Zu Beginn des Jahres 1999 hatte der Bundestag die siebte Novelle des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) verabschiedet. Eine sogenannte "Experimentierklausel", festgehalten im neuen § 101a, räumt seitdem den Ländern die Möglichkeit ein, Modellprojekte zur "Pauschalierung" von Sozialhilfeleistungen unter "freiwilliger" Mitwirkung der Betroffenen bei ausgewählten Sozialhilfeträgern durchzuführen.
Wer ‘profitiert’ von solchen Experimenten, wer bezahlt sie, und was bedeuten die Pauschalen für die Betroffenen? Sind pauschalierte Sozialleistungen der Einstieg in eine entbürokratisierte, aber drastisch abgesenkte "Grundsicherung"? Bis zum Jahr 2004 sollen die Experimente laufen, die dann von der Unternehmensberatung "Mummert & Partner" ausgewertet werden sollen. Anne Allex und Cora Mollay beleuchten in den beiden folgenden Beiträgen schon jetzt sichtbare Konstruktionsfehler des Gesetzes.
Die Kommunen werden die Länder unter Druck setzen, um solche Projekte in ihren Regionen durchführen zu können. Denn nicht erst seit diesem Jahr klagen sie über wachsende Belastungen bei der Sozialhilfe. Und neben dem Wohngeld müssen sie ja demnächst auch noch für die Bedürftigen aufkommen, die bald keine "originäre" bzw. "Anwartschafts-Arbeitslosenhilfe" mehr erhalten. Durch die geplante finanzielle Beschneidung der Bundeszuschüsse zum Wohngeld (s.u.) wird gleichzeitig von der anderen Seite Druck auf die Länder ausgeübt, dass zuvörderst die Pauschalierung der Unterbringungskosten bei der Sozialhilfe in Angriff genommen werden wird. Mit der Wohngeld-Regelung im Haushaltssanierungsgesetz zieht der Bund seinen Kopf aus der Schlinge und kann dennoch behaupten, er habe die Kommunen massiv bei der Entlastung der Kosten der Sozialhilfe unterstützt:
Statt bisher fast 4 Mrd. DM plant die Bundesregierung für das Jahr 2000 nun nur noch 1,8 Mrd. DM für das Wohngeld der SozialhilfeempfängerInnen ein. Ab 2001 soll es dann jedoch die lange versprochene, deutliche Tabellen-Wohngelderhöhung, die auch Nicht-SozialhilfeempfängerInnen betrifft, geben. Länder und kommunale Kassen sollen ab dem Jahr 2000 für das "pauschale" Wohngeld von SozialhilfeempfängerInnen allein aufkommen. Der Bund zieht seine Finanzhilfen in diesem Bereich zurück und "spart" dadurch ca. 2,5 Milliarden im Jahr – Tendenz steigend. Diese "schlaue" Rechnung geht aber nur auf, wenn Länder und Kommunen die immensen zusätzlichen Belastungen im Sozialhilfebereich allein tragen.
Mit den auf Länder und Kommunen abgewälzten Milliarden macht sich der Bund also den Rücken frei für die Erhöhung des Wohngeldes der Tabellenwohngeld-Empfänger zum Jahr 2000. Zugleich zieht er sich aus der Finanzierung des Wohngeldes für SozialhilfeempfängerInnen zurück. Er belastet damit kommunale Kassen doppelt: Einerseits müssen diese nach dem BSHG die "angemessenen Wohnkosten" übernehmen, andererseits auch noch den Anteil zahlen, den die Bundesregierung als erhöhtes allgemeines Tabellen-Wohngeld ab dem Jahr 2000 vorsieht. Außerdem wird der Mietzuschuss für Sozialhilfeempfänger zukünftig ebenfalls nach Tabelle bestimmt, er wird also nicht mehr dynamisiert.
Hinter den Kulissen passiert aber noch mehr. In einer Arbeitsgruppe des "Bündnisses für Arbeit" werden die Konturen für eine sogenannte "soziale Grundsicherung" diskutiert. Zunächst sollen RentnerInnen mit niedrigen Renten in diesen "Genuss" kommen. Später sollen BezieherInnen von Sozialhilfe davon partizipieren. In der Presse wurde "erstaunt" verlautbar, dass diese Grundsicherung nicht über der Sozialhilfe liegen würde.
In den Debatten vergangener Jahre gab es Grund-, Basis- oder Existenzsicherungs-Modelle auf der Grundlage pauschalierter Leistungen. Eines davon war die bündnisgrüne Grundsicherung. Darin wurden zum Beispiel für EmpfängerInnen der Grundsicherung Wohngelder von 450 Mark (West) bzw. 250 Mark (Ost) eingeplant, zu denen je nach Einzelfall darüber hinausgehende kleine Zuschüsse gewährt werden sollten. Die neue Wohngeld-Regelung im rot-grünen Sparpaket lässt vor diesem Hintergrund noch weitere Einschnitte in der Arbeitsförder- und Sozialgesetzgebung erwarten.
Auch SozialhilfeempfängerInnen werden durch rot-grün noch stärker in die Eigenverantwortung gezogen – dafür, dass die Mieten steigen und sie Sozialtransfers beziehen.
Nach § 12 BSHG umfasst der notwendige Lebensunterhalt von Sozialhilfebedürftigen "besonders Ernährung, Unterkunft, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Heizung und persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens." Sozialhilfeberechtigten wurde bisher entsprechend dem Wohngeldgesetz § 31 Abs. 1 Satz 1b Wohngeld "ohne Antrag ... als Zuschuss zu den Aufwendungen für Wohnraum gewährt", wenn unter anderem "er und seine mit ihm in der Hausgemeinschaft lebenden Angehörigen ... laufende Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt ... erhalten." Diese Wohnkostenerstattung bedeutete entgegen landläufigen Meinungen nicht die vollständige Übernahme aller entstehenden Mietkosten. Die Sozialämter übernehmen seit Jahren ohnehin nur die sogenannten "angemessenen" Wohnkosten.
Diese "angemessenen" Wohnkosten fallen regional unterschiedlich hoch aus. Sie werden in den Kommunen durch die Größe des Wohnraumes oder die Quadratmeterkosten bestimmt. So betrugen zum Beispiel in Hamburg die maximal übernommenen Wohnkosten Mitte der neunziger Jahre 1.600 DM für einen vierköpfigen Haushalt mit Sozialhilfeanspruch. Ein paar Kilometer weiter – in Dannenberg – werden durch den Sozialhilfeträger für eine ebenso große Familie nur 610 DM an Wohnkosten übernommen, wobei hier die Anzahl der Quadratmeter völlig uninteressant ist. In manchen Städten dringen die Sozialämter auf die Einhaltung der maximalen Quadratmeterzahl von 45 m² pro Einzelperson; in anderen Orten gibt es eine Kulanzspanne seitens des Sozialamtes, wenn die- oder derjenige 5 m² mehr bewohnen als zulässig.
Seit mehr als zwei Jahren wird in den politischen Gremien über eine Pauschalierung der einzelnen Sozialhilfeleistungen diskutiert. Doch Pauschalen decken bekanntlich nicht den Bedarf.
Dieser Artikel ist erschienen in: express Nr. 10/1999
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