letzte Änderung am 31. Juli 2003

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Ausgeliehen und gefeuert

Interview mit einem betroffenen Kollegen über die Kündigungspraxis einer Leiharbeitsfirma

Vor ein paar Monaten wurde ein Mitglied der FAU von einer Leihfirma fristlos gekündigt. Ein weiterer Kollege wurde ebenfalls fristlos entlassen und ein dritter abgemahnt, alle mit der gleichen schriftlichen Begründung. Im Fall der beiden Gekündigten wurde noch eine Schadenersatzforderungen für entgangenen Gewinn hinzugefügt. Die gekündigten Kollegen haben Kündigungsschutzklagen erhoben. Die Arbeitsgerichtsurteile dazu sind inzwischen rechtskräftig. Die fristlose Kündigung wurde zurückgenommen und in eine fristgerechte verwandelt, und die Schadensersatzforderung wurde nicht weiter verfolgt.

Wir haben den gekündigten Kollegen, der nicht gewerkschaftlich organisiert ist und auf eigene Kosten einen Anwalt hinzuzog, dazu interviewt. Namen, Orte und die exakten Umstände musste wir verändern um zu verhindern dass die betroffenen Kollegen auf die Schwarze Liste der Zeitarbeitsverbände gesetzt werden und damit keine Erwerbsmöglichkeit in dieser Branche mehr hätten.

?Erzähl mal von deiner Tätigkeit bei der Leiharbeitsfirma und wie es zu der Kündigung gekommen ist.

!Über die Zeitarbeitsfirma ‚X-Time' wurde ich zu einem Kunden in Astadt, der Firma ‚Müller AG', vermittelt. Es ging um ein Testprodukt, für die Prozesssicherheit in der Verfahrenstechnik. Die Produkte sollten getestet werden, und dafür wurden wir in Astadt angelernt. Da wurden ungefähr 20 - 24 Bandteile auf eine Testvorrichtung geschraubt und eingelesen, diese wurden dann fünf Minuten geprüft. Das geschah in einem separaten, schalldichten Raum, den wir allerdings auch zeitweise verlassen konnten. Dann, nach einigen Tagen, lief der Materialfluss nicht mehr so, wie sie es gedacht hatten. Da kamen mal einige tausend, dann haben wir wieder einige Stunden gewartet, dann fehlten welche. Trotzdem wurden wir weiterbezahlt - Gott sei Dank. Die eigentliche Testreihe sollte dann in Bestadt stattfinden. Bei der Besichtigung der örtlichen Gegebenheiten haben wir von vorne rein schon gesehen, dass die Arbeitsbedingungen wesentlich schlechter waren als in Astadt, da alles in einem sehr hohen schallreflektierenden Raum stattfand und wir da zur Vorbereitung nicht rauskonnten. Also acht Stunden lang in dem wesentlich höheren Schalllärm. Allerdings war die Arbeitszeit ziemlich kurz, nur etwa anderthalb Wochen. Am Anfang lief es von der Stückzahl her einigermaßen gut. Aber in der zweiten Woche ging es schon los, dass der Materialfluss stockte, obwohl sie sogar noch eine dritte Testvorrichtung aufbauen wollten. Am Donnerstag waren wir wieder zu früh fertig gewesen, hatten schon die Materialien rausgezögert, und die letzte Stunde durfte ich dann fegen. Als ich am Freitagabend zur Schicht kam, hieß es: "Keine Arbeit." Ich war recht froh, weil die Arbeit sowieso nicht so berauschend war. Aber dann hieß es, dass es dort weiterhin nicht genug Arbeit gebe und einer von uns abgemeldet werden müsste. Das war meine Wenigkeit.

Immerhin habe ich mich gefreut, aber das war eigentlich zu früh gedacht. Am nächsten Tag, am Samstagabend, lag die fristlose Kündigung der Leiharbeitsfirma im Briefkasten. Für mich war ganz klar, dass ich dagegen angehe und zum Anwalt gehe, weil es ja heißt, eine fristlose Kündigung ist Eigenverschulden und ich somit eine Sperre von drei Monaten vom Arbeitsamt bekomme. Da hab ich gar nicht gezögert.

?Warum hat dich denn die Leiharbeitsfirma fristlos gekündigt?

!Der Kündigungsgrund war mein lautstarkes und immer wieder aufwiegelndes Verhalten gegenüber meinen Mitarbeitern und das dauernde Fragen einer Parkmöglichkeit auf dem Firmengelände. Obwohl die Parkmöglichkeiten erst erweitert worden sind, hieß es: "Leiharbeiter bekommen bei uns keine Parkmöglichkeit." Ich bin auch als der sogenannte Rädelsführer dargestellt worden. Ich hätte immer wieder die Leute aufgewiegelt, dass die sich halt beschweren würden über die Lautstärke und die Arbeitsweise, Arbeitsklima usw., obwohl das andere Kollegen gewesen sind.

Und nebenbei: Bei der Kündigung wurde darauf hingewiesen, dass ein gewisser Herr Fischer mich persönlich entfernt haben wollte. Der arbeitete im Büro der ‚Müller AG' und war auch bei meiner Leiharbeitsfirma angestellt.

Jedenfalls bin ich dann zum Anwalt gegangen, der hat bestätigt, dass die überhaupt keine Möglichkeit hatten, die fristlose Kündigung auszusprechen, da zur Aussprache einer fristlosen Kündigung ja auch wenigstens zwei Abmahnungen im Raum stehen müssten, die ich wiederum nicht hatte.

?Dann kam es zur Gerichtsverhandlung?

!Ja, die fand in Frankfurt statt, beim Arbeitsgericht. Ich habe dort noch die Gegner am Parkplatz getroffen, die ich trotzdem gegrüßt habe, die beiden. Der Gruß ist mir von einer Seite erwidert worden, aber der Andere hat es halt gar nicht erwidert. Einen Tag vor der Verhandlung hab ich noch ein Schreiben bekommen, die Gegenklage. Und bei der Gerichtsverhandlung bekam ich zu der Gegenklage noch eine Schadensersatzforderungsklage.

?Wofür wollte denn die Leiharbeitsfirma Schadensersatz? Und wie viel?

!Bei mir hieß es als Schadensersatz so ca. 5000 Euro, weil durch mein Fehlverhalten die Zeitarbeitsfirma ‚X-Time' den Auftrag und die Folgeaufträge von der ‚Müller AG' verloren oder entzogen bekommen hätte. In Wirklichkeit kam es daher, dass die Technik überhaupt nicht lief und aus anderen Gründen Aufträge verloren wurden.

?Wie lief der Prozess dann ab?

!Erst mal kam der Gegenanwalt an, hat mir alles vorgeworfen, ich hab mir das nur angehört ganz cool, wie ich halt so bin. Hat ja keinen Sinn gehabt gegen zu sprechen. Ja, und dann hab ich halt meine Geschichte erzählt, mein Anwalt hat sich gar nicht zu geäußert. Den Richter, den fand ich ganz gut, der hat von vorneherein den Gegenanwalt abgeblockt, den gar nicht zu Wort kommen lassen. Er hat die fristlose Kündigung an sich von vorneherein ausgeschlossen und die Gegenanklage genauso.

Nach der Verhandlung habe ich noch kurz mit den Chefs gequatscht. Bei einem habe ich mich dann bedankt [ironisch, er lacht a.d.A.], weil ich mit dem auch privat gesprochen hatte, vom Urlaub erzählt, mit Kindern und allem drum und dran. Mittlerweile bin ich ja im reiferen Alter, gehe auf die fünfzig zu. Gut, vor dreißig Jahren hätte ich ihn halt plattgemacht, hätte ich ihn umgehauen, so wie ich mich kenne. Innerlich bist du halt am kochen.

Die Begründung für den entgangenen Gewinn bzw. die Schadenersatzforderung war die: Sinngemäß habe der Kunde (‚Müller AG') die Entleihung aller Kollegen aufgrund des Verhaltens der Gekündigten bzw. des Abgemahnten nicht mehr gewollt. Bezeichnend bei den Umständen dieser Kündigungen war, dass - wie später herauskam - die ‚Müller AG' die Aufträge für das Produkt, an dem gearbeitet wurde, entzogen bekommen hatte. Somit waren die Leiharbeiter wohl überflüssig. Der Entleiher (die ‚Müller AG') fiel weg, was für die Leiharbeitsfirma bedeutete, dass sie den vertraglich zugesicherten Lohn des Arbeiters übernehmen müssen. Eine Kündigung des Leiharbeiters wegen Wegfall des Entleihers sieht das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz nicht vor (Synchronisationsverbot). Interessanter Weise stellte sich bei einer anderen Verhandlung heraus, dass der Anwalt von ‚X-Time' auch der Hausanwalt der ‚Müller AG',mit der man sich ja angeblich überworfen hatte, ist. Das angeblich Firmenschädigende Verhalten des Leiharbeiters bei der ‚Müller AG' sollte somit der Leiharbeitsfirma den Grund für die Kündigung geben.

U. (FAU FfM)

Dieser Artikel ist erschienen in Direkte Aktion - anarchosyndikalistische Zeitung Nr. 158 vom Juli/August 2003. Wir danken der Redaktion für die Freigabe!

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