Bundessozialgericht legalisiert Zwangsarbeit
Mit der Zulassung einer Wochenarbeitszeit von 30 Stunden bei Arbeitsgelegenheiten hat das Bundessozialgericht den Bundesarbeitsdienst ausgebaut.
Die sogenannten Ein-Euro-Jobs - die ohne Arbeitsvertrag
selbstverständlich keine Jobs sind - waren eigentlich "Rechtsnachfolger" der Ein-DM-Jobs im alten Bundessozialhilfegesetz
(BSHG). Zu dieser alten Regelung im BSHG gab es eine gefestigte
Rechtssprechung des Bundesverwaltungsgerichtes (BVerG). Danach waren die
Ein-DM-Jobs ebenso wie heute die Ein-Euro-Jobs nur für Personen
geeignet, die sogenannte Primärtugenden der Arbeitswelt erst wieder
erlernen müssen. Personen also, die z.B nach einer Suchterkrankung neu
lernen müssen, pünktlich, sauber und nüchtern zur Arbeit zu erscheinen
oder überhaupt einen Achtstundentag durchzuhalten. Wer aber einen
Achtstundentag trainieren muss, von dem kann kein Achtstundentag
verlangt werden, meinte das BVerG. Entsprechend waren in der gefestigten
Rechtssprechung 20 Wochenstunden die Obergrenze für solche
arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. Diese Rechtssprechung wurde bislang
von den Sozialgerichten übernommen. Denn wie das Bundessozialgericht
(BSG) selbst wiederholt geäußert hat, gilt das BSHG als Referenzsystem
für Hartz IV.
Was hat sich also geändert?
Offensichtlich sind die Richter und Richterinnen des BSG auf eine
workfare-Ideologie eingeschwenkt. Danach müssen arbeitsfähige
Erwerbslose eine Gegenleistung für eine Unterstützung durch den Staat
erbringen. Solche Vorstellungen werden allerdings weder durch das
Grundgesetz (GG), noch durch internationale Konventionen unterstützt.
Das Grundgesetz bietet verfassungsmäßige Rechte auch denen, die den
Staat und seine bürgerliche Klassenherrschaft nicht lieben. So ist das
Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung nicht davon abhängig, ob
Kriegsdienstverweigerer den Staat verteidigen wollen. Ebensowenig ist
das Sozialstaatsgebot nach Artikel 20 GG davon abhängig, ob
Leistungsempfänger eine Gegenleistung für ein kapitalistisches
Gemeinwesen erbringen. Wenn Vermögens- und Erbschaftssteuern vermieden
werden sollen, müssen Erwerbslose dafür nicht in die Lücke springen.
International gilt eine Konvention der International Labour Organization
(ILO) von 1930. Danach ist Zwangsarbeit jede Arbeit, die nur unter
Androhung von Strafe aufgenommen wird. Es gibt diverse Ausnahmen, etwa
für Wehrpflicht und Häftlingsarbeit. Aber Dienstleistungen "im öffentlichen Interesse" können nur verlangt werden, wenn alle Mitglieder
der Gesellschaft gleich betroffen sind. Wenn also Mitglieder der
Familien Quandt, Siemens, Flick und Co. zu sozialen Dienstleistungen
herangezogen werden, dann können auch Erwerbslose sich nicht wehren. Bei
einer Dienstverpflichtung für Erwerbslose handelt es sich jedoch
eindeutig um Zwangsarbeit. Denn die Dienstverpflichtung wird mit
Sanktionsstrafen erzwungen.
Die Schröder/Fischer Regierung hat diesen Rückgriff auf die
faschistische Sozialpolitik der 30er-Jahre des letzten Jahrhunderts
ermöglicht. Wenn das BSG diesem Sozialdarwinismus Raum geben will, dann
bleibt nur praktischer Widerstand, wie wir ihn aus Südamerika oder
Griechenland erlernen können.
Kommentar von Volker Ritter, Vorsitzender des ver.di-Ortserwerbslosenausschuss Hannover
|