letzte Änderung am 4. Nov. 2002

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Antrag an ver.di Bezirkskonferenz Dortmund
zur sofortigen Weiterleitung an den Landesbezirk NRW, an Gewerkschaftsrat sowie an den Bundesvorstand ver.di

Die Umsetzung der Hartz-Empfehlungen zur Reform des Arbeitsmarkts und der Bundesanstalt verhindern !

Die Konferenz / der Kongress möge beschließen:

  1. Die Versammlung lehnt - ungeachtet einiger weniger positiver Elemente - die Empfehlungen der sog. Hartz-Kommission zur Reform des Arbeitsmarktes und der Bundesanstalt für Arbeit strikt ab.
    Auch wenn anerkannt wird, dass durch das Engagement der Kollegin Kunkel-Weber bei den Kommissions-Beratungen noch weitreichenderer sozialer Kahlschlag verhindert wurde, ist festzustellen, dass die verabschiedeten Empfehlungen einseitig Arbeitgeberinteressen vertreten und sozial völlig unausgewogen sind.
    Ein Großteil der Empfehlungen dreht sich um eine Ausweitung prekärer und niedrig entlohnter Arbeit und folgt damit der empirisch unhaltbaren Auffassung, dass zu hohe Lohnkosten für das Dilemma auf dem Arbeitsmarkt verantwortlich seien. Hier wird, begleitet von einem riesigen PR-Spektakel, versucht, dem schon ein Vierteljahrhundert andauernden gesellschaftlichen Problem millionenfacher Arbeitslosigkeit mit untauglichen Mitteln zu begegnen - auf Kosten der Interessen der Arbeitnehmer/-innen und in bewußter Inkaufnahme einer weiteren Erosion der sozialen Sicherungssysteme.
  2. Die neue Bundesregierung ist - trotz aller Warnungen, insbesondere von Seiten der Gewerkschaften, Kirchen und Sozialverbänden - fest entschlossen, die Empfehlungen der Kommission "schnellstmöglich Punkt für Punkt umzusetzen" (Koalitionsvertrag). Dies kommt einer Kampfansage an die Gewerkschaften gleich. Wir sind bereit, uns dem sich abzeichnenden Konflikt zu stellen, und werden uns entschieden für die Wahrung der Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitslosen einsetzen.
  3. Der Bezirksvorstand / Landesbezirksvorstand / Bundesvorstand wird aufgefordert, alle geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um eine Umsetzung der Hartz-Empfehlungen durch die Regierung bzw. das Parlament in Berlin zu verhindern.
    Angesichts der Brisanz der Empfehlungen und der Einseitigkeit der veröffentlichten politischen Meinung halten wir es für dringend geboten, das Thema Arbeitsmarktreform zu einem zentralen Schwerpunkt der Gewerkschaftsarbeit in den kommenden Monaten zu machen. Dazu gehört eine breit angelegte Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit in der Mitgliedschaft wie auch in den Betrieben.
  4. Die stellvertretende ver.di-Bundesvorsitzende wird aufgefordert, von weiteren positiven Bewertungen der Hartz-Vorschläge in der Öffentlichkeit Abstand zu nehmen.
  5. Der Beschluss wird den anderen Einzelgewerkschaften und den jeweiligen DGB-Gliederungen umgehend zur Kenntnis gegeben, um zu einer Vereinheitlichung der Positionen und zu einem möglichst abgestimmten Vorgehen beizutragen.

Beschluß des Erwerbslosenausschuss des ver.di-Bezirks Dortmund, 16.10.2002

 

Begründung:

So viel Einigkeit war selten. Westerwelle und der Bundeskanzler, Späth und Fischer, Zwickel und Rogowski (BDI), "Spiegel", "Zeit" und "Frankfurter Allgemeine" – alle lobten Peter Hartz und die Ergebnisse seiner Kommission.

Angesichts der Beifallsbekundungen scheut man sich fast, an die Binsenweisheit zu erinnern:

Millionen Menschen leiden nicht deshalb unter Arbeitslosigkeit, weil sie unwillig, anspruchsvoll, faul und schlecht qualifiziert sind, sondern weil Millionen Arbeitsplätze fehlen. Arbeitsplätze aber entstehen vornehmlich durch Wachstum – das die Bundesregierung nach allen Regeln der Spar-Kunst behindert – und durch Arbeitsumverteilung.

Schauen wir uns doch mal an, was die Hartz-Kommission so anbietet:

 

Für die Jungen: Ein Ausbildungszeit-Wertpapier

Die langjährig verletzte Verfassungspflicht der Wirtschaft, ein ausreichendes und auswahlfähiges Ausbildungsplatzangebot zu gewährleisten, wird auf die Bevölkerung überwälzt. Unsere alte und immer noch richtige Forderung "Wer nicht ausbildet, soll zahlen" verkehrt sich in ihr Gegenteil: "Wer ausgebildet werden will, soll zahlen" !

Es muss damit gerechnet werden, dass es zu einem dramatischen Abbau der von den Betrieben finanzierten Berufsausbildung kommt. Insgesamt würde damit das Ende der von den Arbeitgebern finanzierten Berufsausbildung eingeläutet.

Für die Älteren: Lohnversicherung und "Bridge System"

Erwerbslose ältere ArbeitnehmerInnen werden vor die Alternative gestellt, entweder zu finanziell nachteiligen Bedingungen aus dem Arbeitsmarkt auszuscheiden, um die Arbeitslosenstatistik zu bereinigen, oder sich in niedrig entlohnte Jobs drängen zu lassen. Dies ist genau das Gegenteil jener wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wertschätzung, die älteren ArbeitnehmerInnen angesichts des demografischen Wandels zu Teil werden sollte.

Für Arbeitslose: Verschärfte Zumutbarkeitsregelungen

Nach heutiger Regelung ist ein Vermittlungsangebot dann noch zumutbar, wenn das erzielbare Bruttoentgelt höchstens 20% (bis zum 3. Monat der Arbeitslosigkeit) bzw. höchstens 30% (bis zum 6. Monat der Arbeitslosigkeit) unter dem vormaligen Verdienst liegt. Bereits nach einem halben Jahr kann in allen Arten von Beschäftigungen vermittelt werden, deren Nettolohn die Höhe der Entgeltersatzleistung nicht unterschreitet. Es besteht kein Anspruch auf eine Vermittlung in eine qualifikationsgerechte Tätigkeit. Bei einer täglichen Arbeitszeit von mindestens (unter) sechs Stunden ist bislang eine Pendelzeit von 2,5 Std.(2 Std.) zumutbar.

Schon heute sind die Zumutbarkeitsregelungen also gravierend (siehe SGB III,§121). Die Regeln sollen künftig nach geografischen, materiellen, funktionalen und sozialen Kriterien neu gefasst werden. Künftig sollen alleinstehende Arbeitslose ab dem 1.Tag der Arbeitslosigkeit bundesweit vermittelbar sein; ab dem 6.Monat muss jeder Job akzeptiert werden, der finanziell in Höhe des ALG bzw. der Arbeitslosenhilfe liegt.

Es darf nicht sein, dass unabhängig von Qualifikation sowie Qualität und Einkommen des neuen Arbeitsplatzes z.B. jemand von Hamburg einen Arbeitsplatz im Hunsrück annehmen muss und eigene persönliche Lebensumstände und Bindungen jenseits von Ehe und Familie unwichtig sind.

Das reichte der Kommission aber noch nicht: "Um die Umsetzung zu gewährleisten", soll die Beweislast umgekehrt werden. Die Unzumutbarkeit eines solchen Angebotes soll der Arbeitslose demnächst selbst nachweisen.

Nur zur Erinnerung: Die Regelungen zur Zumutbarkeit sind seit 1975 bereits achtmal verschärft worden.

Leistungskürzungen

Zukünftig soll es drei Leistungen geben:

Sozialgeld entspricht der bisherigen Sozialhilfe. Sozialgeld erhalten nicht-erwerbsfähige Personen. Zuständig bleibt das Sozialamt.

Arbeitslosengeld I (AlgI) soll weitgehend dem heutigen Arbeitslosengeld entsprechen. Die jährliche Anpassung an die Lohnentwicklung wird aber gestrichen. Und: Bemessungsgrundlage ist grundsätzlich der Verdienst der letzten 12 Monate. Damit wird die günstige Bestandsschutzregel nach einer Beschäftigung mit geringerem Verdienst gestrichen.

Arbeitslosengeld II (AlgII) wird im Anschluss an das Alg I gezahlt und die Arbeitslosenhilfe ersetzen. Alg II erhalten alle arbeitsfähigen Personen - also auch Erwerbslose, die heute von Sozialhilfe leben.

Zur Konstruktion des Alg II heißt es im Hartz-Bericht ausdrücklich, dass die Leistung als "Fürsorgeleistung" angelegt sein soll. Was bedeutet die Umgestaltung zur Fürsorgeleistung? Das Alg II soll - ähnlich wie die Sozialhilfe heute - lediglich der "Sicherung des Lebensunterhaltes" dienen. Die Aufgaben der Arbeitslosenhilfe war eine andere, weitergehende. Sie sollte nämlich dazu beitragen, den alten Lebensstandard (wenigstens halbwegs) zu sichern. Sie ist eine echte Lohnersatzleistung, die vom letzten Verdienst abhängt, also nach dem Versichertenprinzip aufgebaut ist. Das Alg II verändert damit die Strukturprinzipien, die Funktion und den Leistungsumfang der heutigen Arbeitslosenhilfe grundsätzlich - zum Nachteil der heutigen Bezieher von Arbeitslosenhilfe. Bezieher von Alg II sollen kranken- und pflegeversichert sein. Ihre Einbeziehung in den gesetzliche Rentenversicherung wird hingegen ausdrücklich offengehalten.

Konkrete Geldbeträge zur Höhe der Alg II werden im Hartz-Bericht nicht genannt. Ebenso fehlen noch Angaben zur Anrechnung von Einkommen und Vermögen (im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung). Die Richtung aber ist klar: Nach aktuellen Pressemitteilungen zum Ergebnis der Berliner Koalitionsverhandlungen soll im Zeitraum 2003-2006 ein Betrag in Höhe von 17,4 Mrd. Euro im Bereich der Arbeitslosenhilfe eingespart werden.

Im Hartz-Bericht wird wiederholt unterstrichen, dass Anspruch auf Alg II nur haben soll, wer erwerbsfähig und verfügbar ist. Das macht stutzig. Denn die Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt ist schon heute eine selbstverständliche Voraussetzung für den Leistungsbezug. Sollen etwa zukünftig erwerbslose Kolleginnen und Kollegen mit vermeintlichen oder tatsächlichen gesundheitlichen Einschränkungen verstärkt aus der Arbeitslosenversicherung ausgegrenzt werden ?

Unter dem Strich: Erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger könnten bei Verwirklichung dieser Absichten unter Umständen materiell etwas besser gestellt sein. Die bisherigen Alhi-Empfänger werden hingegen verlieren, in rechtlicher wie in materieller Hinsicht. Wird für diesen Personenkreis auch noch die Rentenversicherungspflicht aufgehoben, führt dies zwangsläufig zu Einbußen auch bei der Rente. Damit würden Erwerbslose im Alter noch einmal für das gesellschaftliche Problem der Arbeitslosigkeit abgestraft, und Armut im Alter wäre vielfach vorprogrammiert.

Ich-AG / Familien-AG / Mini-Jobs / PSA-Leiharbeit

Diese Ideen werden den Verdrängungswettbewerb zu Lasten regulärer, existenzsichernder und sozial abgesicherter Arbeit weiter verschärfen. Die beschäftigungspolitischen Vorschläge konzentrieren sich ausschließlich auf die staatliche geförderte Ausweitung prekärer und niedrig entlohnter Arbeit (PSA-Leiharbeit, Mini-Jobs). Sie folgen damit der neoliberalen, empirisch unhaltbaren These, dass "zu hohe" Arbeitsentgelte eine Hauptursache der hohen Erwerbslosigkeit seien. In den östlichen Bundesländern ist die Arbeitslosigkeit trotz Niedriglohnbereich in den letzten 10 Jahren weiter angestiegen !

Die geplanten Ich-/Familien-AGs werden zu erheblichen Ausfällen im Steuer- und Sozialversicherungssystem führen. Und sie sind gleichbedeutend mit einer Rücknahme der eigentlich verdienstvollen Schutzvorschriften gegen Scheinselbständigkeit. Mit den neuen Modellen selbständiger Arbeit wird nicht nur eine Veränderung der gesellschaftlichen Strukturen und Einstellungen durchgesetzt, sondern zugleich ein neuer Modus der Organisierung ihrer sozialen Risiken. Wenn eine wachsende Zahl von Erwerbstätigen als Selbständige ihren Lebensunterhalt organisieren müssen, fallen sie (nach spätestens drei Jahren) aus der kollektiven Sozialversicherung heraus – ein weiterer Baustein zur schrittweisen Privatisierung der sozialen Sicherung.

Die Kommission behauptet, die Einführung der neuen Form von Selbstständigkeit diene nicht zuletzt der Zurückdrängung von Schwarzarbeit. Wir bezweifeln, das dieses Mittel wirklich das gesteckte Ziel erreichen kann. Schwarzarbeit bleibt für die Schwarzarbeiter und ihre Auftraggeber immer noch attraktiver als die Abführung einer pauschalierten Steuer.

Mini-Jobs: Jahrelang haben sich die Gewerkschaften mit vielen Bündnispartnern aus Kirchen, Frauenverbänden u.a. für die Einbeziehung der geringfügig Beschäftigten in die Systeme der sozialen Sicherung eingesetzt. Die Argumente sind hinlänglich ausgetauscht worden. Eine Ausweitung dieser Beschäftigung und eine Verschlechterung des Schutzes ist sozialpolitisch, frauenpolitisch, arbeitsmarkt- und wirtschaftpolitisch sowie gewerkschaftspolitisch kontraproduktiv und muss auf jeden Fall verhindert werden.

PersonalServiceAgentur: Die Arbeitsämter sollen eigene Verleihagenturen (PSA) gründen dürfen bzw. ersatzweise eng mit privaten Zeitarbeitsfirmen zusammenarbeiten, zu dem Zweck, aus Arbeitslosen Leiharbeitnehmer zu machen, die dann für Unternehmen ständig abrufbereit zur Verfügung stehen. Insgesamt sollen bis zu 800.000 Arbeitslose in die PSA-Leiharbeit einbezogen werden. Da ja die Arbeitsverwaltung in diesem Fall zum Ersatzarbeitgeber mutiert, würde so – quasi hintenherum – eine Arbeitspflicht eingeführt.

Die Variante der outgesourcten PSA ist da nicht viel besser. Kolleginnen und Kollegen haben in jüngster Zeit leidvolle Erfahrungen mit den negativen Folgen von Outsourcing machen müssen. Die Gefahr besteht, dass die outgesourcten PSA weitere Fakten auf dem Weg zur Privatisierung großer Teile der BA schaffen. Es sei daran erinnert, dass bereits zu Beginn des Jahres die Selbstverwaltung auf der obersten Ebene der BA durch Gerster abgeschafft wurde.

Für die Arbeitslosen würde durch die Einführung der PSA-Leiharbeit der Druck noch wesentlich steigen, "irgendeine" Stelle anzunehmen. Die soziale Rutsche würde noch steiler. In den ersten 6 Monaten PSA-Arbeit soll eine "Vergütung" in Höhe der bisherigen Lohnersatzleistung , erst danach ein besonderer "PSA-Lohn" gezahlt werden. Diese Konstruktion stellt einen erheblichen Eingriff in die Tarifautonomie dar.

Erst dann, wenn es dem/der ArbeitnehmerIn gelingt, in ein "reguläres" Beschäftigungsverhältnis auf dem ersten Arbeitsmarkt zu wechseln, bekommt er/sie den üblichen Schutz eines Branchentarifvertrags.

Der Ansatz der PSA-Beschäftigung wird zwei Welten in den Unternehmen schaffen - mit der Gefahr der Aufspaltung der Belegschaften und verschärfter Niedriglohnkonkurrenz. Arbeitgeber werden sich auf Dauer billig aus der PSA bedienen und damit verstärkt "reguläre" Arbeitsverhältnisse abbauen. Die Spaltung in Stamm- und Randbelegschaften würde damit weiter beschleunigt.

Die Vorschläge von Hartz sind unausgewogen und begünstigen ausschließlich Arbeitgeber

Auf einer Personalrätekonferenz der BA am 26.August 2002 in Nürnberg wurde festgestellt, "dass der Hartz-Bericht zu arbeitgeberorientiert sei" und "der Druck auf die Arbeitslosen nehme zu".

Während auf der einen Seite der Verdrängungswettbewerb nach unten vorangetrieben, der Arbeitsmarkt dereguliert, die Solidarsysteme geschwächt und die Arbeitslosen in die Zange genommen werden, wird den Arbeitgebern quasi der rote Teppich ausgelegt. Es wird der Eindruck vermittelt, als hätten sie keinerlei Verantwortung für die Schaffung und den Erhalt von Arbeits- und Ausbildungsplätzen.

Mehr noch: Die Arbeitgeber werden auf vielfältige Weise entlastet und subventioniert. So können sie zu geringen Kosten auf Probe MitarbeiterInnen leihen, ohne sich um den Kündigungsschutz zu kümmern, so gibt es über Bonussysteme Beitragsnachlässe bei der Arbeitslosenversicherung. Mitnahmeeffekte sind dabei gar nicht zu vermeiden. So entfällt bei Einstellung älterer Arbeitnehmer (ab 50) der Arbeitgeberbeitrag zur Arbeitslosenversicherung gänzlich. Die Arbeitgeber werden nachgerade aufgefordert, reguläre Beschäftigungsverhältnisse abzubauen bzw. umzuwandeln und bis zu einem Verhältnis von 1:1 ihre Betriebe zu öffnen für die neuen selbstständigen Ich-AGs, mit nicht absehbaren Folgen für die Interessenvertretungsstrukturen, die Tarifauseinandersetzungen und die Solidarsysteme.

All dies stellt die Verhältnisse auf den Kopf! Es ist deshalb an der Zeit, die Arbeitgeber in die Pflicht zu nehmen, anstatt sie immer weiter von gesellschaftlichen Pflichten zu entbinden.

"Allianz der Profis"

Die Hartz-Kommission und Regierungskoalition wehren sich energisch gegen die Auflösung des Gesamtkonzeptes. Begründet wird dies mit der "Schaffung eines Bewusstseinswandels auf breiter gesellschaftlicher Ebene, dass es sich nicht um die Arbeitslosen der Bundesanstalt, sondern die der gesamten Gesellschaft handelt. Hierzu wollen wir eine Allianz der Profis schließen...Wir überwinden die jeweils konträren Standpunkte zu vermeintlichen Rezepten zur Überwindung der Arbeitslosigkeit. Das Bündnis der Arbeit wird durch eine übergreifende Projektkoalition abgelöst."

Hartz propagiert mit der "Allianz der Profis" eine Politik des gesamtgesellschaftlichen Co-Managements: Abbau der Arbeitslosigkeit durch eine ausgeglichene Verteilung von Opfern und Erfolgen. Doch genau dieses Versprechen wird nicht eingelöst. Sein Ansatz des gesamtgesellschaftlichen Co-Management löst auch nicht das Schlüsselproblem der Massenarbeitslosigkeit.

Auch unter den Bedingungen einer flexiblen Produktionsweise und "atmender Unternehmen" (Hartz) ist der Kündigungsschutz auszubauen, statt ihn zu "neutralisieren". Unverzichtbar ist die gesetzliche und tarifliche Absicherung eines existenzsichernden Normalarbeitsverhältnisses.

Wir wollen eine aktive Beschäftigungspolitik, die sich im wesentlichen auf eine Umverteilung von Arbeit, eine aktive Strukturpolitik zugunsten von neuen Arbeitsplätzen und eine Ausdehnung der öffentlichen Investitionen stützt.

Mit der jetzigen Lastenverteilung der Steuereinnahmen sind solche Maßnahmen natürlich nicht finanzierbar. Tatsache ist aber auch: Geld ist genug da, es muss nur anders verteilt werden. In den letzten 20 Jahren hat sich die Verteilung massiv zu Lasten der Arbeitnehmer/-innen entwickelt. Ein halbes Prozent der Bevölkerung verfügt heute über 25 Prozent des Geldvermögens.

Die neoliberale, angebotsorientierte Politik, die den Unternehmen Milliarden Steuerentlastung bringt, hat nicht für mehr Beschäftigung gesorgt. Wir wollen nicht, dass die Schwachen bestraft und die Reichen belohnt werden. Wir wollen eine solidarische Gesellschaft, in der soziale Gerechtigkeit wieder groß geschrieben wird, in der die Lasten gerecht verteilt werden. In den USA ist z.B. der Anteil der Erbschaftssteuer am gesamten Steueraufkommen (Jahr 2000) dreimal so hoch wie bei uns, in Frankreich fast viermal so hoch. Der Anteil der Grundsteuer ist in diesen Länder sechsmal (USA) bzw. dreimal so hoch wie bei uns. (Quelle: OECD-siehe Spiegel 41/2002)

Kampfansage der Bundesregierung

Die neue Bundesregierung hat sich die Vorschläge der Hartz-Kommission zu eigen gemacht und ist fest entschlossen, diese sozial ungerechten Pläne in die Tat umzusetzen. Und zwar ohne Abstriche.

"Der Abbau der Arbeitslosigkeit bleibt unser wichtigstes Ziel. ... Mit der vollständigen Umsetzung der Vorschläge der Kommission ‘Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt’ beginnen wir die größte Arbeitsmarktreform der Nachkriegsgeschichte. Wir überwinden damit die teilweise lähmenden Auseinandersetzungen zwischen den Sozialpartnern und den politischen Kräften über die richtige Strategie zur Bewältigung der Arbeitslosigkeit." (aus der Koalitionsvereinbarung vom 16.10.02)

Diese Passagen kommen einer Kriegserklärung an die Arbeitnehmer/-innen und ihre Organisationen gleich. Es hat sich offenkundig nicht bezahlt gemacht, die Hartz-Kommission und ihre Vorschläge mit Rücksicht auf den laufenden Wahlkampf bislang von allzu lauter Kritik zu verschonen.

In Anbetracht der Zeitpläne der Regierung (vollständige Umsetzung möglichst schon bis zum Frühjahr 2003) ist es jetzt dringend geboten, sich als Gewerkschaft so rasch wie möglich aufzustellen und die Herausforderung anzunehmen. Dabei wird es ganz entscheidend auch darauf ankommen, die übrigen DGB-Gewerkschaften wie auch möglichst viele weitere gesellschaftlichen Organisationen (Sozialverbände, Kirchen, kritische Wissenschaftler, Arbeitslosengruppen etc.) für ein breites Bündnis zur Abwehr der Regierungspläne und zur Entwicklung von Alternativen zu gewinnen.

Auf Dauer gilt es, einen neuen Gesellschaftsvertrag ohne Abbau von sozialen Rechten und Leistungen durchzusetzen.

Gewerkschaften haben eine gesamtgesellschaftliche Gestaltungsfunktion, ein Mandat auch für grundlegende gesellschaftliche Reformen. Dieser Aufgabe haben sich ver.di und seine Vorläuferorganisationen in der Vergangenheit gestellt. Diese Aufgaben und Gestaltungsfunktionen werden in absehbarer Zukunft um so wichtiger, als die Umsetzung des Hartz-Papiers erhebliche Veränderungen der Arbeitsmarktstrukturen schaffen wird. Nicht zuletzt geht es auch um die Zukunft und den Bestand der Gewerkschaften insgesamt.

Anmerkung: Unsere Begründung deckt sich inhaltlich in wesentlichen Punkten mit den Einschätzungen des ver.di Landesbezirksleiters NRW Hartmut Limbeck (siehe sein Schreiben vom 07.August 02) und den Ausführungen des Sozialverbandes Deutschland e.V. - Landesverband NRW- vom 27.09.2002, die diesem Antrag beigefügt sind.

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