letzte Änderung am 20. August 2002 | |
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Nein, es soll nicht am Detail herumgenörgelt werden! Schließlich geht es um die Richtung. Da hat der Kanzler ausnahmsweise Recht. Seit Freitag, dem 16. August, 11 Uhr liegt dem Land ein Gesamtkonzept für "modernen Dienstleistungen am Arbeitsmarkt" der gleichnamigen Reformkommission vor. Eine Frau und 14 Männer werden als "Hartz-Kommission" benannt nach dem Kommissionsvorsitzenden Peter Hartz, im Hauptberuf Personalvorstand bei VW und dort "Erfinder" des "5000 X 5000" Modells und der 4-Tagewoche sowie Propagandist der "atmenden Fabrik" in die Geschichte eingehen. Das 344 Seiten dicke Gesamtkonzept umfaßt 13 Module, die ineinandergreifen und deshalb solle keine "Rosinenpickerei" betrieben werden, so unisono die politischen Akteure auf allen Ebenen zumindest die, die dem Kanzler nahestehe. So ist keine Detailkritik erwünscht, Gesamtkritik schon gar nicht, es geht um die Richtung.
Mit Peter Hartz und seiner Kommission wurde ein "Nationales Politbüro" installiert, nächster Schritt ist dann ein "Masterplan", der von 6,1 Millionen "Profis der Nation" umgesetzt werden soll. Ein wahrlich innovatives Politikmodell. Raum für Debatte ist nicht vorgesehen. Gewählte Parlamente, Parteien und Fraktionen, Gewerkschaften und Arbeitsloseninitiativen sollen jetzt fressen, was die Hartz-Kommission angerichtet hat.
Am Freitag, den 16. August um 11 Uhr wurde in der deutschen Arbeitsmarktpolitik ein Paradigmenwechsel eingeleitet: Ausweitung des Niedriglohnsektors, Privatisierung des Arbeitslosenrisikos, Abwälzung des Unternehmerrisikos auf Beschäftigte und Umkehr der Beweislast bei der so genannten neuen Zumutbarkeit.
Der DGB begrüßt das Hartzsche Gesamtkonzept, "wir werden nicht mäkeln", so DGB-Chef Michael Sommer. Ein bißchen vorsichtiger ist IG Metall-Chef Klaus Zwickel: "Wir akzeptieren den Entwurf. Aber das schließ nicht aus, dass er in dem einen oder anderen Teil noch verändert werden muss." Bauchschmerzen bereiten Zwickel die Leiharbeits-Module. Immerhin! Dagegen spricht ver.di-Chef Frank Bsirske von einem "gelungenen Konzept".
Beim Sakralamt im Französischen Dom am vergangenen Freitag in Berlin war dann auch auffällig, dass die IG Metall nicht mit Vorstandsmitgliedern vertreten war. Sommer hat seine Vize Ursula Engelen-Kefer an seiner Seite und ver.di bot gleich drei Vorstände nebst zwei Pressesprecher auf: Kommissionsmitglied Isolde Kunkel-Weber dufte selbstverständlich nicht fehlen, zudem hüllte sich Margret Mönig-Raane und Frank Bsirske in feines Tuch und lächelten in alle Fernsehkameras.
"Statt endlose Grundsatzdebatten anzuzetteln und die Arbeitslosen weiterhin im Regen stehen zu lassen, hat die Kommission über innovative und ungewöhnliche Vorschläge zum Abbau der Arbeitslosigkeit beraten und gestritten", ist in einer Bewertung von ver.di zu lesen, abgegeben von einer "Projektgruppe "Hartz-Kommission" des Ressorts 1/10 also direkt dem Vorsitzenden unterstellt. Alleine diese Satz macht deutlich, wer da bei ver.di im Trust des Vorsitzenden arbeitet: Junge Technokraten ohne historischen Bezug, die ebensogut bei der Bertelsmann-Stiftung oder im Stab der Wirtschaftsweisen arbeiten könnten. "Die Hartz-Kommission hat ein Zukunftspaket geschnürt, das in entscheidenden Punkten unsere Handschrift trägt. Soziale Sicherung und zusätzliche Angebote zur Arbeitsmarktintegration sind in ein neues, besseres Verhältnis gebracht worden", so die Meinung dieser "new economysten" der ver.di.
Nein, auch hier soll nicht am Detail herumgemäkelt werden, da muss schon eher die Richtung aufs Korn genommen werden! Wer keine Grundsätze hat, braucht auch keine solche Debatte anzuzetteln. Mit diesem "Killerargument" kommt die ver.di-Projektgruppe in gefährliche Nähe solcher Zeitgenossen, die in anderem Zusammenhang sinngemäß sagten, wer nicht für uns ist, ist gegen uns! Wer im politischen Raum die Notwendigkeit von Grundsatzdebatten leugnet, sollte diesen schleunigst verlassen und bei Neckermann-Reisen als Animateure anheuern. Die Autoren tun gerade so, als ob je eine einzige Grundsatzdebatte die Schaffung von Arbeitsplätzen verhindert hätte. Wer läßt denn die Erwerbslosen im Regen stehen? Anders herum wird ein Schuh daraus: Der schon ewig anhaltenden Grundsatzdebatte der Deregulierer, die gebetsmühlenartig Abschaffung von Kündigungsschutz, Beschneidung des Arbeitsrechts und sozialen Kahlschlag fordern, muss die gewerkschaftliche Grundsatzdebatte über das bessere Leben, das möglich wäre, um die Ohren gehauen werden!
Hartz bezeichnet das Modul acht Aufbau von PersonalServiceAgenturen (PSA) als das "Herzstück" des gesamten Berichtes. Dieses Modul ist im Kausalzusammenhang mit Modul neun Ich AGs und Mini-Jobs zu sehen. Zu Recht bezeichnet der letzte IG Medien-Chef Detlef Hensche die hier propagierte Leiharbeit als "moderne Form der Zwangsarbeit". Während der Probezeit bei der PSA sollen Arbeitslose lediglich ihr Arbeitslosengeld erhalten. Auch die anderen Komponenten der beiden Module sind nichts anderes als Ladenhüter: geringfügige Beschäftigung im Haushalt und vermeintliche Selbständigkeit als Heilmittel gegen Schwarzarbeit. In Wirklichkeit wird hier aber ein legaler informellen Sektor aufgebaut. Der Hartz-Kommission und dem ver.di Ressort 1/10 sei dringend geraten, bei der nächsten Dienstreise nach Lateinamerika einmal durch die Straßen von Bogotá, Quito oder Caracas zu schlendern, um zu studieren, wie neue Selbständigkeit ausschaut: Hier machte sich ein informeller Sektor breit, der inzwischen an Beschäftigtenzahl die Zahl der in Produktion, Verwaltung und Landwirtschaft Beschäftigten übersteigt.
Mit der Zustimmung zu den Hartzschen Verheißungen amputieren sich die Gewerkschaften selbst. Sie verlassen das Feld des eigenständigen und selbstbewußten agierens. Sie mutieren zum Transmisionsriemen des Kanzleramtes und des Arbeitsministeriums. Der DGB und insbesondere ver.di tun alles, damit entweder rot-grün weiter regieren kann oder zumindest die SPD in einer möglichen großen Koalition die stärkere Partei wird. "Ihre" Genossen sollen weiter am Ruder bleiben das ist die Botschaft von Sommer und Bsirske, auch wenn sie anderes beteuern. Würden die Gewerkschaften nun sagen, "egal wer regiert, wir werden jede Regierung im Interesse unserer Mitglieder und aller abhängig Beschäftigter vor uns hertreiben" das wäre die Botschaft, bei der die gewerkschaftlichen Akteure über alle Zweifel erhaben sein könnten.
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