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Personality and Profiling

Fördernde und fordernde Arbeitsvermittlung – eine Oper in zwei Akten

Britta Brenner/Guido Grüner

Vieles im Job-aqtiv-Gesetz liest sich so, als hätten die Rot-Grünen im Jahr 2001 als erste entdeckt, dass Arbeitsämter nur dann erfolgreich vermitteln können, wenn sie die geeignete Person für die geeignete freie Stelle finden. Da diese Erkenntnis – bei aller berechtigten Skepsis gegenüber der Bundesanstalt für Arbeit (BA) – nun wirklich nicht neu ist, stellt sich die Frage, was eigentlich bislang die Aufgabe der Arbeitsämter war.

Oder ist der Sinn der neuen Verfahren in der Arbeitsvermittlung etwa ein ganz anderer? Wir dokumentieren einen Beitrag von Britta Brenner und Guido Grüner über den Inhalt und Hintergrund des neuen Job-aqtiv-Gesetzes, das am 1. Januar 2002 in Kraft tritt.

Mit dem Job-aqtiv-Gesetz wird die diesjährige Faulenzer-Debatte in Gesetz gegossen. Die für den Alltag Erwerbsloser wesentlichen gesetzlichen Neuerungen betreffen die neue Königsdisziplin "Arbeitsvermittlung". Profiling (hier vorläufig übersetzt als Erstellung eines ausführlichen Bewerberprofils) und die daraus abzuleitende, kontinuierlich zu überprüfende und in der Eingliederungsvereinbarung festzuhaltende "individuelle Vermittlungsstrategie" (Bundestagsdrucksache 14/6944 S. 28/29) sollen die Kernelemente zur "Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit" bilden, die "Arbeitsvermittlung modernisieren und passgenaue Vermittlung stärken." (Ebd., S. 24)

Dieser "fördernden und aktivierenden Arbeitsvermittlung" (ebd.) gilt Langzeitarbeitslosigkeit als Damoklesschwert, das über jeder/m abhängig Beschäftigten schwebt. Mit der "Eingliederungsvereinbarung" wird – dieser Logik folgend – "der Grundsatz des »Förderns und Forderns« ... konsequent und für beide Seiten fair umgesetzt", um "Langzeitarbeitslosigkeit und damit die Entwertung bzw. den Verlust von sozialer Kompetenz und beruflicher Qualifikation der Arbeitslosen (zu) verhindern". (Ebd., S. 24f.)

Kurz gesagt: In längstens einem Jahr soll/muss jede/r Arbeitslose irgendwie wieder in Arbeit sein. Und da Erwerbslose noch keinem Arbeitsdienst zugeordnet werden können, arbeitsmarktpolitisch aber keine zusätzlichen Stellen geschaffen werden sollen, wird der ‘modernen’ Arbeitsvermittlung aufgebürdet, dies Ziel zu erreichen, indem sie sich die einzelnen Erwerbslosen um so intensiver vorknöpft.

Vorab: Bei aller Modernisierung der Wortwahl à la ‘Profiling’ etc. im Job-aqtiv-Gesetz gelten für die Arbeitsvermittlung immer noch und zuvorderst grundsätzliche gesetzliche Bestimmungen, auf die man sich im Konfliktfall berufen sollte.

Arbeitsvermittlung

Während die Grundsätze des Arbeitsförderungsrechtes noch Fähigkeiten, Leistungsfähigkeit etc. der Arbeitssuchenden betonen, Arbeitsämter gar ab dem 1.1.2002 "unterwertiger Beschäftigung entgegenwirken" sollen, geht’s unter dem Stichwort ‚Profiling’ (des Arbeitslosen, nicht etwa des Arbeitsmarktes) konsequent um – vermeintliche oder tatsächliche – Defizite Erwerbsloser. Der Sinn ist klar: Der Arbeitnehmer soll seine ausgeprägten individuellen Defizite und geringere Leistungsfähigkeit im Zuge des Profilingprozesses einsehen – und sich schließlich mit dem abfinden, was der Arbeitgeber bietet.

 

1. Akt: Abgestuftes ‘Profiling’

Erster Aufzug: Der Arbeitsberater und sein Arbeitsloser

Ab Januar 2002 gilt, dass "das Arbeitsamt ... spätestens nach der Arbeitslosmeldung zusammen mit dem Arbeitslosen die für die Vermittlung erforderlichen beruflichen und persönlichen Merkmale des Arbeitslosen, seine beruflichen Fähigkeiten und seine Eignung festzustellen" und die Frage zu klären hat, "ob eine berufliche Eingliederung erschwert ist und welche Umstände sie erschweren." (SGB III, § 6, neu) Arbeitsvermittler und Arbeitsloser zusammen haben demnach zwei Jobs.

Als erstes ist das Bewerberprofil zu erstellen.

"Zum Profiling gehört die Feststellung von beruflichen und persönlichen Merkmalen wie Kenntnisse, Qualifikation, Berufserfahrung, Aktualität der Qualifikation und Kenntnisse, Weiterbildungsfähigkeit und –bereitschaft. Ferner gehören die Gegebenheiten des Arbeitsmarktes dazu, auf den sich die Vermittlungsbemühungen für den Arbeitslosen erstrecken." (Bundestagsdrucksache 14/6944 S. 28/29) Das klingt zuerst nach allerhand. Aber ganz so wichtig wird dieser Aspekt des ‘Profilings’ wohl nicht genommen. Denn bereits die hier gewählte Eingangsformulierung "Zum Profiling gehört ..." lässt nicht viel Aufmerksamkeit für das Erstellen des Profils erwarten. Sie drückt aus, dass ein Bewerberprofil eben noch irgendwie zur Arbeitsvermittlung dazu gehört – mehr aber nicht.

Zweitens sollen Arbeitsvermittler und Arbeitsloser zusammen "spätestens nach der Arbeitslosmeldung" (§ 6 SGB III) "das Risiko des Eintritts von Langzeitarbeitslosigkeit mit dem Ziel ... ermitteln, diese zu vermeiden. Zu diesem Zweck sollen umfassender als bisher die Stärken und Schwächen des Arbeitslosen festgestellt werden." (Ebd.) Der am Begriff ‚Profiling’ vielleicht aufkommende Eindruck, die BA solle zukünftig wirklich zur Fachanstalt für qualifizierte Arbeitsvermittlung ausgebaut werden (was voraussetzen würde, die Qualifikationen des Arbeitssuchenden aufmerksam zu erfassen), verblasst spätestens dann, wenn gängige Erläuterungen zum ‘Profiling’ mitgelesen werden.

Denn unter Profiling wird verstanden:

Prognosenstellung ist also das, was als ‘Profiling’ diskutiert wird. Die BA wird damit (bestenfalls) zur Fachanstalt für Prognose, Prophetie und Kaffeesatz. Es mag zwar für bestimmte Dinge solide Prognoseverfahren geben. Aber wie soll das im Massenbetrieb der Arbeitsämter für die einzelnen Erwerbslosen möglich sein? Und wie soll die BA solide etwas prognostizieren, dem sie am Ende doch nur hinterherläuft: nämlich die Prozesse auf dem Arbeitsmarkt? So standen am Ende der von der BA in Oldenburg, Bochum und Karlsruhe initiierten und ausgewerteten Modellversuche zum ‘Profiling’ auch Aussagen, die das jetzt in Gesetz gegossene Konzept wenig überzeugen lassen.

Einige der Aussagen:

Die Auswertung endete mit dem Schluss-Seufzer: "Es ist offen, ob über »Profiling« tatsächlich eine brauchbare Prognose von Langzeitarbeitslosigkeit auf individueller Ebene erreicht werden kann. In Großbritannien kamen Überlegungen zu dem Ergebnis, dass der Zufall stärker über die Eingliederung entscheidet als Kriterien, die für die Prognose eingesetzt werden können. Deshalb hat man dort auf Profiling verzichtet."[2]

 

Zweiter Aufzug: Nichts geht ohne Prognose

Die Prognose wird zukünftig für die Entscheidungen über den Fortgang arbeitsamtlicher Verwaltung der/s Erwerbslosen ab Arbeitslosmeldung benötigt. Es geht um die Frage, ob das Arbeitsamt (so bestimmt es SGB III, § 37,2 neu) Erschwernisse bei der beruflichen Eingliederung sieht und daher sofort eine "verstärkte vermittlerische Unterstützung" startet. Gleiches gilt, wenn "sechs Monate nach Eintritt der Arbeitslosigkeit noch keine Beschäftigung aufgenommen" wurde. Zur verstärkten Vermittlung zählt die Prüfung, "ob durch eine Beauftragung Dritter mit der Vermittlung die berufliche Eingliederung erleichtert werden kann." Dieser Beauftragung Dritter können Arbeitslose zukünftig nur noch "aus wichtigem Grund widersprechen" (SGB III, § 37a neu). Bisher galt, dass Arbeitslose einwilligen mussten, wenn Dritte an der Vermittlung beteiligt werden sollten – d.h. auch, dass Dritte als Arbeitsvermittler ohne "wichtigen Grund" abgelehnt werden konnten. (Vgl. SGB III, § 37,2 alt)[3]

Ein wichtiger Grund läge heute sicher dann vor, wenn durch den Dritten die berufliche Eingliederung nicht erleichtert wird. Davon ist immer dann auszugehen, wenn die Erfolglosigkeit bisheriger Arbeitssuche am Mangel an zumutbarer Arbeit liegt.

Nach dem "Eingangscheck" trifft das Arbeitsamt die Entscheidung über das weitere Vorgehen. Inwieweit dieses individuell passende Unterstützung bei der Arbeitssuche beinhaltet, ist zweifelhaft. Heutige Praktiken der BA geben vielmehr Hinweise darauf, dass die Massenverwaltung Arbeitsamt nicht versucht, den Check für’s Aufspüren passender Jobs, als ihn vielmehr zur Einteilung Erwerbsloser in leicht verwaltbare Personengruppen zu nutzen. Dies zeigt ein Beispiel des Landesarbeitsamtes Nordrhein-Westfalen zur "Strategie der Vermittlung":

Demnach dient die Beantwortung "Ergänzender Fragen zur Arbeitslosmeldung" im Zuge des Eingangs-checks der Zuordnung Erwerbsloser zu fünf "Bewerbergruppen".[4] Die in NRW praktizierte "Strategie der Vermittlung" kann hier nicht ausführlich dargestellt werden. Doch zumindest soviel sei angemerkt: Während im Strategiepapier des Landesarbeitsamtes NRW behauptet wird, "mit Hilfe des Fragebogens ... ist es möglich, Fähigkeiten, Kenntnisse, Interessen usw. des Bewerbers besser kennen zu lernen als bisher", geht’s im Fragebogen nur an einer einzigen Stelle um Kenntnisse des Erwerbslosen, nämlich um "beruflich verwertbare Freizeitinteressen" (die Kenntnisse des Erwerbslosen sind schließlich bereits Gegenstand des Anmeldebogens des Arbeitsamtes). Ansonsten werden Dinge abgefragt, die bereits gesetzlich im Rahmen der "Zumutbarkeit" geregelt sind (z.B. Gehalt, Wegezeiten, Tätigkeiten außerhalb des bisherigen Berufes, Weiterbildung). Das einzige, was das Arbeitsamt mit diesen Fragen wirklich erreichen kann, ist, dass Erwerbslose sich bereit erklären, Jobs zu schlechteren Bedingungen zu akzeptieren, als ihnen gesetzlich zumutbar ist.

Auf die Beantwortung der Fragen folgt die Zuordnung zu fünf Bewerbergruppen mit je eigener Kennziffer für das "vermittlungsrelevante Merkmal". Es gibt nur eine Personengruppe (A), bei der die Arbeitsamtsakte keine individuellen "Defizite" oder "Vermittlungshemmnisse" ausweist. Eine Gruppe derjenigen, die individuell ‘makellos’ dastehen, aufgrund Arbeitsplatzmangels jedoch auch etwas länger erwerbslos sein könnten, fehlt bezeichnender Weise. Auf den Eingangscheck folgt bei den Gruppen B bis E die Auflistung von "Vermittlungshemmnissen", Mängeln im Sozialverhalten, fehlender beruflicher Bildungsfähigkeit, Sucht/Psychischen Problemen. Ganz schnell wird Erwerbslosen ein nicht unerheblicher Datenschatten angehängt, denn "diese Eintragungen sind Bestandteil von Folgegesprächen. Schließlich erhalten mit Hilfe dieser Angaben alle Vermittler des Amtsbereiches eine aussagefähige Beschreibung des Arbeitslosen." Doch zurück zu den Neuerungen bei der Arbeitsvermittlung durch das Job-aqtiv-Gesetz.

 

Dritter Aufzug: Eignungsfeststellung durch Dritte

Gelingt es dem Arbeitsamt nicht festzustellen, "in welche berufliche Tätigkeit der arbeitslose oder von Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitsuchende vermittelt werden kann (oder welche Maßnahmen der aktiven Arbeitsförderung vorgesehen werden können), soll es die Teilnahme an einer Maßnahme der Eignungsfeststellung vorsehen." (SGB III, § 35, 3 neu)

In der Eignungsfeststellung bei Dritten, auch "Assessment-Verfahren" genannt, sollen "die Kenntnisse und Fähigkeiten, das Leistungsvermögen und die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten des Arbeitslosen oder von Arbeitslosigkeit bedrohten Arbeitsuchenden sowie sonstige, für die Eingliederung bedeutsame Umstände ermittelt werden und unter Berücksichtigung der Arbeitsmarktlage festgestellt werden, für welche berufliche Tätigkeit oder Leistung der aktiven Arbeitsförderung er geeignet ist." (SGB III, § 49, 1 neu) Diese Eignungsfeststellung kann Erwerbslosen bereits vor Eintritt der Arbeitslosigkeit "angeboten werden", z.B. "außerhalb der Beschäftigungszeit" oder wenn "der Arbeitsuchende dazu freigestellt wird". (Bundestagsdrucksache 14/6944, S. 32)[5]

Die Gesetzesbegründung betont die Ermittlung "sonstiger, für die Eingliederung bedeutsamer Umstände" in der Eignungsfeststellung, denn "es wird klargestellt, dass sich das Assessment auf alle Umstände beziehen soll, die für die berufliche Eingliederung bedeutsam sind." (Ebd.) Das darf nicht als Generalvollmacht zum Ausforschen Erwerbsloser missverstanden werden. Denn die Eignungsfeststellung durch Dritte ist (auch wenn sie als ‘Assessment’ daherkommt) nichts anderes als ein Beitrag zur Erstellung eines Bewerberprofiles, wenn das Arbeitsamt allein zu keinem klaren Bild kommt. Und für das Profiling (SGB III, § 6 neu) stellt die Gesetzesbegründung fest: "Welche Daten (beim Profiling) zu ermitteln sind, richtet sich nach den (bislang schon) geltenden Vorschriften. Neue Datenerhebungsbefugnisse werden durch die Vorschrift nicht begründet." (Bundestagsdrucksache 14/6944, S. 28)

Ergo: Arbeitslosen ist im Rahmen der Arbeitsvermittlung nur das zumutbar, was für alle Arbeitnehmer bei der Arbeitsuche gilt, einschließlich der Bestimmungen zu zulässigen und unzulässigen Fragen.

 

Zweiter Akt: Die "Eingliederungsvereinbarung"

Basierend auf den Ergebnissen des Profilings soll "das Arbeitsamt zusammen mit dem Arbeitslosen ... für einen zu bestimmenden Zeitraum" eine Festlegung treffen über "die Vermittlungsbemühungen des Arbeits-amtes" und "die Eigenbemühungen des Arbeitslosen ... sowie, soweit die Voraussetzungen vorliegen, künftige Leistungen der aktiven Arbeitsförderung." (SGB III, § 35, 4 neu) Diese Festlegung heißt jetzt "Eingliederungsvereinbarung" und soll i.d.R. drei bis sechs Monate gelten. Bei Erfolglosigkeit soll die Ursache ermittelt und die Vereinbarung fortgeschrieben und angepasst werden. Eine Anpassung hat auch an geänderte Verhältnisse zu erfolgen, da "der Prozess der Eingliederungsbemühungen von vielen Faktoren beeinflusst wird." (Bundestagsdrucksache 14/6944, S. 31)

 

1. Aufzug: Eingliederungsvereinbarung – Verhandlungssache?

Die Vereinbarung ist zwar zu treffen (SGB III, § 6), doch sie kann dem Erwerbslosen nicht aufgezwungen werden. In der Gesetzesbegründung heißt es: "Die Eingliederungsvereinbarung wird vom zuständigen Mitarbeiter des Arbeitsamtes und dem Betroffenen gemeinsam erarbeitet. Bei Differenzen über die vorzusehenden Maßnahmen kann der Arbeitslose eine Beratung und eine Entscheidung des Vorgesetzten verlangen. Hierbei kann er zu seiner Unterstützung auch einen Berater seines Vertrauens hinzuziehen. Kann auch bei diesem Einigungsversuch kein Einvernehmen erzielt werden und kommt deshalb eine Eingliederungsvereinbarung nicht zustande, bleibt es dabei, dass das Arbeitsamt Vermittlungsvorschläge unterbreitet und über Maßnahmen der aktiven Arbeitsförderung entscheidet." (Bundestagsdrucksache 14/6944, S. 31) Mithin gilt: Gesetzlich bestimmt ist, dass eine Vereinbarung zu treffen ist, aber wenn dazu kein Einvernehmen zwischen den betreffenden Parteien herbeizuführen ist, bleibt alles beim alten. Auch im neu gefassten § 3 SGB III heißt es, "Arbeitnehmer und Arbeitsamt arbeiten zusammen", in der Gesetzesbegründung ist die Rede vom vertrauensvollen Zusammenwirken von Arbeitnehmer und Arbeitsamt. (Ebd., S. 28)

Ob also Verhandlungsspielräume existieren, wird im Einzelfall von vielerlei Dingen abhängen. Letztlich sollte sich jede/r Erwerbslose vor einer möglichen Unterschrift die Frage stellen, ob die vom Arbeitsamt in die Vereinbarung eingebrachten "Angebote" ein rundum faires Gegengewicht zu den vom Erwerbslosen erwarteten Leistungen darstellen.

 

2. Aufzug: Eingliederungsvereinbarung und Fairness

Eine Vereinbarung zwischen Arbeitsamt und Erwerbslosen, die das Prädikat "fair" verdienen soll, müsste verlässliche Abmachungen enthalten, die auf die Situation der/s jeweils Erwerbslosen zugeschnitten sind und mehr Perspektive eröffnen als die vereinbarungslose Erwerbslosigkeit. Ein Beispiel: Gegenstand einer fairen Vereinbarung könnte sein, einem bereits umgeschulten Erwerbslosen eine (bisher verweigerte) Zuweisung auf eine Maßnahme zur Arbeitsbeschaffung in diesem Berufsfeld zu einem zumindest annähernd bestimmten Termin zu bieten, wenn bis dahin – präzise niederzulegende – Bemühungen der Vermittlung und Eigensuche eines entspr. ungeförderten Beschäftigungsverhältnisses an fehlender Berufspraxis des Erwerbslosen scheitern.

Hier müsste das Arbeitsamt wirklich etwas anbieten und wäre gefordert, seine Mittel der aktiven Arbeitsförderung nach Maßgabe getroffener Vereinbarungen mit Erwerbslosen einzusetzen. Der Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung wird daher eine sehr sorgfältig zu planende Angelegenheit sein. Denn was ist, wenn das Arbeitsamt sich plötzlich nicht mehr an die Vereinbarung halten will? Bei unzureichenden Eigenbemühungen um Arbeit droht Erwerbslosen heute schon der Entzug der Lohnersatzleistung. Das Arbeitsamt hat bei Verletzung einer Vereinbarung keine Sanktion zu fürchten. Hier hilft also nur, Vereinbarungen sehr präzise zu fassen, um das Arbeitsamt in Legitimationszwang zu bringen.

Zum fairen Umgang mit diesen Vereinbarungen gehört noch vieles mehr, z.B.:

 

3. Aufzug: Nicht unterbuttern lassen!

Doch möchten wir vor überzogenen Hoffnungen warnen, dass Erwerbslose mit den Eingliederungsvereinbarungen vielfältige Chancen zur Verbesserung ihrer Lage auf dem Arbeitsmarkt erhielten. Ob es gelingt, die eigenen Interessen auf dem Arbeitsamt durchzusetzen, wird davon abhängen, ob Erwerbslose die Verhältnisse innerhalb der Bundesanstalt zu ihren Gunsten nutzen können. Denn die BA – und jedes einzelne Arbeitsamt – steht tendenziell unter Druck, den Erfolg der jeweiligen Vermittlungsarbeit mit dem neuen Instrument nachzuweisen. Dazu wird es vor allem eine erhebliche Zahl dieser Vereinbarungen und der damit gewonnenen positiven Erfahrungen vorweisen müssen. Und wir Erwerbslose sind in der vorteilhaften Situation, diese Vereinbarungen nicht unterzeichnen zu müssen, wenn wir uns mit dem Arbeitsamt nicht einigen können. Also muss das Arbeitsamt uns etwas bieten, wenn es unsere Unterschrift will.

 

Schluss der Vorstellung und laute Buhrufe

Rund um das Job-aqtiv-Gesetz wird zwar viel von "passgenauer" Vermittlung geredet, doch geht es darum höchstens am Rande. Wäre dem nicht so, müsste das Gesetz Neuregelungen ganz anderer Art enthalten. Zum Beispiel: endlich aussagefähige Stellenangebote aufzunehmen und zu veröffentlichen. Sich heute auf ein Stellenangebot aus dem SIS-Computer zu bewerben ist – davon kann jeder Erwerbslose ein Lied singen – meist nichts anderes als Geisterfahren im Nebel ohne Licht.

Was rund um das Schlagwort "Profiling" regierungs- und arbeitsamtsseitig zu lesen ist, lässt erwarten, dass hiermit ein weiteres Instrument (neben vielen der heutigen Trainingsmaßnahmen) eingerichtet werden soll, Erwerbslosen zu erklären, dass sie sich – so defizitär wie sie sind – froh schätzen dürfen, wenn ihnen noch jemand irgendeinen Job bietet. Ansprüche an Inhalt und Bedingungen von Arbeit sollen in das Reich der Utopien geschoben werden.

"Passgenauigkeit der Vermittlung" im Sinne der aktuellen Gesetzesänderungen bedeutet ganz das Gegenteil: der Standort Bundesrepublik will sich für den Wettstreit auf dem Weltmarkt stark machen, indem er die hier lebenden Erwerbslosen und Beschäftigten soweit zurechtstutzt, dass sie dankbar die Wünsche derjenigen erfüllen, die aus ihrer Arbeitskraft wirklich Nutzen ziehen.

 

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 11-12/01

Dieser Text wurde in einer längeren Fassung zuerst veröffentlicht in der Dezember-Ausgabe der Zeitschrift quer. Dort sind auch Mustervereinbarungen und weitere Materialien dokumentiert.

Anmerkungen:

1) So die Bundesanstalt für Arbeit selbst in der Stellungnahme zum Job-aqtiv-Gesetz; nicht ganz untypisch hier, dass die BA ‘übersieht’, dass der Eingangscheck’ nicht vom Vermittler vorzunehmen ist, sondern von Vermittler und Erwerbslosem zusammen – so lautet der Auftrag des Gesetzgebers! Vgl. Bundestagsdrucksache 14/1743 vom 10. Oktober 2001

2) Rudolph/Seiffert: Profiling: "Was ist das?", in: Arbeit und Beruf 11/2000, S. 320

3) Aber auch die Beauftragung Dritter soll der Willkür – zumindest dem Papiere nach – nicht Tür und Tor öffnen. In der Gesetzesbegründung heißt es: "Die Beauftragung Dritter, Einrichtungen oder Personen, setzt voraus, dass sie die Gewähr für eine sachgerechte Erfüllung der Aufgaben bieten, die ihnen aufgrund des Vertrages mit dem Arbeitsamt obliegen, dass sie die Rechte und Interessen der zu vermittelnden Personen wahren (vgl. § 97 Abs.1 SGB X) und das Arbeitsamt bei der Erfüllung des ihm obliegenden gesetzlichen Auftrags unterstützen. Dazu gehört, dass sie die Kenntnisse und die Zuverlässigkeit, die zur Ausführung der vermittlerischen Aufgaben erforderlich sind, die sie durchführen sollen, und die dazu notwendige personelle und sächliche Ausstattung besitzen. Die Einhaltung des Datenschutzes muss sichergestellt sein. Mit der Wahrnehmung hoheitlicher Befugnisse dürfen die Dritten nicht beauftragt werden." (Bundestagsdrucksache 14/6944 S. 31)

4) Die Fragen sollen Erwerbslose selbst entweder schriftlich oder im Laufe eines Gespräches mit dem Arbeitsvermittler beantworten. Den fünf Bewerbergruppen entsprechend fünf arbeitsamtsseitige Vermittlungs-, Betreuungs- und Förderstrategien.

5) Dies gilt auch für Trainingsmaßnahmen, die es bereits vor Ende des letzten Jobs "beispielsweise als Bewerbertraining oder Coaching bei der Stellensuche" geben soll.


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