letzte Änderung am 22. Nov. 2002

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Fordern... (und FÖRDERN)

Für Sozialhilfeberechtigte bleibt die Frage: Welche Arbeit zu welchem Preis?

Fördern und fordern – so ist die Devise aller Parteien im deutschen Bundestag, die nicht erst mit Hartz eingeleitet wurde. Denn Arbeitslose einschließlich Sozialhilfeberechtigte dürfen den Staat nichts kosten, sondern sie haben gefälligst Gewinne für die Unternehmen zu erwirtschaften, damit Europa im Wettstreit um die Führungsrolle als Wirtschaftsmacht den USA die Stirn bieten kann. So sehen es jedenfalls die EU-Richtlinien vor.

Um dieses Ziel zu erreichen, werden Maßnahmen ergriffen, die den Bedürfnissen der Leiharbeitsbrache wie auf den Leib geschnitten sind. Die Verantwortlichen in Wirtschaft und Politik schrecken nun auch nicht mehr davor zurück den Sozialstaat abzuschaffen, der in unserem Grundgesetz verankert ist.

Die Leiharbeit wird jetzt auf allen gesellschaftlichen Ebenen propagiert, Selbst die Gewerkschaften wollen jetzt durch Einführung von Tarifverträgen diese Form prekärer Arbeit salonfähig machen, wohl wissend das hier normale Beschäftigungsverhältnisse durch Leiharbeit ersetzt werden. Nach dem Willen von Hartz sollen nun auch noch alle arbeitsfähigen Sozialhilfeberechtigten über die Job-Center (die Arbeitsämter) und die neuen Personal Service Agenturen (PSA) in Arbeit kommen. Hier ist anzumerken, dass durch diese Zusammenlegung der Zuständigkeiten von Arbeits- und Sozialämtern die Ergebnisse der Mozart-Modellprojekte vorweggenommen werden (nach Hartz soll das Kölner Job-Center als Vorbild dienen), obwohl die Evaluation durch Ifas Bad Godesberg noch nicht abgeschlossen ist.

Was bedeutet das für betroffene Sozialhilfebezieher?

Die ersten sechs Wochen der Probezeit müssen in einer PSA selbstverständlich ohne zusätzliche Bezahlung absolviert werden, denn der Staat der nur noch die Interessen der Wirtschaft vertritt, muss sparen. Bisher bekommen Sozialhilfeberechtigte, die gemeinnützige Arbeit leisten, zusätzlich zur Sozialhilfe 1,50 EUR pro Std. Aufwandsentschädigung.

So hat man dann hier mehrfach eingespart:
Die Arbeitgeber brauchen in den ersten sechs Wochen keinen Lohn zu zahlen. Die Kommunen sparen die 1,50 EUR Aufwandsentschädigung. Und alle – Arbeitgeber, Kommunen und Gewerkschaften – können dann auf Leiharbeitnehmer der Personal Service Agenturen zurückgreifen, wenn sie feste Mitarbeiter entlassen wollen, denn wie gesagt: Die ersten sechs Wochen sind kostenlos!

Auch die 2004 geplante Zusammenfassung der Bezieher von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe in der Leistung Arbeitslosengeld II (ALG II) ist mit sehr vielen Unsicherheiten für Betroffene verbunden:

Was passiert z.B. dann mit dem Kindergeld für Sozialhilfeberechtigte, wenn ein Elternteil in die Personal Service Agentur gezwungen wird? Wird dieses weiter auf das Haushaltseinkommen angerechnet? Kann ein Ehe- oder Lebenspartner, der für eine PSA arbeitet sein Einkommen voll behalten, während der andere Partner noch auf Sozialhilfe angewiesen ist? Bei der Neureglung des ALG II muss zumindest die leidige Anrechnung des Kindergeldes auf die Sozialleistung aufgehoben werden.

Problematisch im Zusammenhang einer unfreiwilligen Arbeitsaufnahme in der PSA ist auch die von Hartz entwickelte "familienorientierte Quickvermittlung". Auch wenn es sich hier oberflächlich betrachtet, um eine Verbesserung für Familien mit Kindern und allein Erziehende sowie ein Beitrag zur Reduzierung von Kinderarmut zu handeln scheint, der Teufel steckt auch hier im Detail und betroffen sind häufig diejenigen, die sowieso am meisten von der "workfare-Politik" der Regierung bedroht sind.

Wie steht es mit der Bereitstellung der benötigten Kinderbetreuungsplätzen, wenn Mittel dafür lediglich gebündelt, jedoch keine zusätzlichen Mittel zur Verfügung gestellt werden?

Werden allein Erziehende in Zukunft überhaupt noch die Wahl zwischen Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit haben?

Stehen die nötigen Teilzeitstellen zur Verfügung, die Betroffenen ein Einkommen zum Auskommen jenseits der Sozialhilfe sichern? Für Beschäftigte in den PSA wäre das bestenfalls Wunschdenken.

Wenn durch ein spezielles Bonussystem Anreize für Arbeitsvermittler geschaffen werden sollen, gezielt Familienmütter- und Väter sowie allein Erziehende zu vermitteln, dann stellt sich die Frage welche Vorkehrungen getroffen werden, damit diese Zielgruppe nicht mit einer erhöhten Zumutbarkeit gegängelt wird, und somit dem Risiko ausgesetzt ist, ständig in Leiharbeit gedrängt zu werden?

Die Profis der Nation starten durch...

Es ist schlichtweg einfach dumm, wenn die Gewerkschaften behaupten, Zeitarbeit werde mit den ab 2004 vorgeschriebenen Tarifverträgen in den Entleihfirmen, schon deshalb gut, weil diese Tarifverträge ja dann mit ihnen als Vertreter der Arbeitnehmerinteressen abgeschlossen werden. Auch ist eine Personal Service Agentur nicht schon deshalb das Paradies für die Arbeitslosen, wenn der Mitgesellschafter, wie bei der ersten PSA in Duisburg, DGB heißt. Und auch wenn künftig diese Tarifverträge zwingend vorgeschrieben sind, Arbeitgeber werden die Sklaven der PSA gerne länger als sechs Wochen auch über die Probezeit hinaus beschäftigen. Die Erfahrungen mit Tarifen in der Branche lassen auf dauerhaft billige Arbeitskräfte hoffen: Mehr als Niedriglöhne werden hier im Normalfall auch in Zukunft nicht vereinbart werden, und billiger wird diese Arbeit einfach nicht zu haben sein. Aber sicherlich wird es auch hier Ausnahmen geben, denn die Regierung und auch die Gewerkschaften brauchen ja diesen Erfolg.

Es ist ein Skandal, dass Gesetze, die gegen die schwächsten unserer Gesellschaft gerichtet sind, durch den Bundestag gepeitscht werden, ohne die Betroffenenorganisationen zu beteiligen. Dieses Vorgehen zeigt, dass der sogenannte "Masterplan" – die Beteiligung der so genannten "Profis der Nation" – für den gerade für seinen Plan werbend durch die Lande ziehenden Peter Hartz nichts anderes ist als plumpe Propaganda.

...und die Erwerbslosen zahlen die Zeche

Ein schwerer Angriff auf die wirtschaftliche Situation von Erwerbslosen ist die Absenkung der Arbeitslosenhilfe (demnächst ALG II) und eine höhere Anrechnung von Vermögen. Die Freibeträge sollen auf 200 € pro Lebensjahr gekürzt werden – bisher waren es 520 € pro Lebensjahr. Gerade mit dieser Annäherung der Vermögensgrenzen an die Sozialhilfepraxis möchte der Finanzminister einen Batzen Geld einsparen, mit dem Ergebnis, dass fast ein Drittel der Bezieher von Leistungen aus der Arbeitslosenhilfe herausfällt und ein weiteres Drittel erhebliche Leistungssenkungen zu verkraften hat. Würden die so genannten Besserverdienenden in gleicher Weise zum stopfen der Haushaltslöcher herangezogen, müsste sich Hans Eichel keine Gedanken mehr um die Erfüllung des Stabilitätspakts machen.

Aber diese Kürzung hat auch weitreichende Auswirkungen auf die Altersvorsorge, denn in diesen Fällen wird auch der Rentenanspruch in den seltensten Fällen genügen, um Altersarmut zu verhindern. Für die so genannte Riester Rente oder gar den Einstieg in lukrativere private Formen der Alterssicherung fehlt dieser Personengruppe ohnehin das Geld.

Widerstand tut Not

Bei der Umsetzung der "Hartz-Pläne" wird das Ausmaß der Angriffe auf Arbeitnehmer Erwerbslose und Bezieher von Sozialhilfe erst bei genauerem Hinsehen deutlich. Die 1:1-Umsetzung des "Hartz-Konzepts", die bereits mit all zu großer Hast begonnen hat, wird im nächsten Jahr abgeschlossen sein, wenn sich nicht bald breiter gesellschaftlicher Widerstand dagegen formiert. Ob die neuen Gesetze dann noch mit unserer Verfassung zu vereinbaren sind, darf bezweifelt werden. Doch hier kann Abhilfe geschaffen werden: Immerhin steht im Bundestag eine Große Koalition von Deregulierern bereit, um die Wettbewerbshemmnisse aus unserer Verfassung zu streichen. Und ist der Anfang erst einmal gemacht, wird auch die vollständige Privatisierung des Arbeitsmarktes nicht lange auf sich warten lassen.

Für Kanzler Schröder ist das ganz einfach: Die Schuld an der Arbeitslosigkeit haben die Arbeitslosen und Sozialhilfeberechtigten. Und in das gleiche Horn stoßen in letzter Zeit immer wieder die so genannten seriösen Medien, die verstärkt Hatz machen auf die Menschen, die dauerhaft soziale Ausgrenzung erfahren. Wen stören denn schon die vielen Steuerhinterzieher, Finanzjongleure und die Superreichen, die sich ganz legal aus der Finanzierung des Gemeinwesens abgemeldet haben.

Jürgen Habich / Frank Jäger
Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen
21. Nov. 2002

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