letzte Änderung am 4. August 2003 | |
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Die Bundesregierung will zum 1.7.2004 die "Grundsicherung für Arbeitssuchende" (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld)* als Fürsorgeleistung in Kraft setzen. Diese soll die Arbeitslosenhilfe ersetzen, Erwerbslosen Zwang zur Arbeit ohne Lohn, Leistungen niedriger als die bereits heute unter Armutsniveau liegende Sozialhilfe, eingeschränkte Rechtsmittel und hohe Zugangsschwellen bringen. So sollen nur solche Erwerbslose die Grundsicherung bekommen, die weder von ihren Eltern noch ihren volljährigen Kindern unterhalten werden können.
Die Arbeitsämter werden als "JobCenter" zu Fürsorgestellen der "Bundesagentur für Arbeit", zuständig für alle Erwerbsfähigen und ihre Familienangehörigen. Dort wird weiter auch das Arbeitslosengeld verwaltet, doch sollen dies immer weniger Erwerbslose bekommen. [1]
Die Erwerbstätigkeit geht in der Bundesrepublik zurück. Nach letzten bei Redaktionsschluss vorliegenden Daten (April 2003) nahm die Zahl der Erwerbstätigen gegenüber dem Vorjahresmonat um 544.000 ab, die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten gar um 703.624 [2]. Eine Umkehr dieser Entwicklung ist nicht in Sicht. Florian Gerster spricht schon von "fünf Millionen Arbeitslosen" im nächsten Winter. Statt Konzeptionen zur Schaffung von Erwerbsarbeit zu akzeptablen Bedingungen arbeitet `Berlin` mit Hochdruck an der Neuorganisation des gesellschaftlichen Institutionen zur Verwaltung von Erwerbslosen und Niedriglöhnern auf immer ärmlicherem Niveau vor.
Die politische Vorgabe lautet, ständig steigenden Druck auf Arbeitslose und Beschäftigte auszuüben, sie in den immer unattraktiver werdenden Jobs des weiter zu deregulierenden Marktes zu halten oder dahin zurückzuschicken; im Jargon der EU-Arbeitsmarktpolitik: "aktives Altern, Erhöhung des Arbeitskräfteangebots und Bekämpfung nichtangemeldeter Erwerbstätigkeit". [3]
Der polit-ökonomische Hintergrund: die Europäische Union hat sich seit ihrem Gipfel in Lissabon (März 2000) das Ziel gesetzt, wettbewerbsfähigster Wirtschaftsraum der Welt werden. Dazu sollen in der EU möglichst viele zu weltmarktgängigen Bedingungen arbeiten - ungestört von Sozialstandards, die in der Europäischen Charta nicht vorgesehen sind. [4]
So sind auch einst mit dem "Arbeitslosengeld II" verbundene Versprechungen (vor allem Besserstellung arbeitsfähiger Sozialhilfebeziehender) kein Jahr nach `Hartz` längst Vergangenheit. Letzte Illusionen über `kundenfreundliche JobCenter` ("alle Leistungen aus einer Hand") sollten abgelegt werden.
Zentraler Baustein dieser `Grundsicherung` soll das "Stärken der Verantwortung erwerbsfähiger Bürgerinnen und Bürger für sich selbst und ihre Angehörigen" sein [E 93]. Der Umsetzung von `Arbeit statt passiver Leistung" dienen die JobCenter [B, 3]. Die SPD-geführten Bundesländer erläuterten [C, 8], wie sie sich die Umsetzung dieser Parole in die Praxis vorstellen, wie folgt:
Im JobCenter hat das "Front Office" als "einheitliche Anlaufstelle" ("Clearingstelle") die Aufgaben "Eingangsberatung, Erstprofiling und Bedarfsfeststellung". Geprüft wird, wer `wirklich Hilfe braucht` - d.h., sich nicht mit Hinweis auf irgend eine Arbeit oder verschiedenen vor der Leistungsbeantragung zu erfüllenden Auflagen (z.B. genügend erfolglosen Eigenbemühungen), von dem Vorhaben abbringen läßt, Alg II zu beantragen und (im "Back-Office"!) durchzusetzen. Denn erst das Back-Office ist zuständig für Leistungsberatung, -entscheidung sowie "Zahlbarmachung materieller Leistungen" (und auch für die "Erteilung der Arbeitserlaubnis"!).
Entgegen der Regierungsparole alle Leistungen aus einer Hand verlangt dieser Typ `JobCenter` vom Erwerbslosen einen zweifachen Anlauf aufs Amt mit zwischengeschalteten Hindernissen, um zur Leistungsbearbeitung durchzudringen. Ähnliches ist z.B. vom Neusser Sozialamt bekannt (quer berichtete).
(Lt. Gesetzentwurf soll das örtliche Amt entscheiden, ob "das Job-Center auf die einheitliche Anlaufstelle beschränkt oder auch die sogenannten «Back-Office-Bereiche» wie z.B. Fall-Management und Leistungsberatung und -gewährung umfasst." [E 144])
Im JobCenter dient Erstprofiling der Grobsortierung Erwerbsloser in Informations-, Beratungs- oder BetreuungskundInnen [C, 7]. Je nach Einordnung folgt der Weiterleitung an die
Ein Fallmanager soll "höchstens 75 erwerbsfähige Hilfebedürftige betreuen". Das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit (BMWA) sieht gar ein "anerkanntes Berufsbild des Fallmanagers mit qualifizierter Ausbildung" [B, 19]. Und die A-Länder betonen, dass Fallmanagement "nicht für alle Kunden des JobCenters vorzuhalten ist, sondern nur für die «Betreuungskunden»" [C, 6]. Zur Aufgabe der Fallmanager soll die Steuerung sozialer Dienste (Hilfen zur Erziehung, Wohnungsvermittlung, Kinderbetreuung, Sucht- oder Schuldnerberatungsstellen) [C, 8, A, II 2.] zwecks "Herstellung der Beschäftigungsfähigkeit" gehören [s.a. E 20/21].
Wer aufgrund des angekündigten Betreuungsverhältnisses von 1 : 75 im JobCenter qualifizierte und individuell angemessene Unterstützung erhofft, sollte diese Vorstellung als Fatamorgana nach monatelanger Berieselung mit Regierungslyrik zur `Modernisierung des Arbeitsmarktes` beiseite legen.
Denn das BMWA sieht die Agentur für Arbeit "jedem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen einen Fallmanager als persönlichen Ansprechpartner" benennen, der die Arbeitsuche unterstützen und sechsmonatlich eine neue Eingliederungsvereinbarung schliessen soll [A, II 2.; E, 19, § 14]. Dieser `Manager` soll alles entscheiden, was unter der Überschrift Fordern und Fördern noch zu bescheiden ist. Somit müßten rd. 67.000 Fallmanager auf die angenommen 5 Millionen erwerbslosen `Kunden` kommen, um ein Verhältnis von 1 : 75 herzustellen - die Familienangehörigen der Erwerbslosen nicht mitgerechnet.
Heute sind ca. 12.000 Personen mit der Vermittlung in den Arbeitsämtern beschäftigt. 67.000 rundum qualifizierte Fallmanager wird es nicht geben! Eher werden die Verfahren zur `Aktivierung` Erwerbsloser soweit schematisiert, dass Verwaltungsangestellte kontrollieren können, ob Erwerbslose die geforderten "Eigenbemühungen" korrekt nachweisen [5]. Der Fallmanager wird Sheriff.
JobCenter sollen zwar grundsätzlich in Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vermitteln. Doch Ergebnis von Profiling und Tiefenprofiling kann auch die Überstellung in die "Erwerbsfähigkeitsprüfung" durch die "Grundsicherungsstelle" des JobCenters sein [C, 8], ggf. die (zumindest zeitweise) Aussteuerung in die Erwerbsunfähigkeit.
Weg vom normalen Arbeitsmarkt mit Erwerbseinkommen soll viele Erwerbslose auch ein zweiter `Pfad` im JobCenter führen: Wer "voraussichtlich in absehbarer Zeit eine Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht findet", dem soll "die Agentur für Arbeit befristete Arbeitsgelegenheiten im Sozialrechtsverhältnis schaffen, für die eine angemessene Mehraufwandsentschädigung gezahlt wird" [A, II, 2].
Also Arbeit ohne Arbeitsvertrag und Lohn, vorrangig wohl für öffentliche Arbeitgeber, die sich ihrer Personalkosten entledigen wollen. Um diesen Pfad zu ebnen, unterläßt das BMWA (auf Drängen der SPD-geführten Bundesländer) jeden Hinweis auf die bisherige mehraufwandsentschädigte Arbeit der Sozialhilfe, die keinesfalls zur "Orientierung für die Ausgestaltung der Leistungen zur Eingliederung" dienen soll [C, 5]. Denn diese sogenannte "Hilfe zur Arbeit" der Sozialämter soll nur zusätzliche und gemeinnützige Tätigkeiten beinhalten, die von der Sozialhilfe unabhängig machen und nach einem Gesamtplan unter Mitwirkung aller kompetenten Stellen und der Betroffenen laufen. Für einen Armen-Arbeitsdienst zur Erledigung kommunaler Pflichtaufgaben wären das hinderliche Maßstäbe.
"Erwerbsfähige Hilfebedürftige erhalten Arbeitslosengeld II (Alg II) und die Mitglieder ihrer Bedarfsgemeinschaft Sozialgeld" [A, II 1.]. Zu den Erwerbsfähigen zählen alle Personen zwischen 15 und 65 Jahren, die in absehbarer Zeit (6 Monate lt. Gesetzentwurf) unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig sein können [vgl. B 17]. Als erwerbsfähig soll auch zählen, wem Erwerbstätigkeit vorübergehend unzumutbar ist, z.B. wegen Erziehung eines Kindes unter drei Jahren oder Angehörigenpflege [A II 1., B 17]. "Hilfebedürftig" ist, wer seinen und den Bedarf seiner Haushaltsgemeinschaft nicht in vollem Umfang decken kann [B 17].
Die Höhe von Alg II und Sozialgeld soll "bedarfsdeckend", "so weit wie möglich pauschaliert" [A II 1.] und orientiert sein am Niveau der Sozialhilfe. Die Regelleistung wird mit 297 bzw. 285 Euro (alte/neue Bundesländer) angegeben. Hinzu kommt eine Monatspauschale (16 % der Regelleistung, also 47,52/ 45,60 Euro alte/neue Bundesländer) für `Einmalleistungen` (Bekleidung, Haushaltsgeräte und -güter, Renovierung, Lernmittel für Schüler, ... ), die "bei offensichtlich unwirtschaftlichem Verhalten des Hilfebedürftigen auch als Sachleistung gewährt werden".
Ebenfalls pauschal sollen Mehrbedarfe bei Schwangerschaft, Alleinerziehung, Behinderung, kostenaufwändiger Ernährung abgegolten werden.
Unterkunftskosten werden in "angemessener" Höhe übernommen.
Das Alg II ergänzende Leistungen der Sozialhilfe sollen nur für "aussergewöhnliche Sonderbedarfe (z.B. bei Wohnungsbrand)" möglich sein [B, 18]. Wohn- und Kindergeld sollen (wie heute bei der Sozialhilfe) auf Alg II und Sozialgeld angerechnet werden. [A, II 5.]
Die heutige Sozialhilfe für den laufenden Lebensunterhalt bleibt als "Referenzsystem" für andere Sozialleistungen und für wenige Personengruppen erhalten (z.B. Minderjährige und Personen in Ausbildung ohne Bedarfsgemeinschaft oder in Einrichtungen, Nichtseßhafte) [D 1].
Alg II und HzL will die Regierung gegenüber heute senken. Erreichen will sie das im Wege der "Regelsatzreform der Sozialhilfe" (wohl zum 1.1.05), d.h. der Neubestimmung des "Bedarfsbemessungssystems". Weniger fachchinesisch ausgedrückt: Die Höhe der HzL wird in Anlehnung an das statistisch erhobene Verbrauchsverhalten der `unteren 20 % der Bevölkerung` bestimmt. Aus Anteilen des so erhobenen Betrags (z.B. drei Euro monatlich für Heftpflaster, Aspirin, Kondome [6]) wird dann der Sozialhilfebedarfs zusammengesetzt. Dieses Verfahren ermöglicht, das Niveau der HzL oder des Alg II (aber auch die Steuereinnahmen über das steuerfrei gestellte Existenzminimum!) politisch zu beeinflussen.
Ergebnis: in einem ersten Schritt soll für Haushaltsvorstände die Regelleistung um 3 bzw. 22 Euro sinken (alte/neue Bundesländer). Kindern bis 13 Jahren wird die Hilfe erheblich gekürzt auf nurmehr 45 % des Betrags eines Haushaltsvorstandes (heute erhalten die bis sechsjährigen davon 50 % und die bis 13jährigen 65 % [6]). Heute läge in Hessen der Verlust der unter siebenjährigen bei monatlich 16 Euro, der älteren bei 60 Euro!
Monatliche Zuschläge sind für den/die einzelne Erwerbslose/n für die ersten zwei Jahre nach dem Übergang vom Arbeitslosengeld zum Alg II vorgesehen (in Höhe von zwei Drittel der Differenz zwischen dem letzten Arbeitslosengeld zur neuen Leistung). Der Zuschlag soll im ersten Jahr je Erwachsenem auf 160, je Kind auf 60 Euro begrenzt sein (Höchstbeträge!), im zweiten Jahr halbiert werden und danach entfallen. Wohngeld wird angerechnet [A II 5., B 21].
Pflichtversicherungsbeiträge sind zur Kranken- und Pflegeversicherung vorgesehen, ebenfalls ein Mindestbeitrag zur Rentenversicherung sowie ein Zuschuss für von der Rentenversicherungspflicht befreite Alg II-Beziehende, die im Leistungsbezug Beiträge an eine freiwillige gesetzliche oder private Rentenversicherung zahlen [A II 4.].
Entgegen Schröders Ankündigung bringt die Einkommensanrechnung des Alg II vielen gegenüber den bei Alg oder Arbeitslosenhilfe (Alhi) geltenden Regeln Nachteile. Denn bisher bessert ein Nettoverdienst bis 165 Euro die Haushaltskasse 1 zu 1 auf. Erst jeder Cent mehr mindert die Leistung des Amtes.
Wie bei der HzL soll beim Alg II der Einkommensfreibetrag mit steigendem Einkommen bis zu einer Obergrenze steigen. Diese Grenze soll für Alleinstehende bei 55 % der Regelleistung liegen, bei zwei Haushaltsmitgliedern bei 60 % und 10 Prozentpunkte mehr je weiterer Person (Obergrenze 90 %). Dies wäre eine Erhöhung gegenüber der heutigen 50 %-Obergrenze der Sozialhilfe und auf diese beruft sich Schröder. Doch nutzt diese Erwerbslosen nur bei erheblichem Einkommen, da beim Alg II
1. nur Einkommen bis zu 25 % des Regelentgelts (ca. 72,50 Eur) dem Erwerbslosen als Grundfreibetrag direkt (1 zu 1) zugute kommen soll und
2. bei jedem netto zusätzlich verdienten Euro das Regelentgelt um 85 Cent gekürzt wird.
Beispiel: Ein Alleinverdiener mit einem Angehörigen schöpft den gegenüber Alg oder Alhi beim Alg II um 13 Euro höheren Freibetrag (ca. 178 Euro) im Ergebnis erst ab einem Nettoverdienst von ca. 770 Euro aus. Mit kleinen Jobs wird das niedrige Alg II kaum spürbar aufzubessern sein.
Gänzlich neu soll beim Alg II sein, dass bei Arbeitsaufnahme ein Einstiegsgeld sechs bis 24 Monate gezahlt werden kann. Die Entscheidung liegt auch in Dauer und Höhe im Ermessen des Fallmanagers und ist damit ungewiß.
Wo aktuelle Regierungspapiere Fördern und Fordern als "Eigeninitiative fördern - Eigenverantwortung fordern" ausführen [A II 2., B 19], das Eingangskapitel im neuen Gesetzestext "Fördern und Fordern" (!) heißt, dürfen dem Alg II Strafen nicht fehlen.
Weigern sich Erwerbslose ohne wichtigen Grund
werden
Und die A-Länder fordern: "Hinsichtlich der Ausgestaltung der Sanktionen ist sicherzustellen, dass Rechtsmittel gegen diese Sanktion keine aufschiebende Wirkung entfalten." [C, 5]
Bei Senkung der Hilfe um mehr als 30 % sind "in angemessenem Umfang Sachleistungen, z.B. Lebensmittelgutscheine" möglich. [E 30]
Steuerfinanzierte Leistungen wie Sozial- und Arbeitslosenhilfe kannten immer Regelungen darüber, welches Einkommen (z.B. Verwandtenunterhalt) oder Vermögen vor Inanspruchnahme der Leistung für den Lebensunterhalt zu nutzen sind. Lt. Gesetzentwurf soll beim Alg II die aktuelle Regelung zur Vermögensanrechnung der Alhi gelten. Doch am Bestand dieser Besserstellung gegenüber der Sozialhilfe sind Zweifel angebracht. Unlängst vertrat das BMWA vor Verbandsvertretern, der (schlechtere) Vermögensschutz der Sozialhilfe solle beim Alg II gelten. Und SPD-Abgeordnete schrieben: "Die Einkommens- und Vermögensanrechnung wird nach Ablauf von Übergangsfristen ... an den Regelungen des BSHG ... orientiert." [D 1]
Damit würde u.a. der letzte Schutz von Alterssicherungsvermögen wegfallen.
Als drastische Verschärfung gegenüber der Alhi wird bestimmt, dass `Langzeitarbeitslose` Alg II nur beziehen können, wenn Verwandte ersten Grades (Eltern, Kinder) sie nicht unterhalten können. Die rot/grüne Regierung entlastet die Bundeskasse von erheblichen Kosten der Massenarbeitslosigkeit zu Lasten der Familien. Sie will den JobCentern gar einräumen, Verwandte auf Unterhaltsleistung für die Zukunft zu verklagen.
Zudem will sich der Bund den Beitragszahlern zur Arbeitslosenversicherung zusätzliche Kosten der Massenarbeitslosigkeit aufbürden, indem die Arbeitsämter dem Bund für jeden Erwerbslosen, der aus dem Alg ins Alg II wechselt, einen "Aussteuerungsbetrag" in Höhe der Durchschnittskosten eines dreimonatigen Alg II-Bezug zahlen sollen. [E 37]
Während das bisherige Arbeitsförderungsrecht keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen ehemalig abhängig Beschäftigter mit kürzerer oder längerer Arbeitslosigkeit machte, sondern vor Übergang zur steuerfinanzierten Arbeitslosenhilfe lediglich die "Bedürftigkeit" prüfte, zieht das BMWA jetzt angeblich in den "Langzeitarbeitslosen" liegende Eigenarten zur Begründung eines besonderen Fürsorgegesetzes heran:
"Die Grundsicherung für Arbeitsuchende wird in einem zweiten Buch Sozialgesetzbuch geregelt", da ein "völlig neues Leistungssystem geschaffen wird. (Dessen) Eingliederungsleistungen tragen den Besonderheiten (insbes. Langzeitarbeitslosigkeit) der Personen Rechnung, die in die neue Leistung einbezogen sind und deshalb über die Leistungen der im Dritten Sozialgesetzbuch geregelten aktiven Arbeitsförderung hinausgehen. ... (Diesem) Personenkreis ... entsprechend ist auch das Anreiz- und Sanktionssystem anders ausgestattet als in den bestehenden Leistungssystemen." (A III)
Eine ehrliche Begründung wäre gewesen: Die `Neue Mitte` will den vorhandenen Reichtum möglichst wenig teilen und ungesichert Beschäftigte und Erwerbslose in eine materiell und rechtlich so schlechte Position bringen, dass sie ihre Arbeitskraft und Dienstleistungen den Wohlhabenden billig und willig `anbieten` müssen.
Zu dieser schlechten Position soll die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte für "Streitigkeiten über die Grundsicherung für Arbeitssuchende" beitragen [A II 7.]. Hier ist der Rechtsweg (z.B. in die zweite Instanz) deutlich erschwert.
Ab 1.1.2004 soll Alhi nurmehr für sechs Monate, längstens bis 31.12.04 bewilligt werden, dazu auch ergänzende HzL möglich sein. Bisherige Bezieher der HzL bekommen vom Sozialamt Alg II und Sozialgeld.
Ab 1.1.2005 übernehmen die JobCenter die Leistungsbeziehenden der Sozialämter, ggf. auch Mitarbeiter der Sozialämter.
Bis Ende 2006 sollen Sozialämter Leistungen für ehemalige Bezieher der HzL Leistungen zur Eingliederung in Arbeit erbringen.
Wesentliche Veränderungen des Arbeitslosengeldes (Alg), durch ein `drittes Hartz-Gesetz` [F] lassen sich grob in drei Punkte gliedern:
Heute erwirbt einen Alg-Anspruch, wer binnen der letzten drei Jahre vor Arbeitslosmeldung mind. 12 Monate beitragspflichtig beschäftigt war. Ab 1.1.04 sollen nur noch die Beitragszeiten aus den letzten zwei Jahren zählen. Zukünftig sollen auch Wehr- und Zivildienstleistende und SaisonarbeiterInnen erst nach 12 (heute zehn bzw. sechs) Monaten Beitragszeiten einen Alg-Anspruch erwerben und damit schwer mehr als Alg II bekommen können.
Wer heute beitragspflichtige Tätigkeiten abbricht, z.B. für eine Existenzgründung oder um Angehörige zu pflegen, erhält eine gewisse Fristverlängerung, um seinen Alg-Anspruch später wahrnehmen zu können. Dies soll entfallen; ein Alg-Anspruch soll nurmehr geltend machen können, wer als Existenzgründer oder Pflegende/r selbst Arbeitslosenversicherungsbeiträge zahlt.
Die Alg-Bezugszeit soll auf 12 Monate, bei über 55jährigen auf 18 Monate begrenzt werden.
Die Sperrzeit soll zur einheitlichen Sanktion bei `Fehlern` Erwerbsloser ausgeweitet werden auf Meldeversäumnisse, mangelhafte Eigenbemühungen oder Mitwirkung bei der Vermittlung durch Dritte. Alle sperrzeitgeahndeten `Fehler` (auch vor Eintritt der Arbeitslosigkeit z.B. bei Beendigung einer Arbeit) sollen künftig zu den 21 Wochen Sperrzeiten zählen, ab denen der Alg-Anspruch komplett erlischt. Diese Gesetzesänderung wird den Ämtern ein weiteres Mittel geben, Erwerbslose ihrer Versicherungsleistung zu berauben.
Kranke sollen stärker auf die Inanspruchnahme des Krankengeldes oder Leistungen der Rententräger verwiesen werden ("Reform der Nahtlosigkeitsregelung").
Die berufliche Bildung im Alg-Bezug ohne Übernahme der Lehrgangskosten soll erlaubt werden - wohl zunächst als `Kompensation` des Abbaus der Förderung beruflicher Bildung und als deutlicher Schritt zum weiteren Rückzug aus der Förderung beruflicher Bildung.
SAM sollen entfallen wie auch bei ABM das Ziel "Verbesserung der Eingliederungsaussichten der Arbeitnehmer" und die Versicherungspflicht dieser Beschäftigten zur Arbeitslosenversicherung (und damit das Erwerben neuer Alg-Ansprüche durch ABM!).
Es soll nurmehr zwei Arten Eingliederungszuschüsse geben (Schwervermittelbare und Behinderte); die Zuschüsse für Ältere sollen 2009 auslaufen.
Auch die Sozialhilfeleistungen für Behinderte, BewohnerInnen von Heimen (z.B. Ältere oder Pflegebedürftige) und Menschen in "besonderen sozialen Schwierigkeiten" (u.a. Haftentlassene und Obdachlose) will rot-grün zusammenstreichen. Ihr Slogan `Die wirklich Bedürftigen sollen Hilfe bekommen` hindert sie nicht daran, das "Entgegenwirken einer dramatischen Fallzahl und Kostenentwicklung bei der Eingliederungshilfe" für Behinderte des Bundessozialhilfegesetzes zur Begrenzung der stationären Kosten in der Sozialhilfe zu fordern [C, 10]. Auf Länderebene wird bereits verhandelt, Leistungen des § 72 BSHG z.B. für Haftentlassene und Obdachlose von der Landesebene auf die Kommune zu verlagern und stärker auf "Aktivierung" zu setzen.
`Agenda` bedeutet massiven Abbau aller vor- und nachgeordneten sozialen Sicherungssysteme. Gerade die Arbeitnehmerschaft sollte das zur Kenntnis nehmen und - statt auf Wettbewerbsfähigkeit der EU oder gegenüber neuen EU-Mitgliedern - auf die Formulierung und Durchsetzung von Standards für eine nicht marktgesteuerte Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums setzen.
Massenproteste sind angebrachter denn je. Die Alternative dazu ist nicht nur die Verarmung der Menschen, die von Sozialhilfe oder Alg II leben müssen, sondern weiter Teile der abhängig oder scheinselbständig arbeitenden Bevölkerung, da die Regelungen zum Alg II in mieseste Jobs zwingen werden. Und immer klarer wird:
Ein wirklich existenzsichernder, gesetzlicher Mindestlohn muß her, auch als gewerkschaftliche Forderung.
* Der Gesetzentwurf wurde exakt zum Redaktionsschluß dieser quer bekannt und beinhaltete im wesentlichen, was Äusserungen aus Ministerien und SPD bereits erwarten liessen. Konkretisierende Angaben aus dem Gesetzentwurf wurden in diesen bei Veröffentlichung des Gesetzentwurfes bereits vorliegenden Artikel soweit nötig eingearbeitet.
(Hinweis zur Zitierweise: im Text verweist bspsw. [B 7] auf die Seite sieben des unter [B] genannten Textes, [A, II 2.] auf Abschnitt römisch zwei Unterpunkt 2 des Textes zu A
[A] Marc Heinrich, Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, Sachstand Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe für Erwerbsfähige, 21.07.03.
[B] Eckpunkte für ein Drittes und Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, 26.6.03.
[C] Ländervertreter der Projektgruppe "Sozialhilfe" und SGB III-Reform, Vorbereitung der Staatssekretärsrunde am 6.6.03 (Positionspapier der SPD-geführten A-Länder zur Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe einschließlich Strukturrefom der Sozialhilfe).
[D] Kühn-Mengel, Mattheis, Stöckel (alle für die SPD im Bundestag): "Fördern und Fordern" - Kernpunkte für die nachrangigen Sicherungssysteme (o. Datum).
[E] Entwurf für ein Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt v. 25.7.03.
[F] Entwurf für ein Drittes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt v. 24.7.03.
[1] Marc Heinrich geht für das BMWA davon aus, "dass die Zahl der Bezieher der Grundsicherung für Arbeitsuchende die Zahl der Bezieher von Leistungen des Dritten Buch Sozialgesetzbuch (Arbeitsförderung) deutlich und auf Dauer übersteigen wird." [A, III]
[2] Bundesanstalt für Arbeit, Arbeitsmarkt in Zahlen, Eckwerte des Arbeitsmarktes, Aktuelle Daten, Juni 2003, S. 7; Stand: insgesamt 38.153.000, davon sozialversichert: 26.917.400.
[3] Kommission der Europäischen Gemeinschaft: Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die Leitlinien für Beschäftigungspolitische Massnahmen der Mitgliedsstaaten 2003, S. 4.
[4] "Auf Schritt und Tritt stößt man in dem (EU-) Verfassungsvertrag auf die grundlegenden Konstruktionsfehler der EU. Ihr erster und wichtigster Fehler ist, dass sie als Wirtschaftsunion entstanden und dies bis heute geblieben ist. Der Verfassungsvertrag korrigiert das nicht, enthält z.B. nicht das Ziel, die Lebensverhältnisse in Europa auf hohem Niveau anzugleichen, oder eine Produktionsweise zu entwickeln, die ökologisch verträglich und dazu angetan ist, in den Regionen des Südens eine eigenständige wirtschaftliche Entwicklung zu befördern." (...) "Für wichtige Bereiche der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik sowie der Steuerpolitik (direkten Steuern) ... bleiben die Mitgliedstaaten allein verantwortlich - d.h. hier gibt es Konkurrenz zwischen ihnen. Für europäische Regelungen im Bereich der sozialen Sicherheit und des sozialen Schutzes der Arbeitnehmer fordert die Verfassung weiterhin Einstimmigkeit; die Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung und die Modernisierung der sozialen Sicherungssysteme bleiben von europäischen Regelungen ausgeschlossen; Arbeitsentgelt, Koalitionsrecht und Streikrecht sind überhaupt nicht Gegenstand des Verfassungsvertrags; auch die Grundrechtecharta kennt kein europäisches Streikrecht." (Angela Klein in "Absolutismus statt Demokratie - Was wir von der EU-Verfassung zu erwarten haben", 18.6.2003)
[5] Ähnlich schematisch und letztlich unaufwändig werden dann die Auflagen des Sheriffs erfüllbar sein. Dann kann auch mit 14tägigen `Betreuungsterminen` beim Sheriff weitgehend `unfallfrei` umgegangen werden, die bei (völlig unrealistischem) Betreuungsverhältnis von 1 : 75 rechnerisch erreichbar sein könnten.
[6] Vorentwurf für eine Neufassung der Regelsatzverordnung, Stand 21.7.03, mit der ein die Hilfe senkender `Familienregelsatz` eingeführt würde; Frankfurter Rundschau, 7.7.03.; Wohlfahrtsverbände kamen zum Schluss, dass schon heute der Regelsatz 16 Euro unter Armutsniveau liegt [ebd.].
Eckpunkte der "Grundsicherung für Arbeitssuchende": Arbeitslosengeld II / Sozialgeld
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