Von Ursula Knapp
Das Bundesverfassungsgericht hat Eingriffe in die Tarifautonomie bei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) für gerechtfertigt erklärt, wenn dadurch in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden sollen.
KARLSRUHE, 4. August. Die Verfassungsrichter bestätigten der IG Metall in ihrer am Mittwoch veröffentlichten Entscheidung, dass die so genannte Lohnabstandsklausel einen Eingriff in die Tarifautonomie darstellt.
Dennoch wiesen sie die Verfassungsbeschwerde der Gewerkschaft zurück, denn der Eingriff sei aus überwiegenden Gründen des Gemeinwohls gerechtfertigt. Die Lohnabstandsklausel solle bewirken, dass mit den nur begrenzten Mitteln einer möglichst großen Zahl von Arbeitslosen ein Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt werden könne (Az.: 1 BvR 2203/93 und 897/95).
Hintergrund ist, dass die Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit Zuschüsse an Arbeitgeber bezahlt, wenn sie für schwer zu vermittelnde Arbeitslose Stellen mit gemeinnützigen Tätigkeiten einrichten. Dazu gehören Stellen im Umweltschutz, bei sozialen Diensten und der Jugendhilfe. Seit 1997 werden die Zuschüsse an die Arbeitgeber - meist der öffentliche Dienst - aber nur noch dann in voller Höhe bezahlt, wenn der vereinbarte Tariflohn für die ABM maximal 80 Prozent des Tariflohns beträgt, der auf dem freien Arbeitsmarkt für entsprechende Tätigkeiten gilt. Diese Lohnabstandsklausel betrug 1992 zehn Prozent, wurde inzwischen aber auf 20 erhöht. Wird der Abstand zum Tariflohn des freien Arbeitsmarktes nicht eingehalten, zahlt die Nürnberger Anstalt entsprechend geringere Zuschüsse.
Durch diese gesetzliche Vorgabe ist die Verhandlungsposition der Gewerkschaften beim Aushandeln der Tarifverträge im ABM-Bereich geschwächt. Denn die Arbeitgeber sind dabei nicht bereit, die 80-Prozent-Marke zu überschreiten, weil sie dann weniger Zuschüsse erhielten und zudem höhere Lohnkosten hätten. Die IG Metall sah hierin eine Verletzung ihrer Tarifautonomie und sogar einen Testfall für allgemeine Tariföffnungsklauseln.
Den konnten die Verfassungsrichter nicht erkennen. Die Auswirkungen auf die Tarifautonomie seien zumutbar. Denn gerade bei den gemeinnützigen Tätigkeiten handele es sich um einen nicht profitablen Wirtschaftsbereich. Die Stellen würden häufig erst wegen der Zuschüsse geschaffen, bei einer Streichung würde die Maßnahme entweder verschoben oder sogar entfallen. Folglich könne die Gewerkschaft hier durch Streiks nicht den gleichen Druck entfalten wie in gewöhnlichen Tarifverhandlungen. Auf der anderen Seite sei bei rund vier Millionen Erwerbslosen das Schaffen von Arbeitsplätzen ein "hochrangiges soziales Anliegen". Arbeitslosigkeit führe die Betroffenen oft in existenzielle Bedrängnis. "Die Erfahrung, nicht gebraucht zu werden, kann in einer Gesellschaft, die den Wert des Einzelnen in hohem Maße an seiner beruflichen Leistung misst, zu schweren seelischen Belastungen führen", so das Gericht.
Schließlich falle auch ins Gewicht, dass die Lohnabstandsklausel bis zum Jahr 2002 befristet sei. Dies zwinge den Gesetzgeber dazu, sich dann zu vergewissern, ob die Voraussetzungen noch vorliegen und die Klausel die damit verfolgten Ziele erreichen konnte.
Frankfurter Rundschau, 05.08.1999
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