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Updated: 18.12.2012 15:51
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Offener Brief der GALG (Gewerkschaftliche Arbeitslosengruppe Göttingens)
an den Caritasverband für Stadt und Landkreis Göttingen e. V. vom 07. April 2005. Thema: 1-Euro-Jobs und würdiger Umgang mit Arbeitslosen

An den Caritasverband für
Stadt und Landkreis Göttingen e. V.
Schützenring 1

37115 Duderstadt


Sehr geehrte Damen und Herren der Caritas,

am 24. Februar 2005 haben Sie einen Spendenaufruf an ausgewählte Adressaten (wahrscheinlich frühere SpenderInnen) in Stadt und Landkreis Göttingen versandt. Auf den ersten Blick kein ungewöhnlicher Vorgang.
Es geht darin um das Schicksal einer 51jährigen Einzelhandelskauffrau, die keine Arbeit mehr fand und deshalb zur Altenpflegehelferin umschulte. Soweit ist alles nachvollziehbar. Nun wird es aber erst unklar und dann merkwürdig.
Frau M. (so nennen Sie die Betroffene) beklagt sich darüber, dass sie nicht genug Zeit für das Gespräch mit Heimbewohnern hatte und so nicht mit den alten Menschen arbeiten konnte. Dem entnehmen wir, dass sie Altenpflegehelferin war und in diesem Beruf mit dem Problem des Zeitdrucks nicht klarkam (was sicher eine berechtigte Kritik ist) und erneut eine andere Arbeit sucht. Aber welche?
Sie schreiben, dass Sie diese Erkenntnisse aus einem Bewerbungsgespräch mit Frau M. um einen 1-Euro-Job bei Ihnen gewonnen haben.
Danach betonen Sie, dass Frau M. für Sie keine billige Arbeitskraft sein soll. Sie wollen ihr die Chance auf einen beruflichen Wiedereinstieg verschaffen. Dabei seien Sie sehr engagiert. Sie führten Gespräche, leisteten eine intensive Anleitung und gezielte Förderung. Denn nur so machten 1-Euro-Jobs Sinn.

Wir halten hier als Betroffene, die sich mit dem Entstehen und dem Hintergrund dieser 1-Euro-Jobs permanent auseinandersetzen, gleich mal fest: 1-Euro-Jobs machen so gut wie nie einen Sinn für die, die Sie ausüben müssen! Sicher aber für viele, die Sie anbieten.

Interessant ist auch noch, dass Sie sehr exakt errechnet haben, dass Sie diese intensive 1-Euro-Job-Betreuung 30 Euro pro Woche je Job kostet. Diese 30 Euro möchten die angeschriebenen Personen denn doch bitte auch spenden.
Würde das Ganze nun so mit der ersten Seite aufhören, würden wir zwar unsere grundsätzlichen Einwände haben und auch anzweifeln, dass für 30 Euro die Woche jemand intensiv für einen beruflichen Wiedereinstieg vorbereitet werden kann. Auch wenn sie 100 Euro errechnet hätten, es gibt keine Arbeitsplätze. Und daran ändert auch ihre intensive Betreuung nichts! Aber damit wäre es dann gut. Ihre Beteuerung, dass sie keine billigen Arbeitskräfte suchen, bliebe halt so stehen.

Das verhindern Sie nun aber selbst. Denn auf der Rückseite steht noch sehr viel Interessantes. Zunächst noch zu Frau M. Die hat nun ein viel besseres Selbstwertgefühl, weil sie wieder gebraucht wird. Das kann so sein. Aber was macht sie nun? Sie organisiert die ganze Kleiderkammer (wohl in einem Ort). Tja. Ist das ein Beruf? Wird ihr das helfen, einen anderen Beruf, eine andere Arbeitsstelle zu finden? Welche? Darüber lesen wir nichts bei Ihnen. Das haben Sie sicherlich nicht nur vergessen. Dazu gibt es einfach nichts zu schreiben. Irgendwann steht dann auch nur noch da, dass es die Chance für einen Wiedereinstieg ist.
Ist das alles bis hierhin schon verlogen und verbogen, so werden die Dimensionen der Heuchelei aber klarer, wenn es dann heißt, dass Ihr Bistum Hildesheim 2005 stolze 500 1-Euro-Jobs schaffen will (und in den nächsten Jahren noch mehr!). Klar, es gibt schon eine ganze Reihe von Kleiderkammern, die besetzt sein wollen. Was würde Sie das kosten, wenn Sie es regulär bezahlen müssten?
Sie beteuern auf diesen beiden Seiten auffällig oft, dass Sie nur Gutes tun und ganz bestimmt keine billigen Arbeitskräfte haben wollen. Für uns ist das Gegenteil klar.
Und wenn sie dann noch von der wiederhergestellten Würde der Betroffenen sprechen, wird uns schlecht.

Es sind noch zwei Tatbestände wert, besonders erwähnt zu werden:

a) Sie schreiben mehrfach, dass ja auch die 200 Euro zählen, die so jeden Monat mehr in der Haushaltkasse von Frau M. und allen anderen 1-Euro-Jobbern wären. Wie kommen die denn zustande? In der Regel ist im Sozialgesetzbuch II vorgeschrieben, dass nicht mehr als 30 Stunden pro Woche in einem 1-Euro-Job gearbeitet werden soll. Das macht dann ca. 120 Euro. Selbst bei einer 40-Stunden-Woche höchstens 160 Euro. Wie lange muss die arme Frau M. eigentlich ihr Selbstwertgefühl in der Kleiderkammer erhöhen, wenn sie die von Ihnen angepriesenen 200 Euro mehr zum Leben haben will. 200 Stunden. 200 Stunden schuften und statt einer anständigen und somit wirklich würdevollen Bezahlung mit einem lumpigen Euro in der Stunde abgefunden werden: ja, das ist sozial und menschlich. Bravo, Caritas!

b) Eines fiel uns noch besonders unangenehm auf: Die volle Formulierung in einer Aufzählung heißt: „Ein 1-Euro-Job bietet arbeitswilligen Arbeitslosen die Chance auf 200 Euro mehr Geld zum Leben“. Die „Arbeitswilligen“. Aha. Nein, dem/der Schreiber/in ist in diesem Moment nicht durch den Kopf gegangen, dass die meisten Arbeitslosen in der Regel doch selber schuld sind, weil sie ja faul und arbeitsunwillig sind. Er/sie hat sich überhaupt nichts Böses dabei gedacht, stimmt es? Bloß, warum steht es dann da??

Mit dem bunten Bild einer aufgeräumten Kleiderkammer und mehreren Porträtfotos der intensiven Betreuer aus Ihren eigenen Reihen bekommt ihr Spendenaufruf auch nicht mehr das, was er vorgibt, zu haben: auch nur die Spur von Seriosität im Umgang mit Arbeitslosen. Sie wollen billige Arbeitskräfte. Schlimmer noch, sie wollen auch noch angebliche (oder tatsächliche, das macht es nicht besser) Betreuungskosten durch Dritte tragen lassen. Wir können nur hoffen, dass der Spendeneingang hierzu niedrig geblieben ist und Ihnen versichern, dass wir auch auf zukünftige Aktionen Ihrerseits in dieser Machart entsprechend und willig reagieren werden.

Ihre gewerkschaftliche Arbeitslosengruppe Göttingens (GALG)
i. A. Henry Royeck


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