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Nachhaltige Beschäftigungspolitik unter Rot-Grün?

Robert Hagen*

Die Arbeitslosenzahlen in Deutschland bewegen sich auf die 4 Millionen zu und werden diese Zahl vielleicht auch bald überschreiten. Die Regierung ist in Erklärungsnot und mag zu jedem Mittel greifen, um gegenzusteuern, wenn es nur nicht so viel kostet. Die derzeitigen arbeitsmarktpolitischen Instrumente sind vielfältig, ihr jeweiliger Erfolg umstritten. Die einen setzen auf Qualifikation und Weiterbildung, die anderen auf mehr Beratung und intensivere Vermittlungsbemühungen, und wenn alles nichts hilft, muss Zwang her. Bei vermeintlicher Arbeitsverweigerung, dem Ausschlagen »zumutbarer« Arbeitsangebote, wird die Kürzung von Transferleistungen angedroht. Der Zwang zur Annahme schlecht bezahlter und ungesicherter Jobs wird erhöht. Die Diskussion geht aber immer so vor, als ob es da auf der einen Seite eine feste Größe gäbe, das Arbeitsplatzangebot, und auf der anderen Seite einen personalen Überschuss, die Arbeitslosen. Letztere kosten Geld, jedenfalls so lange, wie es soziale Sicherungssysteme gibt. Also, so schreitet die Argumentation fort, müssen die Arbeitgeber mühsam dazu überredet werden, zusätzliche Arbeitskräfte aufzunehmen, mit Subventionen, steuerlichen Anreizen usw. Und die Arbeitslosen sollen sich gefälligst mehr bemühen, sich in offene Stellen hineinzuquetschen, selbst wenn sie dort kaum Geld verdienen können.

Dabei ist der Umfang der Arbeit keineswegs einfach gegeben, und das Problem stellt sich folgerichtig auch nicht einfach als eines der Verteilung dieses Arbeitsvolumens auf die erwerbsfähige Bevölkerung dar. Der Umfang der Arbeit in einem ökonomischen System ist eine dynamische Größe, die fortwährend einem Wandel unterworfen ist. Sie ist sogar mehrfach dynamisch, da sie von unterschiedlichen und widersprüchlichen Tendenzen beeinflusst wird. Die Tendenz der Produktivitätssteigerung und damit der Effizienzerhöhung der Arbeit zieht eine Reduktion des Arbeitsvolumens nach sich. Zugleich wirkt aber auch die Gegentendenz der Profitsteigerung durch eine Expansion in neue Märkte und durch die Gewinnung neuer Kundenkreise, was wieder einen erhöhten Arbeitseinsatz verlangt. Zu diesen zwei widerstreitenden allgemeinen Tendenzen kommen dann noch die, die Ergebnis allgemeiner Veränderungen technologischer und struktureller Art sind – die Stichwörter sind hier informationstechnologische Revolution, Wissensgesellschaft, Globalisierung. Das heißt, der auf die Arbeitssuchenden aufzuteilende Kuchen an Arbeitsvolumen ist alles andere als eine statische Größe. Intelligente arbeitsmarktpolitische Strategien müssen den Blick gerade auf das Moment der dynamischen Wandlungsprozesse der Arbeit selbst richten, wollen sie nicht kostenintensiv bloß Symptome kurieren.

Was also ist Arbeit, wenn – wie eben postuliert – es prinzipiell offen ist, welche Arten von Tätigkeiten in welchen Zusammenhängen als Arbeit zählen? Denn mit neuen Arbeitsinhalten ändert sich auch die Auffassung darüber, was Arbeit ist.

Welche Tätigkeiten Werk-Tätigkeiten sind, hängt von mehreren Faktoren ab:

(1) Die Tätigkeit und deren Ergebnis, oder der Beitrag der Tätigkeit zu einem kooperativen Projekt, wird daran gemessen, ob die Erzeugnisse und Dienstleistungen von einer hinreichend großen Zahl von Verbrauchern als nützlich angesehen werden, das heißt, ob irgendjemand bereit ist, Geld dafür auszugeben, oder schlicht, ob sie nachgefragt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht unbedingt im Voraus fest steht, was nachgefragt wird. Für Produktinnovation, Werbung und Marketing gilt: das Angebot schafft sich seine Nachfrage. Denn wer will behaupten, dass ein elektronischer Fensterheber nützlich ist, um von A nach B zu gelangen. Hier besteht die Nützlichkeit darin, dass durch Accessoires meine gesellschaftliche Position zur Geltung gebracht werden kann. Geldwert ist nicht zuletzt, was Prestige hat. Produziert werden also nicht allein materielle und zweckdienliche Güter, sondern zunehmend symbolische Werte. Das gilt für Luxuskarossen nicht unbedingt mehr als für Turnschuhe und Duschbäder.

(2) Einige Tätigkeiten zählen insofern als Arbeit, als sie als gesellschaftlich notwendig erachtet werden. Sie werden (noch) Gemeinschaftsaufgaben oder öffentliche Dienstleistungen genannt. Dazu gehören die Bereiche Öffentlicher Personenverkehr, Erziehung, Bildung, Gesundheit, Verwaltung, Polizei, Militär, Bauen und Wohnen, Wasserversorgung und anderes mehr. Hier sind zwei Dinge gleichzeitig im Wandel: einerseits ändert sich offenbar das Verständnis dessen, worauf jeder Bürger unabhängig von seinem Einkommen einen Rechtsanspruch hat. Andererseits ändert sich durch den technologischen Fortschritt auch der Inhalt der Dienstleistungen. Für jede Produktneuerung, sei es der ISDN-Anschluss, sei es die plastische Chirurgie, stellt sich die Frage nach dem Rechtsanspruch für alle neu. Die Höhe der öffentlichen Investitionen hat direkte Auswirkungen auf die Zahl der in diesem Bereich Beschäftigten. Für die Arten von Arbeit in diesem Bereich ist interessant, dass hier nicht die Entlohnung allein eine Rolle spielt. Einige Berufe genießen hier besonderes Ansehen: der des Professors, Forschers, Arztes, Piloten ...1

(3) Bestimmte Tätigkeiten gelten nicht von vornherein als gemein-nützig, sondern sie erstreiten sich gleichsam ihre gesellschaftliche Anerkennung erst. Das gilt zum Beispiel für regierungsunabhängige Organisationen (NGO's). Es gilt aber auch für Sportvereine und einzelne Sportler. Und es gilt sehr augenfällig für Künstler. Sie bilden eine Art Avangarde, wenn es darum geht, bestimmte Tätigkeiten nicht nur als legitimen Zeitvertreib, sondern als wertvoll zu etablieren. Freilich oft erst posthum. Woher erhalten die Künstler, Sportler und Aktivisten ihren Wert? Staatliche Förderung und Zuwendungen von Stiftungen sind eine Möglichkeit. Die Nachfrage am Markt eine andere. Die Kulturtätigkeit von Essayisten und Kolumnisten ist auf das Publikum angewiesen, das die Zeitung kauft. Der Schauspieler auf die Kinogängerin, der Nachrichtensprecher auf die Werbeeinnahmen des Fernsehsenders. Genießt jemand erst einmal den Ruhm des Experten, des prominenten Schriftstellers oder erfolgreichen Spitzensportlers, ist es umgekehrt jener, der einem Zeitungs- oder Fernsehbeitrag zu höherem Wert verhilft. Der dann selbstverständlich höhere Gagen rechtfertigt ...

Fazit: Es steht mitnichten im Voraus fest, welche Tätigkeiten und Aktivitäten als Arbeit zählen und durch finanzielle Absicherung »belohnt« oder allererst erlaubt werden. Zugleich hat sich gezeigt, dass es bei Arbeit nicht allein um Geld geht, sondern auch um Anerkennung und Wertschätzung. Diese Wertschätzung und dieses Renommee einer Person (oder auch einer Firma) ist wiederum (teilweise) auf eine Symbolik des Prestigiösen angewiesen, und die kostet mitunter viel Geld.

Wenn nun aber gar nicht klar ausgemacht ist, was »an sich« Arbeit ist (und damit geldwert), dann gilt das auch für die Frage, ob uns die Arbeit ausgeht, wie manche prophezeien, oder ob die Arbeitslosenquoten bloß ein schlecht durchschaubares konjunkturelles Phänomen sind. Die Aufgliederung in die Faktoren der finanziellen Vergütung und der zugebilligten Anerkennung lässt eine Schlussfolgerung zu, die in den Debatten um probate Mittel gegen das Arbeitslosigkeitsproblem gerne übersehen wird: Für den und die Einzelne ist nicht allein entscheidend, ob er oder sie überhaupt eine Arbeit findet, um sich den Lebensunterhalt zu sichern. Wichtig ist vielmehr, ob er oder sie sich mit den an sie gestellten Anforderungen (oder Zumutungen) arrangieren kann, und ob die Person wenigstens auf längere Sicht Prestige und Anerkennung aus der Beschäftigung ziehen kann. Dabei kommt es nicht auf die gegenwärtige Art der Beschäftigung alleine an, sondern auf die Perspektiven, die sich für eventuelle spätere Anstellungen ergeben. Hier spielen insbesondere auch die Chancen und Möglichkeiten für Bildung und Weiterbildung eine große Rolle.

Eine Art Ideal wäre erreicht, wenn sich der arbeitende Mensch in einer solchen Arbeitsumgebung wiederfände, die ihm erlaubte, etwas zu tun, was ihm oder ihr Spaß macht oder was er oder sie sinnvoll findet, und was ihm oder ihr eine positive Identifikation mit den ihr oder ihm zugewiesenen Aufgaben ermöglichte. Dieser Zustand – wenn man mal so überaus optimistischen weiter denkt – hätte den Vorteil, sogar aus Unternehmersicht optimal zu sein. Die Beschäftigten identifizieren sich mit den Zielen des Unternehmens, erachten seine Produktpalette für überaus sinnvoll und interessant und übernehmen für das Gelingen des kooperativen Vorhabens Verantwortung. Infolge ihrer hohen Motivation sind sie bemüht, einen Beitrag zur Erschließung neuer Märkte und neuer Kunden zu leisten. Sie planen originelle Werbestrategien und sorgen für effektivere Formen der Arbeitsorganisation usw. Die Beschäftigten betrachten ihre Tätigkeit weniger als Arbeit im Sinne von Mühe und Qual, sondern mehr als sinnstiftende Bewältigung von verantwortungsvollen Aufgaben, die ihnen neben finanziellem Auskommen vor allem Ansehen einbringen. So weit der Traum.

Zurück zur Wirklichkeit. Aus welchen Gründen auch immer, der Arbeitsplatz als irdisches Paradies wird vorerst wohl nur für wenige zu haben sein. Elemente der ursprünglichen Wortbedeutung von Arbeit (bzw. von frz. »travail«) als Qual und körperliche Mühen werden vorerst nicht verschwinden. Auch die faktische Unterwerfung unter den Willen fremder Mächte (des Vorgesetzten oder der Märkte) wird oft in günstigenfalls abgemilderten Formen weiterbestehen.

Bei der Debatte um intelligente arbeitsmarktpolitische Instrumente geht es ja auch gar nicht um das Einholen von Utopien. Es geht um das schlichte Abwägen von Kosten und Nutzen, um die Kalkulation von Investitionen (z.B. in öffentlich subventionierte Ausbildungsprogramme für Jugendliche) und deren voraussichtlichen Effekte auf die Beschäftigungslage. Dennoch muss es erlaubt sein, in die Nützlichkeitserwägungen der Instrumente eine Bewertung ihrer Nachhaltigkeit mit einzubeziehen. Jede öffentlich aufgewendete Anstrengung sollte so zielgerichtet wie möglich sein. Und eine Bewertung der Ziele selbst ist ebenfalls ein berechtigter Anspruch. Und bei dieser Bewertung der Ziele spielen die Utopien doch wieder eine Rolle.

Beschäftigung für Arbeitslose zu finden, heißt – wenn es nicht eine Scheinbeschäftigung oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahme im schlechten Wortsinn sein soll – eine Einbindung eines brachliegenden kreativen Potenzials in die unendliche Wertschöpfungskette. Arbeit ist die Erzeugung von Wert bzw. Mehrwert. Welche Arbeitsergebnisse einen Wert realisieren, hängt, wie gesehen, von dynamischen Rahmenbedingungen ab.

Zwangsarbeit und Arbeitsverhältnisse, die unter Zwang zustande kommen, oder durch bloße Überredungskünste der höheren Steuerbegünstigungen und Subventionen des Arbeitgebers, sind kaum geeignet, eine tatsächliche Wertsteigerung zu erzeugen. Infolge der staatlichen Subventionierung der Arbeit werden auch keine Lohnnebenkosten gesenkt, sondern bloß in andere Haushaltstitel (etwa der Wirtschaftsförderung) umgewidmet. In diese volkswirtschaftlich wenig effektive Kategorie von Maßnahmen stecke ich die Ausweitung von Niedriglohnarbeit ebenso wie flächendeckende Kombilöhne.

Beschäftigungseffekte ergeben sich freilich nicht nur aus beschäftigungspolitischen Maßnahmen, sondern werden naturgemäß auch durch öffentliche Investitionen und gesetzgeberische Rahmenbedingungen erzeugt. Eine Herabsenkung von garantierten Leistungen der Gesundheitsversorgung bringt notwendig Entlassungen mit sich, die von keinem etwaigem Nebeneffekt kompensiert werden. Auch andere öffentliche Investitionen sind nachhaltig beschäftigungswirksam. Dazu gehören die Ausgaben für Bildung. Bildung auf allen Ebenen erhöht die Chancen, der oben skizzierten optimistischen Utopie einer subjektiv als sinnstiftend erlebten Arbeitsumgebung näher zu kommen. Denn die beiden Bedeutungsseiten des Wortes der Arbeitsqualität – die Qualität des Produkts und Herstellungsprozesses auf der einen Seite und die Qualität des subjektiven Befindens des Werktätigen an seinem Arbeitsplatz (sowie auch seine objektiven arbeitsbedingten Gesundheits- und Sicherheitsrisiken) auf der anderen – bilden in dieser Perspektive ausnahmsweise keinen Widerspruch. Auch Investionen in die soziale Sicherheit zahlen sich aus. Die Leistungsfähigkeit und die Motivation für eine kreative Beteiligung an Arbeitsprozessen sinkt merklich, wenn sich die Betroffenen mit existenziellen Sorgen und Nöten plagen.

Als volkswirtschaftlich sinnvoll stufe ich daher Maßnahmen der Verbesserung der individuellen Arbeitsvermittlung und Karriereberatung ein. Career Advisers sollten als klientenzentrierte Beratung zur Lebensplanung funktionieren. Instrumente zur Förderung von Weiterbildung und deren Vergabe sollten prinzipiell die Kompetenzen, Interessen und perspektivischen Vorstellungen ihrer Klienten oder Empfänger berücksichtigen und auf diese aufbauen. Zwangsmittel wie der Entzug der Lebensgrundlage durch Streichung der Sozialhilfe oder Arbeitslosenhilfe weisen in die falsche Richtung.

*Philosoph und Sprachwissenschaftler, derzeit als Bildungsforscher tätig. E-Mail: hagen@mailberlin.net

1 Die Frage, wie Privatisierungen ehemals staatlich organisierter Aufgaben und Dienste einzuschätzen sind, bedarf einer gesonderten Diskussion. Das Urteil, dass Privatisierungen öffentlicher Betriebe per se eine Vergrößerung der sozialen Schieflage nach sich ziehen, halte ich für vorschnell. Vielmehr sind die Einzelfälle differenziert zu beurteilen. Zunächst ist zu betrachten, was der vorrangige Beweggrund zur Veräußerung eines Staatsbetriebs jeweils ist. Skepsis ist angebracht, wenn ein profitabler Betrieb verkauft wird, um mit einmaligen Einnahmen den öffentlichen Haushalt zu entlasten. Ein Beispiel ist der Verkauf der Berliner Energieversorgers Bewag. Andere Privatisierungen sind von der Absicht getragen, verlustbringende Staatsbetriebe so zu teilprivatisieren, dass die öffentliche Hand weniger belastet wird. Hier ist die Bahn ein Beispiel, und auch Krankenhäuser, sogar auch Bildungseinrichtungen. Freilich muss zunächst kritisch untersucht werden, wie die Verlustrechnung überhaupt zustande kommt, und inwieweit strukturelle Wettbewerbsnachteile stillschweigend in Kauf genommen werden, um eine andere Branche zu protegieren, im Fall der Bahn die Automobilindustrie. Was nun aber allein das Ziel der Kostenreduzierung anbelangt, gibt es immer mindestens zwei Strategien, diese herbeizuführen, die freilich oftmals nicht klar voneinander zu trennen sind. Die Personalkosten können durch Entlassungen und Lohnsenkungen sowie über den Abbau von Garantien wie etwa des Kündigungsschutzes erzielt werden. Die andere Strategie setzt auf eine effizientere Arbeitsorganisation, auf Rationalisierungen der Verwaltung, auf Wettbewerb zwischen nicht-monopolistischen Anbietern. Gegen letztere Strategie ist meines Erachtens nichts einzuwenden. Die wichtige politische Frage ist dann, welche Rahmenbedingungen setzt der Gesetzgeber. Gibt es gesetzliche Obergrenzen für bestimmte Preise (des Nahverkehrs, des Wassers, ...) und werden die Kosten (z.B. für eine Monatskarte, für das Telefon) für »Bedürftige« von den Sozialkassen übernommen?


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