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Augen zu und durch

Die aktive Arbeitsmarktpolitik gehört auf den Prüfstand

 

44,1 Milliarden Mark stehen der Bundesanstalt für Arbeit (BA) im Haushaltsjahr 2001 für so genannte Leistungen der aktiven Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung. Darunter sind 27,8 Milliarden Mark für Ermessensleistungen der aktiven Arbeitsförderung reserviert, zu denen auch Weiterbildungs-, Qualifizierungs- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gehören. Inhalt, Ablauf und Struktur dieser Maßnahmen zielen allerdings regelmäßig am Bedarf des Arbeitsmarktes vorbei.

So werden auf Kosten der Steuer- und Beitragszahler extrem teure Förderkarrieren auf dem so genannten zweiten Arbeitsmarkt geschaffen, die als bloße Verwaltung von Arbeitslosigkeit in einem krassen Missverhältnis zum Bedarf der Arbeitgeber stehen. Politiker, die sich an ihrem Erfolg bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit messen lassen wollen, profitieren von dem angenehmen Nebeneffekt, dass das wahre Ausmaß der Arbeitslosigkeit verschleiert wird.

Etliche Hinweise aus der Praxis belegen aber, dass die zum Teil praxisfremden Inhalte und die oftmals heterogene Teilnehmerstruktur der Programme einer Eingliederung in den Arbeitsmarkt eher im Wege stehen. Deshalb muss vor einer Überschätzung der Zwangs-Qualifizierungsangebote der Arbeitsämter gewarnt werden.

 

(Dis-)Qualifizierung in der Praxis

Da werden etwa Arbeitslose im Rahmen eines Pflichtseminars zur Arbeitsplatzsuche von Psychotherapeuten in die Mangel genommen und bekommen suggeriert, dass sie zum Großteil selbst schuld an ihrer Arbeitslosigkeit sind. Es bleibt ein Geheimnis, wie das zu dem Ziel der Maßnahme passen soll, die Teilnehmer zu motivieren, ihre eigenen Fähigkeiten herauszustellen und selbstbewusst aktiv in die Jobsuche zu starten.

Da werden Arbeitssuchende für knapp 40.000 Mark pro Kopf zum Screendesigner oder Mediengestalter umgeschult, ohne ihnen die Fähigkeit zu vermitteln, Multimediales und Websites zu erstellen oder mit Layoutprogrammen der neusten Generation zu arbeiten. Die erneute Arbeitslosigkeit nach Ende dieser Maßnahme ist so vorprogrammiert.

1,9 Milliarden Mark lässt sich die BA die IT-Qualifizierung von Arbeitslosen kosten. Da werden dann etwa Kurse zum Erwerb von Internetzertifikaten angepriesen. Allerdings war in einigen Fällen von sechs Stunden Kursdauer über drei Stunden überhaupt kein Internetzugang möglich. Das Zertifikat bekamen am Ende trotzdem alle Teilnehmer, auch diejenigen, die über das Hochfahren des PCs nicht hinauskamen.

Es werden auch Grundkurse in MS-Word angeboten. Dort lernen sich dann ehemalige Systemadministratoren, Ausbilder für EDV-Programme und blutige EDV-Laien kennen und fragen sich, warum sie denn zusammen im selben Kurs sitzen.

Da werden Kurse in Business-Englisch angeboten, die für die Teilnehmer neben 226 Stunden Englisch-Unterricht auch 46 Stunden in Neuer Deutscher Rechtsschreibung und 406 Stunden in EDV vorsehen.

Dass in einen Englisch-Kurs zwei perfekt Englisch sprechende Arbeitslose vermittelt werden sollten, ist schon fast amüsant, wenn nicht die im Vorfeld stattfindende Feststellungsmaßnahme die Beitragszahler bereits 1.622 Mark pro Teilnehmer gekostet hätte.

Theoretisch kann man sich über die mitunter intelligenzbeleidigenden Kursinhalte auch konstruktiv beschweren; dafür gibt es Klassensprecher. Praktisch endet dies dann aber hin und wieder ab einer gewissen Beharrlichkeit mit dem Kursausschluss und der Mittelsperre.

Vor diesem Hintergrund ist berechtigter Zweifel an dem Erfolg des jetzt angekündigten Programms "Fördern und Fordern" der Bundesregierung anzumelden, das den Zwang der Arbeitslosen zur Teilnahme an den fragwürdigen Fortbildungs-maßnahmen noch verstärken soll. Das Problem ist nämlich oftmals nicht, dass die Arbeitslosen keine Weiterbildung wollen, sondern dass die Programme der Arbeitsämter so schlecht sind, dass motivierte Arbeitsuchende keinen Sinn an der Teilnahme sehen, sich sogar in ihrer Eigeninitiative bei der Jobsuche eingeschränkt fühlen.

Zudem wird scharenweise am Bedarf des Arbeitsmarktes vorbeigeschult. Es darf bezweifelt werden, ob die Arbeitsverwaltung, die heute schon offensichtlich überfordert ist, einen Englischkurs adäquat mit Teilnehmern zu besetzen, bei der Suche nach der "maßgeschneiderten Förderung" erfolgreich sein wird.

 

Keine Erfolgsbilanz

Problematisch ist, dass der Erfolg einzelner Maßnahmen nicht aussagekräftig bilanziert wird. Im Jahreswirtschaftsbericht 2001 der Bundesregierung wird zähneknirschend eingeräumt, dass es mit Belegen für die Effizienz und Effektivität der aktiven Arbeitsmarktpolitik nicht zum Besten steht und man emsig bemüht ist, die Evaluierung zu verbessern, da diese bisher keine verlässlichen Aussagen liefert.

Begreiflicher wird dieser Irrsinn, wenn man sich einmal die Argumentation vor Augen führt, mit der heute der Erfolg der Arbeitsmarktpolitik gemessen wird. Ausschlaggebend ist nämlich die Menge an Geldern, die in Maßnahmen gesteckt wird, und nicht was am Ende dabei herauskommt. Gerd Andres, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium (BMA) vor dem Deutschen Bundestag zur Aufstockung der Fördermittel im Jahr 2001: "Ich kann zunächst bestätigen, dass in diesem Jahr eine Milliarde DM mehr für die aktive Arbeitsmarktpolitik ausgegeben wird. Das ist ein besonderer Verdienst der Bundesregierung."

 

Einsparpotenziale nutzen!

Solange die Bundesregierung ihre Verdienste in der Arbeitsmarktpolitik daran misst, was sie an Steuer- und Beitragsmitteln hineinsteckt, werden Arbeitgeber und Arbeitnehmer wohl noch lange auf eine deutliche Senkung

der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung warten müssen. Diese Erkenntnis mag vielleicht auch der Grund dafür sein, warum der Präsident der BA Jagoda nur vorsichtig an mäßige Senkungen des Beitragssatzes denken mag. 0,2 bis 0,4 Prozentpunkte beim Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung entsprechen drei bis sechs Milliarden Mark.

Würde man den gesamten Etat der aktiven Arbeitsmarktpolitik in Höhe von mehr als 44 Milliarden Mark einmal einer kritischen Nutzen-Kosten-Analyse unterziehen, das Förderdickicht lichten und den riesigen Apparat der Arbeitsverwaltung abspecken, sind schnell deutlich höhere und frühere Entlastungen möglich.

In ihrer Stellungnahme zu den geschilderten Fällen führt die BA u.a. aus, dass ein effizienter Einsatz von Beitragsmitteln auch in ihrem Interesse läge, wozu jedoch die Kenntnis über Einzelfälle unerlässlich sei. Wohl wahr. Allerdings hatten sich schon etliche Kursteilnehmer entweder beim Arbeitsamt, bei der BA selbst oder beim BMA beschwert. Da man dort keine Konsequenzen zog, wandten sie sich ernüchtert an uns.

AS

Quelle: "Der Steuerzahler", Zeitschrift des Bundes der Steuerzahler, Ausgabe Juni 2001 - Seite 103

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