letzte Änderung am 10. Juli 2002 | |
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Vor vier Jahren hatte Schröder großkotzig den Abbau der Arbeitslosigkeit versprochen - das war ein Eckpunkt seines Wahlprogramms. Die Arbeitslosigkeit aber ist nicht nur geblieben, sondern gestiegen. Jetzt, kurz vor den Wahlen, setzte die Regierung eine Kommission ein, die endlich den Stein der Weisen entdecken soll. Vorsitzender der Kommission ist ein Herr Hartz, Vorstand im VW-Konzern, mit dem Schröder besonders freundschaftlich verbunden ist. Die Antwort der Kommission auf die Frage der Arbeitslosigkeit ist die Antwort des Kapitals: Man bekämpft die Arbeitslosigkeit am besten dadurch, daß man die Arbeitslosen bekämpft.
Die CDU ist grundsätzlich gleicher Meinung und verlangt eine Umsetzung noch vor der Wahl. SprecherInnen der Grünen begrüßten die Hartz-Vorschläge ebenfalls. Von der FDP braucht man gar nicht zu reden. Es handelt sich um eine All-Parteien-Koalition des großen Geldes gegen die Arbeitslosen und die Beschäftigten!
Denn es täusche sich niemand: Das ist nicht nur ein Angriff auf die Arbeitslosen, sondern auf alle, die gezwungen sind, mittels Lohnarbeit ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Zum einen kann jeder arbeitslos werden. Zum anderen bedeutet verstärkter Druck auf die Arbeitslosen immer auch Druck auf diejenigen, die jetzt noch Arbeit haben. Zum Beispiel: Wenn Arbeitslose gezwungen werden, eine Beschäftigung zu Niedrigstlöhnen anzunehmen, drückt das generell auf Löhne und Gehälter.
Im folgenden nur einige Kernpunkte aus dem Harzschen Gruselkabinett (nicht anders ausgewiesene Zitate stammen aus den Vorschlägen der Hartz-Kommission, dokumentiert in Frankfurter Rundschau vom 27.6.):
"Anreize zum Verbleib in der Arbeitslosigkeit (...) sind abzubauen." Diesen Herrschaften zufolge ist das Arbeitslosengeld "Anreiz zum Verbleib in der Arbeitslosigkeit" und ist demzufolge "abzubauen". Zum Beispiel wie folgt:
Angeblich soll das so nicht umgesetzt werden, lassen SPD und Gewerkschaftsführungen verlauten. Von derlei Beruhigungspillen, die vor den Bundestagswahlen gratis verteilt werden, darf man sich keineswegs einlullen lassen. Wohin der Hase laufen soll, hat Arbeitgeberpräsident Hundt klar ausgesprochen: "Wir müssen die Bezugsdauer, die heute bis zu 32 Monaten reicht, in deutlich erkennbaren Schritten auf maximal zwölf Monate zurückführen (...). Die lange Bezugszeit ist eine Hauptursache für die in Deutschland im internationalen Verglich durchschnittlich längere Arbeitslosigkeit und die verbreitete Frühverrentungsmentalität." (Frankfurter Allgemeine Zeitung 4.7.) Diese bodenlose Unverschämtheit macht deutlich, worum es geht: Arbeitslosigkeit soll gezielt als Peitsche gegen die gesamte Arbeiterklasse eingesetzt werden. Jeder Arbeitslose soll davon bedroht sein, daß sein Einkommen spätestens nach 12 Monaten auf Sozialhilfeniveau absackt, und dadurch soll er gezwungen sein, Arbeit auch zu Billigstlöhnen anzunehmen.
Hundt fordert sogar, daß im ersten Monat der Arbeitslosigkeit kein Arbeitslosengeld ausgezahlt wird! (FAZ 4.7.)
Bereits vor einiger Zeit hatte die Regierung angekündigt, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe "zusammenzuführen". Hinter der beschönigenden Floskel "zusammenführen" verbirgt sich nichts anderes als das Drücken der Arbeitslosenhilfe auf Sozialhilfeniveau, auch wenn die Regierung das bestreitet. Das wird auch aus den Vorschlägen der Hartz-Kommission deutlich, die eine "einheitliche steuerfinanzierte Geldleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts" empfiehlt, die sie "Eingliederungsgeld" nennt. Ganz sicher haben die Herrschaften damit keine Aufstockung der Sozialhilfe im Auge. Auch hier dürfen wir uns von den von Regierung und Gewerkschaftsführungen verteilten Beruhigungspillen nicht einlullen lassen!
Der obligatorische Schlachtruf "Senkung der Sozialabgaben", also der Lohnnebenkosten, darf nicht fehlen. "Letztlich wird eine nachhaltige, deutliche Senkung der Sozialabgaben aber nicht ohne eine Senkung des Leistungsniveaus zu schaffen sein", weiß die Hartz-Kommission. Was empfiehlt sie? "Freiwillige, private Zusatzversicherung", in Klammern hinzugefügt: "Mobilitätsversicherung, Beschäftigungsversicherung". Mit anderen Worten: Man soll sich privat dagegen versichern, daß man arbeitslos wird, und dagegen, daß man ständig umziehen muß, um nicht arbeitslos zu werden. Dann spart der "Arbeitgeber" die Abgaben zur Arbeitslosenversicherung. "Senkung des Faktors Arbeit mit Sozialabgaben", nennt die Hartz-Kommission dies.
Als "Herzstück" der Hartz-Vorschläge wird die Einführung von Personalserviceagenturen (PSA) bezeichnet. Jedes Arbeitsamt soll eine eigene PSA erhalten, oder eine PSA von außerhalb wird ihm angegliedert. Über sie können Unternehmen kostenlos auf Probe oder gegen Entgelt Arbeitskräfte leihen. Jedem Arbeitslosen wird die Beschäftigung über die PSA angeboten. Lehnt er ab, so wird nach drei oder sechs Monaten das Arbeitslosengeld gekürzt.
Es wird behauptet, den Arbeitslosen würden dabei Tarifbedingungen mit gesetzlichem Kündigungsschutz garantiert. Lassen wir mal dahingestellt, ob es dabei bleiben wird oder ob es sich auch hierbei um eine Beruhigungspille handelt. In jedem Falle wird man alles tun, um den Begriff "Tarifbedingungen" auszuhöhlen. "Vorstellbar" ist z.B., daß zwar der tarifliche Monatslohn garantiert wird, nicht aber tariflich festgelegte Leistungen wie Urlaubsgeld - so ausdrücklich Thomas Reitz, Geschäftsführer der Zeitarbeitsfirma Manpower. (Financial Times Deutschland, 1.7.)
Ein Skandal ist es, daß Unternehmen die Möglichkeit erhalten sollen, kostenlos auf Probe Arbeitskräfte zu leihen! "Wird (...) den Kunden eine kostenlose Probezeit gewährt oder wird ein nicht kostendeckender Preis in Rechnung gestellt, muß ein Teil der Löhne aus den Mitteln der BA bezuschußt werden." (FAZ 4.7.) Aus den Mitteln der Bundesanstalt - also aus öffentlichen Mitteln! So weit kommt es, daß die öffentliche Hand dafür bezahlen soll, daß das Kapital sich überhaupt herabläßt, Arbeitskräfte zu beschäftigen!
Das Zentralorgan des Finanzkapitals, die Frankfurter Allgemeine Zeitung, stellt weiter fest, daß "die Stammbelegschaften dann durch PSA-Kräfte verdrängt zu werden" drohen. Da hat das Blatt völlig recht. Warum sollte ein Kapitalist nicht die Möglichkeit nutzen, einen Teil der Belegschaft zu entlassen und durch für ihn KOSTENLOSE Leiharbeiter zu ersetzen? Er hat dann zusätzlich den für ihn höchst angenehmen Nebeneffekt, den Druck auf den Rest der Stammbelegschaft erhöhen zu können.
Es ist wirklich ein toller Vorschlag (in dem Sinne, daß er aus dem Tollhaus stammen könnte): Die Arbeitslosigkeit bekämpfen, indem die Gesellschaft dem Kapital kostenlos Arbeitskräfte zur Verfügung stellt! Soll das Kapital doch abtreten, wenn es die Kosten der von ihm ausgebeuteten Arbeitskraft nicht mehr zahlen kann oder will!
Auch der berüchtigte Kombilohn gehört zu den vorgeschlagenen Maßnahmen, "die generelle Bezuschussung von Sozialversicherungsbeiträgen im Niedriglohnbereich". Der Staat soll Niedriglöhne subventionieren. Richtiger formuliert: Alle arbeitenden SteuerzahlerInnen sollen verstärkte Ausbeutung subventionieren - was sich wiederum gegen alle arbeitenden SteuerzahlerInnen richtet. Denn je größer der Niedriglohnsektor, desto größer der Druck auf alle Arbeitenden.
Allerdings, so Hartz, nur in bestimmten Bereichen, zum Beispiel bei "haushaltsnahen privaten Dienstleistungen". Reiche Herrschaften sollen auf Kosten der Allgemeinheit bedient werden.
Die Arbeitslosenversicherung, so Hartz, soll "konsequent weiterentwickelt" werden. Wohin? Zu einer "Arbeitslebensversicherung", die zu "freiwilligen Mobilitätsprozessen anregt". Sie soll "Übergänge absichern", nämlich zwischen "Phasen der abhängigen Beschäftigung, Selbständigkeit, Weiterbildung, der Beschäftigung im Privathaushalt, dem Wechsel zwischen Voll- und Teilzeitbeschäftigung und Sabbaticals".
Der Zweck dieses ganzen Geschwafels wird deutlicher, wenn man die Schlagworte liest, die Hartz in diesem Zusammenhang nennt: "Ende des Normalarbeitsverhältnisses", "neue Selbständigkeit", "Ich-AG". Die Botschaft lautet: Wer arbeitslos ist, ist selbst schuld! Warum nutzt er die Chancen nicht, die sich daraus ergeben, z.B. durch "neue Selbständigkeit" oder "Sabbatjahre"? Weil ihm das nötige Kleingeld fehlt? Dazu hätte er sich eben entsprechend versichern müssen. Privat.
Nicht, daß wir lohnabhängige Beschäftigung so erstrebenswert finden. Unser Ziel ist es, sie abzuschaffen. Indem wir das Kapital abschaffen. Indem wir den gesellschaftlichen Zustand abschaffen, daß einige wenige immer reicher werden, indem sie die breite Masse für sich arbeiten lassen. Solange das aber nicht so ist, lassen wir uns nicht von Geschwätz wie "neue Selbständigkeit", "Sabbaticals", "Ich-AG" usw. die Schuld zuweisen, wenn wir arbeitslos werden. Verantwortlich ist das Kapital, wenn es unfähig ist, uns zu beschäftigen! Wir haben uns den gesellschaftlichen Zustand nicht ausgesucht, der uns zwingt, unsere Arbeitskraft zu verkaufen, um leben zu können!
Die Bundesanstalt für Arbeit, so die Hartz-Kommission, soll künftig nicht mehr so heißen. Sie sei nicht für Arbeit zuständig, sondern für "effiziente Dienstleistung am Arbeitsmarkt".
Die Arbeitskraft soll möglichst billig und für ihre Nutzer möglichst flexibel verfügbar sein. Zu diesem Zweck sollen die Menschen, die die Träger dieser Arbeitskraft sind, ihre Bedürfnisse maximal zurückstellen. Sowohl Konsumbedürfnisse wie Bedürfnisse nach einer selbstgesteuerten Lebensplanung. Sie sollen an dem Ort und zu dem Zweck verfügbar sein, die das Kapital wünscht. Und sie sollen sich schuldig fühlen, wenn das Kapital sie nicht zu beschäftigen wünscht.
Nicht das Kapital schafft allen gesellschaftlichen Reichtum, sondern die arbeitenden Menschen tun es. Nicht sie sind vom Kapital abhängig, sondern umgekehrt. Ohne deren Arbeit könnte das Kapital sich nicht erhalten und vermehren. Doch ohne das Kapital könnten die arbeitenden Menschen den von ihnen geschaffenen Reichtum für ihre eigenen Bedürfnisse nutzen. Die vorhandene Arbeit könnte auf alle verteilt werden, und niemand müßte arbeitslos sein. Steigende Produktivität würde nicht zur Arbeitslosigkeit führen, wie das heute der Fall ist, sondern zur Verkürzung der Arbeitszeit für alle.
Solange das nicht der Fall ist, wenden wir uns gegen jede Verschlechterung der Schutzrechte für Arbeitslose. Insbesondere fordern wir:
Im übrigen haben wir einen ganz einfachen Vorschlag, wie der Arbeitslosigkeit drastisch entgegengewirkt werden kann, nämlich durch drastische Arbeitszeitverkürzung, sprich:
Üblicherweise machen Parteien vor den Wahlen Versprechungen, und nach den Wahlen kommt das dicke Ende. Wenn die "Versprechungen" vor den Wahlen schon so aussehen, was haben wir dann nach den Wahlen zu erwarten?
Glauben wir keinem von ihnen, wenn er behauptet, dieses oder jenes sei mit seiner Partei nicht machbar, zum Beispiel die Kürzung von Leistungen für Arbeitslose. Nur das ist nicht machbar, was wir verhindern!
Aber es ist nicht damit getan, sie nicht zu wählen.
Diskutieren wir mit Kolleginnen und Kollegen, in den Gewerkschaften, Arbeitsloseninitiativen und anderswo darüber, wie wir uns wehren können!
Es wäre Aufgabe der Gewerkschaften, Widerstand zu organisieren. Das wird aber nur geschehen, wenn wir von unten Druck ausüben! SPD-Geschäftsführer Müntefering hat die Spitzen der Gewerkschaften darauf eingeschworen, die "Reformvorschläge" der Hartz-Kommission nicht zu "zerreden", weil dies der SPD im Wahlkampf schade. (Financial Times Deutschland 27.6.) Man will sich beim Kapital unentbehrlich machen, indem man sagt: Nur wir, die SPD, können die Gewerkschaften und damit die ArbeiterInnen und unteren Angestellten an die Kette legen. Machen wir ihnen auch hier einen Strich durch die Rechnung!
Verdi-Vorsitzender Bsirkse hat erklärt: "Es kann aber nicht angehen, den Arbeitslosen selbst die Schuld an dem anhaltenden Desaster auf dem Arbeitsmarkt zu geben. An sie erginge bei einer Umsetzung der Hartz-Pläne die Aufforderung, ihre Arbeit noch billiger und unter prekären Bedingungen anzubieten. Und, noch schlimmer: Die Einführung der Ich-AG würde Arbeitslose gegen Beschäftigte mit einem existenzsichernden Gehalt ausspielen. Wer in diese Richtung geht, wird die Gewerkschaften zum Gegner haben." (FR 29.6.)
Nehmen wir Bsirkse und die Führer der anderen DGB-Gewerkschaften damit beim Wort!
Vertrauen wir Bsirskes Zusicherungen aber nicht. Im gleichen FR-Interview sagte er nämlich: "Ich nehme das Konzept des Kommissionsvorsitzenden Peter Hartz sehr ernst. Wir lehnen die Vorschläge nicht rundweg ab. Es sind gute Überlegungen dabei." Was soll dieses Geschwätz? Es kann doch nur dazu dienen, den unbedingt notwendigen Kampf gegen diese Angriffe zu hemmen!
Gewerkschaftsführer wie Zwickel, die die Vorschläge der Hartz-Kommission offen begrüßen, gehören aus der Gewerkschaft ausgeschlossen! Das ist arbeiter- und gewerkschaftsfeindlich! "Zwei Millionen Menschen wieder in Arbeit vermitteln - da machen wir mit", erklärte Zwickel. (Süddeutsche Zeitung, 2.7.) Sein Nachsatz, "an einigen Stellen" schieße die Kommission aber "übers Ziel hinaus", macht die Sache keinen Deut besser - das ist nur eine der üblichen Beruhigungspillen, die den Widerstand gegen den Angriff auf die Arbeitslosen und auf die gesamte Arbeiterklasse lähmen sollen.
Es ist bodenlos, wenn ein Gewerkschaftsführer wie Zwickel unverhüllt das verlogene Argument der Kapitalsvertreter übernimmt, durch Angriffe auf die Arbeitslosen könne man die Arbeitslosigkeit abbauen.
Nehmen wir die Verteidigung der Rechte der Arbeitslosen in die eigenen Hände!
Alle gemeinsam gegen das Kapital!
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