SoVD Sozialverband Deutschland
Landesverband Nordrhein-Westfalen
Ehemals Reichsbund, gegr. 1917
Landesverband NRW
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05.05.2001
Stellungnahme zum Projekt "Sozialagenturen Hilfe aus einer Hand"
des MASQT-NRW
Vorbemerkung:
Am 14.03.2001 stellte der Minister für Arbeit, Soziales, Qualifikation
und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen, Harald Schartau, das Projekt
"Sozialagenturen Hilfe aus einer Hand" vor. Da zu den Satzungszwecken
des SoVD auch die Förderung der Hilfe und Fürsorge für Sozialhilfeempfängerinnen
und empfänger zählt, hat sich der SoVD-NRW anhand verfügbarer
Unterlagen[1] mit dem Projekt auseinandergesetzt.
Mit vorliegender Stellungnahme übermitteln wir unsere diesbezüglichen
Eindrücke und Hinweise den Verantwortlichen in Landtag und Landesregierung
mit der Bitte um Kenntnisnahme und Berücksichtigung. Über inhaltliche
Rückäußerungen würden wir uns freuen.
I. Senkung zu hoher Sozialhilfeausgaben?
Das Problem, zu dessen Bewältigung das Projekt Sozialagenturen beitragen
soll, wird definiert als eine - trotz insgesamt rückläufiger Entwicklung
- immer noch zu hohe Kostenbelastung der Kommunen als Träger der Sozialhilfe.[2]
"Ich will den Kommunen im Land helfen, die Sozialausgaben durch einen
veränderten Umgang mit dem Thema Sozialhilfe zu senken".[3]
Der SoVD-NRW stellt hierzu fest:
- Die Sozialhilfe ist das unterste der sozialen Sicherungssysteme in Deutschland.
Der Rechtsanspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt ist bisher unabhängig
von Ursache oder Art der Notlage - allein an das Vorliegen von "Bedürftigkeit"
i.S. des BSHG geknüpft. Als Ausfluss des Grundrechts der unverletzlichen
Menschenwürde (Art. 1.1 GG) soll die Hilfe im Sinne einer sozialen Mindestsicherung
den Hilfeberechtigten "die Führung eines Lebens ermöglichen,
das der Würde des Menschen entspricht" (§ 1.1 BSHG).[4]
- Dieser Aufgabe wird die Sozialhilfe (Hilfe zum Lebensunterhalt) nur unzureichend
gerecht. Seit vielen Jahren wird in der kritischen Fachöffentlichkeit
eine unzureichende Entwicklung der Sozialhilfe-Regelsätze[5]
und eine zunehmend restriktive Gewährungspraxis durch die örtlichen
Sozialhilfeträger beklagt. Deshalb bemühen sich zunehmend private
oder kirchliche Initiativen darum z. B. mit kostenlosen Mahlzeiten und Kleiderkammern
die Not zu lindern. Experten schätzen die Dunkelziffer derer, die bestehende
Sozialhilfeansprüche aus Unwissenheit oder Scham nicht in Anspruch nehmen
- darunter auch Haushalte von Erwerbstätigen, die kein existenzsicherndes
Arbeitsentgelt erzielen können (working poor) auf bis zu
100%.
- Würde die Sozialhilfe ihrer sozialen Sicherungsaufgabe umfassend gerecht,
müssten deutlich höhere Mittel zur Verfügung gestellt werden.
Aus sozialpolitischer Sicht sind daher nicht zu hohe, sondern
eher seit langem nicht ausreichend bemessene Sozialhilfeleistungen das Problem.
- Das erschreckend hohe Ausmaß, in dem seit Jahrzehnten Menschen vorübergehend
oder auf Dauer auf Sozialhilfe angewiesen sind, verweist nicht auf Defizite
in der Sozialhilfepolitik und -praxis, sondern auf gravierende Defizite des
Arbeitsmarkts und der vorrangigen sozialen Sicherungssysteme:
- Massenerwerbslosigkeit aufgrund eines gravierenden Mangels an regulären
Arbeitsplätzen,
- nicht existenzsichernde Erwerbseinkommen in unteren Entgeltsegmenten,
- weitgehende Erosion sozialer Regulierungen des Arbeitsmarktes durch Ausbreitung
vielfältiger prekärer Beschäftigungsformen,
- unzureichende Anpassungen und Kürzungen von Sozialleistungen, insbesondere
beim Familienlastenausgleich, beim Wohngeld und bei Arbeitslosengeld und
hilfe,
- ein nach wie vor unzureichendes Angebot an Kinderbetreuungsangeboten sowie
- verbreitete Missachtung der gesetzlichen Pflicht zur Beschäftigung
schwerbehinderter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
II. Kostensenkung durch Vermittlung in Arbeit?
Zur Realisierung von Kostensenkungen soll mit dem Projekt Sozialagenturen
das Instrumentarium der Sozialhilfeträger zur Vermittlung von "bis
zu 200.000" [6] sozialhilfeberechtigten Erwerbslosen
in Arbeit verbessert werden.
Dazu sollen die Sozialagenturen im Sinne von Case-Management neben der
Gewährung erforderlicher materieller Leistungen alle zur Wiederherstellung
von Beschäftigungsfähigkeit und Vermittelbarkeit erforderlichen sozialen
Hilfen (z.B. Suchtberatung, Schuldenberatung, Wohnungsvermittlung, etc.) als
auf den jeweiligen Einzelfall zugeschnittene ("passgenaue") "Dienstleistungsketten"
gebündelt anbieten und mit den Hilfeberechtigten entsprechende Zielvereinbarungen
abschließen.[7]
Der SoVD-NRW stellt hierzu fest:
- Nichts wäre wünschenswerter, als (Langzeit-)Erwerbslosigkeit von
erwerbsfähigen Hilfeberechtigten, die dem Arbeitsmarkt auch zur Verfügung
stehen können, durch Vermittlung in reguläre, unbefristete Beschäftigung
beenden zu können. Allerdings hängt die Realitätstauglichkeit
einer solchen Orientierung unmittelbar davon ab, dass von einer entsprechenden
Aufnahmefähigkeit des regulären Arbeitsmarkts ausgegangen werden
kann. Die anhaltend hohe Erwerbslosigkeit verweist aber unverändert auf
ein millionenfaches Defizit an regulären Arbeitsplätzen. Notwendige,
wenngleich noch nicht hinreichende Bedingung, um die Erwerbslosigkeit auch
von Sozialhilfeberechtigten abzubauen, bleibt die Schaffung eines bedarfsgerechten
Arbeitsplatzangebots.
- Des ungeachtet mehren sich in jüngerer Zeit "Kampagnen" zur
verstärkten Vermittlung in Arbeit für bestimmte Zielgruppen der
Arbeitsmarktpolitik:: Jugendliche, Menschen mit Behinderungen, Ältere,
Sozialhilfeberechtigte, etc.. Angesichts der insgesamt bei weitem zu geringen
Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarkts sinkt mit jeder zusätzlichen
Kampagne, die die Konkurrenz der Zielgruppen untereinander erhöht, die
Plausibilität der Zielerreichung.
- Mit Sorge beobachten wir zunehmende Bestrebungen zur Etablierung oder Ausweitung
zweit- und drittklassiger Sonderarbeitsmärkte, Niedriglohnsektoren und
prekärer Beschäftigungsverhältnisse, die den betroffenen Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern keine reelle Perspektive der Teilhabe an der Erwerbsgesellschaft
und der nachhaltigen Verbesserung ihrer sozialen Situation bieten, sondern
eher zur Vergrößerung des working-poor-Problems beitragen.
Die "Zumutbarkeit" von prekären Jobs und sozialhilferechtlichen
"Arbeitsgelegenheiten" ohne reelle soziale Perspektive bleibt auch
dann zweifelhaft, wenn die Rechtslage sie als "zumutbar" deklariert.
Zudem ist zu befürchten, das solche Entwicklungen den regulären
Arbeitsmarkt zum Nachteil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unter verstärkten
Deregulierungsdruck setzen.
- Realistisches Ziel von erwerbsintegrativen Angeboten, die auf den regulären
Arbeitsmarkt zielen, ist zunächst die Verbesserung der individuellen
Chancen im Konkurrenzkampf um ein insgesamt unzureichendes und qualitativ
zunehmend fragwürdiges Arbeitsplatzangebot. Ob und in welcher Weise die
Erwerbsintegration tatsächlich gelingt, entscheidet der Markt
meist nach dem Prinzip der "Bestenauslese".
- Schon in der Vergangenheit haben die Sozialhilfeträger ihre Bestrebungen,
erwerbsfähige Hilfeberechtigte in Arbeit zu bringen, auch aus Kostengründen
vervielfacht. Dabei sind sie an Grenzen gestoßen: der leistungsorientierte
reguläre Arbeitsmarkt verweigert Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern,
die als leistungsgemindert gelten oder etwa in Folge von Langzeiterwerbslosigkeit
- mit schwerwiegenden sozialen Problemen belastet sind, erfahrungsgemäß
den Zugang. Es muss zweifelhaft erscheinen, ob diese gläserne Mauer
mit einer Verstärkung erwerbsintegrativ ausgerichteter Anstrengungen
zu durchbrechen ist, oder ob nicht eher Drehtüreffekte oder "Karrieren"
in prekären Sonderarbeitsmärkten zu erwarten sind, die das Ziel
einer Teilhabe an der Erwerbsgesellschaft verfehlen.
- Die Interessen der Sozialhilfeträger an Kostensenkung und der hilfeberechtigten
Erwerbslosen an existenzsichernder Arbeit sind nicht deckungsgleich. Das Ziel
der kommunalen Kostensenkung wird bereits erreicht, wenn durch einen vorübergehenden
(z.B. befristeten) Job Ansprüche auf Lohnersatzleistungen an die
Arbeitsverwaltung erworben wurden. Das Ziel der Erwerbsintegration wäre
in diesem Fall verfehlt. Systematisch verfehlt würde es dann,
wenn Sozialhilfeträger Betroffene in Arbeitsverhältnisse drängen,
deren Entgelte zwar eine Minderung des notwendigen Sozialhilfebedarfs, aber
keine Unabhängigkeit von Sozialhilfe bewirken ("Arbeit und Sozialhilfe"
anstelle von "Arbeit statt Sozialhilfe").
- Eine vermittlungsorientierte Sozialhilfepolitik richtet sich
ausschließlich an die Minderheit der erwerbslosen und erwerbsfähigen
Hilfeberechtigten. Von der Mehrheit derjenigen, bei denen die Aufnahme von
Erwerbsarbeit keine realistische Perspektive sein kann, ist um so weniger
die Rede. Sie drohen noch tiefer ins Abseits zu geraten.
III. "Zielgerichteter" Druck auf sozialhilfeberechtigte Erwerbslose?
Die mit dem Projekt Sozialagenturen verfolgte Orientierung wird in folgender
Aussage des Ministers deutlich:
"Einige fordern in diesem Zusammenhang mehr Druck und glauben,
damit schon die Lösung gefunden zu haben, um Sozialhilfeempfänger
in Arbeit zu bringen. Druck wird aber dort nichts nützen, wo gar keine
Vorstellung über die Richtung des Drucks existiert." [8]
Das Projekt Sozialagentur soll die unter dem Motto "Fördern
und Fordern" bekannt gewordene "aktivierende" Sozialpolitik der
Landesregierung effektiver und zielgerichteter weiter entwickeln. Charakteristisch
für diese Politik ist die Verknüpfung von Fördermaßnahmen
mit der besonderen Betonung der "Arbeitspflicht" erwerbsloser Hilfeberechtigter,
deren mangelnde Erfüllung die Kürzung oder gar Streichung von Sozialhilfe
nach sich zieht.
Der SoVD-NRW stellt hierzu fest:
- Die Realität am Arbeitsmarkt zeugt von erheblichen Anstrengungen Erwerbsloser,
sich einen existenzsichernden Wiedereinstieg ins Beschäftigungssystem
zu erschließen. Dies gilt auch für sozialhilfeberechtigte Erwerbslose.
Die Nachfrage nach reellen Angeboten zur Erwerbsintegration für diesen
Personenkreis kann häufig nicht gedeckt werden.
- Eine Politik, die gewollt oder ungewollt - suggeriert, dass individuelle
"Defizite" der Erwerbslosen und angebliche "Arbeitsunwilligkeit"
zu den maßgeblichen Ursachen der hohen Erwerbslosigkeit oder zu den
wesentlichen Problemen am Arbeitsmarkt zähle, geht an der Realität
vorbei. Mehr noch: sie fördert ein Klima der Entsolidarisierung, indem
sie die Verantwortung für das gesamtgesellschaftliche Problem der Erwerbslosigkeit
noch stärker den Betroffenen anlastet. Sie lenkt zugleich von der Verantwortung
der (privaten wie öffentlichen) Arbeitgeber ab, ein ausreichendes und
entsprechend dem Grundrecht der Berufswahlfreiheit auswahlfähiges Angebot
an regulären Arbeits- und Ausbildungsplätzen zur Verfügung
zu stellen. Wir sind entsetzt, dass sich Bundeskanzler Schröder mit seinem
an die Erwerbslosen gerichteten (Un-)Wort, es gebe "kein Recht auf Faulheit",
hier in die unselige Tradition seines Amtsvorgängers ("Freizeitpark")
stellte.
- Die Anstrengungen Erwerbsloser, neue Arbeit zu finden, scheitern allzu oft,
weil geeignete Arbeitsplätze oder auch notwendige Kinderbetreuungsangebote
nicht zur Verfügung stehen. Vor allem unter Langzeiterwerbslosen hat
sich durch wiederholte Erfahrungen des Scheiterns - teils in Verbindung mit
"Maßnahmekarrieren"; die nicht zum Erfolg führten - Resignation
ausgebreitet. Diese zählt zu den unvermeidlichen Folgen der Arbeitmarktkrise
und ist nicht den Betroffenen anzulasten. Seit langem ist bekannt, dass Langzeiterwerbslosigkeit
auch zu Einbußen sozialer Kompetenzen führt und die Betroffenen
für die Rückgewinnung ihrer Leistungsfähigkeit in der Regel
einen Einarbeitungszeitraum von etwa der gleichen Dauer benötigen, wie
sie zuvor erwerbslos waren. Daraus resultierenden Forderungen nach einer entsprechend
flexiblen Dauer von Beschäftigungsprogrammen ("Arbeit statt Sozialhilfe",
ABM) blieben bisher unberücksichtigt. Erwerbslose mit Ansprüchen
auf Arbeitslosengeld oder hilfe befürchten zudem zu Recht, nach
Annahme eines geringer entlohnten, unterwertigen Jobs bei erneut eintretender
Erwerbslosigkeit um so tiefer in Armut zu stürzen, weil sich die Arbeitslosenunterstützung
dann nach dem niedrigen Bemessungsentgelt richtet. Zudem hat die Abschaffung
des Berufsschutzes im Arbeitsförderungsrecht und im Rentenrecht den Wert
beruflicher Qualifizierung als Chance des sozialen Fortkommens in kontraproduktiver
Weise geschmälert.
- Angesichts des seit einem Vierteljahrhundert anhaltenden Unvermögens
unserer Gesellschaft, Massenerwerbslosigkeit und armut zu überwinden,
kann es keineswegs verwundern, dass sich Menschen im Einzelfall auch ganz
vom Arbeitsmarkt zurückziehen und sich im Sozialhilfebezug d.h.
in Armut "einrichten". Dies ist insbesondere dann zu beobachten,
wenn bereits den Eltern der Ausweg aus Armut nicht gelang. Darin drückt
sich nicht zuletzt ein fundamentaler Vertrauensverlust in einen als nicht
funktionsfähig wahrgenommenen Sozialstaat aus.
- Das Postulat des Vorrangs eigenständiger Existenzsicherung durch Erwerbsarbeit
vor Sozialhilfebezug steht außer Frage. Es entspricht auch der Wertorientierung
der Erwerbslosen selbst.
Daraus kann jedoch nicht gefolgert werden, dass jede Arbeit anzunehmen
ist. Sie muss "zumutbar" sein. Mit dem Bestreben der Kostenträger,
möglichst viele Erwerbslose ganz oder teilweise aus dem Transferleistungsbezug
herauszubringen, hat der Begriff der "Zumutbarkeit" während
der vergangenen Jahrzehnte allerdings eine immer schärfere Auslegung
bzw. Anwendung erfahren. Unter dem Gesichtspunkt der Qualität von Arbeitsverhältnissen
gibt es heute praktisch nichts mehr, was Sozialhilfeberechtigten nicht "zumutbar"
wäre. Die Definitionsmacht über die "Zumutbarkeit" - oder
gar "Passgenauigkeit" - liegt einseitig beim Sozialhilfeträger.
Schon früher gab es Hinweise darauf, dass bei der Umsetzung von Beschäftigungsprogrammen
wie "Arbeit statt Sozialhilfe" nicht selten das Interesse des Sozialhilfeträgers
im Vordergrund stand, bei wiedereintretender Erwerbslosigkeit die Kostenträgerschaft
der Arbeitsverwaltung zu erreichen, während das Ziel erfolgreicher Erwerbsintegration
verfehlt wurde. Heute besteht Grund zu der Annahme, dass Hilfeberechtigte
mancherorts regelmäßig in perspektivlose Arbeitsgelegenheiten gedrängt
werden, um eine Geltendmachung von Sozialhilfeansprüchen von vorn herein
zu verhindern.[9]
- Mehr als fraglich erscheint auch die Sinnhaftigkeit, den Vorrang von Arbeit
gegenüber einzelnen "Arbeitsunwilligen" mit der Androhung von
Sozialleistungskürzungen durchsetzen zu wollen. Sanktionsdrohungen vertiefen
eher den Vertrauensverlust, indem der unfähige Staat auch
noch als feindlich-repressiver Staat wahrgenommen wird. Ob sich
damit der im Einzelfall erwünschte Effekt überhaupt erreichen lässt,
ist unseres Wissen nicht belegt und bleibt zweifelhaft. Zielführend im
Sinne der Förderung von Erwerbsmotivation erscheinen hier eher gezielte
Maßnahmen sozialer Arbeit.
- Gegen Leistungskürzungen zur Sanktionierung unerwünschten Verhaltens
von Hilfebedürftigen ("Verweigerung zumutbarer Arbeit", aber
auch "unwirtschaftliches Verhalten"), wie sie die geltende Rechtslage
vorsieht, richten sich auch gravierende Bedenken grundsätzlicher Art:
Da die Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt (dem Anspruch nach) so bemessen
sind, dass sie das zur Führung eines menschenwürdigen Lebens
Notwendige decken, kommt jede nennenswerte Kürzung der Leistungen einer
Verletzung der Menschenwürde gleich und müsste mit Rücksicht
auf Art 1.1 GG ausgeschlossen bleiben. [10] Eine Streichung
der Sozialhilfe (bei fortgesetztem unerwünschten Verhalten) kommt einem
Entzug des sozialen Existenzrechts überhaupt gleich. Eine solche Sanktion
ist existenziell weitreichender als alles, was das Strafrecht inhaftierten
Straftätern zumutet, für deren Kleidung, Unterbringung und Verpflegung
der Rechtsstaat - ungeachtet der ansonsten zum Zweck des Strafvollzugs verhängten
Grundrechtseinschränkungen - Sorge trägt. Aus sozialstaatlicher
Sicht erscheint daher die Androhung einer Kürzung oder gar eines Entzugs
der Sozialhilfe auch in Einzelfällen der "Verweigerung zumutbarer
Arbeit" ebenso unzulässig wie unverhältnismäßig.
[11]
- Innovative erwerbsintegrative Angebote für Sozialhilfe- und Arbeitslosenhilfeberechtigte
müssen sich vor allem dadurch auszeichnen, dass sie ein erneutes Scheitern
mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschließen. Angesichts der generellen
Arbeitsmarktkrise und der "Bestenauslese" unter den Erwerbssuchenden
erscheint daher die Schaffung eines Sektors zusätzlicher, öffentlich
geförderter, regulärer Beschäftigung in sinnvollen Aufgabenfeldern
geboten. Angebote für Langzeiterwerbslose müssen dem durch die Erwerbslosigkeit
verursachten Bedarf an sozialer Begleitung bei der Reintegration in ein Beschäftigungsverhältnis
Rechnung tragen.
IV. "Kundenorientierung" bei "Fördern und Fordern"?
Der Projektskizze zu Folge sollen Sozialagenturen eine neue "Kundenorientierung"
in die Sozialhilfepraxis implementieren. Gefordert wird "Partizipation"
der hilfeberechtigten Erwerbslosen statt "bürokratischer Bevormundung".
Es müsse darum gehen, die Klientinnen und Klienten als "Ko-Produzenten"
oder gar als "eigentlichen Produzenten" der Dienstleistung Sozialhilfe
anzuerkennen und ernster zu nehmen.[12]
Der SoVD-NRW stellt hierzu fest:
Die damit angedeutete Veränderung der Sozialhilfepraxis wäre aus
Sicht der Hilfeberechtigten in höchstem Maße wünschenswert.
Allerdings wird sie unter den Rahmenbedingungen von "Fördern und
Fordern" nicht nur nicht umsetzbar sein, sondern eher ins Gegenteil verkehrt
werden.
- Kennzeichnend für den Status des "Kunden" ist die Freiwilligkeit,
mit der er dem Anbieter gegenübertritt sowie die Freiheit, dessen
Angebot zu akzeptieren oder abzulehnen. Gerade deshalb zielt "Kundenorientierung"
darauf, die Entscheidung für das Angebot durch besondere Qualität
und Berücksichtigung von Kundenwünschen herbeizuführen. Wo
aber die Beziehung zwischen beiden Seiten darauf gründet, dass "Angebote"
bei Strafe des Verlustes einer menschenwürdigen Existenz anzunehmen sind,
ist keine Analogiebildung mit marktförmigen Anbieter-Kunden-Beziehungen
mehr möglich. Stattdessen handelt es sich dann für den "Kunden"
um ein Zwangsverhältnis. Für das Verhältnis zwischen Ko-Produzenten
oder für das Verhältnis des "eigentlichen Produzenten"
zu einem unterstützenden Dienstleister gilt dies um so mehr.
- Über die Inanspruchnahme sozialer Hilfen zur Verbesserung der Vermittlungsfähigkeit
soll die Sozialagentur mit den Hilfeberechtigten verbindliche Zielvereinbarungen
abschließen. Zu befürchten ist, dass dadurch nicht nur die Ablehnung
einer vom Sozialhilfeträger für "zumutbar" deklarierten
Arbeitsgelegenheit, sondern bereits die Ablehnung oder mangelnde Inanspruchnahme
einer vereinbarten Hilfe Sanktionen auslösen kann. Das im Falle eines
Arbeits"angebots" bestehende Zwangsverhältnis würde weit
in den vorgelagerten Bereich hinein ausgedehnt. Noch stärker als bisher
würde die Lebensplanung und -gestaltung der Betroffenen unter behördliche
Vormundschaft gestellt.
Nimmt man die Ausführungen der Projektskizze über "Kundenorientierung",
"Partizipation" und die unverzichtbare Rolle des "Ko-Produzenten"
für die Dienstleistung Sozialhilfe ernst, müsste daraus eine grundlegende
Infragestellung der zweifelhaften Sanktionsandrohungen des Sozialhilferechts
folgen. "Kundenorientierung" und Sanktionsandrohungen schließen
sich gegenseitig aus.
V. Fortschreibung eines alten strukturellen Interessenkonflikts
Die Sozialagenturen werden organisatorisch in drei Varianten vorgestellt:
- als Einrichtung des Sozialamts, die zugleich auch für die Gewährung
der materiellen Hilfen zuständig ist,
- als Einrichtung des Sozialamts, die von der materiellen Hilfegewährung
organisatorisch getrennt ist sowie
- als Einrichtung in Trägerschaft Dritter, die vom Sozialamt unter Vorbehalt
der "Prozesssteuerung" beauftragt wird.[13]
Der SoVD-NRW stellt hierzu fest:
- Die Beratung der Hilfeberechtigten über materielle und soziale Hilfen
zählt von jeher zu den gesetzlichen Pflichtaufgaben der Sozialhilfeträger.
Bereits seit Jahrzehnten ist die unzureichende Umsetzung dieser Aufgabe jedoch
Gegenstand fachlicher Kritik. Neben der Belastung der Sozialämter durch
die Abwicklung des "Massengeschäfts" der Hilfegewährung
gilt als maßgebliche Ursache der strukturelle Interessenkonflikt, in
dem sich das Sozialamt in seiner Eigenschaft als Kostenträger einerseits
und als Beratungs- und Hilfeinstanz andererseits befindet. Die restriktive
Entwicklung der Gewährungspraxis spricht Bände darüber, wie
sehr die Kostenträger-Eigenschaft mit dem Interesse an Einsparungen über
die Beratungs- und Hilfeeigenschaft dominiert. Dies führte und führt
zur Forderung nach Schaffung einer vom Kostenträger unabhängigen
Sozialhilfeberatung, die die Klientinnen und Klienten in der Wahrnehmung ihrer
berechtigten Interessen gegenüber dem Kostenträger parteilich unterstützt.
- In anderen Sozialleistungsbereichen (z.B. Pflege) wird mittlerweile die
Notwendigkeit einer solchen unabhängigen Beratung anerkannt, um die Stellung
der Betroffenen gegenüber Kostenträgern und Leistungserbringern
zu stärken. Es ist bezeichnend für die autoritär geprägte
Sonderstellung, die die Sozialhilfe im Vergleich zu anderen Bereichen einnimmt,
dass vergleichbare Überlegungen für die "Kundschaft" der
Sozialämter von offizieller Seite bislang nicht angestellt werden.
- Stattdessen stärkt das Projekt Sozialagentur mit seiner grundsätzlichen
Ausrichtung auf die Senkung von Sozialausgaben die Interessenposition des
Kostenträgers der Sozialhilfe und beansprucht zu diesem Zweck eine
noch stärker ausgeprägte Oberhoheit über die Hilfeberechtigten.
VI. Ein "anderes Verständnis von Sozialstaat"
Das Projekt Sozialagentur soll ausdrücklich ein "anderes Verständnis
von Sozialstaat etablieren".[14] Hierzu gehört
offenbar auch die Perspektive einer Abschaffung der Arbeitslosenhilfe bzw. ihrer
Zusammenführung mit der Sozialhilfe: "Sozialämter und Arbeitsämter
haben die gleichen Kunden, lebten aber in der Vergangenheit als
kommunale und Teil einer Bundesbehörde oft nebeneinander her."
[15]
Der SoVD-NRW stellt hierzu fest:
Bei dem "anderen Verständnis von Sozialstaat" handelt es sich
offenbar um das Konzept des "aktivierenden Sozialstaats", wie es dem
Politikmodell des "Dritten Wegs" oder der "Neuen Mitte"
eigen ist. Es basiert auf der Neuinterpretation des Begriffs sozialer Gerechtigkeit
als "Chancengerechtigkeit", wobei die "Eigenverantwortung"
sozial benachteiligter Menschen hervorgehoben wird. Am Arbeitsmarkt benachteiligte
Zielgruppen sollen eine "zweite Chance" erhalten, die sich mangels
Aufnahmefähigkeit des regulären Arbeitsmarkts vor allem als Pflichtarbeit
auf prekären Arbeitsplätzen, im Niedriglohnbereich oder gar in "Arbeitsgelegenheiten"
außerhalb des normalen Arbeitsvertragsrechts darstellt. Sozialstaatliche
Garantien treten demgegenüber zurück; selbst Minimalleistungen werden
von der Erfüllung einer angesichts der Arbeitsmarktlage gespenstischen
- "Arbeitspflicht" abhängig gemacht ("Fördern und Fordern").
Eine soziale Integration in die reguläre Erwerbsgesellschaft wird damit
nicht erzielt. Die ungleichen und ungerechten Ergebnisse, die mit der "eigenverantwortlichen"
Wahrnehmung der "zweiten Chance" erzielt werden, scheinen nicht mehr
Sache des "aktivierenden" Staates zu sein. Auch eine dauerhaft hohe
Erwerbslosigkeit erscheint womöglich hinnehmbar, wenn im Konkurrenzkampf
der Erwerbslosen um zu wenige Arbeitsplätze "Chancengerechtigkeit"
herrscht und die Verfestigung von Dauererwerbslosigkeit vermieden werden kann.
Verteilungsgerechtigkeit und Vollbeschäftigung sind dann
keine maßgeblichen Ziele mehr.
Gegenüber den wirtschaftlich schwachen und schwächsten Bevölkerungsschichten
zeigt das ansonsten eher neoliberal inspirierte Politikmodell der Neuen Mitte
mit dem "aktivierenden" Staat eine deutlich autoritär und repressiv
gefärbte Seite.[16] Die Tendenz geht eher in Richtung
einer "Bekämpfung der Armen" statt einer Bekämpfung von
Armut.
Mit dem Projekt Sozialagentur will die nordrhein-westfälische Landesregierung
offenbar zu dem beabsichtigten Systemwechsel - vom Sozialstaat (welfare-state)
zum "aktivierenden Sozialstaat" (workfare-state) - beitragen.
Indem nahegelegt wird, dass die Sozialagenturen zukünftig auch für
Arbeitslosenhilfeberechtigte zuständig sein können/sollen, scheint
es nicht zuletzt um eine administrative Vorbereitung auf den Ernstfall einer
Zusammenführung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe zu gehen.
Gegen eine solche Orientierung erhebt der SoVD-NRW grundsätzliche Bedenken:
- Auch wenn die Arbeitslosenhilfe keine beitragsfinanzierte, sondern eine
steuerfinanzierte Leistung darstellt, ist sie von jeher Teil des sozialen
Sicherungsanspruches, den die beitrags- und steuerzahlenden Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer mit dem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis
gegenüber der Bundesanstalt für Arbeit als Träger der Arbeitslosenversicherung
erwerben.
- Wegen des erheblichen Anstiegs der Langzeiterwerbslosigkeit ist der Bedarf
an Arbeitslosenhilfe in den vergangenen Jahrzehnten gewachsen. Statt die "Armutsfestigkeit"
des SGB III zu verbessern, um die Inanspruchnahme ergänzender Sozialhilfeleistungen
weitgehend entbehrlich zu machen, hat die alte Bundesregierung gerade in der
Arbeitslosenhilfe neue "Falltüren in Armut" geöffnet und
Sicherungsaufgaben bei Langzeiterwerbslosigkeit ("passive" Arbeitsmarktpolitik)
zunehmend der kommunalen Sozialhilfe übertragen. Zugleich verstärkten
sich Tendenzen zur Kommunalisierung von Aufgaben der aktiven Arbeitmarktpolitik
für sozialhilfeberechtigte Erwerbssuchende. Derartige systemwidrige politische
Maßnahmen führten erst den Zustand herbei, der Sozialhilfe und
Arbeitslosenhilfe als Aufgabenfelder mit erheblichen Überschneidungen
("Doppelverwaltung") erscheinen lässt und dem Ruf nach einer
Zusammenlegung der beiden Systeme eine scheinbare Plausibilität verleiht.
- Eine Verschmelzung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe als konzeptioneller
Zielpunkt dieser Entwicklung würde die "Aussteuerung" der Langzeiterwerbslosen
aus dem vorrangigen Sicherungssystem vollenden. Als "Erwerbslose zweiter
Klasse" würden sie vollständig den schlechteren und restriktiveren
Bedingungen eines letzten sozialen Systems unterworfen. Die Kommunen müssen
in diesem Zusammenhang die Überwälzung einer zusätzlichen Kostenlast
befürchten.
Geboten und mit der sozialstaatlichen Ordnung vereinbar erscheint eher die
umgekehrte Orientierung: umfassende Einbeziehung der sozialhilfeberechtigten
Erwerbssuchenden in die Arbeitsförderpolitik der Arbeitsverwaltung und
Ausbau der Arbeitslosenhilfe zu einer armutsvermeidenden sozialen Grundsicherung
bei Erwerbslosigkeit. Auch dies würde die bisherige "Doppelverwaltung"
von Armut aufgrund von Erwerbslosigkeit auflösen, zugleich aber auch die
Kommunen vom maßgeblich arbeitsmarktbedingten Teil des Armutsproblems
entlasten.
Der SoVD-NRW hält die Ziele des klassischen Sozialstaats Vollbeschäftigung,
soziale Arbeitsmarktregulierung, Verteilungsgerechtigkeit, soziale Garantien
für aktueller und notwendiger denn je, um der sozialen Desintegration
unserer Gesellschaft durch Massenerwerbslosigkeit und armut nebst den
vielfältigen daraus resultierenden sozialen Benachteiligungen und Ausgrenzungen
sowie der dadurch bedingten Gefährdung der Demokratie wirksam zu begegnen.
Die sowohl von der Landes- wie der Bundesregierung vorangetriebene "Modernisierungspolitik"
mit dem Leitbild des "aktivierenden" Staates weist demgegenüber
in eine durchaus problematische Richtung.
VII. Vorrangige Erfordernisse einer Bekämpfung von Armut
Armut ist nicht allein der Mangel an finanziellen Mitteln. Das Fehlen eines
ausreichenden (Erwerbs- oder Transfer-)Einkommens ist jedoch der Kern des Problems.
Wer die Lebenssituation von Menschen kennt, die auf Sozialhilfe angewiesen sind,
weiß, dass Einkommensarmut keineswegs erst unterhalb des Sozialhilfeniveaus
beginnt. Auch unter günstigsten Voraussetzungen kann eine Politik, die
auf den Abbau von Ursachen der Armut zielt, nicht von heute auf morgen
ans Ziel kommen. Eine Politik zur wirksamen Bekämpfung von Armut muss daher
auch und gerade auf eine spürbare und nachhaltige Verbesserung der Lebenssituation
derer zielen, die heute und morgen auf Sozialhilfe angewiesen bleiben.
Der SoVD-NRW sieht zur Bekämpfung von Armut daher folgende besonders dringliche
Aufgaben:
- Deutliche Erhöhung der Sozialhilfeleistungen (v.a. Regelsätze),
so dass das Versprechen des BSHG, ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen,
wieder einlösbar wird [17]
- Verzicht auf die Anrechnung des Kindergelds als Einkommen, solange Kindergeld
einkommensunabhängig also auch an Spitzenverdiener gezahlt
wird
- Abbau der Dunkelziffer der Armut durch Einschränkung der Familiensubsidiarität
bei Sozialhilfe (etwa analog zur sog. Grundsicherung in der Rentenreform)
- Einführung von Mindestpauschalen für "einmalige Hilfen"
auf einem bedarfsdeckend verbesserten Niveau, um die restriktiven Ermessensspielräume
der Sozialhilfeträger bei der Gewährung von Ermessensleistungen
einzuschränken
- Schaffung eines Netzes unabhängiger Sozialhilfeberatungsangebote, die
die Hilfeberechtigten in der Wahrnehmung ihrer Rechtsansprüche gegenüber
den Trägern der Sozialhilfe unterstützen
- Wiederherstellung der sozialen Sicherungsfunktion der Arbeitslosenhilfe
mit dem Ziel, das vorrangige Sicherungssystem gegen Erwerbslosigkeit "armutsfest"
zu machen
Zur Finanzierung der erforderlichen Mehrausgaben ist insbesondere der private
Reichtum nach Maßgabe der Sozialpflichtigkeit des Eigentums angemessen
heranzuziehen (v.a. Vermögens- und Erbschaftssteuer, verkehrswertorientierte
Immobilienbesteuerung u.ä.).
Wir bitten, diese Fragen in die nordrhein-westfälische Sozialhilfepolitik
maßgeblich einzubeziehen.
VIII. Konzeption "Sozialagentur" positiv gestalten
Diesseits der hier vorgetragenen kritischen Hinweise enthält das Konzept
der "Sozialagenturen" auch sozial- und arbeitsmarktpolitisch positive
Elemente und Orientierungen, die jedoch wie dargestellt in dem
durch die Projektskizze vorgegebenen Zusammenhang nicht entfaltet werden können.
Der SoVD-NRW regt daher an, ein Projekt "Sozialagenturen Hilfe aus
einer Hand" unter Berücksichtigung der hier vorgetragenen Erwägungen
dahingehend zu gestalten, dass folgenden Gesichtspunkten Rechnung getragen wird:
- Es ist sicher zu stellen, dass die Bündelung materieller und sozialer
Hilfen im Rahmen eines einzelfallbezogenen Case-Managements tatsächlich
zu auf Partizipation und "Kundenorientierung" ausgerichteten Angeboten
führt.
- Die "Sozialagenturen" sind bei unabhängigen, frei gemeinnützigen
Trägern anzusiedeln, denen der Beratungsauftrag nach BSHG und die Steuerung
der einzelfallbezogenen Hilfeprozesse zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung
übertragen wird.
- Dazu schließt der Sozialhilfeträger mit dem Träger der "Sozialagentur"
eine Zielvereinbarung ab, die nicht auf Einsparungen und nicht vorrangig auf
Vermittlung zielt, sondern v.a. auf qualitative Kriterien einer umfassenden
Erfüllung des sozialen Beratungsauftrags. Dazu gehört auch die Aufdeckung
vorhandener, aber nicht gedeckter Bedarfe an materiellen und immateriellen
Hilfen. Die "Sozialagentur" hat ihre Tätigkeit gegenüber
dem Träger der Sozialhilfe zu dokumentieren, so dass ein Controlling
sicher gestellt ist.
- Beim Träger der Sozialhilfe verbleibt die Verantwortung für die
Steuerung des Angebots an sozialen Diensten und die Zahlbarmachung von Leistungen.
Der unabhängigen "Sozialagentur" ist ein Vorschlagsrecht für
die im Einzelfall zu bewilligenden Sozialhilfeleistungen (Geld- , Sach- und
Beratungsleistungen) einzuräumen.
- Hat der Sozialhilfeträger im Einzelfall Bedenken, den Vorschlägen
der "Sozialagentur" zu folgen, ist eine vom Sozialhilfeträger
und den Interessenvertretungen der Hilfeberechtigten paritätisch besetzte
"Schiedsstelle" mit neutralem Vorsitz anzurufen, deren Entscheidung
für alle Beteiligten verbindlich ist, sofern weitere Rechtsmittel nicht
eingelegt werden.
Anmerkungen
1) MASQT, Projektskizze "Sozialagenturen Hilfe
aus einer Hand", März 2001 (im Folgenden: Projektskizze), sowie MASQT,
Netz von Sozialagenturen Aufbauen Modernisierung der Sozialhilfe in Nordrhein-Westfalen,
14. März 2001 (im Folgenden: Minister-Papier)
2) Minister-Papier, S. 1 und Projektskizze, S. 3/4
3) Minister-Papier, S. 2, Hervorhebung i. Original
4) Diese Auffassung prägte bisher die "finale Betrachtungsweise".
Die diesbezüglichen Hinweise auf S. 9 der Projektskizze legen hier die
Vermutung einer Umdeutung nahe.
5) vgl. aktuell: Dr. Ulrich Schneider, Expertise zur Frage
der bedarfsgerechten Fortschreibung des Regelsatzes für Haushaltsvorstände
gem. § 22 BSHG, Frankfurt, 10.04.2001, www.paritaet.org
6) ebd., S. 5
7) Projektskizze, S. 10 ff
8) ebd., S. 2, Hervorhebung von uns
9) vgl. etwa Prof. Dr. jur. Helga Spindler, Fordern heißt
nicht entrechten, in: Arbeitsdruck 10/1999, Hg. Paritätischer Wohlfahertsverband
NRW. Sie analysiert dort die "Fördern und Fordern"-Politik am
Beispiel Köln als "Verfahren zur Vernichtung sozialrechtlicher Ansprüche".
10) vgl. Prof. Dr. Johannes Falterbaum, Kürzung der
Hilfe zum Lebensunterhalt wegen "Fehlverhaltens" des Leistungsberechtigten
nach § 25 BSHG, in: ZFSH/SGB Nr. 10/2000
11) Angesichts eines öffentlichen Meinungsklimas, das
von wiederholten, politisch motivierten Diskussionen über "Sozialmissbrauch"
und "Arbeitsverweigerer" geprägt ist, ist diese Position gegenwärtig
sicher nicht populär. Sie bleibt aber aus unserer Sicht dennoch - oder
gerade deswegen - notwendig.
12) Projektskizze, S. 13 f
13) Projektskizze, S. 17
14) Minister-Papier, S. 2
15) ebd., S. 3
16) vgl. insbesondere: Achim Trube/Norbert Wohlfahrt, "Der
aktivierende Sozialstaat" Sozialpolitik zwischen Indivudualisierung
uns einer neuen politischen Ökonomie der inneren Sicherheit, in: WSI-Mitteilungen
1/2001
17) Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat aktuell
nochmals vorgerechnet, dass der bundesdurchschnittliche Eckregelsatz (Haushaltsvorstand)
heute um 42 DM höher liegen müsste (591 statt 549 DM), um den Kaufkraftverlust
in Folge fiskalisch motivierter Deckelungen und unzureichender Umsetzung des
geltenden Bedarfsbemessungssystems auszugleichen - vgl. Dr. Ulrich Schneider,
Expertise zur Frage der bedarfsgerechten Fortschreibung des Regelsatzes für
Haushaltsvorstände gem. § 22 BSHG, a.a.O.
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