letzte Änderung am 24. Mai 2002

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Christa Sonnenfeld

Die Demontage der sozialen Sicherung – ein Angriff auf soziale Grundrechte

Nicht erst seit der bekannt gewordenen Datenmanipulation der Bundesanstalt für Arbeit ist der ohnehin zurückgenommene Sozialstaat unter erheblichen Druck geraten. Schleichend und stetig wird das System der sozialen Sicherung Bismarck’scher Prägung geschliffen. Soziale Grundrechte werden weiter und nachhaltiger denn je verletzt. Der "Skandal" der Bundesanstalt aber hat nachgerade Schleusen und Schubladen geöffnet, in denen schon lange abrufbereite Konzepte lagen, die das System sozialer Sicherung endlich in Angriff nehmen sollten. Es scheint, als hätten politische Funktionäre und intellektuelle Zuarbeiter nur auf die Eröffnungen des Bundesrechnungshofs gewartet oder den Prozess sogar in Gang gesetzt.

Bereits ein Jahr nach der rot-grünen Regierungsübernahme wurde eine Steuerreform zugunsten der Unternehmen verabschiedet (Einsparungsvolumen von ca. 20 Milliarden DM). Erst allmählich bekommen wir deren Folgen zu spüren, so beispielsweise durch die Finanznot der Kommunen. Hinzu kommt der Druck durch die EU-Kommission auf die "Hochlohnländer", die Lohnnebenkosten weiter zu senken und die Sozialleistungen zu kürzen. Dies bedeutet nicht nur einen Angriff auf die Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung, sondern Entlastung der Unternehmen. Die "Rentenreform" war in diesem Umverteilungskontext der Anfang, mit der die paritätisch finanzierte Sicherung aufgegeben wurde.

Für eine höchstmögliche Kapitalverwertung ist der Sozialstaat schon immer ein Hindernis. Unter dieser Regierung werden all die Planungen, sozialstaatliche Leistungen auf ein Minimum zu reduzieren oder gänzlich einzustellen, in die Praxis umgesetzt. Mit Widerstand ist in der Bevölkerung kaum zu rechnen, nicht zuletzt, weil eine ununterbrochene Propagandamaschinerie den BürgerInnen Grundrechtsverletzungen als schmerzliche, aber notwendige Maßnahmen zumutet, als alternativlose Strategie, die den Staat nicht mehr als Zwangsapparatur erkennen lässt. Der Verfassungsrechtler Winfried Hassemer beklagte schon 1997, dass die Bereitschaft, Grundrechtspositionen aufzugeben, auch in der Bevölkerung steige. Der Staat nutze diese Haltung wiederum, um sich neue Befugnisse zu schaffen.

Die soziale Sicherung steht unter massivem Druck

Der Privatisierung der Alterssicherung, die als Reform ausgegeben wird, folgt nun mit großen Schritten die Zurücknahme von Leistungen der Kranken- und Arbeitslosenversicherung. Gerade bei der letzteren wird dabei auf unterschiedlichen Ebenen strategisch operiert, um die Lohnnebenkosten und damit die Beitragszahlungen der Arbeitgeber zu senken.

Über die Lohnsubventionierung, insbesondere dem Kombilohn, werden Löhne tatsächlich gesenkt. Löhne werden von staatlicher Seite nur befristet subventioniert. Danach bilden sie das Niveau der "neuen" Niedriglöhne, das 20-30% unter dem bisherigen Niedriglohntarif liegt. Der vormalige Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages, Hans Peter Stihl, wollte denn auch den Kombilohn bereits im Jahr 1997 als "trojanisches Pferd" verstanden wissen, da er gesellschaftliche Akzeptanzprobleme befürchtete, wenn die Lohnnebenkosten – und damit einhergehend die Löhne – abrupt gekürzt werden würden. Mit der Lohnsubventionierung ist es dann – unter Berufung auf das Lohnabstandsgebot – möglich, auch den Regelsatz der Sozialhilfe abzusenken.

Parallel dazu geht die Bundesregierung auch bei der Senkung der Sozialleistungen für Erwerbslose in die Offensive. In ihrem Konzept soll die Arbeitslosenhilfe ganz abgeschafft und ca. 1,6 Millionen BezieherInnen sollen in die Sozialhilfe überführt werden. Die Bundesanstalt für Arbeit hätte dann eine andere Funktion: sie verwaltet die BezieherInnen von Arbeitslosengeld, von denen viele erfahrungsgemäß relativ schnell wieder eine Erwerbsarbeit finden. Darüber hinaus wird sie, da Vermittlung und Qualifizierung so weit wie möglich privatisiert werden, zur bloßen Ordnungsinstanz, indem sie darauf reduziert wird, Leistungen zu verteilen oder zu sperren. In dieser Strategie werden die grundrechtlichen Einschnitte besonders deutlich:

Damit einher geht der umfassende Arbeitszwang, der zwar schon immer die Arbeitsmarktpolitik bestimmt, inzwischen aber nie dagewesene Ausmaße erreicht hat. So resümiert der Deutsche Städtetag, dass im Jahr 2000 im Rahmen der "Hilfe zur Arbeit" 403.000 SozialhilfebezieherInnen bundesweit zur Arbeit verpflichtet wurden. Auch bei den Erwerbslosen hat der Druck zugenommen. Diese Entwicklung lässt sich an der Zunahme der Leistungssperren erkennen. Zukünftig werden sich z.B. durch das neue "Job-Aqtiv-Gesetz" eine Unzahl von Möglichkeiten erschließen, Erwerbslose zu sperren, indem neue, gesetzlich sanktionierte Hürden aufgebaut werden. Über Jahre addiert, haben inzwischen Millionen von Menschen derartige Maßnahmen durchlaufen, ohne dass sich ihre Perspektive erkennbar verbessert hätte, (Spindler 1999). Es fehlen existenzsichernde Arbeitsplätze, daran kann auch der "aktivierende Sozialstaat" kaum etwas ändern.

Die Arbeitslosenversicherung wird demnach nicht nur durch die Auslagerung der ArbeitslosenhilfebezieherInnen erheblich entlastet, sondern auch durch die entfallenden Anstrengungen der Arbeitsämter, beispielsweise sinnlose "Qualifizierungen" und Trainingsmaßnahmen zu erzwingen, aus denen viele Erwerbslose voraussehbar wieder aussteigen, weil sie keine Beschäftigungswirkung zeitigen und weil es als Demütigung empfunden wird, dass eigene Interessen und die erworbene Qualifikation überhaupt keine Rolle spielen.

Auch zuvor war unübersehbar, dass die Verletzung von Grundrechten konstitutiv sowohl im Bundessozialhilfegesetz als auch im Sozialgesetzbuch III angelegt ist. Inzwischen ist in den Planungen und "Reform"-Vorschlägen eine gewisse Unbekümmertheit zu beobachten, so z.B. wenn Roland Koch vorschlägt, dass auch BezieherInnen von Arbeitslosenhilfe "Gemeinnützige Arbeit" verrichten sollen. Wo die gegenwärtige Gesetzgebung noch zu liberal erscheint, wird schlicht erwogen, dann eben die Gesetze zu ändern.

Während SPD-Experten die stufenweise Annäherung des Arbeitslosengeldes an die Sozialhilfe planen, versucht das CDU-Modell einen Schritt weiter zu gehen Es ist an den Entwürfen zu einer veränderten Regelung des Krankenversicherungssystems orientiert. Eine Aufteilung in Grund- und Wahlleistungen wird vorgeschlagen, bei der man sich durch höhere Versicherungsbeiträge weniger Zwang und mehr Leistungen der Arbeitsämter erkaufen kann. In beiden Modellen wird die Arbeitslosenhilfe abgeschafft.

Die Tendenz ist eindeutig. Die schon eingeleiteten und die geplanten "Reformen" des Arbeitsmarktes zielen auf ein neues Gesellschaftsmodell ab, in dem die Kosten sozialer Sicherung zunehmend privatisiert werden. Die bloße Armenfürsorge würde zukünftig an die Stelle sozialstaatlicher Verpflichtung treten. Das System der sozialen Sicherung wäre damit gekippt.

Die Notlage als Motor

Die Voraussetzungen für die allseitige Verfügbarkeit von Erwerbsfähigen wurden in den letzten Jahren auf vielfältige Weise geschaffen. Die Lockerung des Kündigungsschutzes, die Abschaffung des Berufsschutzes und die Ausweitung der Spielräume für Zeit- bzw. Leiharbeit haben den Boden für eine allgemeine Lohnabsenkung bereitet. Viele Menschen, die ihre Arbeit "verlieren", können inzwischen gewiss sein, dass sie sich bei einem neuen Job auf eine schlechtere Bezahlung einstellen müssen. Die Nähe zu Wucherlöhnen (d.h. der Lohn beträgt höchstens 2/3 des regional gezahlten Durchschnittslohns) wird immer häufiger erreicht, weil selbst die Arbeitsämter in Stellen vermitteln, die sittenwidrig unterhalb dieses Durchschnittsniveaus entlohnt werden.

Auch die ohnehin geringen Sozialleistungen geraten unter Druck, nicht nur durch die oben aufgeführten Planungen zur Kürzung des Arbeitslosengeldes und zur Abschaffung der Arbeitslosenhilfe. Auch die Sozialhilfe selbst wird in Angriff genommen. Bislang noch müssen Sozialleistungen und so genannte "Einmalige Beihilfen" individuell nach dem tatsächlichen Bedarf ausgezahlt werden, wobei die Praxis der Kommunen und einzelner SachbearbeiterInnen z.T. stark differiert. Verweigerung oder Kürzung von Leistungen sind an der Tagesordnung und beschäftigen seit Jahren Sozialgerichte. Jetzt aber schreiben die gegenwärtig laufenden Modellprojekte in einzelnen Kommunen die Pauschalierung von Miete, Heizung u.a. fest, die die realen Kosten nicht mehr abdeckt, wie erste Ergebnisse in Kassel zeigen. Damit wird das Sozialhilfeniveau schleichend abgesenkt. Für die Kommunen führt dies zwar zu Einsparungen, für die Betroffenen allerdings bedeutet es drohende Obdachlosigkeit.

Besonders in Ostdeutschland toben anarchische Zustände auf dem Arbeitsmarkt, wenn es um die Verteilung der wenigen Arbeitsplätze geht. Die Situation für die Menschen dort ist sowohl materiell als auch sozial weitaus widersprüchlicher und prekärer. Aufgrund der für die DDR konstitutiven Erwerbszentrierung hat Lohnarbeit eine sehr starke soziale und psychische Dimension, sie war eingebunden in soziale Kontakte, Freizeit und Sinnstiftung. Diese historisch gewachsenen psychosozialen Verhältnisse werden häufig schamlos ausgebeutet durch sinnlose, entwürdigende Dauerzuweisungen in Trainingsmaßnahmen und ABM-Stellen, manchmal unterbrochen durch befristete Jobs mit Gehältern, die nur noch als Lohndumping bezeichnet werden können und ein Leben in Würde – trotz Arbeit – nicht mehr zulassen. Diese Entwicklung breitet sich sukzessive auch im Westen aus und bestimmt zunehmend die Lebensrealität. Sozialleistungen, die auch ohne die geplanten Kürzungen nicht oder kaum zum Leben reichen, gepaart mit extensiv praktiziertem Arbeitszwang bereiten den Boden für eine Lohnstruktur, wie sie noch vor einigen Jahren kaum vorstellbar war. Mit staatlichen "Mobilitätshilfen" wird die absurde Situation geschaffen, dass vor allem jüngere Erwerbsfähige Regionen Ostdeutschlands verlassen, um im Westen nach Arbeit zu suchen. Gefördert wird auf diese Weise die schleichende Verödung von Kommunen und Landstrichen, so als habe man sie aufgegeben.

Ideologische Geschütze

Die Voraussetzung dafür, diese Praxis durchzusetzen und Akzeptanz in der Bevölkerung herzustellen, besteht in der unentwegten, propagandistischen Offensive. Die organisierte Verantwortungslosigkeit und der Weg in den "autoritären Staat" (Ralf Dahrendorf 2000) sind nur durchsetzbar, wenn die bürgerliche Mitte sich als Profiteure der Gesellschaftsordnung wahrnimmt und Wege findet, sich von der Armutsbevölkerung abzugrenzen. Dazu gehört eine Apparatur, die Meinungen formt und Begriffe entweder als antiquiert entwertet oder sie inhaltlich neu besetzt. Redewendungen und Begriffe wie "mehr Eigenverantwortung" (die in Wahrheit die Verlagerung der sozialen Aufwendungen nach unten meint) oder "Fördern und Fordern" (womit real der Ausbau des Arbeitszwangs intendiert ist) sind täglich zu vernehmende eingängige Worthülsen, die man inzwischen selbst von Menschen hören kann, die ansonsten eigentlich eine kritische Perspektive gegenüber der umfassenden Ökonomisierung des Sozialen haben. Politische Entscheidungen und der vorgelagerte diskursive Prozess der Entscheidungsfindung werden zunehmend aus dem Parlament an die Justiz (zunehmend an das Bundesverfassungsgericht) ausgelagert oder dem dumpfen Feld der manipulativen Steuerung überlassen. Ein Beispiel dazu: Am Abend des Beginns der amerikanischen Bombenangriffe auf Afghanistan ging es in einer Talkrunde des Fernsehens u.a. um die Frage, ob ein Einsatz der Bundeswehr nach innen vom Parlament beschlossen werden sollte. Dabei erregte sich Guido Westerwelle (FDP): "Wir können der Bevölkerung keine gruppendynamische Veranstaltung liefern, wenn Gefahr im Verzug ist" (ZDF, 7.10.2001).

Die Sprache ist verräterisch und zugleich verschleiernd. So werden nach offiziellem Sprachgebrauch die einschneidenden Umbaumaßnahmen auf dem Arbeitsmarkt damit begründet, dass dadurch mehr "Gerechtigkeit" entstünde. Die Grundsatzdebatte der SPD-Führung im Jahr 1999 hatte mit dieser Umwertung von Begriffen rasch begonnen. Danach muss man den Eindruck gewinnen, dass Bedingungen dann als gerecht gelten, wenn sich alle BezieherInnen sozialer Leistungen materiell auf dem untersten Niveau einpendeln. "Gerechtigkeit" bedeutet in deren Neubestimmung zwar Gleichheit in der Verteilung und Zuweisung von Lebenschancen, sei aber im Grunde nicht einlösbar und nicht erwünscht. Ungerechtigkeit als Stimulans, als Möglichkeit der Entfaltung, damit der Wohlstand für alle gesichert werden kann. Es wird ein Gerechtigkeitsbegriff entworfen, wonach ja alle am Wettbewerb teilhaben können, und da gibt es eben Gewinner und Verlierer.

Ohnehin schlägt sich diese Umwertung im Prinzip des "Fördern und Fordern" nieder, nämlich soziale Leistungen nur noch bei Pflichterfüllung zukommen zu lassen. Das klingt gerecht und nach gesundem Menschenverstand, ignoriert aber, dass soziale Grundrechte nicht an Wohlverhalten gebunden sind.

Überhaupt hat die Erwerbszentrierung ein derartiges Ausmaß erreicht, dass der Begriff der "Sozialpolitik" sich in den der "Arbeitsmarktpolitik" aufgelöst hat. Im Zentrum steht der Mensch mit seiner allseitigen Verwertbarkeit und Verfügbarkeit auf dem Arbeitsmarkt.

Soziale Grundrechte erstreiten

In der BRD ist die inhaltliche Füllung des Bürgerstatus relativ schwach, aber das hat gleichwohl Gründe. Die Begründer des Grundgesetzes hatten eine politische Teilhabe bewusst nicht intendiert, um der Bevölkerung nicht zu viel Macht zu kommen zu lassen (Maus 1999). Dies führte u.a. auch dazu, dass sogar die durchscheinende Demokratieverachtung der politischen Eliten mehr oder weniger als alternativloses Geschick – allenfalls leise murrend – bis heute hingenommen wird. Umso mehr muss ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass sich das Wesen einer freien Gesellschaft mit forcierter Armut und repressiven Strategien nicht vereinbaren lässt (Narr/Roth/Vack 2000). Im kapitalistisches (Welt-)system ist zwar das sozialstaatliche Modell mit seinen Versprechen von Freiheitsrechten und Absicherungen von Lebensrisiken ohnehin bloß fiktiv. Dennoch kann eine Diskussion über den Anspruch an soziale und politische Grundrechte die wachsende Ungleichheit zum öffentlichen Gegenstand machen, den Zwang zu irgendeiner Arbeit, und sei sie noch so sinnlos und schlecht bezahlt, ins öffentliche Bewusstsein rücken und die Einhaltung von Freiheitsrechten reklamieren. In einer solchen Debatte müsste es auch um die zunehmend autoritäre Politik gehen, die sich auf diesen Ebenen intensiviert. Hier ist nichts von einem Rückzug des Nationalstaates zu verspüren. Der repressive Staat wird gebraucht, um den sozialen Frieden zu sichern und um Ansprüche der Bedürftigen abzuweisen.

Blickt man in die Erklärung der Menschenrechte von 1948, dann mutet diese wie ein revolutionäres Manifest an. Dort sind soziale Grundrechte, wie z.B. das Recht auf freie Berufswahl, auf soziale Sicherheit, auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit u.a. verankert. Davon sind wir weit entfernt. Besonders in der Medienöffentlichkeit würde eine derartige Proklamierung eher als Naivität diffamiert werden, die die modernen Anforderungen ignoriere.

Dabei trägt bei uns das Sozialgesetzbuch I dem Sozialstaatsgebot Rechnung, indem es die Verpflichtung formuliert, "ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, gleiche Voraussetzungen für die freie Entfaltung der Persönlichkeit, insbesondere auch für junge Menschen zu schaffen, ... den Erwerb des Lebensunterhalts durch eine frei gewählte Tätigkeit zu ermöglichen und besondere Belastungen des Lebens, auch durch Hilfe zur Selbsthilfe, abzuwenden oder auszugleichen". Der Einsatz für soziale Grundrechte ist vor diesem Hintergrund sowohl über die Erklärung der Menschenrechte, als auch über die spezifisch deutsche Fassung argumentativ zu begründen, auch wenn ökonomische Verwertungsinteressen machtvoll dagegen agieren und staatliche Repräsentanten uns weismachen wollen, dass der Bezug sozialer Leistungen immer auch zwingend mit der Verletzung von Grund- und Freiheitsrechten einhergehen müsse.

Die Frage bleibt, wie ein kritisches, produktives Verhältnis zu diesen Entwicklungen hergestellt werden kann. Eine Idealisierung des Sozialstaats der 70er und 80er Jahre ist eine Verkennung der Realität. Reanimierungsversuche vernachlässigen nämlich, dass weder soziale Rechte in Gestalt einer aktiven politischen Teilhabe noch eine menschenwürdige Existenzsicherung gegeben waren, da die Vergabe von Sozialleistungen immer mit Zwang und Disziplinierung verknüpft war. Die Bürokratisierung der Daseinsvorsorge war ebenso virulent wie die Ungleichheit der Lebenschancen. Bedürftigkeit bedeutete immer, bürokratischer Repression ausgesetzt zu sein.

Zum zweiten war das System der sozialen Sicherung Bismarck’scher Prägung immer erwerbszentriert. Die Weigerung, eine Stelle anzutreten, war deshalb immer auch mit der Androhung und Durchsetzung des Leistungsentzugs gekoppelt, wenn auch im alten Arbeitsförderungsgesetz die Interessen der Erwerbslosen und ihr Schutz vor "unterwertiger" Beschäftigung zumindest Bestandteil der Gesetze waren.

Weder die Rückkehr zum Sozialstaat der 70er und 80er Jahre, noch die Forderung nach dem Erhalt der sozialen Sicherung wird uns angesichts des Umstands, dass es immer weniger existenzsichernde Arbeitsplätze gibt, einem menschenwürdigen Dasein näher bringen, das eine Sicherung auch ohne Lohnarbeit ermöglicht. Gleichzeitig muss aber bedacht werden, dass die Abkehr von der klassischen sozialen Sicherung bedeuten würde, dass wir soziale Rechte dann weder reklamieren noch einklagen können und mehr oder weniger auf die Mildtätigkeit von Wohlfahrtsorganisationen und Unternehmensstiftungen zurückgeworfen sein würden.

Ein bedingungsloses, ausreichendes Grundeinkommen würde nicht auf dem Beitragsmodell fußen können, das der jetzigen sozialen Sicherung wesentlich zugrunde liegt. Und es muss begleitet sein von sozialen Grundrechten. Dieser Weg wird uns sicherlich nicht geebnet werden, wir müssen ihn uns erstreiten.

Literatur:

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