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Updated: 18.12.2012 15:51
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Arbeitskampf bei Veloce: "...nichts zu verlieren als ihre Ketten!"

Am 25. März kam es beim Wiener (Fahrrad)Botendienst Veloce zu einem dreistündigen Warnstreik. Nach österreichischer Sprachregelung war es ein "Wilder Streik", da keine vorherige Genehmigung durch die zuständige Fachgewerkschaft (GPA) bzw. durch das Präsidium des ÖGB vorlag. Der Einwurf, der jetzt kommt, ist vorhersehbar ­ wenn in Wien 50 oder 60 Fahrradboten streiken, sei das etwa so relevant, wie wenn in Beijing das legendäre Fahrrad umfalle. Tatsächlich ist der Veloce-Streik ein Ereignis, das weit über das betroffene Unternehmen selbst hinausgeht. Erstmals ist es in Österreich zu einer solidarischen Kampfaktion von prekär Beschäftigten gekommen, haben "Freie Dienstnehmer/innen" die Streikwaffe eingesetzt, um sich gegen frühkapitalistisch (oder doch: neoliberal?) anmutende ausbeuterische Arbeitsverhältnisse zu wehren.

Worum geht es den Kolleg/innen bei Veloce?

Umittelbarer Anlass für den Streik war eine Preiserhöhung für die zahlreichen und nicht schlecht zahlenden Kunden des Botendienstes, von deren Erlös seitens der Geschäftsführung allerdings ein deutlich geringerer Anteil an die Fahrer/innen weitergegeben werden soll als bisher üblich. Die Fahrradbot/inn/en, die oft buchstäblich unter Einsatz ihres Lebens ihren Job machen, arbeiten ohnehin schon unter den grindigsten Verhältnissen: Das Betriebsmittel Fahrrad müssen sie selber einbringen, die gelben Veloce-Jacken und -Rucksäcke, mit denen sie lebende Werbeträger werden, müssen sie bei Beginn des Dienstverhältnisses käuflich erwerben, Honorare werden oft erst Wochen nach der erbrachten Arbeitsleistung ausbezahlt, die Geschäftsführung verlangt dafür sogar noch eine Bearbeitungsgebühr! Eine Transportversicherung wird vom Honorar abgezogen, die Versicherungsverträge allerdings sind den Fahrer/inne/n nicht bekannt. Die Kolleg/inn/en fordern nun neben der Offenlegung der Versicherungsverträge unter anderem die Bezahlung des vollen Anteils am Umsatz sowie an der Preiserhöhung, eine Angleichung der Gehälter von Anfängern an jene von länger Beschäftigen, die Bezahlung der Gehälter am Monatsanfang sowie die Rückerstattung von Mobiltelefon-Kosten für Gespräche mit dem Unternehmen. Sollte es bis zum 1. April kein Einlenken der Veloce-Geschäftsführung geben, wollen die Kolleg/inn/en einen weiteren unangekündigten, diesmal fünfstündigen, Streik durchführen.

Eine Zwischenbilanz

Die Gruppe für revolutionäre Arbeiter/innen/politik (GRA) erklärt sich mit den Kolleg/inn/en bei Veloce hunderprozentig solidarisch. Wir unterstreichen vor allem die Bedeutung des ersten Streiks atypischer Beschäftiger in diesem Land. Gerade die weitgehende Rechtlosigkeit der atypisch Beschäftigten, die Methode der Kapitalist/inn/en, Atypische und "Freie Dienstnehmer/innen" betriebsintern gegeneinander auszuspielen, um eine Solidarisierung zu verhindern. und der geringe gewerkschaftliche Organisationsgrad machen den Widerstand dieser immer weiter um sich greifenden "neuen" Arbeiter/innen- und Angestelltenschicht extrem schwierig. Dass bei der Streikversammlung überraschend der Vorsitzende der GPA. Hans Sallmutter, erschienen ist und den Streikenden die Unterstützung der Gewerkschaft zugesichert hat, werten wir als einen wichtigen Erfolg der Kampfmaßnahmen der Veloce-Bot/inn/en. Die österreichischen Gewerkschaften haben erst sehr spät die Bedeutung der Umschichtungen auf dem Arbeitsmarkt erkannt und begonnen, sich mit den Problemen der besonders ausgebeuteten Schichten atypisch Beschäftigter zu beschäftigen bzw. ihnen überhaupt die Möglichkeit zur gewerkschaftlichen Organisierung zu bieten. Allerdings bewegt sich die offizielle gewerkschaftliche Tätigkeit in diesem Bereich im klassischen Spannungsfeld der bürokratischen Gewerkschaftspolitik insgesamt: Das Hauptaugenmerk wird auf mickrige sozialpartnerschaftliche " Verbesserungen" gelegt ­ diese scheitern aber wenig überraschend an den Profitinteressen der Kapitalist/inn/en, die kein Interesse daran haben, billige und teilweise hochqualifizierte Arbeitskräfte rechtlich besser zu stellen, wo sie doch mit einem wachsenden Arbeitslosenheer im Rücken ein starkes Argument für Lohndrückerei und Aufweichung sozialer Mindeststandards haben. Innerhalb des ÖGB ist der Bewusstseinsstand zur Problematik der Atypischen erschreckend gering ­ gerade erst die GPA hat in Form der "Interessensvertretungen" Strukturen geschaffen, um die Atypischen zu erfassen. Kein Wunder ­ viele der "Freien" oder Atypischen sind in Bereichen tätig, die eigentlich ihrem Wesen nach klassische Angestellentätigkeiten sind. Nun planen "Personalleasingfirmen" - die modernen Sklav/inn/enhändler ­ und das Handelskapital, durch den verstärkten Einsatz von Leiharbeiter/inn/en einen Kernbereich der Angestellten anzugreifen, nämlich das ohnehin schlecht bezahlte und zumeist weibliche Verkaufspersonal. Trotzdem, dass "Outsourcing" und "Sonderverträge" auch alle anderen Industriegruppen früher oder später treffen, sieht die konservative Gewerkschaftsbürokratie dem tatenlos zu. Genau solche "neuen Arbeitsverhältnisse" zielen auf die Aushebelung der Kollektivverträge ab, auf die Zerschlagung der Solidarität der Arbeitenden, auf die Zurückdrängung jeglicher Form innerbetrieblicher Organisation (auch einer Selbstorganisation außerhalb der Gewerkschaftsstrukturen!).

Die Waffe der Solidarität

Deshalb ist es wichtig, dass der Kampf der Kolleg/inn/en bei Veloce Erfolg hat. Das kann aber nur dann gelingen, wenn er nicht isoliert und unbemerkt bleibt. Die kämpfenden Kolleg/inn/en und ihr Sprecher/innenkomitee müssen jetzt aktiv nach Außen gehen und möglichst viele Arbeiter/innen und Angestellte, vor allem aber andere Freie Dienstnehmer/inn/en, über ihren Kampf informieren. So positiv die Anwesenheit von Hans Sallmutter bei der ersten Streikversammlung war ­ die Veloce-Fahrer/innen können nur auf ihre eigene Kraft, auf ihren eigenen Zusammenhalt bauen! Sie sind die Betroffenen, sie stehen unter Druck, und sie haben durch die Verweigerung ihrer Arbeitskraft ­ den Streik ­ das momentan stärkste Kampfmittel in Händen (und Waden). Die Kolleg/inn/en bei Veloce dürfen sich nicht durch Drohungen oder Lügen der Geschäftsführung irre machen lassen. Natürlich wird die Geschäftsführung auf das "harte Konkurrenzumfeld" verweisen, auf die "angespannte Marktlage". Neben den Knebel-Versicherungsverträgen müssen alle Geschäftsunterlagen von den Kolleg/innen/ eingesehen, geprüft und kontrolliert werden. Ein von den Beschäftigten selbst demokratisch gewähltes Komiteee sollte ­ über den konkreten Streik hinaus ­ der Geschäftsführung auf die Finger schauen und gegebenenfalls neue Aktionen vorschlagen, die in Vollversammlungen diskutiert und beschlossen werden sollten.

Was können wir selbst tun?

Informieren wir unsere Kolleg/inn/en, egal in welchem Betrieb, über den Arbeitskampf bei Veloce! Diskutieren wir mit ihnen über die Bedeutung dieses "minimum wage strikes"!
Unterstützen wir durch Anrufe, Faxe und e-mails an Veloce den Kampf der Fahrradbot/inn/en!
Verhindern wir, dass die Veloce-Geschäftsführung versucht, die Beschäftigten von Veloce-Kundenunternehmen gegen die Fahrer/innen aufzubringen! Wenn es zu Lieferunterbrechungen kommt, ist das nicht die Schuld der Fahrradbot/inn/en, sondern die Verantwortung einer profitgierigen Veloce-Geschäftsführung!
Wichtig wäre es, dass sich bei einem möglichen weiteren Streik möglichst viele arbeitende Menschen vor der Veloce-Zentrale im 3. Wiener Gemeindebezirk, Ungargasse 46, in einer spontanen Kundgebung mit den kämpfenden Kolleg/inn/en solidarisch zeigen!

Den ÖGB fordern wir auf, über die Veröffentlichung der offiziellen GPA-Aussendung hinaus den Arbeitskampf bei Veloce materiell und propagandistisch zu unterstützen!


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