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Updated: 18.12.2012 15:51 |
»Die Versuchung wird groß« Ein Gespräch mit Michael Burbach über gute Gründe, keine 1-Euro-Jobber einzustellen Michael Burbach ist Geschäftsführer des BVZ e.V. in Frankfurt a.M., eines gemeinnützigen Vereins, dessen Aufgabengebiet vor allem die Betreuung und Verwaltung von Kindertagesstätten, aber auch Angebote zur Jugendarbeit und -bildung umfasst. Eigentlich ein typischer »Arbeitgeber« für die seit 1. Januar zulässigen »1-Euro-Jobber«. Doch im Unterschied zu den großen Wohlfahrtsverbänden und vielen anderen kommunalen Beschäftigungsträgern bzw. deren Nutznießern lehnt das BVZ den Einsatz solcher »Arbeitsgelegenheiten« ab - nicht zuletzt, weil es sich dabei gar nicht um »Arbeitsverhältnisse« oder auch nur »Jobs«, sondern um »staatlich verordnete Zwangsverpflichtungen« handele, so Burbach. Wir sprachen mit ihm über diesen und weitere Gründe für die entschiedene Haltung des nicht eben kleinen »Arbeitgebers« BVZ, sich nicht an der Umsetzung von Hartz IV zu beteiligen. Könntest Du zunächst kurz beschreiben, was das »Beratungs- und Verwaltungszentrum e.V.« (BVZ) ist, wie viele Beschäftigte Ihr habt, wie Ihr Euch finanziert und was Deine Funktion ist? MB: Das BVZ ist ein Zusammenschluss von gemeinnützigen Vereinen, die in der Jugendhilfe, hier vor allem im Bereich Kindertagesstätten, tätig sind. Den Kern des BVZ bilden drei große Vereine: Gesellschaft für Jugendarbeit und Bildungsplanung, Verein zur Unterstützung berufstätiger Eltern und Gesellschaft zur Förderung betrieblicher und betriebsnaher Kindereinrichtungen. Diese drei beschäftigen zusammen etwa 750 Menschen und betreiben 90 Kindertageseinrichtungen in Frankfurt und Umgebung mit zusammen etwa 3000 Betreuungsplätzen für Kinder ab drei Monaten bis 12 Jahre. Dazu kommen derzeit 25 weitere kleinere Vereine, von denen die meisten ebenfalls Kindertageseinrichtungen betreiben, die anderen sind auf anderen Gebieten der Jugendhilfe tätig. Finanziert wird das Angebot vor allem über öffentliche Mittel (Kommunen und das Land Hessen) und über Elternbeiträge. Für einige der Einrichtungen bestehen Kooperationsverträge mit Unternehmen und Institutionen (z.B. verschiedenen öffentlichen Behörden, dem Hessischen Rundfunk, der GTZ, der Deutschen Bank, der EZB, verschiedenen Krankenhäusern in Frankfurt), mit dem Ziel, dass Kinder von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der jeweiligen Kooperationspartner in den in unmittelbarer Nähe der Arbeitsstätten liegenden Tageseinrichtungen aufgenommen werden können. Im Rahmen der Kooperationsverträge leisten die beteiligten Unternehmen und Institutionen zusätzliche Zahlungen. Ich bin Geschäftsführer des BVZ und auch Geschäftsführer der drei oben genannten Kernvereine. Könntet Ihr auch Leute für einen Euro anstellen, wie es z.B. die AWO, die Caritas etc. tun? Wie läuft das: Werden Euch 1-Euro-Kräfte angeboten, oder müsstet Ihr Euch selbst darum kümmern? Welche Jobs könnten 1-Euro-Jobber bei Euch machen? MB: Wir haben in den letzten Jahren eine gute Zusammenarbeit mit (kommunal unterstützten) Beschäftigungsgesellschaften entwickelt und im Schnitt jeweils zehn bis 15 Menschen beschäftigt, die über die Beschäftigungsgesellschaften angestellt waren. Die meisten davon waren im Hauswirtschaftsbereich bei uns tätig, einige wenige auch in der pädagogischen Arbeit. Etwa die Hälfte dieser Menschen haben wir dann in Arbeitsverhältnisse bei uns übernehmen können. Einige als Ersatz für ausgeschiedene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die meisten in neu gegründete Einrichtungen. Das erschien uns bisher nützlich und sinnvoll, weil es ein konstruktiver Weg war, Menschen aus der Sozialhilfe heraus zu qualifizieren und aufzubauen. Für uns ist dabei entscheidend, dass wir mit diesen Maßnahmen tatsächlich eine Beschäftigungsperspektive bieten können, das heißt feste, unbefristete Arbeitsverhältnisse im Rahmen unseres Haustarifs einrichten können. Die Beschäftigungsgesellschaften hängen natürlich von der Kommune bzw. dem Arbeitsamt (Agentur will mir immer noch nicht so von den Lippen) ab und müssen sich jetzt umstrukturieren. Auf diesem Weg werden uns ab jetzt sicherlich auch Menschen vermittelt, die im Rahmen der »1-Euro-Jobs« bei den Beschäftigungsgesellschaften angestellt werden. Da die Zusammenarbeit mit den Beschäftigungsgesellschaften bisher gut funktionierte, haben wir uns entschieden, diesen Umstand erst einmal zu ignorieren und unsere Zusammenarbeit fortzusetzen. Unsere Einrichtungen sind daher nur die Einsatzstellen, die begleitenden Maßnahmen finden in den und über die Beschäftigungsgesellschaften statt. Darüber hinaus beabsichtigen wir nicht, »1-Euro-Jobber« anzustellen. Warum lehnt das BVZ es ab, 1-Euro-Jobber zu beschäftigen? Wie wurde das bei Euch diskutiert, und wer hat letztendlich die Entscheidung getroffen? Welche Reaktionen gibt es darauf - unter den Beschäftigten bzw. in der Öffentlichkeit? MB: Es hat bei uns in dieser Frage keine großen Diskussionen gegeben, da sich die Vorstände der Vereine schnell einig waren in der Beurteilung der »1-Euro-Jobs« in unserem Arbeitsbereich. Die Definition von »zusätzlichen Arbeiten«, die bisher vom Stammpersonal nicht geleistet wurden oder geleistet werden können, ist entweder eine Reaktion darauf, dass staatliche Finanzierungen so verringert worden sind, dass der Zweck nicht mehr erreicht werden kann oder der Versuch, unter der Hand und mittelfristig Aufgaben, die jetzt vom Stammpersonal erledigt werden, über billige Jobber erledigen zu lassen. Wenn auf der politischen Ebene Entscheidungen getroffen werden, die den Bildungs- und Erziehungsbereich finanziell immer weiter einschränken, dann muss auf der politischen Ebene dagegen vorgegangen werden und nicht die vermeintliche Lösung in der Anstellung von Zwangsbeschäftigten gesucht werden. Intern hat es bei unseren Beschäftigten keine großen Reaktionen darauf gegeben; unsere Leute haben von uns keine andere Haltung erwartet. Gab es bei Euch auch - wie bei anderen Vereinen - Anfragen von Leuten, die gerne bei Euch einen 1-Euro-Job gemacht hätten, weil sie damit vor Schlimmerem geschützt wären? Wie geht Ihr mit solchen Anfragen um? Was ist Euer Gegenargument? MB: Es gab einige Anfragen von Leuten, die, wenn sie schon zwangsverpflichtet werden, lieber bei uns als woanders arbeiten würden. Denen haben wir unsere Gründe erklärt und deutlich gemacht, dass es nach außen nicht vermittelbar ist, wenn wir uns einerseits gegen den Einsatz von »1-Euro-Jobbern« aussprechen und dann andererseits trotzdem welche einstellen. Ich glaube, die meisten haben das auch verstanden. Wie schätzt Du die 1-Euro-Jobs bei Caritas, AWO etc ein? Ist es tatsächlich so, dass sie keine Konkurrenz zu fest angestellten, tariflich bezahlten Kräften sind? Inzwischen lässt der Industrie- und Handelskammertag (DIHK) verlauten, dass auch die Wirtschaft von Hartz IV profitieren will und deshalb auch Unternehmen Arbeitslose mit 1-Euro-Jobs einstellen dürfen sollen. Wie schätzt Du das ein? Könntest Du Dir oder Ihr Euch Bedingungen vorstellen, unter denen Ihr Eure Entscheidung noch mal überprüft bzw. rückgängig macht? MB: Eine pauschale Antwort verbietet sich. Die Wohlfahrtsverbände haben ja auch in den letzten Jahren ohne »Hartz IV« eine Menge getan, um insbesondere Menschen ohne berufliche Ausbildung oder mit geringer Qualifikation zu erhöhten Chancen zu verhelfen. So wie wir im kleinen Maßstab mit den Beschäftigungsgesellschaften zusammenarbeiten, soweit wir begründete Möglichkeiten sehen, tatsächlich neue Beschäftigungsverhältnisse eingehen zu können, so haben im großen Maßstab die Wohlfahrtsverbände viele Wege und Möglichkeiten geschaffen, um Menschen, die in der Falle von Arbeitslosigkeit und Sozialhilfe sitzen, zu unterstützen. Daran ändert sich auch durch die »1-Euro-Jobs« nichts. Allerdings gibt es für alle im Bereich der sozialen Leistungen, der Erziehungs- und Bildungsarbeit tätigen Institutionen seit Jahren dasselbe Problem: Die Anforderungen steigen quantitativ wie qualitativ, und die Finanzierungen gehen spürbar zurück. Da ist es verlockend, wenn sich die Möglichkeit bietet, die eine oder andere Tätigkeit nahezu kostenfrei abwickeln zu können. Davon auszugehen, dass alle Verbände und Institutionen so idealistisch sind, dass sie dieser Verlockung nicht nachgeben, ist naiv. Bislang vertreten die Wohlfahrtsverbände nach außen eine recht klare Haltung, dass sie es nicht zum Verdrängen von Stammpersonal kommen lassen wollen, es bleibt abzuwarten und zu beobachten, wie die Praxis dann aussehen wird. Das hängt auch von den so genannten Kostenträgern ab, d.h. den staatlichen Stellen, die über die Finanzierung von sozialen und Bildungsleistungen entscheiden. Es gibt jetzt bereits einige Hinweise darauf, dass von deren Seite Kostenrechnungen modifiziert werden, in denen zu erbringende Leistungen unter der Maßgabe der Möglichkeit von »1-Euro-Jobs« berechnet werden. Noch wird die Diskussion der Wohlfahrtsverbände vorrangig unter dem Gesichtspunkt der Hilfe für Menschen ohne Berufsausbildung bzw. mit geringer Qualifikation bzw. unter dem Gesichtspunkt von Jugendarbeitslosigkeit und Ausbildungsnotstand geführt. Wie lange das halten wird, ist schwer einzuschätzen. Um ein Beispiel aus unserem Arbeitsbereich zu nennen: Seit 1996 müssen in den Kindertagesstätten in Frankfurt (egal ob städtisch, kirchlich oder freigemeinnützig getragen) zwischen 0,5 und 1,5 Prozent der Personalkosten pro Jahr eingespart werden. Gleichzeitig erhöhen sich die inhaltlichen Anforderungen und der Druck auf die Rahmenbedingungen wie z.B. die Verlängerung von Öffnungszeiten. Wie überall, wo die betriebswirtschaftliche Sicht dominiert und die volkswirtschaftlichen Gesichtspunkte ignoriert werden, führt das zur Forderung, mehr Leistung für weniger Geld bzw. mit weniger Personal zu erbringen. Nun werden bundesweit Kindertageseinrichtungen geschlossen, weil die Kinderzahlen zurückgehen. Uns erreichen zunehmend Bewerbungen von arbeitslosen Erzieherinnen aus anderen Regionen. Brauchen können wir sie schon, nur einstellen können wir sie nicht, dazu reicht das Budget nicht aus. Und wenn die dann ein Jahr arbeitslos sind, anschließend Alg II bekommen und für einen Euro die Stunde zu haben sind, was dann? Dann brauchen wir sie immer noch, kosten würden sie auch nicht viel, und Stammpersonal verdrängen sie auch nicht - die Versuchung wird groß. Wenn ich dann noch höre, dass aus dem Frankfurter Schuldezernat öffentlich Überlegungen angestellt werden, man könne sich den Einsatz von zwei bis drei »1-Euro-Jobbern« pro Kindertagesstätte bzw. Schule vorstellen, dann bekommt man eine ungefähre Ahnung, in welche Richtung sich das Ganze entwickeln kann. Ich spare mir eine Bemerkung zum DIHK, das durften die jetzt noch nicht sagen, so weit ist die öffentliche Meinung noch nicht. Bei uns wird es keinen neuen Niedriglohnbereich auf der Basis staatlich verordneter Zwangsverpflichtungen geben. Unsere Orientierung ist, weiterhin die Auseinandersetzung darüber zu führen, dass diese Gesellschaft die sozialen und Bildungsleistungen, die sie braucht, auch finanziert. Angesichts der gewaltigen Steigerungsraten des privaten Vermögens in diesem Land und der exquisiten Gewinne, die unsere Unternehmen machen, ist es eine Frage des politischen Willens, ob und für was Geld ausgegeben wird. Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 1/05 |