"Unternehmergeist" in der Schule

 

"Früh übt sich, wer später Erfolg haben möchte", meinte der Leiter des Pilotprojekts "Business at school", das an zwei rheinland-pfälzischen Gymnasien beendet wurde und sofort auf zehn sowie im Jahr 2001 auf 35 Schulen ausgeweitet werden soll. In den Pilotprojekten erhielten nach einer Information der Frankfurter Allgemeinen vom 16. August 1999 jeweils 35 Oberstufenschüler "eine Vorstellung vom Handwerkszeug eines Unternehmers" und "davon, wie Wirtschaft funktioniert". Sie "entwickelten eine Geschäftsidee und arbeiteten sie bis zur Expansionsstrategie detailliert aus". Unterstützt wurden sie dabei von der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG). Sie gab ihnen "Auskünfte über betriebswirtschaftliche Fragen": "Wie wird Kapital beschafft, welche Rechtsform ist die günstigste, wie werden Kosten, Erlöse und Gewinn berechnet?" Und was als "Erkenntnis" natürlich nicht fehlen darf, ist, "wie viel Spaß Wirtschaft machen kann". Solche "Übungen" seien "ein aktiver Beitrag zur Debatte um den Wirtschaftsstandort Deutschland", meinte der Geschäftsführer der Unternehmensberatung BCG. Denn "die Kreativität und der Unternehmergeist der jungen Generation" seien "die wichtigste Ressource des Standorts Deutschland". Schließlich würden sich vermutlich "90 Prozent der Schüler in der Wirtschaft wiederfinden" - dafür brauchten sie den richtigen "Manager-Kick".

"Unternehmergeist" als Schlüsselqualifikation junger Menschen - wem nützt das wohl? Sicher nicht denjenigen, die in den Betrieben um die Einhaltung der Tarifverträge, die Verbesserung des Arbeitsschutzes und den Erhalt ihrer Arbeitsplätze kämpfen. Auch wohl kaum jenen Jugendlichen, die keinen Ausbildungsplatz finden und sich regelmäßig beim Arbeitsamt oder Sozialamt melden müssen, um das bißchen Stütze abzuholen. Und während ihren Söhnen und Töchtern in den Schulen mit professioneller Anleitung eingeimpft wird, unternehmerisch zu denken und zu handeln, blicken die Eltern derweil als erwerbslose Opfer unternehmerischer "Expansionsstrategien" und "Kostensenkung" in eine ungewisse Zukunft am "Standort Deutschland". Wie viel "Spaß" doch "Wirtschaft machen kann" - natürlich nur aus der Sicht der "Spaßmacher" in den Chefetagen der Unternehmen.

Diese nehmen gerne jene "90 Prozent der Schüler" in ihre "Wirtschaft" auf. Doch erfahrungsgemäß werden die wenigsten dort als "Unternehmer" eingestellt, sondern - im Prinzip sogar unabhängig von der Qualifikation - als abhängig Beschäftigte. Das ist an und für sich auch nichts Anrüchiges: sein Geld durch ehrliche Arbeit zu verdienen. Schlecht wirkt sich dabei allerdings aus, wenn Arbeitnehmer meinen, sie säßen mit ihrem Chef in einem Boot und müßten sich dessen Gedanken zu eigen machen, wie am besten Tarife unterlaufen, das Arbeitstempo erhöht und Personal wegrationalisiert werden können. Wie das verhindert werden kann, das hat die Unternehmensberatung BCG den Schülern sicher nicht beigebracht. Denn die entscheidende Schlüsselqualifikation der Arbeitnehmer "in der Wirtschaft", die Solidarität, spielt im Unterricht einer am "Unternehmergeist" und "Manager-Kick" orientierten Schule natürlich keine nennenswerte Rolle.

 

Quelle: IMPULS - Informationen für Aktive Nr. 58 vom 20. August 1999

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