letzte Änderung am 1. August 2002

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Stellungnahme des ver.di Landesbezirks Bayern zu den Vorschlägen aus der Hartz-Kommission

  1. Zeiten, in denen ein Bundestagswahlkampf und eine wieder steigende Arbeitslosigkeit zusammen fallen, erzeugen offensichtlich arbeitsmarktpolitische Patent- und Primitivrezepte. So ist auch das Versprechen der Hartz-Kommision, die Arbeitslosigkeit bis 2005 zu halbieren – von rund 4 Mio auf knapp unter 2 Mio registrierte Arbeitslose – zu erklären. Diese Halbierung der Arbeitslosigkeit lässt sich in einer Intensivierung und Beschleunigung der Vermittlung der Arbeitslosen in Arbeitsplätze nicht realisieren. Im Mai 2002 standen 4,043 Mio registrierte Arbeitslosen 468 Tsd. offene Stellen gegenüber. Die in der Debatte um die Pläne der Hartz-Kommission genannte Zahl von 1,5 Mio offenen Arbeitsplätzen ist eine Phantomzahl. Ein rundes Drittel davon ist nur durch Fluktuation (Wechsel von Arbeitsplatz zu anderen Arbeitsplätzen mit kurzfristiger Nichtbesetzung) zu erklären. Ein weiteres Drittel ist hochqualifizierten und hoch leistungsfähigen Arbeitnehmern vorbehalten, zielt also nicht auf die registrierten Arbeitslosen. Das Versprechen der Hartz-Kommission ist bei seriöser Betrachtung des Arbeitsmarktes völlig haltlos.

  2. Ein Halbierung der Arbeitslosigkeit wird nur möglich sein, wenn die Zahl der angebotenen Arbeitsplätze kräftig steigt. Das geht aber nicht übe eine Intensivierung der Vermittlung, sondern nur über eine andere makroökonomische Politik, d.h. über expansive Finanzpolitik des Staates und eine expansive Geldpolitik (d.h. Senkung der Leitzinsen) der Zentralbank. Dieser Kurswechsel in der makroökonomischen Flankierung von Arbeitsmarktpolitik wird von Rot-Grün ebenso wie im Konzept von Stoiber und Späth ausdrücklich nicht angestrebt.

  3. In einer Reihe von Vorschlägen sind sich Vertreter der Hartz-Kommission und Stoiber und Späth in den Grundzügen einig. Das betrifft die weitere Verschärfung der Zumutbarkeitsregeln und die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe. Gemeinsam ist beiden Konzepten der verstärkte Druck auf den bereits existierenden Niedriglohnsektor. Damit wird die tarifpolitische Handlungsfähigkeit der Gewerkschaften direkt geschwächt. Beide Vorschläge sind von der neoliberalen Sicht, dass die Verantwortung für Beschäftigung beim Arbeitsmarkt liege, geprägt. Diese Sicht ist falsch: Wenn makroökonomisch nichts für einen höheren Beschäftigungsgrad getan wird, wirkt die weitere Deregulierung und Flexibilisierung des Arbeitsmarktes nur in Richtung einer weiteren Erosion der Rechtsposition der Arbeitslosen. Sie gefährdet zudem die Beschäftigungschancen im Niedriglohnsektor, da damit zu rechnen ist, dass regulär Beschäftigte durch subventionierte und erzwungene Leiharbeit verdrängt werden.

Angesichts dieser Risiken ist die Reaktion des DGB auf die Vorschläge der Hartz-Kommission sachlich nicht begründbar. Der ver.di Landesbezirk Bayern lehnt die Vorschläge der Hartz-Kommission ab. Im Gegensatz dazu orientiert sich ver.di Bayern an folgenden Grundsätzen der Arbeitspolitik:

Der Grundsatz "Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren" wird in der politischen Debatte vielfach dahingehend fehlinterpretiert, die passiven Leistungen zu Lasten der Betroffenen zu kürzen.

Angesichts der bestehenden Arbeitsplatzlücke liegt das Problem offensichtlich nicht in der angeblichen Arbeitsunwilligkeit der Betroffenen. Passive Leistungen tragen dazu bei, das heutige Lohnniveau zu halten. Sie ermöglichen soziale Sicherung und sind eine wesentliche Grundlage für die erfolgreiche Arbeitsplatzsuche. Konkret bedeutet dies: Die bestehenden Leistungen dürfen nicht nur nicht noch weiter reduziert werden, sondern müssen um eine armutsfeste Mindestsicherung ergänzt werden. Leistungskürzungen der vergangenen Jahre - wie Abschaffung der originären Arbeitslosenhilfe oder die jährlich stattfindende Herabbemessung der Arbeitslosenhilfe um 3 % müssen zurück genommen werden.

Die passiven Leistungen stellen gleichzeitig auch die Basis für die Qualität der aktiven Arbeitsmarktpolitik dar. Sie bieten einen Anreiz für die Arbeitsämter, den Betroffenen eine attraktive arbeitsmarktpolitische Maßnahme vorzuschlagen. Die bestehenden passiven Leistungen dürfen auch aus diesem Gesichtspunkt nicht noch weiter reduziert werden.

Die Beitragsfinanzierung als Grundlage der Arbeitslosenversicherung ist alleine schon aus verteilungspolitischen Gründen aufrecht zu erhalten. Um die Einheit von aktiven und passiven Leistungen nicht zu zerstören, ist eine Aufteilung zwischen beitragsfinanzierter

Lohnersatzleistung einerseits und steuerfinanzierter aktiver Arbeitsmarktpolitik andererseits zu vermeiden. Allerdings muss die Beitragsfinanzierung durch steuerfinanzierte Mittel ergänzt werden, um die Ausgleichsfunktion zwischen den Regionen nicht nur den Beitragszahlern aufzubürden und um eine antizyklische Arbeitsmarktpolitik betreiben zu können.

Die Beitragsfinanzierung sollte durch einen regelgebundenen steuerfinanzierten Bundeszuschuss ergänzt werden, dessen Höhe sich an der Höhe der Arbeitslosenzahl bemisst. Weiterhin ist über den Weg einer Arbeitsmarktabgabe die Einbeziehung der Beamten und Selbständigen in das Finanzierungssystem zu realisieren. Letzteres gerade auch vor dem Hintergrund, dass die aktuelle Arbeitsmarktpolitik instrumentell "neue Selbständigkeit" als erfolgversprechenden Ausstieg aus der Arbeitslosigkeit favorisiert.

Zusammengefasst:

V.i.S.d.P.:

ver.di Landesbezirk Bayern
Christine Saurer, Vorsitzende
Schwanthaler Str. 64, 80336 München
Tel. 0 89 – 5 99 77 – 2102 Fax 0 89 – 5 99 77 – 2199

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