letzte Änderung am 14. Nov. 2002 | |
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Während sich die Vorstände der Gewerkschaften bzw. des DGB mit ihrer Kritik an der Umsetzung der Hartz-Pläne auch nach den Wahlen zurückhalten, weiterhin ihre Bereitschaft zum tarifierten Untertarif für die staatlich »aktivierten« Leiharbeitskräfte signalisieren oder gar ähnlich wie Schröder eine »Umsetzung nur im Paket« fordern, ist das für Recht und Personengruppen zuständige Ressort 5 beim ver.di-Bundesvorstand klüger und um einiges kritischer. Wir dokumentieren Auszüge aus der vom 16. September datierenden Stellungnahme, in der eine ganze Reihe juristischer und rechtspolitischer Einwände formuliert werden: Einige der Vorschläge gehen weder mit dem Grundgesetz noch mit EU-Recht konform.
Ein Netto-Zuwachs an Beschäftigung und eine damit verbundene reale Senkung der Arbeitslosigkeit kann allein von der Schaffung neuer Arbeitsplätze (durch Arbeitszeitumverteilung, Wirtschaftswachstum, etc.) erwartet werden. Überlegungen zur Beschäftigungspolitik waren indes nicht im Auftrag an die »Hartz-Kom-mission« enthalten und sind folglich auch nicht Gegenstand des Beschlusses der Bundesregierung vom 21. August 2002 (»Eckpunkte für eine neue Ordnung auf dem Arbeitsmarkt«, Anm. d. Red.). Im Vordergrund derselben stand (und steht) eine Reorganisation der Arbeitsmarktpolitik. Arbeitsmarktpolitische Instrumente und Strukturen können geeignet sein, innerhalb des bestehenden Beschäftigungsvolumens einen höheren und schnelleren »Umsatz« bei frei werdenden Stellen zu erzielen. Jedoch besteht zugleich die Gefahr eines Austauschs »anständiger« Arbeitsplätze gegen schlecht bezahlte und schwach geschützte Jobs (u.U. mit hoher Geschwindigkeit). Auf diese Frage müssten alle vorzuschlagenden Gesetzesänderungen abgeprüft werden.
Sowohl das »Hartz-Papier« als auch der »Eckpunkte-Beschluss« der Bundesregierung vom 21. August sind als politische Papiere zu verstehen. Entscheidend dürfte letztlich sein, in welche Gesetze tatsächlich eingegriffen wird und welche Rechtstexte schließlich wie formuliert werden. Nicht auszuschließen eher: zu befürchten sind bei »besten Absichten« untaugliche Nebenwirkungen. (...)
In den Äußerungen der Hartz-Kommission und im Beschluss der Bundesregierung kann eine Reihe von interessanten Überlegungen und sinnvollen Ansätzen ausgemacht werden. Fraglich ist, ob (bzw. bei welchem Zuschnitt) gesetzte Ziele mit den vorgeschlagenen Schritten in Einklang stehen und ob die Effekte unter dem Strich auch tatsächlich erzielt werden. Einer beträchtlichen Zahl von Maßnahmen ist wegen der hohen negativen Nebenwirkungen schlicht entgegenzutreten. (...)
PersonalServiceAgenturen Zeitarbeit / Arbeitnehmerüberlassungsgesetz: »Zeitarbeit als Beschäftigungschance nutzen. Deshalb: Personal Service Agenturen in jedem Arbeitsamtsbezirk einrichten.« (Vgl. Hartz-Modul 8)
Aus der Perspektive der Europäischen Sozialcharta bestehen hinsichtlich der Höhe des Arbeitsentgelts insbesondere in der Probephase (Art. 4 Abs. 1 ESC) und weitreichender Sanktionen im Fall der Verweigerung der Annahme von Arbeit (Art. 1 Abs. 2 ESC) weitere Bedenken. (...)
Mini Jobs in privaten Haushalten: »Neue Beschäftigungsfelder erschließen. Deshalb: Beschäftigung in privaten Haushalten fördern.« (Vgl. Hartz-Modul 9)
Mit der Anhebung der Geringfügigkeitsgrenze (um über 150 Euro) auf 500 Euro ist eine Ausdehnung des sozial schlechter geschützten Beschäftigungssegments verbunden. Ein (noch) größerer Personenkreis wird somit von wichtigen Bestandteilen der Sozialversicherungen ausgeschlossen. In den sogenannten »Haushaltsnahen Dienstleistungen« werden überwiegend Frauen zu Niedriglöhnen beschäftigt (Minijobs). Dadurch können überwiegend Frauen keine oder nur stark eingeschränkte eigenständige Ansprüche gegenüber Sozialversicherungen, aus Tarifverträgen oder betrieblicher Altersversorgung erlangen. Eine Ausweitung der geringfügig Beschäftigten könnte daher möglicherweise mit EG-rechtlichen Grundsätzen (Verbot der Diskriminierung, Entgeltgleichheit) nicht vereinbar sein. Zudem bleibt bislang die Frage offen, ob die erst in dieser Legislaturperiode eingeführte Möglichkeit für die Beschäftigten in geringfügiger Beschäftigung bestehen bleibt, durch eigene Einzahlung des Arbeitnehmeranteils Rentenversicherungsansprüche zu erwerben. (...)
Ich-AG & Familien-AG: »Zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten erschließen und Schwarzarbeit abbauen. Deshalb: Ich-AG bzw. Familien-AG als neue Form der Erwerbstätigen einführen.« (Vgl. Hartz-Modul 9)
Die zu erwartende Umsetzung der Vorschläge der Hartz-Kommission zur Ich-AG und Familien-AG wird eine Modifizierung der bisherigen gesetzlichen Regelung in § 7 Abs. 4 SGB IV einschließlich des in den §§ 7a und 7b geregelten Anfrageverfahrens erfordern[1]. Es ist kaum vorstellbar, dass diese Kriterien neben der Einführung einer sogenannten »kleinen Selbständigkeit« bestehen bleiben können. Faktisch würde dies in der Umsetzung des Moduls dazu führen, dass die Merkmale des Kriterienkataloges aus § 7 Abs. 4 unterlaufen würden, wenn nicht mindestens ihr Regelungsgehalt im Verhältnis zur »Kleinen Selbständigkeit« gesetzlich definiert wird.
Die sozial- und rechtspolitische Sinnhaftigkeit dieses Vorschlages der Hartz-Kommission erscheint mehr als zweifelhaft. Die ganz praktisch wirksam werdende weitere Aushöhlung der derzeitigen sozialrechtlichen Bestimmungen wird durch eine Ausweitung der Umgehungsmöglichkeiten verstärkt werden: Wer will verhindern, wie in den Nachbarländern bereits praktiziert, dass neben die offizielle Selbständigkeit weiterhin die Schwarzarbeit tritt und dass ein Arbeitgeber die neuen, zusätzlichen Möglichkeiten nutzt, um nunmehr auch noch unterstützt durch öffentliche Gelder Arbeitsplätze noch weiter abzubauen und die bisherigen eigenen Beschäftigten via Arbeitsamt in die Selbständigkeit zu entlassen? Sozialpolitisch werden dabei insbesondere die Folgen für die Berufstätigkeit von Frauen problematisch sein. Sie werden als mitarbeitende Familienangehörige in größere finanzielle Abhängigkeiten gelangen mit all den bekannten sozialen Folgen.
Positiv scheint bei der Ich-AG allein der Ansatz, diese Form der Selbständigkeit während der Übergangs- und Förderungsphase in die Sozialversicherungspflicht zu übernehmen. ver.di sollte dies im Rahmen eines Gesamtkonzeptes zur sozialversicherungsrechtlichen Absicherung wirtschaftlich abhängiger Selbständiger begleiten und prüfen, inwieweit Erfahrungen aus der Entwicklung der Künstlersozialversicherungskasse auf berufliche Tätigkeit insgesamt übertragen werden können. Dies wäre eine sinnvolle Konsequenz aus den Vorschlägen der Hartz-Kommission und den Eckpunkten der Bundesregierung.
Arbeitsvermittlung: »Vermittlungskompetenz und Vermittlungsgeschwindigkeit erhöhen. Deshalb: Leistungsrecht vereinfachen, Beratungsteams einsetzen, Meldepflicht bei Kündigung einführen.« (Vgl. Hartz-Modul 2)
Die sofortige Meldepflicht (bei Erhalt der Kündigung bzw. unverzüglich nach Kündigung) beim Job-Center und die beabsichtigte Kürzung des Arbeitslosengeldes bei Verletzung der Meldepflicht dürfte aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen bedenklich sein. Einerseits darf von einem Arbeitnehmer rechtlich nichts verlangt werden, was tatsächlich unmöglich ist (z.B. bei Erhalt der Kündigung zu Beginn der Spätschicht, auf Montage weit entfernt vom zuständigen Job-Center, oder Erhalt während krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit). Zum anderen müssen z.T. aus Rechtsgründen die Bemühungen um Weiterbeschäftigung Vorrang haben (rechtliche Beratung, Ansprechen des Betriebsrats oder eines Anwalts). Ungeklärt ist die Situation bei Änderungskündigungen (drei Wochen Bedenkzeit für Kündigungs- oder Änderungskündigungsschutzklage). Grundsätzlich muss unabhängig von der im Einzelfall gegebenen und zu beachtenden psychischen Ausnahmesituation das Bemühen um Weiterbeschäftigung und der Erhalt des Arbeitsplatzes Vorrang haben.
Die Vermittlungsgeschwindigkeit wird unter Vermeidung der vorgenannten Probleme auch erhöht, wenn der Arbeitgeber mit der Aushändigung der Kündigung auch das Job-Center informiert. Bei Massenentlassungen besteht bereits eine entsprechende Verpflichtung (§ 17 KSchG; Kündigungsschutzgesetz, Anm. d. Red.) vor Ausspruch der Kündigung.
Bei dem beabsichtigten Einsatz von Urlaubsansprüchen für die Beschäftigungssuche bleiben zwingende Vorgaben des Urlaubsgesetzes (Erholungszweck) zu beachten. Gleiches gilt für Arbeitszeitguthaben (z.B. Ausgleich für Nacht- und Schichtarbeit, Überstunden).
Jugendliche: »Bessere Beschäftigungsperspektiven für Jugendliche eröffnen. Deshalb: Ausbildung und Beschäftigung für junge Menschen fördern.« (Vgl. Hartz-Modul 4)
Die Einführung eines AZWP (Ausbildungszeitwertpapiers) wirft aus mehreren Blickwinkeln erhebliche rechtliche Probleme auf. Völlig ungeklärt sind die Voraussetzungen, unter denen für einen Jugendlichen ein AZWP erworben werden kann und die sich daraus ergebenden Ansprüche auf einen Ausbildungsplatz. (Wer bekommt wie ein AZWP? Besteht ein einklagbarer Anspruch? Woher kommen die (zusätzlichen) Ausbildungsplätze?)
Jugendliche, die aufgrund fehlender finanzieller Mittel kein AZWP vorweisen können, werden so von der staatlich geschaffenen Ausbildungsplatzgarantie ausgeschlossen. Das dürfte nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgericht wegen eines Eingriffs in die Berufsfreiheit gemäß Art. 12 GG verfassungswidrig sein.
Die Aufnahme von Betrieben in die staatliche Förderung von Ausbildungsplätzen soll lediglich von der Anzahl der Ausbildungsplätze an einem Stichtag abhängig gemacht werden. Das Ausblenden sonstiger Gesichtspunkte bei der Vergabe von Fördermitteln, wie das Verhältnis von Betriebsgröße zu Ausbildungsplätzen, erscheint auch im Hinblick auf die verfassungsrechtlich vorgeschriebene Gleichbehandlung verfassungsrechtlich bedenklich.
Das AZWP ist geeignet, die Finanzierung beruflicher Bildung auf die Auszubildenden abzuwälzen. Es steht im Kontext der Abwehr der Umlagefinanzierung von beruflicher Erstausbildung. Es kann insofern auch gegen fortwährende Appelle an die Ausbildungspflicht bzw. -bereitschaft der Betriebe eingesetzt werden.
Für die Bundesregierung ist das AZWP nur eines von mehreren Elementen. Sie verweist ausdrücklich auf Zuschüsse für einschlägige gemeinnützige Stiftungen. Das AZWP könnte damit geeignet sein, die Finanzierung beruflicher Bildung (indirekt) auf öffentliche Kassen abzuwälzen.
Ältere Beschäftigte: »Wissen und Fähigkeiten älterer Menschen nutzen. Deshalb: Bridgesystem in Beschäftigung aufbauen.« (Vgl. Hartz-Modul 5)
Im Rahmen des fünften, so genannten »Innovationsmoduls« zur Förderung älterer Arbeitnehmer und des »BridgeSystems« schlägt die Kommission vor: »Die Möglichkeit der befristeten Beschäftigung Älterer kann ausgeweitet werden, indem die Altersgrenze für die erweiterte Befristungsregelung von jetzt 58 Jahre auf 50 Jahre vorverlegt wird«.
a) Kollisionen des Vorschlags mit dem deutschen Recht: Durch die dazu notwendige Änderung des TzBfG (Teilzeitbefristungsgesetz, Anm. d. Red.) würde der Kündigungsschutz für Beschäftigte schon ab dem 50. Lebensjahr umgangen. Eine mit diesem Alter einsetzende Diskriminierung älterer Beschäftigter verstößt gegen den Gleichheitsgrundsatz des GG (siehe auch unten: EU-Recht). Auch ist zu befürchten, dass Schwerbehinderte dieser Altersstufe von der Neuregelung besonders betroffen wären.
b) Kollisionen des Vorschlags mit dem EG-Recht:
1) § 7 Abs. 4 SGB IV ist das von Rot-Grün erst geschaffene Gesetz zur Bekämpfung der Scheinselbständigkeit, §§ 7a und 7b regeln das Verfahren zur Feststellung eines Beschäftigungs- oder Scheinselbständigkeitverhältnisses, Anm. d. Red.
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