letzte Änderung am 28. Nov. 2002

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Gewerkschaften als Teil der politischen Klasse

Michael Wendl zu Gewerkschaften und Hartz

Wenn wir nach Gründen für die Zustimmung der Gewerkschaften zum Hartz-Konzept suchen, ist Dummheit, oder genauer der weitgehende Mangel an makroökonomischer Bildung – jenseits des Kanons der neoklassischen Dogmen – sicher ein wichtiger Faktor.

Ich kann das beurteilen, da ich bis zur Gründung von ver.di Mitglied der erweiterten Führung der ÖTV gewesen bin, ich war also nahe dran an dieser Dummheit.

Das gilt auch heute noch, auch wenn ver.di und die IG Metall über sehr qualifizierte Experten in Wirtschafts- und tarifpolitischen Fragen verfügen, aber auf deren Rat wird, wenn die Führungen Politik machen, nicht gehört. Da geht es dann um Taktik und da meinen manche, sie haben in diesen Fragen die "Meisterhirne" und brauchen keine Beratung.

Aber neben Dummheit oder mangelnder gesellschaftspolitischer Bildung kommt noch etwas m. E. wichtigeres hinzu.

Wir können nicht als Führungspersonen einer sich als Gegenmacht verstehenden sozialen Bewegung agieren. Das ist den meisten in den gewerkschaftlichen Führungsetagen völlig fremd. Sie haben ihren persönlichen Aufstieg auch als sozialen Aufstieg von der Arbeiter- oder Dienstbotenklasse in die politische Klasse verstanden und zelebrieren ihr Auftreten entsprechend. Mit dabei sein, beim Kanzler und seinem Anhang, ein klein wenig Korrekturen anbringen an den Plänen der Regierung, also einfach ein wenig "wichtig" sein und abends im Fernsehen, dann hat man oder frau es endlich geschafft. Die Anpassungsfähigsten schaffen dann den Aufstieg sogar komplett, entweder als Arbeitsdirektor in die Managerklasse oder als Abgeordneter in die Politik. Keiner oder kaum einer der Führungspersonen in den Gewerkschaften hat das Selbstverständnis, dass er Interessenvertreter und Repräsentant der beherrschten Menschengruppe in einer Klassengesellschaft ist, ein Anführer oder vielleicht sogar Aufrührer der "loser" in den modernen kapitalistischen Klassengesellschaften.

Diesen Typus des Gewerkschaftsführers gibt es durchaus. Wir treffen ihn auf internationalen Konferenzen und zeigen ihm freundlich und zugleich herablassend unsere (finanzielle) Solidarität. Es ist das Mitgefühl mit diesen "armen Teufeln", die möglicherweise noch politisch verfolgt und unterdrückt werden, das uns verbindet. Aber sonst haben wir wenig mit dieser Sorte von Gewerkschaftern zu tun.

Wir gehören zur politischen Klasse. Wenn Hartz die "Profis der Nation" zum Kampf, nicht gegen die Arbeitslosigkeit, sondern gegen die Arbeitslosen aufruft, dann müssen wir natürlich mit dabei sein. Wenn jetzt gegen den beabsichtigten Niedriglohn der Leiharbeit Position bezogen wird, so verteidigen wir damit die bestehenden regulären Arbeitsverhältnisse gegen Niedriglohnkonkurrenz.

Konsequent wäre es gewesen, wenn die Gewerkschaften das ganze Konzept abgelehnt hätten – aber es war gerade Wahlkampf.

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