letzte Änderung am 28. Febr. 2003

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He will not be moved...

Bericht von einer Veranstaltung der IG Metall Berlin zur Reform des Arbeitsmarktes (Hartz) am Montag, den 24. Februar 2003 zur "aktuelle[n] Gesetzeslage [...] und unser[em] weitere[n] politische[n] Vorgehen"

Gestern war eine Veranstaltung der IG Metall Berlin zu Hartz. Die Einladung ging an "Funktionäre/innen unserer Verwaltungsstelle": "Alle an diesem Thema interessierte Mitglieder können an dieser Veranstaltung gerne teilnehmen". Das Publikum bestand wesentlich aus FunktionärInnen und BetriebsrätInnen/BetriebsaktivistInnen der

IGM, es waren aber auch eine ganze Reihe interessierter Leute aus dem Erwerbslosen/Anti-Hartz-Spektrum da. Insgesamt waren ca. 60-80 Leute anwesend.

Zum Hintergrund: Am 30.11.2002 hatte die Delegiertenkonferenz der IG Metall Berlin mit großer Mehrheit (nach meiner Erinnerung 87:12) einen Beschluss gefasst, die Umsetzung der Hartz-Pläne "mit allen Mitteln" -- insbesondere in Hinblick auf Leiharbeit -- zu behindern/bekämpfen und den Vorstand/Geschäftsführung aufgefordert entsprechend innerhalb der IGM Hierarchie nach oben zu wirken.

Die Veranstaltung begann mit länglichen Ausführungen Arno Hagers (1. Bevollmächtigter der IG Metall Berlin IGM), die er damit einführte, nun erklären zu wollen, was er nach "Eurem Antrag" (er hatte wohl dagegen gestimmt) gemacht habe um diesem zu genügen. Dazu erklärte er, wie und mit welchen Argumenten auf der IGM Beiratssitzung der Antrag der IGM und weiterer 3 Regionalorganisationen, die in ähnliche Richtung gingen, nicht durchkam.

Die Ausführungen hatten den Charakter eines ungemein geduldigen Vaters, der seinen trotzköpfigen Kindern erklärt, warum sie nicht kriegen können, was sie haben wollen. In diesem Zusammenhang bemühte er mehrere Overheadfolien mit Statistiken zu Erwerbsarbeit und Arbeitsmarkt mit Vergleichen der BRD zu den OECD-Staaten. In seinen Ausführungen hatte "Deutschland" mehrere Probleme, darunter den hohen Anteil von Langzeitarbeitslosen an der Gesamterwerbslosigkeit etc. Eine der tieferen und von ihm mehrfach angeführten Einsichten war, dass in Ländern mit niedrigerer Erwerbslosigkeit der Anteil der Erwerbstätigen an der Gesamtgesellschaft höher ist.

Die Politik der IG Metall orientierte sich in der Darstellung Arno Hagers wesentlich auf die Lösung von Problemen des Standorts (ein Wort, das er nicht in den Mund nahm) Deutschland, die "bewegt" werden müssten. Dabei sprach er sich u. a. für einen Umbau des Sozialstaates aus, wobei er abwechselnd Dänemark, Schweden und die Niederlande als positive Beispiele nannte.

In der anschließenden Diskussion sprachen jeweils einige Personen aus dem Publikum, dann antwortete Arno Hager (weitgehend in Variationen seines Eingangsstatements) und dann wiederholte sich das Spiel.

Ausnahmslos alle Redebeiträge aus dem Publikum kritisierten weit über die jeweiligen Positionen Arno Hagers hinausgehend die Fahrpläne bzw. die Gesetze der rot-grünen Regierung zur Reform des Arbeitsmarktes. Naheliegenderweise drehte sich die Kritik des Publikums hauptsächlich um den Bereich Leiharbeit, weil die in lohnabhängiger Beschäftigung stehenden Mitglieder der IGM an diesem Punkt am ehesten persönlich von den Gesetzesänderungen betroffen sind oder als Betriebsratsmitglieder mit der Regulierung (d. h. hier dem Versuch der Verhinderung) von Leiharbeit im Betrieb befasst sind.

Aus allen Redebeiträge sprach Verwunderung, Enttäuschung und Frustration, dass die "eigene" Gewerkschaft einen neoliberalen Kurs mittrage und sich damit das Argument zu eigen mache, Schuld an der Erwerbslosigkeit seien zu hohe Löhne.

Mehrere Redebeiträge kritisierten ausdrücklich, dass die Führung der IGM Berlin den Beschluss vom 30. November nicht umgesetzt habe. Tatsächlich wurden auf der Veranstaltung keine Maßnahmen der IGM bekannt, die der Umsetzung des Beschlusses oder auch nur dessen Bekanntmachung gedient hätten.

Arno Hager, der zusammen mit dem Redeleiter "mit dem Rücken zur Wand" dem Publikum frontal gegenüber saß, reagierte auf diese Kritik einmal mit der Beteuerung seiner demokratischen Einstellung: bei ihm müssten die Funktionäre für die Mitglieder und deren Beschlüsse funktionieren. Er fügte allerdings keine Beispiele an, wie das im Fall des fraglichen Beschlusses geschehen sei.

Insgesamt wurde in der Veranstaltung nur in wenigen Momenten die Anordnung durchbrochen, in der ein kritisches Publikum sich an einem Übervater abarbeitet ohne dessen Funktion jemals in Frage zu stellen. Ein lichter Moment in dieser Hinsicht war der Redebeitrag einer GEW-Betriebsrätin, die den anwesenden Metallern erklärte, in der GEW sei die Beschlusslage und auch die Umsetzung ähnlich, woraus nur der Schluss gezogen werden könne, dass die gewerkschaftlichen Hartz-KritikerInnen sich quer zu ihren Gewerkschaftsorganisationen direkt vernetzen müssten.

Von solchen Momenten abgesehen hatte Arno Hager die Veranstaltung zu jedem Zeitpunkt im Griff. Die Veranstaltung endete mit dem Vorsatz die Diskussion fortzusetzen. Unklar blieb, wozu eigentlich.

Max Müller
25.02.2003

(Alle Zitate aus der Einladung bzw. aus Redebeiträgen)
Überschrift in Anspielung auf "We shall not be moved...": http://www.8ung.at/kampflieder/lieder/move.htm

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