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Updated: 18.12.2012 15:51
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Wer erfand Hartz IV?

Das Drama begann, vor gut zehn Jahren, mit der Einberufung der Kommission “Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt”, besser bekannt als “Hartz-Kommission“. Die 15 Mitglieder der Kommission teilten sich für ihre Arbeit in fünf Teilprojekte auf.
In diesem Artikel geht es insbesondere um das Teilprojekt II der Kommission Lohnersatzleistungen und Sozialhilfe. Verantwortlich für dieses Teilprojekt waren

             Isolde Kunkel –Weber, Mitglied des ver.di- Bundesvorstandes
             Harald Schartau, Bezirksleiter der IG-Metall in NRW
             Wolfgang Tiefensee, Oberbürgermeister von Leipzig

Alle drei waren Mitglieder der SPD und sind es wohl noch. Harald Schartau war gerade zum Minister für Arbeit und Soziales in NRW aufgestiegen ( ihn ersetzte dann in der Hartz-Kommission sein Nachfolger im Amt des IG-Metall-Bezirksleiters, Peter Gasse) und Wolfgang Tiefensee wurde später zum Bundesverkehrsminister ernannt. Isolde Kunkel-Weber ist nach wie vor Mitglied im ver.di-Bundesvorstand, leitet den ver.di-Fachbereich Sozialversicherung und ist außerdem Personalchefin der Gewerkschaft. Das sind zweifellos hoch angesehene und gut bezahlte Tätigkeiten, weit entfernt vom Elend der Millionen Hartz IV-Bezieher.

Gewerkschafter, Experten für Sozialrecht, missbraucht vom Kanzleramt?

Aber, ihr Teilprojekt II führte, immerhin, zum Modul 6 des Berichts der Kommission Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe und wurde als fast einziges Modul später mit der Verabschiedung des neuen Sozialgesetzbuches II (Hartz IV) auch umgesetzt. Sie waren also direkt beteiligt am Zustandekommen von Hartz IV.
Größere Verantwortung für die Zerstörung der bewährten sozialen Sicherungssysteme tragen ganz sicher Gerhard Schröder, Wolfgang Clement, Walter Riester, Frank-Walter Steinmeier, Franz Müntefering…, sowie die große Mehrzahl der Bundestagsabgeordneten von SPD, CDU/CSU, Grünen, FDP, und, mehr im Hintergrund agierend, die Vertreter der Banken und Konzerne. Dennoch sollte die Rolle der Gewerkschafter in der Hartz-Kommission und für das Zustandekommen
der nachfolgenden Gesetze nicht unterschätzt werden. Kunkel-Weber, Schartau und später Gasse, galten vielen Gewerkschaftsmitgliedern als Garanten für eine weiterhin soziale Gesetzgebung. Dieser Rolle konnten sie jedoch nie gerecht werden, weil die Marschroute in Richtung Sozialabbau vom Kanzleramt in Übereinstimmung mit der EU-Politik, bereits vor Einberufung der Hartz-Kommission festgelegt worden war.

Nun könnte man fragen: warum waren sie trotzdem zur Mitarbeit bereit? Wussten sie nicht von den Planungen in Brüssel und im deutschen Kanzleramt? Glaubten sie den Lügen, die führende Sozialdemokraten vereint mit der BILD-Zeitung über Arbeitslosengeld- und Sozialhilfe-Empfänger verbreiteten? Oder durchschauten sie das miese Spiel und wussten ziemlich genau wohin die Reise gehen sollte? Verstanden sie ihre Mitarbeit vielleicht als Beitrag zur Verhinderung einer sozialen Revolte? Manches deutet darauf hin, dass letzteres ihr Motiv gewesen sein könnte. Es gibt auch KollegInnen die meinen, Kunkel-Weber, Schartau und Gasse hätten sich selbst überschätzt, seien unvorsichtig gewesen und dann in die große Bärenfalle getappt.

Gewerkschaftsführung begrüßt die Vorschläge der Hartz-Kommission und weigert sich (bis heute) die Rücknahme von Hartz IV zu verlangen

Trotz steigender Kritik innerhalb der Gewerkschaften sprach sich die Gewerkschaftsführung am 16.August 2002 für die Vorschläge der Hartz-Kommission aus. Der DGB-Vorsitzende Michael Sommer sagte dazu auf seiner Pressekonferenz am selben Tag:“…da hat sich der DGB-Bundesvorstand intensiv beraten. Er hat sich vom Kommissionsmitglied Isolde Kunkel-Weber umfassend informieren lassen und ist nach 4 1/2-stündiger Beratung zu dem einstimmigen Beschluss gekommen, dass der DGB und seine Gewerkschaften das Gesamtkonzept der Hartz-Kommission begrüßt.“

Damit hat die Gewerkschaftsführung alle Zumutungen begrüßt, auch den Ausbau des Arbeitsamtes zur Leih- und Zeitarbeitsfirma. Das sogenannte Herzstück bildete die Einrichtung von Personal Service Agenturen. Das heißt, die Einrichtung von Zeitarbeitsfirmen unter der Regie des Arbeitsamtes. Ebenso begrüßt wurde die Verschärfung der Zumutbarkeitsregelung mit Umkehr der Beweislast, die Androhung von Leistungsentzug bei „mangelnder Kooperation“ mit dem Arbeitsamt und, und…

Die Folgen kann man auch an diesem Beispiel verdeutlichen: Ein 50-jähriger Opel-Arbeiter in Bochum, der wegen der ins Schleudern geratenen Konzernmutter General Motors arbeitslos geworden ist, hat 35 Jahre Steuern und Beiträge bezahlt, Kinder großgezogen und eine gute Arbeit in seiner Firma abgeliefert. Dank Hartz IV wird er nach einem Jahr Arbeitslosengeldbezug auf den untersten Level der Sozialleiter geschoben. Er wird zum Fürsorgeempfänger gemacht. Das Geld bekommt er erst, wenn er vorher fast alles versilbert hat, was er für sich und seine Familie erarbeiten konnte. Er wird auch enteignet, wenn er keinen Job bekommt. Die Parole „Fordern und Fördern“ beschränkt sich meist auf das Fordern. Der ehemalige Opel-Arbeiter wird behandelt, als hätte er nie einen Hammer in der Hand gehabt. Er wird aus der Verbindung zum Arbeitsleben völlig herausgerissen. Jahrelange Arbeit wird ignoriert.
Hartz IV ist die staatliche Missachtung der Lebensleistung dieser Menschen. Dieses Schicksal kann jedem blühen. Hartz IV hat eine flächendeckende negative Wirkung. Die Menschen bekommen Angst vor der Zukunft, weil sie nicht wissen können, wann sie von Arbeitslosigkeit betroffen sein werden.

Mit Hartz IV wird nicht die Arbeitslosigkeit sondern werden die Arbeitslosen bekämpft. Eine auf die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gerichtete staatliche Maßnahme hätte zum Beispiel Massenentlassungen verbieten und unter Strafandrohung stellen müssen, wenn diese das Ziel hätten, die Profitrate für die Eigentümer zu erhöhen. Die Firma Nokia durfte ihr Handywerk in Bochum schließen und etwa 2000 Arbeitnehmer in die Arbeitslosigkeit entlassen, obwohl das Werk profitabel war, die Profitrate den Eigentümern jedoch zu gering erschien. Ein fast unglaublicher Vorgang, aber leider kein Einzelfall.

Wir brauchen eine andere Gewerkschaftsführung

Was kann man von einer Gewerkschaftsführung noch erwarten, die in einer so wichtigen Frage versagt und die heute, gemeinsam mit den Arbeitgeberverbänden,
Ja sagt, wenn die Bundesregierung Milliarden an Banken und Spekulanten verteilt, anstatt diese Milliardenbeträge für die Finanzierung des Gemeinwesens zu verwenden? Beinahe täglich erfahren wir aus den Medien, die Finanzmarktkrise oder  Eurokrise sei noch nicht vorbei, ein Staatsbankrott im Euroraum nicht auszuschließen.
Gleichzeitig wird berichtet von Großbanken und -Konzernen, darunter auch solche die ihre Zentralen in Deutschland haben, die weltweit zusammengerechnet Billionenbeträge in Steueroasen verstecken, jederzeit bereit, damit gegen Landeswährungen zu spekulieren und ganze Volkswirtschaften in Bedrängnis zu bringen.

Wir brauchen eine Gewerkschaftsführung die fest auf der Seite der Arbeitnehmer steht,  die Ja zur Verteidigung und Wiederherstellung aller sozialen Rechte, die aber Nein sagt zu ESM, Fiskalpakt und Schuldenbremse.

Artikel von Robert Fröhlich, erschienen in der Zeitung "Soziale Politik & Demokratie" vom 17.5.2012  


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