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Updated: 18.12.2012 15:51
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Sozialpolitik. Grundlagen und vergleichende Perspektiven

Disput zwischen dem Autor Michael Opielka und dem taz-Rezensenten Frank Lübberding


Michael Opielka, 2. Juli 2005
Betreff: taz-Rezension zur "Sozialpolitik"


In der heutigen „taz“ erschien eine durchaus wohlwollende Kritik des Buches „Sozialpolitik“ externer Link. Der einzige Einwand des Rezensenten Frank Lübberding, freier politischer Autor für „taz“, „Zeit“ u.a., ist sozialpolitisch interessant und diskussionswürdig:

„Esping-Andersen war schon im Jahr 1990 über die deutsche Form der Dekommodifizierung irritiert. Man versuchte die Arbeitsmarktprobleme durch sozialverträgliche Formen der Exklusion zu lösen. Stichwort Vorruhestand. Diese Politik war nicht nur bald an ihre finanziellen Grenzen gestoßen. Die Kürzungsagenda 2010 ist ohne diesen Tatbestand nicht zu erklären. Das kann man für falsch halten, aber nicht in der Weise ignorieren, wie es Opielka letztlich praktiziert. Diese Haltung dokumentiert die Grenzen seines Ansatzes, der vom Ende der Erwerbsarbeit ausgeht. Rekommodifizierung passt da nicht ins Konzept.“

Nun wird im Buch „Sozialpolitik“ weder die Kürzungsagenda 2010 „ignoriert“, noch geht der Autor „vom Ende der Erwerbsarbeit“ aus -- im Gegenteil, wie in Kapitel 2 des Buches leicht nachzulesen.

Dennoch: Das Argument von Lübberding dürfte, so eine sicher nicht zu mutige Interpretation, den Kern der bündnisgrünen (und teils sozialdemokratischen) Agenda-Politik ausmachen: „Rekommodizierung“ wird damit begründet, dass eine „sozialverträgliche Exklusion“ sowohl finanzpolitisch wie - vermutlich - auch kulturell „an Grenzen gestoßen“ sei. Man müsse die Erwerbsquote dramatisch steigern und - so eben der Kern der „Agenda 2010“ und des „Förderns und Forderns“, der „Aktivierung“, dürfe dabei auch vor - so ist das wohl zu verstehen - „sozialunverträglichen“ Formen der „Exklusion“ nicht halt machen.

Gerade wenn man nicht (mehr) von einem „Ende der Erwerbsarbeit“ ausgeht, ergibt sich - darin durchaus auch im Einklang mit Esping-Andersen - die strategische Frage, wie die „Inklusion“ in, die „Teilhabe“ an Erwerbsarbeit sozialpolitisch zukunftsfähig zu organisieren ist. „Rekommodifizierung“ ist eine Variante - sie wird von Liberalen und Konservativen als „workfare“, von Sozialdemokraten als „Aktivierung“ verkauft. Die andere Variante ist die weitere Dekommodifizierung, das Grundeinkommen. Worin die „Grenze“ dieses „Ansatzes“ liegt, hätte ich als Autor gerne vom Rezensenten erfahren. Aber davon hört man nichts. Es wird nur leicht polemisiert: „Rekommodifizierung passt da nicht ins Konzept“. Sehr richtig. Sie passt nicht in das Konzept des „Garantismus“. Aber aus systematischen, aus analytischen wie politischen - aber auch aus ethischen - Gründen. Nicht weil der Autor die Argumentation des schwarz-rot-blauen Blocks „ignoriert“, sondern weil er sie für falsch hält.

Prof. Dr. Michael Opielka (Berkeley/Jena)


Darauf antwortete Frank Lübberding: Zum Leserbrief von Michael Opielka:

Es freut mich so schnell eine Antwort auf meine Rezension bekommen zu haben.
Aber nun zu den von Michael Opielka angesprochenen Punkten:

1. Aus der Rezension ist hoffentlich nicht deutlich geworden, dass Opielka die Agenda 2010 ignoriert haben könnte. Das wird auch im dem Absatz vor dem von Opielka zitierten deutlich: „Dabei verfolgt er seinen theoretischen Ansatz der Dekommodifizierung konsequent – so in seiner Kritik an der „aktivierenden“ Arbeitsmarktpolitik im Rahmen der Agenda 2010. “

2. Die Kritik der Ignorierung bezog sich also nicht auf die fehlende Thematisierung der Agenda 2010 etc, das wäre auch absurd, sondern auf die meiner Ansicht nach fehlende angemessene Würdigung der ökonomischen Hintergründe für die Reformpolitik der Bundesregierung. Natürlich geht Opielka auf Konzepte wie workfare etc. ein. (Übrigens: Hervorragend!) Aber die guten Gründen für diesen Trend zur Rekommodifizierung in Europa werden in dem Buch nicht deutlich. Er argumentiert am Ende vor allem aus ideologiekritischer Perspektive. Wobei er in der Begründung für seine eigenen Reformvorstellungen die „Herausforderungen“ sehr gut beschreibt. Aber in der Darstellung der Regierungspolitik kommt das nicht zum Ausdruck. Dort dominiert die Ideologiekritik. Darauf wollte ich hinweisen mit dem Satz: „Das kann man für falsch halten, aber nicht in der Weise ignorieren, wie es Opielka letztlich praktiziert.“ Wobei ich einräumen will: Die Bundesregierung hat nun die guten Gründen für ihre Reformen wirklich nicht deutlich gemacht. Gerade Gerhard Schröder und Wolfgang Clement haben zumeist mit Motiven eines simplen Neoliberalismus argumentiert. Kein Recht auf Faulheit etc. Für dieses Versagen wird die SPD noch sehr lange einen politischen Preis zahlen müssen – die Grünen übrigens weniger als Opielka glaubt.

3. Opielka hat die Kontroverse sehr gut auf den Punkt gebracht: Es geht tatsächlich um die zwei Varianten Rekommodifizierung oder „die weitere Dekommodifizierung, das Grundeinkommen“. Allerdings behauptet er ja selbst über diese Kontroverse schon hinaus zu sein. So vertrete er heute nicht mehr die These vom Ende der Erwerbsarbeit. Das versucht er auch in seinem Modell einer Grundeinkommensversicherung zu konkretisieren. Ich bin mir nicht sicher, ob das bei ihm tatsächlich der Fall ist: So sagt er in seinem Leserbrief, dass das Konzept der Rekommodifizierung nicht in sein Konzept des Garantismus hineinpasse. Am Ende läuft es auf die weitere Dekommodifizierung hinaus. Das halte ich für falsch. Vielmehr bin ich der Ansicht, dass Rekommodifizierung vor allem eines braucht: Eine entsprechende makroökonomische Begleitung. Rot Grün hat die Rekommodifizierung mit einer ultrakonservativen – letztlich deflationären - Wirtschaftspolitik verbunden. (Man lese etwa zur Zeit den Hamburger Appell von VWL Professoren. Dort wird diese Position wunderbar zusammengefasst). Rekommodifizierung bedeutet Flexibilisierung und Deregulierung. Am Ende auch einen Niedriglohnsektor. In diesen Punkten teile ich die Auffassungen der Bundesregierung. Diese Entwicklungen kann man nicht stoppen. Die Frage ist also nicht, ob es sie gibt, sondern auf welche Weise man sie politisch steuert. Das bedeutet eben nicht automatisch eine monetaristische Wirtschaftspolitik mit weniger Sozialstaat (sondern einen anderen) und die steuerliche Entlastung der priviligierten Bevölkerungsgruppen. Diese Kombination ist eine deutsche Spezialität – und führt in das ökonomische und politische Desaster, wenn Merkel diesen deutschen Sonderweg fortsetzen sollte.

4. Opielka hat Recht: Die drastische Steigerung der Erwerbsquote ist der Bundesregierung nicht geglückt. Deshalb wird sie auch abgewählt werden. Sie kombinierte Flexibilität und Deregulierung mit Sozialabbau, negativen Einkommenserwartungen und hoher Arbeitslosigkeit. Man kombinierte also alle denkbaren Übel einer Volkswirtschaft miteinander. Auch eine Form der Faktorkombination.

Es wäre nützlich diese Debatte fortzusetzen - und ich hoffe einige Missverständnisse ausgeräumt zu haben, ohne deshalb Meinungsunterschiede unter den Teppich zu kehren.


und wiederum Michael Opielka wie folgt:

Mir gefällt auch Ihre Antwort. Dennoch .. mir scheint, Sie konzentrieren mich zu sehr auf die Schiene „Ideologiekritik“. Die ist zweifellos nötig, das sehen Sie ja auch. Und offensichtlich werden in meinem Buch „Sozialpolitik“ die makroökonomischen Fragen nur gestreift.

Aber: kann man aus makroökonomischen Trends oder Gesetzen tatsächlich einen „Zwang“ zur „Rekommodifizierung“ ableiten, wie Sie dies m.E. tun? Sie postulieren es, begründen es aber nicht und zwar in keiner Weise. Eine solche, empirisch gesättigte Begründung würden Sie auch nirgendwo finden.

Das beliebteste Standard-Argument sind die Niedrigqualifizierten. Ohne Zwang=Rekommodifizierung würden Sie nur auf Sozialstaatskosten leben. So Sinn (ifo) u.v.a. Dummerweise trifft der Trend Lohnsenkung nicht nur die Niedrigqualifizierten. Die Mehrheit der Niedrigeinkommenbezieher in Deutschland ist lt. IAB durch- und überdurchschnittlich qualifiziert. Es gibt also offensichtlich weitere Motivationsquellen zur Erwerbsarbeit als Druck.

Prof. Dr. Michael Opielka, Jena/Berkeley


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