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Updated: 18.12.2012 15:51
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Schlechter Ersatz

Allgemeinverbindlichkeit statt gesetzlicher Mindestlohn?

So schnell kann es gehen: Eben noch hatte die Regierung, um die populistische Kapitalismusschelte der SPD nicht völlig konsequenzlos aussehen zu lassen, beschlossen, das Entsendegesetz auszuweiten, da ist nach verlorener NRW-Wahl und angesichts der Neuwahl des Bundestags schon wieder fraglich, ob dieser Vorschlag es noch in den Rang einer Gesetzesinitiative schafft. Auch die Unternehmerlobbies, die gleich »Achtung Massenarbeitslosigkeit!« riefen, haben längst wieder das Thema gewechselt.

Dies muss kein Nachteil sein, denn entgegen dem von zahlreichen Medien vermittelten Eindruck handelte es sich bei dem Vorschlag nicht um die Einführung allgemeiner Mindestlöhne.

Dennoch freute sich der DGB über richtige Schritte in richtige Richtungen. Auf den ersten Blick schien die Regierungsinitiative auch Charme zu haben. Immerhin gibt es für die Bauwirtschaft inzwischen zwei tariflich vereinbarte Mindestlöhne für Facharbeiter und so genannte ungelernte Arbeitskräfte, die zwar wie inzwischen üblich nach Ost- und Westdeutschland differenziert sind, aber zumindest auf dem Papier für alle Beschäftigten gelten, die in Deutschland auf Baustellen arbeiten.

Warum wäre dann die Ausweitung eines solchen Mechanismus' noch nicht einmal die zweitbeste Lösung, verglichen mit einem gesetzlichen Mindestlohn?

Voraussetzung für eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung nach dem Entsendegesetz sind bundesweite tarifliche Regelungen. Wo aber kein Tarifvertrag existiert, da gibt es auch keine Allgemeinverbindlichkeit. Für die Beschäftigten in den privaten Schlachthöfen beispielsweise, deren Dumpinglöhne in den letzten Monaten besonders im Blickpunkt standen, gibt es weder einen Tarif, noch gibt es überhaupt einen Arbeitgeberverband, der Tarifvertragspartei sein könnte. Ähnlich sieht es in weiten Teilen des Hotel- und Gaststättengewerbes aus. Schließlich: Wenn es zwar Arbeitgeberbände gibt, diese aber nicht verhandeln wollen, dann sieht die jeweilige Gewerkschaft so alt aus wie bisher, wenn sie nicht in der Lage ist, Tarifverträge per Arbeitskampf zu erzwingen. Die NGG müsste nicht 1500 Euro gesetzlichen Mindestlohn fordern, würde ihr diese Durchsetzungsmacht nicht im Hotel- und Gaststättengewerbe fehlen. Tatsächlich ist es derzeit unrealistisch anzunehmen, dass in dieser und anderen hochfragmentierten Dienstleistungsbranchen die Gewerkschaften selbst bei größter Anstrengung in absehbarer Zeit in der Lage sind, eine auf Organisationsstärke basierende Verhandlungsmacht zu erlangen, die diesen Namen verdient. Nicht zuletzt Rot-Grün hat mit der Abschaffung des Kündigungsschutzes für Kleinbetriebe und der nahezu völligen Freigabe von Befristungsmöglichkeiten die rechtliche Stellung der dortigen Beschäftigten weiter geschwächt. Die bescheidene Reform des Betriebsverfassungsgesetzes brachte gerade im Kleinstbetriebsbereich ebenfalls keine verbesserten Organisierungsmöglichkeiten. Wo aber Durchsetzungsmacht fehlt, sind Tarifverträge - so es sie überhaupt gibt - fast notwendigerweise Niedriglohntarifverträge.

Die Ausweitung des Entsendegesetzes würde deshalb überall dort, wo unter entsprechendem öffentlichem Druck vielleicht doch Tarifregelungen getroffen werden, die aber nicht auf wirklicher Verhandlungsstärke beruhen, allenfalls zu einer Ausweitung des tariflichen Niedriglohnsektors führen. Anders als bei einem gesetzlichen Mindestlohn hätte die Regierung so die Verantwortung für die working poor den Tarifvertragsparteien, und dies heißt in erster Linie den Gewerkschaften, zugeschoben. Die Ergebnisse eines solchen Abschiebens der Verantwortung können derzeit in der Zeitarbeitsbranche besichtigt werden, wo statt des ursprünglich seitens der Gewerkschaften geforderten Equal Pay jetzt ein tariflich garantierter Niedriglohn angesagt ist.

Und noch etwas zeigt das Beispiel Zeitarbeit. Sollte sich angesichts der organisatorischen Schwäche in den von Prekarität besonders betroffenen Branchen bei den DGB-Gewerkschaften die Erkenntnis durchsetzen, dass nicht immer ein Tarifvertrag besser ist als kein Tarifvertrag, dann gibt es ja noch den Christlichen Gewerkschaftsbund (CGB). Die Tarifierung der Zeitarbeit zeigt den Mechanismus. Zur Erinnerung: Nachdem die Regierung im November 2002 die Zeitarbeit weitgehend dereguliert hatte, wurde auf Drängen des DGB der Grundsatz des Equal Pay verankert. Dass heißt: Zeitarbeitsbeschäftigte sollten im Prinzip soviel verdienen, wie die Beschäftigten in den Betrieben, in die sie verliehen werden. Allerdings wurde dieser schöne Grundsatz durch eine Öffnungsklausel zunichte gemacht, die es erlaubte, per Tarifvertrag vom Equal Pay nach unten abzuweichen. Hiermit hatte die Regierung erfolgreich die Verantwortung an die Tarifparteien, und dies hieß insbesondere an den DGB, abgeschoben. Dessen Verhandlungsbereitschaft wurde noch dadurch befördert, dass der CGB bereit stand, noch mit dem obskursten Arbeitgeberverband in der Zeitarbeit bundesweite Tarifverträge zu nahezu jedem von den Unternehmen gewünschten Niveau abzuschließen. Diese CGB-Tarifverträge wurden und werden teilweise durchaus von örtlichen Arbeitsagenturen anerkannt, die damit die Auflage erfüllen, Aufträge zur Einrichtung von Personal-Service-Agenturen nur an tarifgebundene Unternehmen zu vergeben.

Niemand könnte garantieren, dass ähnliches nicht auch bei der Entsenderichtlinie bevorstünde. Irgendwelche christlichen Gewerkschaften schließen mit irgendwelchen Arbeitgeberverbänden bundesweite Tarife ab und beantragen die Allgemeinverbindlichkeit. Das Wirtschaftministerium könnte sich dann zurücklehnen und den protestierenden DGB-Gewerkschaften raten, doch selbst einen Niedriglohn abzuschließen.

Positiv an der Diskussion ist deshalb erst mal nur, dass die Mindestlohnskeptiker von IG BCE bis IG Metall das ungeliebte Thema nicht loswerden. Immer mehr Mitgliedern und Funktionären leuchtet nämlich ein, dass all das, was gesetzlich geregelt ist, weder tariflich noch betrieblich unterschritten werden kann - ein gesetzlicher Mindestlohn von daher eine Untergrenze zieht, um die dann auch branchenübergreifend politisch gestritten werden kann.

Die DGB-Gewerkschaften, die bisher nicht zuletzt wegen des Schulterschlusses von IG Metall und IG BCE zu keiner einheitlichen Linie beim Mindestlohn gefunden haben, wären gut beraten, sich den Positionen, wie sie von NGG und ver.di vertreten werden, anzuschließen. Dass ein Mindestlohn, wenn ihn diese oder eine nachfolgende Regierung festsetzen würde, eher niedrig ausfiele, ist anzunehmen, und sicherlich ist auch das Argument, dass in einigen Branchen Druck auf existierende Tarifverträge ausgeübt würde, nicht völlig substanzlos. Dieser Druck besteht allerdings bereits heute, und er geht von einem bereits jetzt existierenden Niedriglohnsektor aus. Während zur Zeit aber jede Gewerkschaft einzeln mit Absenkungswünschen der Unternehmen konfrontiert ist, würde ein gesetzlicher Mindestlohn ein neues Feld für politische, branchenübergreifende gewerkschaftliche Kampagnen bieten, die auch für Nichtmitglieder Beteiligungsmöglichkeiten und Anknüpfungspunkte bieten könnten.

K. Schmid

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 5/05


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