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Updated: 18.12.2012 15:51
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Was tun?

Den KollegInnen in den Betrieben wird zunehmend klar: "Kein Arbeitsplatz ist mehr sicher. Der Stress nimmt ungeheuer zu. Und was wir produzieren, macht nicht viel Sinn. Nach Feierabend ist der Rest des Tages immer noch von unserer Erwerbsarbeit bestimmt: Abhängen, Passivität, Kräfte regenerieren, Drogen konsumieren. Wo kommen wir in unserem Leben eigentlich noch vor? Unsere eigentlichen Fähigkeiten kommen gar nicht zur Geltung, werden gar nicht gebraucht. Oder wir halten sie bewusst zurück, weil wir keine Perlen vor die Säue werfen wollen. Ist dem nichts entgegenzusetzen? Ist unser einziges Ziel, gesund in Rente zu gehen? Wollen wir erst nach der Erwerbsarbeit leben?" Viele akzeptieren das nicht, arbeiten mit innerer Kündigung und machen sich bei der Arbeit einen schlauen Lenz und genießen das Leben. Nach Feierabend werden sie erst richtig kreativ und produktiv, in ihren Hobbys, Schreibergärten, Nachbarschaften. Das lässt sich ausbauen, organisieren, zum Erfahrungsaustausch.

Menschen, die nicht mit ihrer Firma verheiratet sind, tun sich zusammen, um Erfahrungen auszutauschen, wie mensch die Zwangsarbeit verträglich machen kann. Sie tun das außerhalb ihres Betriebs, in ihrer Nachbarschaft, mit ihren Familien, mit Nachbarn, die ein ähnliches Verhältnis zu ihrem Betrieb haben, und sie sprechen auch über ihre Alltagsprobleme außerhalb des Betriebs. Sie sprechen vor allem über letzteres, da sie jeden Tag damit rechnen müssen, ihre Erwerbsarbeit zu verlieren. Sie überlegen, wie sie ihre Bedürfnisse auch ohne Erwerbsarbeit befriedigen können, d.h. ohne Geld. Sie tun sich zu gegenseitiger Hilfe zusammen, organisieren einen Umsonstladen, Werkstätten, die sie kostenlos nutzen, kooperieren mit Kooperativen auf dem Land. Sie nutzen gemeinsam Schrebergärten, Autos, Segelboote ... Je niedriger der erwartete Lebensstandard, je weniger Auslandsurlaube, je deutlicher die Einsicht "Mensch braucht nicht viel für ein gutes Leben", desto leichter die Organisation. In solchen Gruppen, nennen wir sie einmal A-Gruppen, wird also meistens über ähnliche betriebliche Probleme aus verschiedenen Branchen gesprochen, in Bochum wahrscheinlich vorwiegend über Opel-Probleme. Da aber jede Beschäftigung in diesem Stadium des Kapitalismus prekär ist, werden andere Interessierte aus der Nachbarschaft hinzugezogen, weil man/frau mit ihnen zusammen im Fall des Falles seine Bedürfnisse selbst befriedigen können will und daran jetzt schon Spaß hat. Solche A-Gruppen können verschieden groß sein, von fünf bis hundert Personen. Sie agieren autonom. Sie sind von verschiedener Struktur. Einige dienen "nur" dazu, aus der Distanz zu betrachten, nachzudenken, was sie den ganzen Tag über tun; sie wollen hauptsächlich lernen. Andere bringen es schon zu einer Produktion von lebenswichtigen Dingen. Ihre Ideen, wie man sein Leben selbst in die Hand nehmen kann, sind vielfältig. Lasst tausend bunte Blumen blühen! Sie organisieren sich informell. Einige Menschen unter ihnen haben sicher überflüssiges Erspartes, was sie z.B. für die Mieten von Werkstätten einsetzen wollen. Reichtum ist obszön.

Warum ich der gegenseitigen Hilfe mehr Zukunftschancen gebe als Tausch- und Geldverhältnissen, hat zwei Gründe. Erstens sollten wir damit rechnen, dass das herrschende System früher oder später zusammenbricht. Zweitens sehe ich die Wurzeln des Kapitalismus nicht erst im 19. Jahrhundert, sondern in Kulturen mit Tauschverhältnissen bzw. im Patriarchat, wo mit dem Begriff Eigentum erst die Voraussetzung für Tauschverhältnisse geschaffen wurde: Die Frau ist Eigentum des Mannes. Wer damit anfängt, landet notwendigerweise über Tausch- und Geldverhältnisse, Staat, ökonomischem Wettbewerb bei Kapitalismus und Faschismus; das lässt sich an der Geschichte der Menschheit nachvollziehen. Ich verwerfe aber das vorhandene ersparte Geld nicht apodiktisch; es lässt sich als Initialzündung und für die Übergangsphase zu einem System der gegenseitigen Hilfe verwenden.

A-Gruppen haben innerhalb des Kapitalismus den Vorteil, dass sie ihre Menschen ermutigen (Empowerment). Sie haben keine Angst mehr vor Arbeitslosigkeit, weil sie ihre Grundbedürfnisse selbst befriedigen können. Sie lassen sich nicht mehr mit dem Argument der alternativlosen herrschenden Politik totschlagen. Wenn ihre Arbeitgeber z.B. sagen "Um im internationalen Wettbewerb der Autoproduktion mithalten zu können, müssen wir Leute entlassen", antworten sie: "Dann bauen wir eben Züge oder Busse." Wegen ihrer Lernbegierde lassen sie sich in betrieblichen Auseinandersetzungen nicht mehr übern Löffel balbieren. Sie können mit branchenübergreifenden produktionsbehindernden Maßnahmen ihren Forderungen an die aktuelle Politik mehr Nachdruck verleihen.

Gewerkschaften und Parteien kommen in meinem Modell nicht vor, weil eine Stellvertreterpolitik die sozialistische Bewegung nicht fördert. Die Menschen nehmen jetzt ihr Leben selbst in die Hand. Das heißt aber nicht, dass Gewerkschaften und Parteien nicht als Vermittler und Transmissionsriemen willkommen sind. Sie werden sowieso versuchen, auf den fahrenden Zug aufzuspringen. Ihr Platz ist jedoch nicht in der Lok. Sie haben ihren Platz auf der Lok ja auch freiwillig aufgegeben, als sie ihre Forderungen nach einer Arbeitszeitverkürzung und nach einem Sozialstaat aufgaben. Wenn sie also jetzt wieder (Übergangs)Forderungen der A-Gruppen nach einer 20-Stunden-Woche und nach einem bedingungslosen Grundeinkommen von 1500 € netto monatlich für jedeN unterstützen wollen, sind sie willkommen.

Dieses Modell ist international praktikabel und wird in einigen Kulturen der Dritten Welt seit alters her immer noch praktiziert. Eine A-Gruppe kann sich auch über Kontinente erstrecken, wenn Menschen ihre Überschüsse an andere abgeben oder ihre Fähigkeiten mit anderen zusammenbringen wollen, mit denen sie sich solidarisch fühlen. Einige bauen gerne Schiffe, andere bauen gerne Bananen an, andere fahren gern zur See: Warum sollte sich daraus nicht ein Netzwerk entwickeln? Können jedoch z.B. die EuropäerInnen nicht ohne Bananen gut leben und glücklich sein? Die Versorgung wird also vornehmlich regional und nicht global sein. Internationale Netzwerke werden sich hauptsächlich auf Kulturelles beziehen, weil die Menschen viel aus ihren verschiedenen Kulturen lernen können.

Wie die andere Welt letzten Endes aussehen wird und wie schnell die Transformation gehen wird, st nicht vorauszusehen. Da es sich um einen demokratischen Prozess handelt, werden Weg und Ziel von den Menschen bestimmt. Politisch attraktiv ist das Modell der A-Gruppen, weil sie eine konkrete Alternative für Menschen anbieten, die nicht erst bis zur Rente mit ihrem Leben warten wollen. Vor allem versprechen sie eine neue kulturelle Hegemonie: nicht mehr der Kampf "JedeR gegen jedeN", sondern: Entspannung, Zusammenarbeit, Freisetzen vielfältiger individueller Fähigkeiten, Freude am Leben. Dabei wird nicht vergessen, dass es sich zunächst nur um Inseln in einem Meer des Misstrauens und der Feindschaft handelt.

Karl-Heinz Thier


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