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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Erfahrungsbericht von einer 1-Euro-Jobberin in Hamburg Letzten Montag, erster offizieller Arbeitstag und Einweisung. Zuerst haben wir alle Arbeitskleidung erhalten: blaue Latzhosen und Jacken, wo groß draufsteht: HAB Eidelstedt ( HAB = Hamburger-Arbeits-Beschaffung ) Das muß so sein, damit alle anderen Menschen sofort sehen, mit wem sie es zu tun haben (?????), so hat der "Fallmanager" ( so nennen sich die zuständigen Betreuer/Einweiser/Aufpasser ) es erklärt. Danach theoretische Einweisung und Verhaltensregeln. Wir haben erfahren, daß es den ganzen Tag dauern würde und wir nicht auf die Straßen/Grünanlagen gehen werden. Einer hat gefragt, warum sie dann diese Latzhosen und Stiefel den ganzen Tag tragen müssen, wenn sie nicht die Grünanlagen sauber machen und nur in diesen Räumen rumlaufen sollen.... Antwort: "Damit wir uns an Arbeitskleidung gewöhnen. Und um 6.00 Uhr anzufangen, daß ist auch nur, damit wir lernen morgens aufzustehen." Wir sind dann darauf hingewiesen worden, daß wir natürlich keinen Alkohol trinken dürfen, keine Drogen nehmen dürfen, uns nicht prügeln und nicht gegenseitig sexuell belästigen dürfen. Sehr ausführlich (ca. 2 Stunden!) hat dieser Fallmanager uns dann erklärt, wo sexuelle Belästigung anfängt. Schon bei Blicken .....und wir müssen immer in der Kolonne bleiben, niemals dürfen sich eine Person weiblichen Geschlechts und männlichen Geschlechts zusammen von der Kolonne entfernen. Denn dann könnte es zu sexuellen Übergriffen kommen. Er, der "Fallmanager" darf auch nie mit einer weiblichen Person alleine reden, denn die könnte ihn dann anzeigen, wegen sexueller Belästigung, oder versuchter Vergewaltigung. Es gibt zwei Gruppen, Jungerwachsene und Erwachsene. Es wurde den Erwachsenen dann auch gesagt, sie dürfen keinen Kontakt zu den Jungerwachsenen haben. weil sie, diese arbeitslosen Erwachsenen ein schlechtes Beispiel sind. Deshalb sind die Jungerwachsenen in einer Einrichtung in Volksdorf. Nun sind in der einen Gruppe auch Menschen, die z.T. bis vor zwei/drei Jahren gearbeitet haben, jetzt über 50 sind, Kinder groß gezogen haben und vorher noch nie arbeitslos waren. Hinzu kommt, daß alle, die jetzt schon da "eingewiesen" werden, freiwillig gesagt haben, sie möchten so schnell, wie möglich arbeiten und nicht zu Hause rumsitzen und bis zum 1.Januar warten... Einige haben sich gefühlt, wie in einer Erziehungsanstalt und teilweise haben wir gedacht, wir sind alle Schwerverbrecher. Eine Aussage des "Fallmanagers": Es werden keine Arbeitsplätze vernichtet, daß ist alles Quatsch, was da an "Gerüchten" immer wieder auftaucht und natürlich werden alle 1 Euro-Jobs nur für gemeinnützige Arbeit verwendet ! 1 Euro-Job-Arbeiter nehmen jedoch auch kostenlose Praktikumsstellen in Anspruch und das natürlich nur in der Hoffnung, anschließend mit einem normalen Lohn festangestellt zu werden. Eine hat den Antrag auf den Praktikumsplatz gestellt und wenn ich das richtig verstanden habe, muß der Betrieb noch nicht mal den einen Euro pro Stunde zahlen, daß läuft weiter über das Sozialamt. Ein anderer Kleinstbetrieb würde sofort auch so einen Praktikumsplatz stellen, den einen Euro auch gerne bezahlen. Er braucht dringend einen Mitarbeiter und so eine günstige Arbeitskraft zu bekommen, ohne jegliches Risiko und Verantwortung wäre doch eine gute Sache. Vielleicht wäre er dann sogar bereit, einen zuverlässigen Mitarbeiter auch tatsächlich festanzustellen..... Wir sind jedoch der Meinung, es werden Arbeitsplätze vernichtet und diese 1 Euro-Jobs werden für viele noch ungeahnte Folgen haben. Als Beispiel dazu: die Freundin meiner Schwester hat natürlich im Bekanntenkreis auch über dieses Praktikum und 1Euro-Job gesprochen und gleich ein Angebot bekommen, meine Schwester könnte bei einer weiteren Bekannten arbeiten, die würde ihr dann schwarz zusätzlich 7.-Euro bezahlen, entweder soll sie die behalten, oder mit der Freundin teilen, da die schließlich die Anträge für das Praktikum unterschrieben hat. Also Möglichkeiten ohne Ende................................................... Wann es nun wohl die ersten Praktikumsvermittler für 1Euro-Job-Arbeiter gibt? Ob auf die Idee nicht schon mehrere gekommen sind? Für mich ist unvorstellbar, was da abläuft und noch ablaufen kann. Natürlich haben in der Vergangenheit Unternehmen teilweise mit diesen kostenlosen Praktikumsplätzen auch schon Leute ausgebeutet, weil sie zu keinem Zeitpunkt vorhatten, wirklich jemanden einzustellen, aber nun wird das ja noch richtig unterstützt. Diese Praktikumsplätze sind natürlich nicht mit den Praktikumsplätzen zu verwechseln, die Studenten, bisher Umschüler, teilweise Berufsanfänger gebraucht haben und auch in Zukunft noch brauchen. Weiter in der 1-Euro-Arbeitswoche: Die ersten Tage waren rum. Die restlichen Tage sahen dann so aus, daß alle weiterhin in diesem Gebäude waren. Nicht einmal etwas "sinnvolles" tun durften. Der Tagesablauf sieht so aus, daß z.B. ein gelernter Maler, 54 Jahre (zum ersten mal seit ca.2 Jahren arbeitslos), dort aufgestellte Wände streichen muß. Zuerst in weiß, dann in blau, immer so weiter, bis die Wand "kaputt" gestrichen ist, dann wird sie entsorgt und eine neue aufgestellt. Daneben steht eine Wand, da muß Einer, auch über 50 (seit ca. 3 Jahren arbeitslos, vorher nie ) Fliesen dran kleben, die dann wieder abgehauen werden und dann wieder neue Fliesen dran. Wieder ein anderer muß eine Mauer mauern, die wird immer wieder, wenn eine gewisse Größe erreicht ist umgetreten, dann wieder aufgebaut..... Eine Ungelernte, hat Teppichreste bekommen und mußte den ganzen Tag mit einem Teppichmesser Teile davon abschneiden und gleich in einen Müllsack schmeißen. Wenn mensch nun denkt, daß sie das machen sollte, um zu lernen, wie man Teppichboden verlegt, oder die, die nicht streichen können, von dem Maler etwas lernen sollten.....Nein, keiner sagt, ob richtig gestrichen, gemauert usw, wurde.... Sie haben auch "Putzfrauen". Da haben sie welche aus der Gruppe genommen, die müssen immer wieder den selben Flur putzen. Wenn er sauber ist, kommt eine festangestellte Mitarbeiterin der HAB mit einem Eimer voll "Schmierdreck" und macht den Flur wieder dreckig. Und dann müssen sie wieder von vorne anfangen diesen Flur zu putzen, acht Stunden am Tag.................................... Schon am Donnerstag hat eine wissen wollen, wann sie denn nun endlich wirklich arbeiten können, denn das kann es wohl nicht sein und sie fühle sich, wie die anderen auch völlig verarscht. Antwort vom "Fallmanager": Richtige Arbeit haben wir noch nicht für sie, da kommen demnächst Angebote und sie müßten die Leute nun eben einfach irgendwie beschäftigen, darum ist es völlig egal, was für Teppichstücke geschnitten werden, denn die kommen sowieso gleich auf den Müll... Kamen Vorschläge, ob sie dann nicht wenigstens, wie eigentlich angekündigt Hamburgs Straßen, Grünanlagen usw, sauber machen könnten, gerade jetzt mit dem ganzen Laub wäre doch da genug zu tun, oder im Altersheim, wo so ein Mangel besteht.......Nein alles nicht möglich, bis auf weiteres haben sie jeden Tag da zu erscheinen und diese sinnlosen Arbeiten zu verrichten. Sie könnten sich aber ja alle um einen Praktikumsplatz bewerben und noch besser endlich sehen, daß sie selber Arbeit finden. Die ersten haben schon Depressionen, weil sie da überhaupt nicht mit klar kommen, wie sie da behandelt werden und ich kann so einen Wahnsinn auch nicht nach vollziehen.......... Einer, der vor kurzem aus dem Gefängnis entlassen wurde, hat gesagt, so schlimm war es noch nicht mal im Gefängnis und da wußte er wenigstens, er hat "Mist" gemacht und muß nun seine Strafe dafür absitzen. Das hat er gemacht und möchte nur arbeiten, daß er nun schlimmer behandelt wird, daß hätte er sich nicht vorgestellt. Auch die fehlenden Arbeitsschutzmaßnahmen sind ganz schlimm. Die Leute, die da mauern müssen, rühren z.B. den ganzen Tag ja immer wieder Zement an und haben keine Atemschutzmasken bekommen. Einer mußte den ganzen Tag eine Tür abschleifen, war schon über und über mit diesem feinen Staub voll. Eine Teilnehmerin hat ihm dann so eine Atemschutzmaske besorgt, weil sie es nicht mehr mit ansehen konnte. Sie meint die werden auch gesundheitlich einem großen Risiko ausgesetzt und da will sie nun auf jeden Fall etwas unternehmen. Die Farben, sind auch Lackfarben dabei, stinken so grausam, schon dieser Gestank ist zum Teil nicht auszuhalten. Der "Fallmanager" ist übrigens selbst Gewerkschaftsmitglied. Auf die Frage, ob er denn nicht etwas gegen diese Zustände unternehmen könnte, antwortete er: Nein, das könne er nicht, er wundere sich zwar selbst schon ein wenig, aber die Gewerkschaften können hier nicht helfen, weil es sich nicht um Arbeitsverhältnisse handelt........" Viel gebe es da noch zu schreiben, aber ich wollte Dir nur ein wenig aus der Praxis, dieser ersten 1Euro-Jobs schreiben..... |