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Das sogenannte Mainzer Kombilohn-Modell soll auf die gesamte Bundesrepublik ausgeweitet werden. Mit 43 Mio. EURO staatlicher Förderung für 23.000 zusätzliche Billigjobs will die Bundesregierung im Wahljahr mehr als vier Millionen Arbeitslose bekämpfen
Fast haben wirs schon wieder vergessen. 1999, kein Jahr nach der Wahl, zeigt die "moderne" SPD ihr wahres Gesicht am Arbeitsmarkt: Mit dem "Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit" ist eine öffentliche Bühne ins Leben gerufen, auf der die Unternehmer ihr Propaganda-Theater für einen Niedriglohnsektor lauthals hinausposaunen können.
Mit wichtigen Titeln wie "Arbeitsgruppe Benchmarking" bezeichnete Gruppen von Wissenschaftlern werden auf diese Erscheinung angesetzt. Die neue Regierung bekämpft die Arbeitslosigkeit. Sechzehn Jahre Aussitzen sind vorbei. Der Kanzler will sich am Erfolg bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit messen lassen. Schnell sind die Ursachen erkannt. Wir brauchen einen Niedriglohnsektor. Gutachten legen eine staatliche Bezuschussung von Niedriglöhnen nahe. Am 12. Dezember 1999 beschließt das "Bündnis für Arbeitsplatzvernichtung" die Erprobung des so genannten Mainzer Modells und des Modells der Saar-Gemeinschaftsinitiative in mehreren Arbeitsmarktregionen (CAST).
Seitdem ist Ruhe an dieser Front. Als die Konjunktur vor einem Jahr einbricht, wird die Drückeberger-Hetzkampagne aufgelegt, Fördern und Fordern propagiert, sonst passiert nichts: Ruhige Hand. Aber weil der moderne Kapitalismus sehr viel verläßlicher ist als eine moderne SPD, wächst nicht nur die Wirtschaft nicht, sondern die Arbeitslosigkeit dafür umso mehr - ausgerechnet im Wahljahr wieder über vier Millionen. (Diesmal) ohne zu stören fangen die Arbeitslosen an zu stören. Und jetzt auch noch Stoiber. Erste Umfragen sehen ihn bereits vor Schröder. Zittrige Hände. Also muß irgendeine Initiative her - die möglichst nichts kostet, aber öffentlichkeitswirksam verkauft werden kann. Da war doch noch was? Genau: CAST!
Nach Schätzungen der Bundesregierung hätten seit September 2000 bis heute im Mainzer Modell 80.000 und im Saarländischen Modell 20.000 Menschen zusätzliche Arbeit bekommen sollen. Bis Dezember letzten Jahres waren es tatsächlich 735 und 263. Gutachten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln (IWKöln) sowie sämtliche anderen Untersuchungen und Stellungnahmen bescheinigen dementsprechend den Modellen verschwindend geringen Erfolg; bestenfalls wird eine weitere Erprobung vorgeschlagen.
Egal.
Das Mainzer Modell wird auf ganz Deutschland ausgeweitet. Wir schaffen zusätzliche Arbeitsplätze im Niedriglohnbereich für gering Qualifizierte, Sozialhilfebezieher und Langzeitarbeitslose! Wir tun was gegen die Arbeitslosigkeit!
Interne Schätzungen des Bundesministeriums für Arbeit rechnen mit 23.000 Teilnehmern pro Jahr und Kosten von 43 Mio. EURO, von denen über die Hälfte aus noch vorhandenen Rücklagen für Arbeitsmarktpolitik genommen werden können. Das wars. Alle Kritiken oder weitergehenden Vorschläge werden abgebügelt.
In der Monitorsendung vom 17. Januar dieses Jahres rechnet Wirtschaftsexperte Gerhard Becker vor, daß es nur 3.000 neue Arbeitsplätze werden.
Die Kunst der Politik ist heute am Grad der Dreistigkeit zu messen, mit der sie in den Medien in Szene gesetzt wird. Die Kombilohn-Debatte ist ein Beispiel dafür. Angesichts von 4 Mio. Arbeitslosen und 390.000 gemeldeten offenen Stellen ist die Darstellung, mit der Schaffung von 23.000 Billigjobs für 43 Mio. EURO die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, nicht mehr nur dreist, sondern eine unverschämte Provokation.
Zum Vergleich: Für das "Equal"-Projekt wurden aus dem Arbeitsministerium mal eben 25 Mio. EURO ohne Ausschreibung rübergeschoben. Seit Anfang dieses Jahres hat die Bundesregierung Gewinne aus dem Verkauf von Unternehmen von der Steuer befreit. Geschätzte Ausfälle bei der Gewerbesteuer: 150 Mrd. EURO!
Trotzdem wird die Kombilohn-Initiative in den Medien hochgekocht. Anhand von 43 Mio. EURO wird scheinbar ernsthaft über die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit diskutiert. Einwände werden mit der moralischen Keule der Dummdreistigkeit niedergeschlagen:
Und wenn nur ein paar Tausend Erwerbslosen geholfen wird, hat es sich schon gelohnt.
Im Klartext: Wenn wir 20.000 "helfen", brauchen wir für 3,8 Millionen nichts zu tun.
Seitdem es das unsägliche "Bündnis für Arbeitsplatzvernichtung" gibt, wurden den Unternehmen Steuererleichterungen, Lohnerhöhungen unter der Preissteigerungsrate (Lohnerhöhungen im Jahr 2001 im Schnitt 2,1 Prozent, Preissteigerungen bei 2,5 Prozent) und Flexibilisierungen des Arbeitsmarktes nachgeschmissen. Von ihren Zusagen, Überstunden abzubauen, Qualifizierung auszuweiten oder gar zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen, haben die Unternehmer nichts eingehalten. Im Gegenteil: Die Überstunden bleiben auf Rekordhöhe (1,75 Mrd. in 2001), Arbeiter über 45 werden, selbst wenn sie hochqualifiziert sind, nicht mehr eingestellt (70.000 "händeringend gesuchte" Ingenieure sind arbeitslos), eine neue Welle von Massenentlassungen hat gerade begonnen. Das gesamte Steueraufkommen wird in Deutschland fast nur noch von den abhängig Beschäftigten bezahlt.
Und die Gewerkschaften? Noch bis vor ein paar Wochen wurde die staatliche Förderung eines Niedriglohnsektors mit guten Argumenten rigoros abgelehnt (siehe Kasten: Position der IG Metall). Nebenbei: Alle Kombilohnmodelle werden durch weitere Maßnahmen zur Auflösung gesicherter Arbeitsverhältnisse begleitet: Verlagerung der Arbeitsvermittlung von den Arbeitsämtern auf private Firmen, Ausweitung der Leiharbeit, Verschärfung der Zumutbarkeitsregelungen und entsprechender "Bestrafungen", Förderung der Zusammenlegung von Arbeitslosenselbsthilfe und Sozialhilfe (faktische Abschaffung der Arbeitslosenhilfe). Heute unterstützen die Gewerkschaften die bundesweite Ausdehnung des Mainzer Modells. Ein Brummkreisel für Unternehmerkinder.
Weiß eigentlich noch jemand, daß "Reform" mal der Begriff für positive Veränderung im Interesse der abhängig Beschäftigten und Arbeitslosen war? Wenn wir heute das Wort hören, zucken wir unwillkürlich zusammen:
Was kommt nun wieder? Mehr Arbeit, weniger Geld, höhere Preise oder die Schließung einer sozialen oder kulturellen Einrichtung?
Eine Regierung könnte mit einer Reform des Arbeitszeitgesetzes die Überstunden einschränken und die wöchentliche erlaubte Arbeitszeit von 60 auf 50 Stunden senken. Sie könnte wie in Holland Teilzeitarbeit massiv fördern oder wie in Frankreich mit der gesetzlichen Einführung der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich 500.000 neue Arbeitsplätze schaffen. Sie könnte statt Billigjobs zu fördern einen Mindestlohn einführen, der die Existenz sichert. Sie könnte mit einer angemessenen Grundsicherung die Unternehmer zwingen, existenzsichernde Arbeitsplätze zu schaffen, statt die Erwerbslosen in McJobs zu zwingen. Sie könnte wachsende Armut bekämpfen, indem sie Kinder und Familien gezielt fördert
Wie viele haben dafür 1998 rotgrün gewählt?
Jetzt Stoiber? Oder Gysi?
Lieber Stoiber als Gysi, weil Stoiber bleibt Stoiber, aber Gysi wird Schröder,
und Schröder wird blöder?
Hmh
Das IAB hat in seinem Werkstattbericht Nr. 14 vom 5.12.2001 unter dem Titel "Kombilöhne für Deutschland" eine systematische Übersicht über allein zwölf verschiedene Modelle vorgelegt, die seit einigen Jahren in verschiedenen Regionen erprobt werden. Warum es das Mainzer Modell geworden ist, müßt ihr die Bundesregierung fragen.
Gefördert werden im Mainzer Modell Arbeitnehmer, nicht nur Langzeitarbeitslose und Sozialhilfebezieher, die eine gering bezahlte neue Tätigkeit aufnehmen. Sie erhalten einen Zuschuß zum Arbeitnehmeranteil der Sozialabgaben (20,5 % des Bruttoeinkommens), der bei einem Einkommen von 325 bis 897 EURO (bei Paaren bis 1707 EURO) stetig abnimmt und einen Kindergeldzuschlag von maximal 77 EURO pro Kind. Außerdem dürfen die Beschäftigten noch eine Pauschale von 87 EURO monatlich als Werbungskosten geltend machen. Die Zuschüsse sowie der Kindergeldzuschlag bleiben steuerfrei.
Was der Staat drauflegt und was die Geförderten bekommen, zeigen idealisierend zwei Schaubilder des IWKöln (zu finden unter: www.iwkoeln.de/Direkt/D-Archiv/d-arch02.htm). Was die geförderten bekommen (sollten), zeigt nebenstehende Übersicht. Das demnach verfügbare Einkommen der Geförderten errechnet sich jedoch nicht nur aus Nettolohn und Mainzer Zuschüssen zu Kindergeld und Sozialabgaben - sondern enthält ergänzend bezogene Sozialhilfe, Kindergeld und ggf. Kindesunterhalt. Beinahe selbstredend übergehen Hochglanzbroschüren zum Mainzer Modell dieses "kleine" Detail. (Die in die Tabellen eingerechneten jeweiligen Sozialhilfebedarfe sind anscheinend an Durchschnittsrechnungen des Bundesarbeitsministeriums angelehnt; siehe: www.bma.bund.de.)
Laut Modellberechnung des IWKöln wird der Mainzer Zuschuß zu Sozialabgaben und Kindergeld nicht auf die Sozialhilfe angerechnet - und nur so kommen die (sowieso nicht eben hohen) Summen zustande, die der Geförderte angeblich monatlich zur Verfügung hat. Nur: Nach Auskunft des IAB handhaben die am Modell beteiligten Sozialämter in Rheinland-Pfalz das jedoch jetzt schon unterschiedlich - was zum Ergebnis hätte, daß das in Taschen verbleibende Gesamteinkommen teilweise noch deutlich niedriger ausfallen dürfte als in der Tabelle genannt. In der Presse hat die Bundesregierung allerdings bis heute verkündet, daß die Zuschüsse nicht auf Arbeitslosen- und Sozialhilfe angerechnet werden sollen - mal sehen.
Ob im Einzelfall die Aufnahme einer Beschäftigung nach diesem Modell lohnt, hängt ganz wesentlich davon ab, ob und wie die Zuschüsse auf Alhi und Sozialhilfe angerechnet werden und muß je nach individueller Lebenslage durchgerechnet werden.
Welche Arbeitsverhältnisse nach dem Mainzer Modell tatsächlich entstehen, wird die Begleitforschung hoffentlich dokumentieren. Das Modell bietet sowohl Arbeitgebern wie auch Arbeitnehmern die Gelegenheit, es in ihrem Sinn optimal zu nutzen.
Arbeitgeber können ungeniert Jobs mit schlechtesten Stundenlöhne fördern lassen, denn für Arbeitnehmer macht der Stundenlohn dank Förderung für das monatlich verfügbare Geld kaum Unterschied. Warum sollten Arbeitgeber dann noch nen Cent mehr drauflegen? Und bislang achtet unseres Wissens kein Arbeits- oder Sozialamt darauf, nicht in Jobs zu Dumpinglöhnen zu vermitteln.
Arbeitnehmern hingegen reichen Jobs mit Arbeitszeiten an der unteren Grenze der Sozialversicherungspflicht (15 Std./Woche) bei relativ gutem Stundenlohn, um dank Förderung ein für sie optimales Einkommen zu erzielen.
Das Modell verschafft zumindest allen Arbeitsloseninitiativen, die Sozialberatung anbieten, zusätzliche Beschäftigung, wenn auch unbezahlt. 17 Seiten Paragraphen vom Feinsten inclusive Durchführungsanordnungen nur für das Mainzer- und das Saarmodell - ohne unabhängige Sozialberatung kann jedem Interessierten nur dringend davon abgeraten werden, sich ungeschützt in die Fänge der zuständigen Arbeits- und Sozialämter zu begeben.
Nach 36 Monaten Höchstförderung fallen nach heutigem Stand die Zuschüsse des Modellprojekts weg. Dann bleibt vom Modell-Einkommen nur der ungeschminkte Minilohn (plus ergänzender Sozialhilfe) und damit das, was heute selbst nach Lesart herrschender Politik wirklich unzumutbar ist.
Auf viele derjenigen, die nach diesem Job wieder arbeitslos werden, wartet eine weitere böse Überraschung. Denn nach drei Jahren Arbeit im Mainzer-Modell-Job (bei z.B. 800 EURO reiner Bruttolohn oder drunter) wird sich bei heutiger Gesetzeslage ein winziges Arbeitslosengeld allein aus dem vom Arbeitgeber zuletzt gezahlten Lohn errechnen. Wer vorher Arbeitslosenunterstützung nach einem etwas besser bezahlten Job (z.B. DM 3.000 brutto) bezog, muß dann mit erheblichen Einbußen beim Alg rechnen. Denn nach drei Jahren Billigstjob greift keine Schutzregelung des SGB III mehr. Anders wäre es, wenn der Billigstjob nur zwei Jahre und 11 Monate ausgeübt wurde (vgl. § 133 Abs. 1 SGB III).
Zum Abschluß noch ein paar Zitate von Beteiligten zum Thema "Anreize für Erwerbslose sind nötig" und "Zusätzliche Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich" (Handelsblatt, 10.01.02):
"Der bisher geringe Erfolg des Mainzer Modells [ ] liegt vor allem an der Zurückhaltung der Arbeitgeber. Für sie sind andere Förderprogramme lukrativer. 'Die Unternehmen bevorzugen die Lohnkostenzuschüsse der Arbeitsämter', beobachtet Klaus Pohl, Sprecher des Landesarbeitsamtes Berlin-Brandenburg. Denn erstens sind diese höher als der Förderanteil beim Kombilohn und zweitens fließen sie an den Arbeitgeber, während beim Mainzer Modell der Arbeitnehmer bezuschusst wird. 'Es gibt viel mehr interessierte Personen als Arbeitsplätze', sagt Stefan Dierkes, Kombilohnexperte des Arbeitsamts Eberswalde in Brandenburg."
"In Eberswalde arbeiten die Kombilohnempfänger unter anderem als Verkäuferinnen, Friseurinnen, Reinigungs- und Pflegekräfte. Eine Verkäuferin in einem Lebensmittelladen in der Uckermark bekommt bei einer 30-Stunden-Woche 720 EURO brutto im Monat, eine Reinigungskraft bei einer 25-Stunden-Woche 630 EURO. Von Dumpinglöhnen, wie es die Gewerkschaften tun, will Dierkes aber nicht sprechen. 'Das ist die ortsübliche Vergütung, mit oder ohne Kombilohn.' "
Brutto-Lohn ohne Förderung |
Verfügbares Einkommen durch Förderung nach Mainzer Modell incl. Kindergeld und Sozialhilfe nach Familienstand bei jeweiligem Bruttolohn |
Ledig | Alleinerziehend mit 1 Kind | Verheiratete Alleinverdiener mit 2 Kindern | |
326
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723
|
1.247
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1.765
|
500
|
740
|
1.282
|
1.782
|
750
|
755
|
1.282
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1.797
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1.000
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794
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1.282
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1.797
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