Rhein-Main-Bündnis zum Austritt aus den Gewerkschaften aufruft oder solche Aufrufe verbreitet, trete ich aus dem Rhein- Main-Bündnis aus."

Eine Antwort auf Friedhelm von Kersten von der FAU

Hallo,

Friedhelm schrieb "Zum Aufruf der FAU an LeiharbeiterInnen, aus den Gewerkschaften auszutreten" einige Dinge, die sehr unterschiedliche politische Positionen und Einschätzungen zu vielen Dingen darstellen. Ich habe aber kein Interesse auf eine solche Diskussion per Email.

Eine Sache möchte ich aber klargestellt wissen:

Friedhelm behauptet: "Die Kennzeichnung der Leiharbeitstarifverträge (des DGB und anderer) als
"Dumpingtarifverträge" ist inhaltlich richtig, falsch ist aber die Behauptung, daß nur Gewerkschaftsmitglieder daran gebunden wären, Nichtmitglieder dementsprechend von dem Diskriminierungsverbot des "equal pay" quasi profitieren könnten.
"

Das ist falsch.
Ein Tarifvertrag gilt, solange er nicht für Allgemeingültig erklärt wird, nur für die Vertragsschließenden Seiten und ihre Mitglieder.

Friedhelm zitiert: "AÜG § 3 Abs. 1 Unterabs. 3 Sätze 2 und 3: "Ein Tarifvertrag kann abweichende Regelungen zulassen. Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrages können nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung der tariflichen Regelungen vereinbaren.""

Genau! Per Gesetz gilt "equal pay" und "equal treatment" für alle Beschäftigten in der Leiharbeitsindustrie!

Durch einen Tarifvertrag kann das verbessert oder verschlechtert werden. Die DGB-Tarifgemeinschaft hat die Bedingungen durch ihre BZA/IGZ Tarifverträge drastisch verschlechtert - 30-50% weniger Lohn/Stunde. Der Tarifvertrag gilt aber nur für Mitglieder der DGB-Gewerkschaften. Das ist selbst dem Chef der DGB-eigenen Personal Service Agentur Inab bekannt.

Unorganisierte und bspw. Mitglieder der FAU KÖNNTEN um "die Anwendung der tariflichen Regelungen" bitten. DANN würde der DGB-Dumping-Tarif auch für sie als Einzelpersonen gelten.

Sie können es auch SEIN LASSEN: dann gilt die gesetzliche Regelung "equal pay" mit den Beschäftigten in den Entleihbetrieben. Einige unsere Mitglieder, die von Leiharbeit leben müssen, werden dies auch per Klage eintreiben, besonders gerne würden wir dies natürlich bei einer
Niederlassung der Inab durchziehen!

Hier zwei Auszüge aus den Tarifverträgen der DGB-Tarifgemeinschaft mit IGZ und BZA:

"Manteltarifvertrag Zeitarbeit zwischen iGZ und den unterzeichnenden Mitgliedsgewerkschaften des DGB

§ 1 Geltungsbereich

Dieser Tarifvertrag gilt räumlich für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, fachlich für alle ordentlichen Mitglieder des Interessenverbandes Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ),
persönlich für alle Arbeitnehmer, die im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung an Kundenbetriebe überlassen werden und Mitglied einer der vertragsschließenden Gewerkschaften sind.
"

"Verhandlungsergebnis zum Entgeltrahmentarifvertrag zwischen dem BZA und den unterzeichnenden Mitgliedsgewerkschaften des DGB

§ 1 Geltungsbereich

Dieser Tarifvertrag gilt für die Mitglieder der Tarifvertragsparteien, die unter den Geltungsbereich (§ 1) des Manteltarifvertrages fallen."

Ebenfalls eindeutig:

"Tarifvertragsgesetz TVG

§ 3 Tarifgebundenheit
TVG § 3 Absatz 1

Tarifgebunden sind die Mitglieder der Tarifvertragsparteien und der Arbeitgeber, der selbst Partei des Tarifvertrages ist."

Damit sollten alle Fragen zur Anwendung der Tarifverträge geklärt sein.

Da die DGB-Tarifgemeinschaft diese Verschlechterung wissentlich vereinbart hat, stellt sich doch die Frage, warum LeiharbeiterInnen in dieser Gewerkschaft sein sollten?

Warum sollten sie auf große Teile ihres Lohnes verzichten, wenn ein Austritt aus der entsprechenden DGB Gewerkschaft zur Anwendung von "equal pay" führt?

Aber unser Aufruf, aus o.g. Gründen aus den DGB-Gewerkschaften auszutreten, dürfte auf wenig Resonanz stoßen - es gibt in der Leiharbeitsindustrie nämlich so gut wie keine DGB-Mitglieder!

Kersten
FAU - Gewerkschaft für alle Berufe

P.S. Auf großes Interesse bei den Betroffenen stoßen Informationen über die Branche und ihre Tarife trotzdem. Bis zum 01.02.2004 ist allein der "Integra-IG Metall Leiharbeits-Tarifvertrag" 13.529 mal bei http://www.fau.org heruntergeladen worden. Insgesammt werden dort die verschiedenen Leiharbeitstarifverträge oder Tarifvergleiche pro Monat 4000-6000 mal heruntergeladen. Details unter http://www.fau.org/artikel/art_040201-124955 externer Link

Ein notwendiger Nachtrag zu Friedhelms und Kerstens Beiträgen von Martin Lesch:

1. Friedhelm behauptet: "Die Kennzeichnung der Leiharbeitstarifverträge (des DGB und anderer) als "Dumpingtarifverträge" ist inhaltlich richtig, falsch ist aber die Behauptung, daß nur Gewerkschaftsmitglieder daran gebunden wären, Nichtmitglieder dementsprechend von dem Diskriminierungsverbot des "equal pay" quasi profitieren könnten."

2. Das ist falsch, meint Kersten. Ein Tarifvertrag gilt, solange er nicht für Allgemeingültig erklärt wird, nur für die Vertragsschließenden Seiten und ihre Mitglieder.

3. Friedhelm zitiert: "AÜG § 3 Abs. 1 Unterabs. 3 Sätze 2 und 3: "Ein Tarifvertrag kann abweichende Regelungen zulassen. Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrages können nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung der tariflichen Regelungen vereinbaren.""

4. Kersten weist darauf hin: Genau! Per Gesetz gilt "equal pay" und "equal treatment" für alle Beschäftigten in der Leiharbeitsindustrie!

Friedhelm spricht in 1. etwas nicht deutlich genug aus, was Kersten nicht zu wissen oder zu verdrängen scheint: Unter den gegenwärtigen Bedingungen auf dem „Arbeitsmarkt“ ist es gang und gäbe, dass die meisten Unternehmen, erst recht auch Arbeitskräfteverleiher und PSAs, wenn sie es für opportun halten, den BewerberInnen Arbeitsvertragsformulare aushändigen, in denen auf einen bestimmten, meist niedrigen Tarifvertrag Bezug genommen wird. Die meisten PSAs und Verleihfirmen, die früher nichts mit Tarifverträgen am Hut hatten, beziehen sich heutzutage in ihren Arbeitsvertragsformularen natürlich gerne auf die von den DGB-Gewerkschaften oder der „Christlichen Gewerkschaft Zeitarbeit und PSA“ (CGZP) mit den verschiedenen Zeitarbeitsverbänden ausgehandelten Tarifverträge für Zeitarbeit, weil sie auf diese Weise den equal-pay-Grundsatz unterlaufen können. Und für die meisten BewerberInnen stellt sich die theoretische Entscheidungsfreiheit dann praktisch als die Wahl zwischen Pest und Cholera dar: Entweder dieses Formular mit der einzelvertraglichen Bezugnahme auf diese Dumping-Tarifverträge unterschreiben und damit an diese gebunden und von equal pay entbunden zu sein, oder weiterhin arbeitslos zu bleiben bzw. von der Arbeitsagentur wegen Ablehnung „zumutbarer“ Arbeit mit Leistungskürzung bestraft zu werden.  Und genau um dies zu bewirken, haben die „rot“-grünen Sozialräuber den von Friedhelm zitierten § 3 Abs. 1 Unterabs. 3 Satz 3 ins AÜG geschrieben.

Martin Lesch

Dumpingverträge für Leiharbeiter

Martin hat jetzt für notwendige Klarheit zum Thema Gültigkeit gesorgt. Zum Thema Gewerkschaft gibt es noch genug zu sagen: Bei der Leiharbeit haben die Gewerkschaftsvorstände unglaublichen Mist gemacht. Jede einzelne Verhaltensweise ist als solche aber aus anderen Tarifrunden oder ähnlichem bekannt, sie traten nur hochkonzentriert auf.

Die Hartzgesetze wurden "mitgestaltet", intern kritisiert, nach aussen unterstützt. Die Unterstützung Schröders war wichtiger als Gewerkschaftsbeschlüsse. Die Gewerkschaftsbasis wurde kaum informiert.

Auch die Tarifverhandlungen fanden ohne Basis statt. Anstatt auf die Betroffenen zu setzen - also eine massive Mitgliederaktion durchzuführen -, wurden Zustände geschaffen, die einen Eintritt eher unattraktiv machen. (Einzig Rechtsschutz ist noch ein Argument auf dieser Ebene).

Die organisierten Belegschaften, Vertrauensleute und Betriebsräte, die durchaus Zugang zu den LeiharbeiterInnen hätten, wurden aussen vor gelassen.

Kommt uns doch alles nicht unbekannt vor. Deswegen austreten? Unpolitischer Kinderradikalismus.

Wir brauchen demokratische Kontrolle in den Gewerkschaften. Die wird aber nicht einfach "von oben verhindert", sondern die Stellvertreterpolitik auch von den Mitgliedern geduldet. Es geht darum aktiven Einsatz für die eigenen Interessen zu lernen und sich mit den anderen Lohnabhängigen zu verbünden. Dazu ist der Austritt aus den DGB-Gewerkschaften das dümmst mögliche.

Wir brauchen den Bruch der Gewerkschaften mit der Regierung. Auch das ist ein politischer Kampf. Der 1.November und der 3. April waren da wichtige Fortschritte. Wer austritt, verweigert diesen Kampf.

Ein Aktionsprogramm für heute:

  • Den Vertrauensleute und BRs klarmachen, was bei Hartz ablaüft und wie damit mit Regierungshilfe die Löhne aller gedrückt werden. Die Stammbelegschaften reinziehen, verhindern, dass Leiharbeiter, Befristete und Leute von Fremdfirmen isoliert bleiben im Betrieb. zB gleiche Arbeitsbedingungen fordern, gemeinsame Aktionen organisieren.
  • In den Gewerkschaften dieses Thema aufgreifen. Arbeitsgruppen dazu von den Betroffenen und Vertretern aus den Betrieben bilden, wo sie eingesetzt sind.
  • Die LeiharbeiterInnen für die Gewerkschaft gewinnen, in den Leihfirmen BR gründen, (Kündigungsschutz!!), Wirkliche Tarifkommissionen bilden.
  • Ähnliches ist für Fremdfirmen denkbar.

Es gibt da viel zu tun und auch einiges zu streiten.

Anmerkung: Die meisten Leiharbeiter arbeiten in der Metallindustrie.

matthias fritz, igm-vk-leiter mahle stuttgart-cannstatt

Ergänzungen zum Schreiben von Martin Lesch von Kersten Cohrs

Mein Text war ursprünglich als Antwort für das Rundschreiben des "Rhein-Main-Bündniss" geschrieben worden. Dabei ging es mir hauptsächlich um die Frage, für wen gelten Tarifverträge.

Ich denke es gibt bei diesem Thema zwei Diskussionsstränge, 1. die Ebene der betroffenen KollegInnen und ihrer Interessen und 2. der rechtliche Rahmen und gewerkschaftliche Möglichkeiten.

Zu 1. Du hast völlig recht, daß (vermutlich den meisten) Leiharbeitern Arbeitsverträge in die Hand gedrückt werden, in denen auf einen bestimmten Tarifvertrag Bezug genommen wird. Bei Kollegen von mir ist der DGB/BZA Tarifvertrag in den Arbeitsverträgen aufgeführt, auf ihren Hinweis, sie seinen nicht Mitglied in einer DGB Gewerkschaft, wurde ihnen gesagt, daß mache nichts, in der Firma gelte halt dieser Tarifvertrag.

Natürlich unterscheiden sich die Bedürfnisse der einzelnen Betroffenen und insofern auch ihre Handlungsmöglichkeiten.

Bei denjenigen, die unfreiwillig zu einer Leiharbeitsfirma oder PSA geschickt werden, und "equal pay" verlangen, muß damit gerechnet werden, daß die Arbeitsagentur wegen Ablehnung "zumutbarer" Arbeit mit Leistungskürzung droht.

Hier sehe ich mehrere Möglichkeiten, je nach Interessen der Betroffenen. Z.B. ein schriftlicher "Vorbehalt daß der angegebene Tarifvertrag unmittelbar und zwingend auf mich anzuwenden ist", ist keine Arbeitsablehnung. Auch eine Nichteinstellung wegen Nicht-Gewerkschaftszugehörigkeit wäre illegal, die Arbeitsagentur müsste sehr kreativ sein, Leistungskürzungen damit zu begründen.

Da es unzulässig ist, einen Bewerber nach seiner Gewerkschaftszugehörigkeit zu fragen, kann die Frage der Gültigkeit eines Tarifvertrages im Fall AÜG aber eigentlich erst nach der Einstellung geklärt werden. ;-)

Damit zu Punkt 2.

Anfangen möchte ich mit der "einzelvertraglichen Bezugnahme auf diese Dumping-Tarifverträge" (§ 3 Abs. 1 Unterabs. 3 Satz 3 AÜG).

Die Vertragsfreiheit ist zum Schutz der Arbeitnehmer einerseits durch Gesetzesrecht, andererseits durch Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen eingeschränkt. Zwingendes Gesetzesrecht kann nicht zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden.
Demgegenüber eröffnet das so genannte tarifdispositive Gesetzesrecht den Tarifvertragsparteien die Möglichkeit, in Tarifverträgen (!) auch für Arbeitnehmer ungünstigere Vereinbarungen abzuschließen.
Solange eine Vereinbarung nicht offenbar ungerecht und unbillig ist, lässt es das dispositive Gesetzesrecht zu, dass die Partner des Tarifvertrags abweichende Regelungen treffen, sowohl zum Nachteil als auch zum Vorteil des Arbeitnehmers
." (Arbeitsrecht-Broschüre des Bundesarbeitsministerium (Riester), 2002)

Die Regelungslegitimation der Tarifvertragsparteien berechtigt sie außerdem nur zur Schaffung von Normen für Mitglieder. Außenstehende werden von den autonom geschaffenen kollektiven Regelungen also grundsätzlich nicht erfaßt. Tarifautonomie unterscheidet sich von staatlicher Rechtsetzungsmacht gerade dadurch, daß sie auf freiwilliger Zugehörigkeit zu den Verbänden beruht. (...) Unzulässig sind damit aber auch alle Vereinbarungen der Koalitionen, mit denen Schlechterstellungen von nicht oder anders organisierten Arbeitnehmern erzwungen werden sollen.“
Tarifbindung per Arbeitsvertrag?

Eine Tarifbindung entsteht deshalb nicht durch Bezugnahme auf Tarifverträge im Arbeitsvertrag. In diesem Fall würden die Tarifbedingungen lediglich Inhalt des individuellen Arbeitsvertrages.

Die einzelvertragliche Bezugnahme der Arbeitgeber auf den Leiharbeits/PSA Tarifvertrag bedeutet aber – und das ist qualitativ etwas neues – keine Gleichstellung von Un- oder Andersorganisierten, sondern eine Schlechterstellung.

Da die Anwendung des dispositiven Gesetzesrechts (das Recht auch auf Verschlechterung gegeüber zwingendem Gesetz) für Tarifvertragsparteien, nicht aber für einzele ArbeitnehmerInnen gilt, haben nach meiner Auffassung alle Nichttarifgebundene LeiharbeiterInnen Anspruch auf „equal pay“ und equal treatment“.

Kersten

Erwiderung von Martin Lesch zu Kersten Cohrs vom 4.5.04

Kersten schrieb:

Eine Tarifbindung entsteht deshalb nicht durch Bezugnahme auf Tarifverträge im Arbeitsvertrag. In diesem Fall würden die Tarifbedingungen lediglich Inhalt des individuellen Arbeitsvertrages. Die einzelvertragliche Bezugnahme der Arbeitgeber auf den Leiharbeits/PSA Tarifvertrag bedeutet aber – und das ist qualitativ etwas neues – keine Gleichstellung von Un- oder Andersorganisierten, sondern eine Schlechterstellung. Da die Anwendung des dispositiven Gesetzesrechts (das Recht auch auf Verschlechterung gegeüber zwingendem Gesetz) für Tarifvertragsparteien, nicht aber für einzele ArbeitnehmerInnen gilt, haben nach meiner Auffassung alle Nichttarifgebundene LeiharbeiterInnen Anspruch auf „equal pay“ und equal treatment“.

Letzteres trifft nur dann zu, wenn die LeiharbeiterInnen in ihren individuellen Arbeitsverträgen nicht unterschrieben haben, dass für dieses Arbeitsverhältnis der CGZP- oder DGB-Tarifvertrag für Zeitarbeit in der jeweils aktuellen Fassung angewendet wird (die Juristen nennen das „einzelvertragliche dynamische Bezugnahme auf einen Tarifvertrag“).  Wenn ein von der Arbeitsagentur zur PSA oder sonstigem Arbeitskräfteverleiher gesandter Arbeitsloser die Unterzeichnung eines Arbeitsvertrages mit dynamischer Bezugnahme auf den CGZP- oder DGB-Tarifvertrag mit der (m.E. zutreffenden Begründung, dies sei eine Schlechterstellung gegenüber dem AÜG) ablehnt, wird die Arbeitsagentur gegen ihn mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Sperrfrist verhängen. Einen entsprechenden Widerspruch des Arbeitslosen würde die Arbeitsagentur als unbegründet zurückweisen. Spannend wird es, wenn dann dieser Arbeitslose gegen den ablehnenden Widerspruchsbescheid der Arbeitsagentur Klage beim Sozialgericht erhebt. Meines Wissens gibt es für eine solche Fallkonstellation bisher noch keine Entscheidungen der Landessozialgerichte oder des Bundessozialgerichts.

Soviel zur rechtlichen Dimension. Zu der gewerkschaftspolitischen Dimension hat der Kollege Martin Fritz das dazu gesagt, was sicherlich jeder linke Gewerkschafter denkt, erst recht aber jeder Mensch mit antikapitalistischem Anspruch und damit auch ein Genosse aus der FAU dazu sagen sollte.  

Martin Lesch   


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