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Updated: 18.12.2012 15:51
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Ausschluss und Zwang - Migration, Rassismus und prekäre Arbeitsverhältnisse

von Karl-Heinz Lewed

Transnationalisierung und Ausschluss

Seit Arbeit und Wert in einem gewaltvollen Prozess von zweihundert Jahren zur Grundlage der modernen Gesellschaft geworden sind, lassen sich auch Wanderungsbewegungen von Menschen nicht unabhängig davon interpretieren. Mehr noch, die individuellen Gründe für Migration sind eng verkoppelt mit den (unhaltbaren) Zuständen, die die Entwicklung der Warengesellschaft hervorbringt, sowohl im Binnenraum von Nationalstaaten als auch zwischen diesen. Gegenwärtig bestimmt die Krise der Arbeitsverwertung sowohl in den Zentren wie an der sog. Peripherie die Entwicklung: Immer weniger Arbeitskräfte werden in den produktiven Sektoren des Weltmarktes benötigt; die offene und verdeckte Arbeitslosigkeit steigt stetig und ein immer größer werdender Teil der Menschheit wird von den Waren- und Geldkreisläufen der globalen Ökonomie abgekoppelt. Schon ein oberflächlicher Blick auf die weltweiten Verwertungsketten macht den fundamentalen Ausschluss ganzer Weltregionen deutlich. Als ein Indikator kann beispielsweise der Anteil am Welthandel dienen. Dieser beträgt für den gesamten afrikanischen Kontinent gerade einmal zwei Prozent (Spiegel 42/2003). Auch die Transnationalisierung des Kapitals hat nicht zu einer regulären Integration von Arbeitskraft in den peripheren Regionen geführt. Im Gegenteil. Die >Globalisierung< steht nur für den Versuch der Einzelbetriebe im kapitalistischen Konkurrenzkampf , die abnehmende Anwendung von Arbeitskraft durch die Nutzung weltweiter Kostengefälle auszugleichen. Auch wenn Teile der Linken das Gegenteil annehmen. Nicht die zusätzliche und expansive Verwertung von Arbeitskraft bildet den Hintergrund für die Globalisierung. Vielmehr geht der Transnationalisierungsprozess mit einem säkularen Trend zum Ausschluss immer größerer Teile der Bevölkerung von der Wertverwertung einher. Insgesamt ist global eine Deintegration der auf Arbeit basierenden postfordistischen Gesellschaften zu verzeichnen, einschließlich eines Zerfalls von nationalstaatlichen Räumen. Als Schlusspunkt einer weltweiten Entwicklung beginnt auch in den kapitalistischen Zentren die Integration über die Arbeit und das Geld prekär und immer weniger beherrschbar zu werden. In den Ländern der sog. Peripherie ist dieser Verlauf des sozial-ökonomischen Ausschlusses allerdings schon wesentlich weiter fortgeschritten, mit den bekannten Begleiterscheinungen des Zerfalls der Rechtsform in Gestalt von allgegenwärtiger Korruption und Mafiawirtschaft bis hin zu der Auflösung der Nationalstaatlichkeit in Form von Bandenkriegen und Plünderungsökonomie. Die Herrschaft der warenförmigen Totalität besteht für alle aus dem Zusammenhang von Arbeit und Geld herausfallenden Regionen allerdings weiter, nur eben als negative. Nach der Zerstörung von nahezu allen traditionellen Strukturen der (materiellen) Reproduktion lässt das global geltende Diktat der Warengesellschaft keine Alternative für die vom Ausschluss Betroffen zu, außer auf einem absoluten Elendsniveau. Die Verbindung von Transnationalisierung des Kapitals mit dem Ausschluss aus den Verwertungsketten ist gegenwärtig im Wesentlichen der Hintergrund für Migration. Materielle Verelendung und rechtsförmige wie nationalstaatliche Verfallserscheinungen bilden den zentralen Rahmen für sowohl binnenstaatliche Wanderungsbewegungen als auch für Auswanderung in die Regionen mit noch funktionierender Wertverwertung.

Das Ende der Expansion

Während seiner Aufstiegsgeschichte entwickelte das System der Verwertung abstrakter Arbeit ­ mit gewissen krisenhaften Unterbrechungen ­ einen stetig wachsenden Bedarf an Arbeitskraft. Im Fordismus, der Hochzeit der Liaison von Kapital und Arbeit, kam es geradezu zu einer Art Generalmobilmachung der Arbeit. Ursprünglich bezieht sich der Terminus Mobilmachung auf militärische Operationen; v.a. in den beiden Weltkriegen kam es zur Ausrichtung der kompletten Nationalökonomie auf Kriegszwecke und damit zu einer die gesamten Gesellschaft erfassende Mobilisierung von Arbeitskräften, die auch für die Friedenszeiten weiterhin prägend blieb. Die militärische war so nur ein beförderndes, wenn auch notwendiges Moment der allgemeinen Mobilmachung der Arbeitskraft als übergreifendes Phänomen. Ihr Ideal fand diese Arbeitskraftmobilisierung ­ ihrer Herkunft aus dem nationalstaatlichen Krieg entsprechend ­ in der fordistischen, auf ein nationalökonomisches Territorium bezogenen Produktion. In der Regel wurde denn auch der Mangel an Arbeitskraft an einem Ort durch Binnenbewegung ausgeglichen. Bei übergroßem Bedarf saugte man aber auch aus dem Ausland entsprechend freie oder auch weniger freie Arbeitskräfte an. So wanderten beispielsweise Anfang des 20. Jahrhunderts in größerem Umfang sog. >Ruhrpolen< in den Westen Deutschlands, wo sie in der aufstrebenden Montanindustrie Beschäftigung fanden (Windschuh, 57). Nicht immer war Wirtschaftsmigration durch die individuelle Hoffnung der Arbeitskräfte auf eine Verbesserung der Lebenssituation geleitet. Gerade die totalitären Modernisierungsdiktaturen erzwangen die Massenmobilmachung von Arbeit auch mit brutaler Gewalt. Zur Durchsetzungsgeschichte der unpersönlichen Diktatur der Arbeit, in der die Arbeitskraftbesitzer so selbstverständlich über ihre Ware selber >frei< verfügen dürfen, gehört auch staatlich organisierte Zwangsarbeit. Der Nationalsozialismus beschäftigte z.B. während des Krieges 8,5 Millionen ausländische Kriegsgefangene, ZwangsarbeiterInnen und KZ-Häftlinge (Zeit 46/2000). Aber auch in der Sowjetunion mit ihrem Gulag-System spielte >unfreie Arbeit< eine zentrale Rolle bei der Etablierung des Arbeitsregimes. Für die innere Mobilmachung der Arbeit sorgte notfalls der Staat, der »ideelle Gesamtkapitalist« (Marx), mit Gewalt. Wie sehr sich im Laufe der warengesellschaftlichen Entwicklung die Zugriffsmöglichkeiten des Staates auf die Einzelnen verdichteten und wie wenig ausgestaltet diese vor zwei- bis dreihundert Jahren noch waren, macht folgende Schilderung deutlich: »Eng mit der merkantilistischen Gewerbeförderung verbunden, . ist die Tatsache, dass sich die europäischen Staaten eher auswanderungsfeindlich verhielten, v.a. was die Emigration von fachlich geübten Handwerkern (mit ihrem Gerät) betraf: In Belgien, Österreich, Preußen und den übrigen deutschen Staaten, Venedig, aber auch England herrschten Auswanderungsverbote für diese Bevölkerungsgruppen, die sich allerdings in vielen Fällen als wenig effektiv erwiesen. So vollzog sich die >gewerbliche Völkerwanderung< im Europa des 18. Jahrhunderts . weitgehend illegal« (Körner, 12).

In der Expansionsphase der Warengesellschaft implizierte die vom Staat mit induzierte Mobilmachung der Arbeit einen stetigen Bedarf an Arbeitskraft für die jeweilig nationalstaatlich abgegrenzten Territorien. Die Krise der Wertverwertung kehrt diesen Sachverhalt um. Durch den rapide sinkenden Bedarf an variablem Kapital seit Anfang der 70er Jahre in der industriellen Massengüterproduktion hat sich eine stetig steigende Massenarbeitslosigkeit auch in den Industrieländern entwickelt. Der Mangel an Arbeitskraft wich einem Mangel an Arbeit. Noch in den 50er und 60er Jahren konnte bekanntlich eine massenhafte Migration von Süd- nach Nordeuropa verzeichnet werden, um den Bedarf an Arbeitskräften in Zeiten des >Wirtschaftswunders< in der industriellen Massenproduktion zu befriedigen (Körner, 96ff.). Doch nach dem >kurzen Sommer des Fordismus< kam es beispielsweise in Deutschland schon 1973 zum sog. Anwerbestopp. Verbunden mit dem >Ausbrennen der Arbeitssubstanz< vollzieht sich damit auch in den Zentren ein stetig wachsender Prozess des ökonomischen Ausschlusses. Viel stärker sind freilich die vom Modernisierungsprozess erst verzögert erfassten Regionen betroffen, v.a. die ehemaligen, von den konkurrierenden Nationalstaaten besetzten Kolonien. Dort hat sich die ganze Zerstörungspotenz der warenförmigen globalen Totalität entfaltet, ohne, wie im Westen, noch eine gewisse stoffliche Reichtumsproduktion in Gang zu setzen, an der dann breitere Schichten partizipieren konnten. Oftmals kam der Modernisierungsprozess in diesen für die globale Wertverwertung peripheren Regionen über die Herausbildung ebenso korrupter wie gewalttätiger Modernisierungsdiktaturen nicht hinaus, mit den entsprechenden verheerenden Folgen für die dortige Bevölkerung. Diese Gebiete, die einen Großteil der Erdoberfläche ausmachen sind bekanntlich von den kapitalistischen Zentren mittlerweile völlig abgeschrieben worden. Angesichts des materiellen Elends, das oft mit rechtlich und politisch anomischen Zustände einhergeht, und einer mangelnden Perspektive auf Besserung würden die Entwicklungstheoretiker wohl von einem Anwachsen der >push<- als auch der >pull<-Faktoren sprechen: Getrieben von den unzumutbaren Verhältnissen in den >verbrannten< Regionen der Weltwirtschaft und angezogen von den Ländern, die dank der Integration in die globale Verwertung noch eine bessere Arbeits- und Lebenssituation versprechen.

Festung Europa und Rassismus

Die restriktiven und sozialdarwinistischen Einlassbeschränkungen nicht nur in Europa, sondern auch in den USA verweisen auf eine grundlegende Veränderung im Phänomen der Arbeitsmigration. Wie erwähnt, hat die stetig anwachsende Massenarbeitslosigkeit, d.h. der abnehmende Bedarf an produktiver Arbeitskraft, in den Zentren die Bedingungen für die Zuwanderung verändert. Die Entwicklungssoziologie hat sich dafür die schöne Wendung ausgedacht, dass »nationalstaatliche Prosperitätsspiralen ausbleiben, ins Stocken geraten oder gar zu >Pauperitätsspiralen< umschlagen« (Pries, 41). Andererseits erhöht sich durch das Herausfallen immer weiterer Gebiete des Globus aus der Verwertung der Druck zur Migration. 1989 ist eine populäre Region hinzugekommen, als gleich der gesamte Verwertungsraum der vormals so apostrophierten >Zweiten Welt< in sich zusammenbrach, ohne dass eine Integration in die globale Konkurrenz für einen größeren Teil noch möglich wäre, was offensichtlich zu einer weiteren >Spirale der Pauperität< führt. Dies erhöht natürlich insgesamt die sog. >push<-Faktoren für die Abwanderung Richtung Westen. Nicht zufällig hat sich mit dem Ende des Hochfordismus in Europa, aber auch weltweit eine politische Restriktion von Zuwanderung immer mehr durchgesetzt: Die Bewohner ganzer Weltteile sind qua politischer Festschreibung von der legalen Zuwanderung ausgeschlossen. In den 80er Jahren ging man in den europäischen Zentren dazu über, ein Abwehr- und Kontrollsystem auszubauen, das mittels des Schengener-Abkommens im Aufbau der >Festung Europa< seinen vorläufigen Höhepunkt fand. Das Anwachsen von überflüssiger in- wie ausländischer Arbeitskraft wurde so staatlicherseits mit einer Abwehr von (Arbeits-)Migration flankiert und ein System der Institutionalisierung des Ausschlusses geschaffen. Dies schien angesichts des Zusammenbruchs des Realsozialismus und der zu erwartenden Migrationswelle umso dringlicher. In stetigen Verschärfungen versucht sich seitdem Europa, aber auch die anderen Zentren der noch intakten Verwertung, vom Zuzug aus den Krisenregionen der Weltökonomie abzuschotten. Angesichts der Nähe von Zerfallsregionen, wie beispielsweise der in Jugoslawien, überschreitet die staatliche Barbarei immer neue Grenzen, wie etwa die Änderung des Asylrechts 1993 in Deutschland zeigt.

Die staatliche Strategie der Abwehr und der Kontrolle kann dabei mit einem nicht zu unterschätzenden rassistischen Ressentiment kooperieren, welches gerade unter dem verschärften Druck der allseitigen Konkurrenz zwischen den Individuen aufbricht. Die Pogrome gegen marokkanische Landarbeiter im südspanischem Almeria oder das Vorgehen des bürgerwehrähnlich organisierten ostdeutschen Mobs gegen Flüchtlinge haben dies leider hinlänglich gezeigt (Dietrich, 13ff.) Dieser Rassismus der Ausgrenzung ist keine nur spontane oder zufällige Erscheinung oder gar ein von den Medien und der herrschenden Klasse bloß manipulativ erzeugtes Problem Irregeleiter, sondern tief verwurzelt im System von Ware und Geld. Als im Grunde irrationale Bewegung, in der es um die bloße Anwendung von Arbeitskraft geht, bezieht sich letztendlich die gesellschaftliche Anerkennung in der Warengesellschaft immer nur auf diejenigen, die in den Verwertungsraum integriert sind oder als integrierbar gelten. Und alle, die diese Kriterien nicht erfüllen, werden mit einer zunehmend offen agierenden rassistischen wie sozialdarwinistischen Legitimation von einer Teilnahme an dem Waren- und Arbeitsuniversum ausgeschlossen. Angesichts des von der bürgerlichen Basisideologie, der Aufklärung, verkündeten Universalismus stellt die Exklusion eines Großteils der Menschheit von ihrem >Glücksversprechen< ohnehin einen legitimatorischen Widerspruch dar. Zumal nach dem großmundig und schwellbrüstig verkündeten >Ende der Geschichte< und der >Freiheit des Marktes< rund um den Globus. Doch die Pforte, die in das Reich anerkannter gesellschaftlicher Geltung führte, stand in der Geschichte der modernen Warengesellschaft schon von je her nur für einen bestimmten Personenkreis offen. In der Regel waren Frauen und Nicht-Weiße aus dem Anerkennungs-Universum von >Freiheit und Gleichheit< ausgeschlossen. Entgegen der Annahme, dass dieser Ausschluss noch auf vormodernen Momenten basiert und sich in der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft als obsolet erweisen würde, ist die Exklusion konstitutives Merkmal der Warenform. Den zentralen psychosozialen Mechanismus bildet die Projektion der eigenen unbegriffenen gesellschaftlichen Vermittlung auf einen >Anderen<; dieser >Andere< existiert dabei nicht schon vorab, sondern wird in der Projektionsbewegung erst formiert bzw. hergestellt. Ressentiments, die Herrschaft, Ausschluss, Verfolgung und Unterdrückung legitimieren, sind Resultate der modernen Vernunft. Diese irrationale Logik äußert sich nicht nur in der Abwertung von Frauen, sondern auch in antisemitischen und rassistischen Zuschreibungen.. Antisemitismus, Rassismus aber auch Sexismus, die sich in der zuspitzenden sozial-ökonomischen Situation zeigen, sind deswegen auch kein neues Phänomen. Schon die Zuwanderungen in den >Wirtschaftswunder<-Zeiten waren von rassistischen und geschlechtlich motivierten Ausschluss- und Hierarchisierungsbestrebungen begleitet.

Hautfarbe, Geschlecht und Arbeit

Im Zuge der abnehmenden Integration in das System der Arbeit verbinden sich allerdings die materiellen Interessen in den Zerfallsprozessen mit der Irrationalität des immanenten Rassismus in unterschiedlichsten Ausformungen. Zunächst kann man feststellen, dass staatliches Handeln in den Zentren der Wertverwertung den Imperativen der Krise der Arbeitsvernutzung grundsätzlich insofern folgt, als es nicht mehr die Integration in das System der Arbeit zu verwalten und zu organisieren hat, sondern den Ausschluss. In Zeiten des Fordismus und der expandierenden Verwertung menschlicher Arbeitsenergie musste es der Politik um Rekrutierung von lebendiger Arbeit in den entsprechenden Quantitäten und Qualitäten, d.h. auf den adäquaten Niveaus der Produktivität gehen. So zielten z.B. der Ausbau des Bildungswesens in den 60er Jahren hierzulande u.a. auf die gestiegenen Ansprüche an die beruflichen Qualifikationen. Dagegen resultierte die Anwerbung südeuropäischer Arbeitskräfte in den 50er und 60er Jahren aus der ebenfalls gestiegenen Nachfrage nach einfachen Produktionstätigkeiten in den Massengüterindustrien. In der Arbeitswirklichkeit des (Hoch-)Fordismus entwickelte sich entlang dieser Trennung eine rassistisch unterlegte Hierarchie sozialer Stellungen vor dem Hintergrund von höher bzw. niedriger qualifizierten Tätigkeiten, die noch durch eine geschlechtliche Hierarchisierung überlagert war. Trotz dieses rassistisch und geschlechtlich motivierten Ausschlusses aus bestimmten Berufsfeldern mit der damit einhergehenden sozialen Schichtung gab es allerdings eine grundsätzliche Gemeinsamkeit: den Einschluss in das Gebäude der Arbeitsvernutzung. Finden die Exklusionen nur innerhalb einer arbeitsförmigen Normalität statt, so entsteht mit abnehmender Integrationsfähigkeit der Verwertung ein Apartheidsystem der Arbeit, das den zunehmenden Ausschluss aus dem Arbeitsuniversum umsetzt. In dem Maße wie die >Welt der Arbeit< zur >Closed Shop Gesellschaft< mutiert, ordnen sich die Mechanismen rassistischer und geschlechtlicher Hierarchisierung neu. Die Abwertung aufgrund von Herkunft oder Geschlecht geht eine Verbindung mit dem Ausschluss aus dem System (regulärer) Arbeit überhaupt ein und gewinnt damit eine neue Qualität. Nicht nur die Frage der Hautfarbe oder männlicher Attribute motiviert eine Anerkennung im System der kapitalistischen Krisenverwaltung, sondern immer wichtiger wird für den Einschluss der Aspekt der Beschäftigung bzw. der allgegenwärtigen Bereitschaft dazu.

Dem Staat kommt dabei die Aufgabe zu, der Repression einen rechtlichen Rahmen zu geben und sie durch die Verwaltung umzusetzen. Die Strategie staatlicher Sozial- und Arbeitspolitik ist dabei zunehmend auf Kontrolle und Aussortieren der noch arbeits- und damit integrationsfähigen ArbeitskraftbesitzerInnen ausgerichtet. Diese werden einem immer strengeren Überwachungsregime unterworfen. Das Bleiberecht wird immer enger an den Nachweis von Arbeit gekoppelt. Die Zugangschancen zu regulären Beschäftigungsverhältnissen sinken, und die Migranten werden immer mehr in den sog. informellen Sektor abgedrängt. Die Kombination aus staatlichen Repressionsmaßnahmen und fehlender Arbeitskraftnachfrage in den kapitalistischen Kernsektoren zwingen den gesellschaftlich Ausgeschlossenen hochgradig prekäre Beschäftigungsformen und durch blanke materielle Not gekennzeichnete Lebensumstände auf.

>Papierlose< als heimliche Avantgarde der Elendsarbeit

Unglückliche Vorbilder in den prekarisierten Arbeitsfeldern der Zentren, die zumeist in den >modernen Dienstleistungssektoren< wie Reinigung und Gaststättengewerbe oder Prostitution eine Beschäftigung finden, sind oftmals die nahezu zu jeder Arbeit gezwungenen >Papierlosen<: Menschen ohne Aufenthaltsstatus, die eine in jeder Hinsicht menschenunwürdigen Existenz im Westen den immer noch schlimmeren Zuständen in den Herkunftsländern vorziehen. Mit den sog. Illegalen, wie sie typisch abwertend in Deutschland genannt werden, reichen die Verhältnisse der ökonomischen Peripherie in die Zentren herein. Aufgrund der prinzipiellen Rechtlosigkeit werden diese in Arbeiten auf Elendsniveau und im Extremfall bis zur physischen Grenze gezwungen. Kennzeichnend für diese informellen Bereiche ist ein ausgeprägter Rassismus und Ethnizismus quer durch alle gesellschaftliche ArbeitenSchichten. Untergeordnete Arbeiten werden dabei wie selbstverständlich nach nationaler Herkunft geordnet, und das individualisierte Konkurrenzsubjekt zieht, wo immer es geht, seinen spießigen und bornierten Profit heraus. Die Arbeitsbereiche in den informalisierten Elendssektoren sortieren sich nach der geschlechtlichen Zuordnung in Bau- und Landwirtschaft einerseits und Reinigungswesen, Gastronomie, Hausarbeit, Kinder- und Altenbetreuung andererseits. Die unglaublichen Verhältnisse in den auf der Ausbeutung illegaler weiblicher Arbeitskraft beruhenden Beschäftigungssektoren kritisiert sogar die liberale und ansonsten für nahezu jede soziale Verwahrlosung eintretende »Zeit«: »Diese Frauen, die als >Ich-AG< ohne jegliche soziale Absicherung arbeiten, bringen es oft zu einem anstrengenden Vollzeitjob, indem sie mehrere Haushalte pro Tag versorgen. Für die Arbeitergeberseite zahlt sich die Informalität in barer Münze aus: keine Sozialabgaben, kein Krankengeld, kein Urlaubsgeld . In Deutschland wird die Zahl der Personen, die auf diese Weise außerhalb des Geltungsbereichs des Arbeitsschutzrechts leben, auf bis zu 1,5 Mio. geschätzt . Der Arbeitsplatz Haushalt, der vom Blick der Öffentlichkeit weitgehend abgeschirmt ist, wird so zur Nische und Notlösung für undokumentierte Einwanderer. Die Liste der Missstände ist lang: niedrige Einkommen, oft unter dem Existenzminimum, lange Arbeitstage, nicht ausbezahlte Überstunden bis hin zur Verweigerung des Lohns . oft wird gar von Gewalt und sexuellen Übergriffen berichtet« (Zeit, 51/2002). Den Gipfel des rechtlosen Zustands und der sexistischen Reduktion stellt die Zwangsprostitution dar. In vielen Zerfallsregionen, beispielsweise auf dem Balkan, ist dieser Sektor zu einem wesentlichen Teil der materiellen Reproduktion ­ gerade im Zusammenhang mit den Transfers des humanitär-industriellen Komplexes von NGOs und UNO ­ aufgestiegen. Aber auch in den Zentren dringt diese Form der illegalen >Beschäftigung< immer weiter vor.

Das Verhältnis von entrechteter Beschäftigung von >Papierlosen< und >normaler< Verausgabung von Arbeitskraft fügt sich dabei in den allgemeinen Trend soziale Standards herabzudrücken. Diese im weltweiten Zusammenhang über die Standortkonkurrenz des global agierenden Kapitals vermittelte Logik reproduziert sich gewissermaßen im Mikrokosmos illegaler Beschäftigungsverhältnisse. Unter dem allgegenwärtigen Konkurrenzdruck des Marktes versuchen sowohl multinationale Konzerne als auch mittlere bis kleine Unternehmen, soziale und arbeitsrechtliche Errungenschaften abzubauen, was zur stetigen Zunahme von Elends- und Niedriglohnbeschäftigung führt. Ein Beispiel dafür ist der Bereich der industriellen Landwirtschaft. Die landwirtschaftlichen Betriebe werden von den europaweit operierenden Supermarktketten unter immer größeren finanziellen Druck gesetzt. Dies geschieht freilich nicht aufgrund eines ungezügelten Profitstrebens und eines böswilligen Kapitalisteninteresses. Der Preisdruck ist vielmehr selber bereits Resultat eines gnadenlosen Wettbewerbs um die abnehmende Kaufkraft der Verbraucher, induziert durch die steigende Arbeitslosigkeit und das damit einhergehende abnehmende Erwerbseinkommen. Die konkurrierenden Supermärkte geben den Druck auf die Preise an die Landwirte weiter, die wiederum im Wesentlichen an zwei >Stellschrauben< zur Senkung ihrer Kosten drehen können. Einerseits an den ökologischen Standards; rücksichtsloser Schadstoffeinsatz verseucht dabei ganze Landstriche. Andererseits an der Lohnhöhe und den Arbeitsbedingungen. Der Spielraum für letztere scheint bei illegal Beschäftigten nahezu grenzenlos zu sein. Der mehr oder weniger latente Rassismus spielt bei der Herstellung und Durchsetzung unzumutbarer Lebensverhältnisse eine nicht zu unterschätzende legitimatorische Rolle. Er beseitigt alle Skrupel, den Marginalisierten ein absolut unwürdiges Leben zuzumuten.

Jenseits der Arbeit

Will man Möglichkeiten, Ansatzpunkte und Konflikt- bzw. Kampflinien für eine emanzipative Perspektive bestimmen, kommt man nicht umhin, globale Ungleichheit und Migration auf die Warengesellschaft insgesamt und die gegenwärtigen Krisenprozesse zu beziehen. Die alte Arbeiterbewegung fußte auf der gemeinsamen abstrakten Form der Verausgabung von Arbeitskraft. Durch die unbewusst sich herstellende Krise dieser Form der Arbeit schwand auch die gesellschaftliche Ausstrahlung und der Einfluss des >Arbeiterstandpunkts<. Versuche, diesen Standpunkt durch diverse Surrogate wie etwa die >Multitude< zu ersetzen und zu verlängern und das Interesse der Arbeit gegen ein ontologisiertes Interesse der Armen und Unterdrückten auszutauschen, verfehlen gerade das Wesentliche, was den Charakter, des Kampfes gegen die Diktatur von Arbeit und Staat ausmacht. Für eine Kritik, die über die herrschenden Verhältnisse hinauszugreifen sucht und auf deren Überwindung zielt, gilt es, die grundsätzliche Krise der Arbeit und ihrer Repräsentanz in den Gewerkschaften zu reflektieren. Der Niedergang der Gewerkschaften als institutionalisiertes Interesse des Arbeiterstandpunkts verweist auf die Krise der Arbeitsvernutzung und ist nicht mit einer anderen krisenhaften Erscheinung der Arbeit, der informellen und illegalisierten, irgendwie noch zu heilen. Es gilt, die Vernetzung und den Widerstand der aus dem kapitalistischen System Ausgeschlossenen zusammenzuführen. Das geht aber nicht mehr als quasi-gewerkschaftliche Organisierung von Interessen innerhalb dieser gesellschaftlichen Form.

Auf der Tagesordnung steht die Formulierung eines Standpunktes, der den bewussten Zugriff auf den gesellschaftlichen Zusammenhang und die gesellschaftlichen Ressourcen propagiert. Dieser grundlegende Aspekt muss allen Widerstand verbinden, so verschieden die einzelnen Ansätze auch inhaltlich sind und sein müssen. Die Kohärenz einer Bewegung gegen die einheitliche Totalität von Ware und Geld hat keinen positiven Sinn innerhalb der Form mehr zu transportieren, wie noch die alte Arbeiterbewegung, mit ihrem affirmativen Bezug zur Arbeit. Die Verknüpfung ergibt sich vielmehr durch den gemeinsamen Konflikt, der auf eine Abschaffung der abstrakten und verselbständigten Vermittlung im Kapitalismus zielt. Diese nötige Kohärenz einer Bewegung lässt sich nur noch negativ über die Kritik und Abwehr der krisenhaft obsolet werdenden gesellschaftlichen Verhältnisse der Warenform herstellen, aber keinesfalls über den gemeinsamen Horizont einer Anerkennung in den zerfallenden Strukturen der Arbeit oder des Rechts. Diese grundsätzliche Ebene der Konfliktformulierung muss auch in der Kritik und Skandalisierung von prekären Arbeitsverhältnissen herausgestellt werden, deren entrechtete >Avantgarde< die Illegalisierten sind. Es hilft nicht weiter, der unzumutbaren Prekarisierung weiter Teile der Bevölkerung durch die repressive Krisenverwaltung die illusionäre Forderung nach einer Reintegration in das Universum regulärer Arbeit (und des Rechts) entgegenzusetzen. Widerstand und Kampf sind zunächst darauf zu richten, die politische Klasse daran zu hindern, der Systemlogik bis zur letzten menschenverachtenden Konsequenz zu folgen. Damit öffnen sich Spielräume für eine emanzipative soziale Praxis. Natürlich geht es nicht darum, sich auf der Ebene konkreter Forderungen puristisch zu verhalten und auf jeden immanenten Anspruch zu verzichten. Im Gegenteil. Aber erst die Verknüpfung von Forderungen innerhalb des kapitalistischen Systems mit dem bewussten Bruch seiner Voraussetzungen hat Aussicht auf Erfolg. Reflektiert der Widerstand gegen Entrechtung und Ausschluss nicht die einzig adäquate Ebene der Konfliktformulierung und beschränkt sich darauf, nur Ansprüche und Forderungen innerhalb der vorausgesetzten Form geltend zu machen, besteht vielmehr die Gefahr, sich selber in dem herrschenden Diskurs der Ausschlusslogik zu verfangen: »>Wir sind Arbeiterinnen und deswegen haben wird das Recht auf Rechte. Wir wollen nicht mehr bei der Arbeit sexuell missbraucht werden, wir wollen einen höheren Lohn und endlich in Würde arbeiten wie ihr alle auch!< Das kommt an und erhält jede Menge Beifall« (Jungle World, 49/2003), so die >Gesellschafterinnen für Legalisierung< auf dem verdi-Gewerkschaftstag 2003, die dort innerhalb einer Legalisierungskampagne auftraten. Die Empörung über Niedriglohn und sexuelle Diskriminierung und deren Zurückweisung wird problematischerweise kurzgeschlossen mit dem Standpunkt der Arbeit und der rechtlichen Entsprechung. Denn einerseits impliziert das Einklagen und die Fortschreibung des >Rechts auf Rechte<, welches sich a priori immer nur auf einen geschlossenen nationalen Raum und den diese Rechte gewährenden Souverän beziehen kann, immer schon den Ausschluss nicht national identifizierbarer Individuen. Andererseits wird die systemische Ausschlusslogik auf der Ebene der Arbeitsverwertung durch die kausale Verknüpfung des ArbeiterInnenstandpunkts mit den Formen rechtlicher Anerkennung reproduziert. Denn die Logik des Umkehrschluss, ohne Arbeit keine Rechte und keine Würde, ist gerade Grundlage für den staatlich organisierten Ausschlussprozess entlang der Zwangsintegration über prekarisierte Arbeit. Weil der Krisenprozess eine Transformation informeller wie illegalisierter Arbeit in die kapitalistische Normalform unmöglich macht, fällt der Standpunkt der Arbeit heute ­ konsequent formuliert ­ unmittelbar mit einem Standpunkt rassistischer Ausgrenzung und sozialer Apartheid zusammen. Eine Emanzipationsbewegung kann sich schon alleine deswegen nur jenseits dieses Standpunktes formieren, und dies gilt eben auch für das Problem der Migration.

Nur in bewusster Frontstellung zu den Basis->Qualitäten< der kapitalistischen Anerkennungsformen ist auch eine Perspektive für eine allseits freie Migration zu gewinnen: jenseits der Zwänge des Verkaufs von Arbeitskraft und des Ausschlusses aus einem nationalstaatlichen Universum. Die >Autonomie der Migration< meint als aufklärerischer Topos des pseudo-autonomen Handelns der isolierten Einzelnen immer schon die selbst gewählte Unterwerfung unter die vorausgesetzten Formen von Arbeits- und Rechtssubjektivität. In der Moderne kann von einer selbstbestimmten Wahl des Aufenthalts und der Lebensbezüge nicht wirklich die Rede sein. Die Vermittlungsform der Arbeit und die nationalstaatliche Einhegung ­ verbunden mit einer vorher ungeahnten Zugriffsmacht auf die Einzelnen ­ haben die Wanderungsbewegung kanalisiert und aus ihnen eine Funktion von nationalstaatlicher und nationalökonomischer Formierung gemacht. Im krisenhaften Verfall dieser Formen kann eine wirkliche Selbstbestimmung der Migration nur in Konfrontation mit der zunehmend gewaltförmigen Totalität des Systems von Arbeit und Staat erkämpft werden.


Literatur:

Dietrich, Helmut (2001): Der Raum des humanitären Engagements; in: Wie wird man fremd; jour fixe initiative Berlin (Hg.); Münster.
Ehrenreich, Barbara (2003): Arbeit poor: unterwegs in der Dienstleistungsgesellschaft; Hamburg.
Körner, Heiko (1990): Internationale Mobilität der Arbeit: eine empirische und theoretische Analyse der internationalen Wirtschaftsmigration im 19. und 20. Jahrhundert; Darmstadt.
Priess, Ludger (1999): Transnationale soziale Räume zwischen Nord und Süd. Ein neuer Forschungsansatz für die Entwicklungssoziologie; in: Lateinamerika, Analysen und Berichte 23: Migrationen; Bad Honnef.
Windschuh, Thomas (1999): Die Nachfrageseite der Migration: die USA als Arbeitsmarkt, in: Lateinamerika, Analysen und Berichte 23: Migrationen; Bad Honnef


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