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Updated: 18.12.2012 16:00 |
Schnellschussanlage Adolf Bauer zu Folgen und Umsetzung der Hartz IV-Gesetze Man kann die Hartz IV-Gesetze in vieler Hinsicht kritisieren. Der Sozialverband Deutschland e.V. (SoVD), der sich im Unterschied zu vielen anderen Sozial- und Wohlfahrtsverbänden vor allem als sozialanwaltschaftlicher »Betroffenenverband« versteht [1], hat eine erste Bewertung der Hartz IV-Gesetze vorgenommen, in der er vor allem die immanenten Widersprüche und die rechtlichen Grundlagen dieser mit heißer Nadel gestrickten Produkte und deren Konsequenzen für die Umsetzung untersucht. Resultat seiner Analysen: Es wimmelt von Regelungslücken, Rechtswidrigkeiten und Rechtsunsicherheiten. Wir dokumentieren eine leicht gekürzte Stellungnahme von Adolf Bauer, Präsident des SoVD, die dieser bei einer Pressekonferenz am 11. Februar 2005 in Berlin abgab. (...) Für eine erste Bewertung zur Umsetzung von Hartz IV haben wir die Erfahrungen der SoVD-Beratungsstellen sowie zahlreiche Briefe von betroffenen SoVD-Mitgliedern ausgewertet. Es haben uns viele ältere Langzeitarbeitslose geschrieben, die jahrzehntelang in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben und durch Hartz IV unter das Existenzminimum gedrückt werden. Ihre Briefe zeugen von Bitterkeit und Enttäuschung. Sie sehen dem sozialen Abstieg entgegen, denn auf dem Arbeitsmarkt rechnen sie sich keine Chancen mehr aus. (...) Wir stellen fest: Die Einführung des Arbeitslosengeldes II führt zu erheblichen sozialen Härten. Hartz IV trifft diejenigen besonders hart, die auf dem Arbeitsmarkt derzeit kaum eine Chance haben - die Älteren, Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen und behinderte Menschen. Krankheit, Alter und Behinderung führen geradewegs in die Armut. Viele dieser Menschen erleben ihre Lage als ausweglos. Sie fühlen sich ohnmächtig gegenüber einer als undurchdringlich erlebten Bürokratie der Arbeitsagenturen und der Kommunen. (...) Hier nun einige zentrale Problemfelder, in denen wir Nachbesserungsbedarf sehen: 1. Übernahme der Mietkosten und Aufforderung
zum Umzug: Diese Formschreiben verunsichern die Menschen und setzen sie unnötig unter Druck. Wir fordern die Kom-munen auf, die rechtswidrige Praxis der Formschreiben einzustellen. Die Kommunen sind verpflichtet, vor einer Umzugsaufforderung eine Einzelfallprüfung vorzunehmen. Es muss geprüft werden, ob ein Umzug im konkreten Fall möglich und zumutbar ist. Hierbei sind die persönlichen Lebensumstände und soziale Bindungen ebenso zu berücksichtigen wie die tatsächlichen Verhältnisse am örtlichen Wohnungsmarkt. Vorhandene Ermessensspielräume müssen zugunsten der Menschen ausgeschöpft werden. Geringfügige Überschreitungen der Angemessenheitsgrenze rechtfertigen eine Umzugsaufforderung nicht. Hier ist soziales Augenmaß zu wahren. Umzüge müssen die Ausnahme bleiben. Die Kommunen müssen außerdem die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Wirtschaftlichkeit beachten. In vielen Fällen ist ein Umzug für die Kommunen die teurere Lösung: Wenn die Kommune zum Umzug aufgefordert hat, muss sie grundsätzlich die Umzugskosten, die Wohnungsbeschaffungskosten und die Mietkaution übernehmen. Vor einem Umzug ist allerdings eine Zustimmung der Kommune zur Kostenübernahme einzuholen. Ob billigere Wohnungen auf dem Markt auch tatsächlich verfügbar sind, wie die Kommunen unterstellen, ist fraglich. Zumal die Kommunen als Maßstab für die »angemessene Miethöhe« zum Teil auf veraltete Wohngeldtabellen von 2001 oder auch 2002 zurückgreifen. Damit bleiben Mieterhöhungen der letzten drei beziehungsweise vier Jahre unberücksichtigt. Zu bedenken ist auch: Wer umziehen muss, verbringt viel Zeit mit Wohnungssuche und Umzug. Es bleibt weniger Zeit für die Arbeitssuche! Auch das ist kontraproduktiv. Wir stellen außerdem fest, dass die Kommunen ihrer Informationspflicht nicht immer genügend nachkommen. So werden Betroffene zum Teil nicht darüber informiert, dass die höheren Unterkunftskosten im Einzelfall auch nach Ablauf des halben Jahres weiterhin übernommen werden können. Dies ist der Fall, wenn es den Betroffenen nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch Umzug oder Untervermietung die Kosten zu senken. Außerdem gibt es Kommunen wie beispielsweise Bremen, in denen regelmäßig nur die angemessenen Kosten für eine Wohnung übernommen werden. Dies ist rechtswidrig. Laut Gesetz muss in den ersten sechs Monaten grundsätzlich die tatsächliche Miethöhe übernommen werden. 2. Regelungslücken bei der Krankenversicherung: Wir fordern: Für diese Menschen muss dringend eine Lösung gefunden werden. Niemand darf unverschuldet ohne Krankenversicherung dastehen. Der Härtefallzuschuss ist bislang nicht gesetzlich verankert. Wir fordern Bundeswirtschaftsminister Clement auf, dies zügig auf den Weg zu bringen, um Rechtsunsicherheiten zu vermeiden. Eine weitere Lücke bei der Härtefallregelung: Während ALG II-Bezieher vom zusätzlichen Beitragssatz für Kinderlose in der Pflegeversicherung ausgenommen sind, müssen die Härtefälle diesen Zusatzbeitrag von 0,25 Prozent zahlen. Der maximale Zuschuss richtet sich aber nach dem Beitragssatz für Arbeitslosengeld II-Bezieher. Die Härtefälle erhalten also nur 1,7 Prozent. Die Differenz zu den 1,95 Prozent müssen sie selbst ausgleichen. Diese Ungleichbehandlung ist nicht nachvollziehbar. Wir fordern, dass auch diejenigen, die unter die Härtefallregelung
fallen, vom zusätzlichen Beitragssatz für Kinderlose befreit
werden. Wir fordern daher eine vorrangige und schnelle Bearbeitung solcher Widerspruchsanträge. 3. Rechtsunsicherheiten für behinderte Menschen: Wir fordern die Optionskommunen daher auf, behinderten
Beziehern von ALG II die ihnen zustehenden Leistungen zur Teilhabe am
Arbeitsleben in vollem Umfang zu finanzieren. Ein weiteres Problem muss gelöst werden: Die Optionskommunen verfügen über keine fachkundigen Mitarbeiter auf dem Gebiet der beruflichen Reha. Wir fordern die Kommunen und die Bundesagentur für Arbeit auf, im Interesse der Betroffenen eine sachgerechte Lösung zu finden, die eine bundesweit einheitliche Handhabung der beruflichen Reha sicherstellt. (...) Ein weiteres Problem ist die Ungleichbehandlung von behinderten Beziehern von Sozialgeld und Sozialhilfe. In der Sozialhilfe ist für Behinderte mit einer Gehbehinderung ein Mehrbedarf von 17 Prozent vorgesehen. Ein gehbehinderter Empfänger von Sozialgeld, der mit einem ALG II-Bezieher zusammenlebt, erhält diesen Mehrbedarf aber nicht. Denn das SGB II sieht diesen Mehrbedarf nicht vor. Es kann nicht sein, dass bei gleichen Voraussetzungen ein Behinderter den Mehrbedarf erhält, der andere aber nicht. Diese strukturelle Ungleichbehandlung muss im Gesetz korrigiert werden. 4. Überprüfung der Regelsatzhöhe: Wir fordern daher eine unverzügliche Neubemessung
der Regelsätze. Außerdem fordern wir eine Überprüfung
des Anpassungsmodus. Unterschiedliche Regelsätze in Ost- und Westdeutschland
sind nicht mehr zu rechtfertigen. In der Gesetzesbegründung zum SGB
II findet sich keine sachliche Begründung für unterschiedliche
Regelsätze in Ost- und Westdeutschland. Es wird lediglich auf §
28 Abs. 2 SGB XII Bezug genommen, wonach für eine Übergangszeit
bis 2010 die Eckregelleistungen in den neuen Bundesländern höchstens
14 Euro geringer sein dürfen als in Westdeutschland. 5. Zuverdienstgrenzen: 6. Kinderzuschlag: 7. Freibeträge für die Altersvorsorge: 8. 58er-Regelung: Wir stehen bei der Umsetzung von Hartz IV erst am Anfang. In den nächsten Wochen werden die Widersprüche bearbeitet. Vielen Betroffenen wird ihre Lage erst dann klar werden. Außerdem ist damit zu rechnen, dass weitere ALG II-Bezieher aus dem Leistungsbezug herausfallen. Denn die Anträge werden nur für ein halbes Jahr bewilligt und überdies werden die Bescheide in den nächsten Monaten nochmals überprüft. Wir stellen uns daher auf einen heißen Sommer ein! Der vollständige Text ist zu finden auf der Internetseite des Sozialverband Deutschland e.V., Stralauer Str. 63, 10179 Berlin, Tel. (030) 72 62 22 0, Fax (030) 72 62 22 311, email: contact@sozialverband.de, www.sovd-bv.de/sozialverband_deutschland.htm Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 3/05 1) Der Sozialverband Deutschland e.V. (SoVD) besteht seit 1917. Er fühlt sich dem Gedanken gesellschaftlicher Solidarität und der Idee sozialer Gerechtigkeit verpflichtet. Er versteht sich als Ansprechpartner und Anwalt sozial benachteiligter und von gesellschaftlicher Ausgrenzung bedrohter Menschen, macht auf soziale Missstände aufmerksam und nimmt Einfluss auf die Sozial- und Gesellschaftspolitik, um die Ursachen von Benachteiligung und Ungleichheit aus der Welt zu schaffen. (www.sovd-bv.de/sozialverband_deutschland.htm ) 2) Nach dem SGB II (Hartz-IV-Gesetze) ist weitgehend die Bundesagentur für Arbeit für die Grundsicherung zuständig. Die Landkreise konnten jedoch auch entscheiden, anstelle der Bundesagentur für Arbeit die Trägerschaft für die Leistungen nach dem SGB II selbst zu übernehmen. 69 Kommunen machten davon Gebrauch und wurden so genannte »Optionskommunen«. (Anm. d. Red.) 3) V gl. Presseerklärung vom 14. Januar 2005: »SoVD hält Kinderzuschlag für verfassungsrechtlich bedenklich - SoVD-Präsident Adolf Bauer fordert Nachbesserung«, in: www.sovd-bv.de/sozialverband_deutschland.htm
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