letzte Änderung am 23. Juni 2003 | |
LabourNet Germany ARCHIV! Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany |
|
Home -> Diskussion -> (Lohn)Arbeit -> Prekär -> Nebensache2 | | Suchen |
DVS Digitaler Vervielfältigungs- und Verlagsservice, Frankfurt
am Main, Mai 2003
ISBN 3-932246-39-X
15,00 €
Zu bestellen ist das Buch entweder über den Buchhandel unter angabe der
ISBN-Nummer oder direkt beim Verlag:
dvs, Schumannstr. 51 60325 Frankfurt
Tel./Fax: 069/ 74 01 69.
d.v.s@t-online.de
In seiner Regierungserklärung 2003 drohte der Kanzler denjenigen, die länger als ein Jahr arbeitslos sind. »Niemandem wird es künftig gestattet sein, sich zu Lasten der Gemeinschaft zurückzulehnen. Wer zumutbare Arbeit ablehnt der wird mit Sanktionen rechnen müssen.« (FR 15. 03. 2003, 7)
Drei Viertel aller Langzeitarbeitslosen sind über 40 Jahre alt. Viele sind durch die Lohnarbeit verbraucht. Das Kapital sortiert unter dem Druck steigender Produktivität und fallender Profitraten sowie unter dem Druck der Krise immer mehr Ältere aus. Die Bundesregierung unterstützt das. Dennoch unterstellt der Kanzler der sozialen Gerechtigkeit den älteren Arbeitslosen, dass sie sich zu Lasten der Gemeinschaft zurücklehnen und nicht arbeiten wollen.
Er will ihnen Beine machen. Er kündigte an, das Arbeitslosengeld auf 12 Monate zu begrenzen. Das trifft ausschließlich Ältere über 45 Jahre. Er kündigte an, die Arbeitslosenhilfe auf das Sozialhilfeniveau abzusenken. Auch das trifft vor allem Ältere. (siehe oben) Dass eine Krise herrscht und woher sie kommt, interessierte Schröder nicht. Im Februar 2003 gab es 4,7 Millionen Arbeitslose und 390.000 offene Stellen. Es dürfte schließlich kein Problem sein, dass 4,7 Millionen Arbeitslose ein bißchen zusammenrücken und die 390.000 offenen Stellen besetzen.
Die Arbeitslosen müssen nur wollen, dann bekommen sie Arbeit. Diesen zur Zeit viel zu schwachen Willen wollen Bundesregierung und Arbeitgeberverbände »stärken«, damit vor allem die älteren Arbeitslosen endlich ihren Arsch hochkriegen.
Das Kapital engt mit dem Fortschritt der Produktivität selbst die Möglichkeiten ein, dass Menschen ihre Ware namens Arbeitskraft überhaupt noch verkaufen können. (Kap 2.1) Es braucht für seinen engstirnigen Zweck, Profit zu machen, immer weniger Arbeitskräfte.
Die steigende Produktivität hat unter der Regie des Kapitals auch noch die unangenehme Eigenschaft, den Fall der Profitraten zu fördern. (Kap 2.12) Das aber führt zu Investitionsmüdigkeit (Kap 2.21) und zur Massenarbeitslosigkeit des Kapitals in Form von riesigen Kapitalüberschüssen. (Kap 2.22) Die steigende Produktivität fördert ferner Überproduktion und Krisen. (Kap 2.3)
Damit verengen sich die Möglichkeiten des Kapitals, aus der Beschäftigung von Arbeitskräften Profit zu ziehen. Es lohnt sich nicht, Arbeitskräfte zu beschäftigen, wenn die Rendite nicht stimmt. Die Nachfrage nach Arbeitskraft sinkt tendenziell aus all diesen Gründen. Millionen Arbeitssuchende finden Arbeitsstellen, aber gleichzeitig werden noch mehr Menschen entlassen.
Die Möglichkeiten, dass Menschen für andere Zwecke arbeiten, als unmittelbar den Profit der Käufer ihrer Arbeitskraft zu fördern, nehmen ebenfalls ab. Die Möglichkeiten des Staates (Kap 3.342), des »Dritten Sektors« (Kap 3.343) oder der Arbeitslosenversicherung, Menschen zu beschäftigen, hängen nämlich ebenfalls vom Zustand der Kapitalverwertung ab. Auch die Staatsfinanzen (Kap 3.31 f.) und die Finanzen der Sozialversicherung (Kap 3.24 f.) werden immer tiefer in den Strudel der fallenden Profitraten hineingezogen.
Da das Kapital seine Verwertungsprobleme auf dem Rücken der LohnarbeiterInnen löst, haben auch Löhne und Sozialleistungen eine fallende Tendenz. Das wiederum engt die Möglichkeiten ein, dass Menschen vom Verkauf von Waren leben können.
Tendenziell fallende Löhne führen auch zu der Frage, ob sich Lohnarbeit überhaupt noch lohnt. (Kap 1.41)
Wenn die Möglichkeiten, seine Arbeitskraft als Ware zu verkaufen, geringer werden, wird die Konkurrenz härter. Das Kapital versucht, die Energien der Arbeitslosen auf den Konkurrenzkampf zu lenken. Man soll sich fit machen für den Arbeitsmarkt, man soll eben besser sein als andere, man soll sich qualifizieren usw., um die Konkurrenten auszustechen. Die Arbeitskräfte, die das akzeptieren, wollen, dass andere ihnen Platz machen. »Ältere, Frauen, Ausländer, Jugendliche, Langsamere, Begriffsstutzige oder wer auch immer sollen mir Platz machen«, denken sie.
Der Wille der Arbeitslosen, die Arbeitslosigkeit zu beenden, zeigt sich darin,
dass jährlich Millionen Arbeitslose Arbeit aufnehmen. Aber zugleich werden
Millionen anderer Arbeitskräfte entlassen. Die Möglichkeiten, Arbeit
zu finden, nehmen insgesamt ab. Im schärfer werdenden Konkurrenzkampf fallen
aber gerade diejenigen hinten runter, deren Ware Arbeitskraft für das Kapital
weniger rentabel ist. Die Eigenschaft der Arbeitskräfte, eine Ware zu sein,
die ihrem Käufer Profit bringen muss, engt die Möglichkeiten von Jugendlichen,
Älteren, Frauen, Ungelernten, Ausländern, Schwerbehinderten usw. mehr
ein als die von anderen.
Ihre Chancen werden umso geringer, je mehr die Schwierigkeiten der Kapitalverwertung
zunehmen. Dann haben nur noch die »Besten« eine Chance.
Schröder sagte nicht: »Niemandem wird es künftig gestattet sein,
ältere und gesundheitlich angeschlagene Kolleginnen und Kollegen auf die
Straße zu setzen. (
) Wer Menschen, die arbeiten wollen, daran hindert,
der wird mit Sanktionen rechnen müssen.«
Er qualifiziert lieber diejenigen ab, die vom Kapital aussortiert werden, und
verteidigt die Bedingungen, unter denen Menschen in immer stärkerem Maße
überflüssig gemacht werden.
Da jede menschliche Regung letztlich durch das Nadelöhr der Kapitalverwertung gejagt wird, stehen immer mehr LohnarbeiterInnen vor einer Zwickmühle: »Fordern sie existenzsichernde Löhne, dann gefährden sie ihren Arbeitsplatz; lassen sie sich auf geringere, arbeitsplatzsichernde Löhne ein, dann gefährden sie schlimmer noch die Bedarfsdeckung « (Zukunftskommission 1998, 257)
Wenn Menschen arbeiten wollen, werden sie mehr und mehr vor die Alternative gestellt: Entweder Armut durch Arbeit oder Armut durch Arbeitslosigkeit. Das Kapital beschränkt die Lebensmöglichkeiten der Menschen immer mehr, um sich selbst am Leben zu halten. Auf dem Boden der Lohnarbeit kann das menschliche Potenzial immer weniger ausgeschöpft werden. »Alle Staaten dieser Erde werden eine Alternative zur Erwerbsarbeit (=Lohnarbeit) finden müssen.« (Rifkin 1998, 218) Die modernen Produktivkräfte brechen das Lohnarbeitsverhältnis auf.
Der Wille der Arbeitslosen zu arbeiten, hat nicht ausgereicht, die Arbeitslosigkeit
zu besiegen.
Aber auch die Regierungen, die die Arbeitslosigkeit besiegen wollten, mussten
feststellen, dass ihr Wille zu schwach war.
1974/1975 übersprang die Arbeitslosigkeit zum ersten Mal seit den 50er Jahren wieder die Millionengrenze. Kanzler Helmut Schmidt betonte Ende 1976: »Vorrangige Aufgabe der Bundesregierung ( ) ist die Arbeit zur Wiederherstellung und zur Sicherung der Vollbeschäftigung.« Als Schmidt im Herbst 1982 abtrat, war trotz der »Arbeit« der Regierung die Vollbeschäftigung weder gesichert noch wiederhergestellt. Es gab mit 1,8 Millionen Arbeitslosen fast doppelt so viele Arbeitslose wie 1976.
Als CDU und FDP Ende 1982 die Regierungsgeschäfte übernahmen, wurde Helmut Kohl in seiner Regierungserklärung noch kühner: »Aufgabe Nummer eins ist die Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit.« Als Kohl sich diese titanenhafte Aufgabe stellte, gab es 2,36 Millionen Arbeitslose. 1996 war die Arbeitslosigkeit in Westdeutschland auf 2,8 Millionen gestiegen. Kohl gab sich einen letzten Ruck. Gemeinsam mit Arbeitgeberverbänden und DGB verkündete er, dass die Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000 halbiert werden solle. Als Kohl 1998 nach 16-jährigem heldenhaftem Kampf zur »Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit« abdankte, gab es in Westdeutschland noch mehr Arbeitslose, 2,9 Millionen in Westdeutschland und 4,28 Millionen in ganz Deutschland. Das war ein neuer Rekordstand. Die Arbeitslosenquote in Gesamtdeutschland war mit 12,3% höher als 1950, als sie kriegsbedingt noch 11% betragen hatte.
Kanzler Schröder setzte sich bei seinem Amtsantritt 1998 bescheidenere Ziele. Er wollte die Zahl der Arbeitslosen bis Ende 2002 nur auf 3,5 Millionen senken. »Wir wollen uns jederzeit nicht erst in vier Jahren daran messen lassen, in welchem Maße wir zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit beitragen«, hieß es in der Regierungserklärung 1998. 2002 gab es nicht 3,5 Millionen, sondern 4,06 Millionen Arbeitslose. Schröder war gescheitert.
Und im Krisenjahr 2003 könnten die offiziellen Arbeitslosenzahlen das Niveau von 1998 wieder übersteigen.
Im Bewußtsein ihres Scheiterns setzte die Bundesregierung im Februar 2002 die Hartz-Kommission ein, benannt nach ihrem Vorsitzenden, dem VW-Vorstand und IG Metall-Mitglied Peter Hartz. Die Kommission stellte die Ineffizienz der Arbeitslosenverwaltung in den Mittelpunkt. Mitten in der Krise, in der das Wirtschaftssystem selbst seine Ineffizienz zeigt. In der 15-köpfigen Kommission waren u. a. Vorstandsmitglieder von BASF, der Deutschen Bank und DaimlerChrysler, ein Arbeitgeberfunktionär des Handwerks und Funktionäre von Ver.di und IG Metall vertreten. Die Kommission klammerte die Wirtschaftskrise einfach aus. Sie verkündete im August 2002, dass die Arbeitslosigkeit bis Ende 2005 halbiert werden könne, wenn die von ihr vorgeschlagenen Maßnahmen planmäßig umgesetzt würden.
Die himmelstürmende Hoffnung, die Arbeitslosigkeit zu halbieren, war schon geplatzt, bevor die Hartz-Vorschläge Ende 2002 überhaupt in Gesetzesform gegossen wurden.
Da sprang der neue Superminister für Wirtschaft und Arbeit, Wolfgang Clement, in die Bresche. Er kündigte an, »dass er die Arbeitslosigkeit im Laufe des Jahrzehnts so senken will, dass wieder Vollbeschäftigung erreicht wird.« (FTD 07. 01. 2003, 9) Statt Halbierung in drei Jahren, völlige Beseitigung in acht Jahren. Endlich ist der Herkules gefunden, der mit seinem Willen die Welt neu erschaffen will, ohne sie zu ändern. Man muss es eben wirklich wollen. Und sich vor allem nie fragen, warum alle bisherigen Pläne so jämmerlich gescheitert sind.
Alle Regierungen konnten nicht das umsetzen, was sie wollten. Hätten sie es gekonnt, dann hätte der Staat erheblich geringere finanzielle Probleme. Aber die mächtigen Apparate und ihre vor Selbstbewußtsein strotzenden Macher waren letzlich ohnmächtig.
Obwohl alle führenden Parteien versagt haben, klagen sich die VertreterInnen
von CDU/CSU und SPD dennoch gegenseitig an, dass die jeweils falsche Politik
der anderen Partei schuld sei. Jeder wirft dem anderen vor, dass er nicht die
richtige Politik machen wolle, obwohl sie bisher keiner entdeckt hat. »Schuld
(an dem gebrochenen Versprechen Schröders) ist die Politik, die alle Impulse
für Beschäftigung abgewürgt hat«, rief Stoiber unter dem stürmischen
Applaus von 1.000 CDU-Delegierten aus. (FR 19. 06. 2002) Klar, Schröder
hat so lange gewürgt, bis Konzerne wie Siemens, Deutsche Bank, Telekom
usw. Tausende von Beschäftigten entlassen mussten und zehntausende Unternehmen
Pleite gingen. Stoiber selbst hätte natürlich mit seiner richtigen
Politik und Gottes Hilfe seinen Willen durchgesetzt und die Krise im Keim erstickt.
Stoiber betrachtet sich genau wie Schröder als Herrscher über die
Gezeiten der Ökonomie.
Viele LohnarbeiterInnen wollten mit ihrer Stimmabgabe bei den Bundestagswahlen Parteien wählen, die die Arbeitslosigkeit unter Kontrolle bekommen. Die Entwicklung hat sie enttäuscht: Die Arbeitslosigkeit kann offensichtlich nicht abgewählt werden. Der bisherige politische Wille ist zu schwach.
Das politische Kasperletheater dient außer der Selbstbeweihräucherung der Politiker auf jeden Fall einem Zweck: Das Kapital darf mit der Entwicklung der Arbeitslosigkeit nicht, aber auch gar nicht in Verbindung gebracht werden.
Das Institut der deutschen Wirtschaft (BDI) erklärte 1985: »Beseitigung der Arbeitslosigkeit: Im Grunde ist die einzige erfolgversprechende und dauerhafte Lösung des Problems die Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Wirtschaft. Nur so können Investitionen und ein stetiges Wachstum erreicht werden, die auch zur Schaffung neuer Arbeitsplätze führen. ( ) Die völlige Beseitigung wird ( ) nur Schritt für Schritt und in einem längeren Zeitraum möglich sein.« (IdW 1985, 30)
»Die Wirtschaft« ist offensichtlich der Meinung, dass »die Politik« die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen muss, damit »die Wirtschaft« die Arbeitslosigkeit beseitigt.
Alle bisherigen Regierungen haben zahllose Schritte unternommen, die Rahmenbedingungen für die Kapitalverwertung zu verbessern. Sie haben die Gewinnsteuern gesenkt, sie haben die Sozialleistungen abgebaut, sie alle haben vorrangig bei den Arbeitslosen gekürzt, sie haben versucht, die Löhne und die »Lohnnebenkosten« zu senken, sie haben Investitionen gefördert usw.
Der Hauptzweck ihrer Tätigkeit bestand eben darin, die Rentabilität des Kapitals zu stärken. Doch alle ihre Maßnahmen, die Rentabilität des Kapitals zu stärken, haben für den angeblichen Zweck, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, nichts gebracht. Gescheitert sind letztlich nicht die Parteien bzw. die Bundesregierungen, sondern das Kapital selbst.
RWE hat das schöne Motto erfunden: »Wenn man es nicht kann, muss man es wenigstens wollen.« Das Kapital kann die Arbeitslosigkeit nicht beseitigen, weil sie sein eigenes Werk ist. Aber es gibt vor, es wenigstens zu wollen. Es will die Arbeitslosigkeit bekämpfen, weil es sich umso schneller vermehrt, je mehr LohnarbeiterInnen für die Vermehrung des Kapitals arbeiten.
Arbeitslose dagegen müssen aus den geschaffenen Werten miternährt werden. Je mehr die Arbeitslosigkeit wächst, desto schwerer wird das tote Gewicht am Bein der Profite des Kapitals. In diesem Sinne will das Kapital die Arbeitslosigkeit bekämpfen.
Es kann aber nicht das umsetzen, was es will, weil es sich selbst im Weg steht. Voraussetzung zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit auf dem Boden der Kapitalverwertung ist tatsächlich die nötige Rentabilität. Aber die untergräbt das Kapital selbst mit dem Fortschritt der Produktivität. (Kap 2.12) Alle Mittel, die Produktivität zu steigern, senken gleichzeitig tendenziell nicht nur die Profitraten, sondern auch die Nachfrage nach Ware Arbeitskraft. (Teil 3) Deshalb nimmt die Arbeitslosigkeit tendenziell zu, auch wenn das Kapital es nicht will.
Anfang 1994 erklärte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, Hilmar Kopper, der damals mächtigste Wirtschaftsmanager: »Arbeitslosigkeit, Sozialabstieg und Perspektivlosigkeit stellen unsere Gesellschaft- und Wirtschaftsordnung in Frage. Wir können uns eine anhaltende Massenarbeitslosigkeit einfach nicht leisten.« (FAZ 02. 01. 1994) Obwohl sich das Kapital die Arbeitslosigkeit eigentlich nicht leisten kann, hat es sie dennoch energisch gesteigert.
In der Tat stellt jede so ungeheuere Verschwendung an menschlichem Potenzial die Wirtschaftsordnung in Frage, auf deren Boden das geschieht. Die Vertreter des Kapitals wissen das. Nicht zuletzt deswegen stellen sie stattdessen die LohnarbeiterInnen und die Arbeitslosen selbst in Frage. Sie würden einfach nicht einsehen, dass ihre maßlosen Ansprüche an ein gutes Leben die anhaltende Massenarbeitslosigkeit erzeugen würde. Das Volk ist in den Augen des Kapitals noch in einem Zustand der Unreife. Wäre nicht zu überlegen, ob sich das Kapital ein anderes Volk sucht, das seine Wünsche besser versteht?
Das Kapital ist selbst der eifrigste Produzent von Massenarbeitslosigkeit, Sozialabstieg und Perspektivlosigkeit. Das Kapital selbst stellt damit seine Wirtschaftsordnung in Frage. Obwohl es spürt, dass die Arbeitslosigkeit die von ihm beherrschte Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung in Frage stellt, hat es dennoch keine Macht, ihre Entwicklung in den Griff zu bekommen.
Hilmar Kopper fragte in der Einführung zu einer Tagung: »Warum klagen wir über Arbeitslosigkeit und schaffen keinen Wandel? Weil wir nicht wollen oder weil wir nicht können?« (Arbeit der Zukunft 1994, 1) Er gab keine Antwort. Die Frage zeigt selten genug die ganze Hilflosigkeit. Die Antwort ist: Sie wollen es, doch sie erreichen mit den Mitteln, die sie anwenden, das Gegenteil von dem, was sie wollen. Sie können es nicht.
Die Wirtschaftsordnung wird gerade wegen der Privatinteressen, die im Mittelpunkt stehen, von Zwängen beherrscht, die sie nicht steuern kann. Sie hat keine Kontrolle über sich, ebenso wenig wie Drogenabhängige eine Kontrolle über sich haben. Die Sucht, unter der sie leidet, ist der Selbstzweck der Kapitalverwertung.
Indem jedes Einzelkapital, getrieben von der Konkurrenz, das Ziel verfolgt, sich zu verwerten, schafft es Bedingungen, die vom menschlichen Willen nicht beherrscht werden können, weder vom Willen der Arbeitslosen, noch dem Willen der Regierungen und erst recht nicht vom Willen des Kapitals.
Jedes Einzelkapital stößt in der Verfolgung seiner beschränkten Zwecke die Arbeitskräfte ab, die es für die Zwecke der Verwertung seines Kapitals nicht mehr braucht. Und es beklagt sich gleichzeitig über die Arbeitslosigkeit, die das zwangsläufige Ergebnis der kollektiven Verantwortungslosigkeit ist.
Jedes Einzelkapital produziert zu viel Kapital im Verhältnis zu den Möglichkeiten, es rentabel anzulegen und zu viele Waren im Verhältnis zur Aufnahmefähigkeit der Märkte. Das erzeugt die Wirbelstürme von Überproduktionskrisen und Finanzkrisen. Und jedes Einzelkapital beschwert sich bei der Regierung, dass diese den Ausbruch der Krise nicht verhindert hat bzw. sie nicht unter Kontrolle bekommt.
Die kapitalistische Wirtschaftsordnung zeichnet sich eben dadurch aus, dass sie eben noch nicht vom menschlichen Willen beherrscht wird. Menschen können aber letztlich nicht mündig und selbständig sein, wenn sie gegenüber den Ergebnissen ihres eigenen Handelns ohnmächtig sind. Das Kapital hält mit seinem Willen Verhältnisse aufrecht, die die Ohnmacht des Willens zum Gesetz machen.
Die Verhältnisse, in denen die Menschen das erreichen, was sie wollen, müssen erst noch geschaffen werden. Es ist kein Naturgesetz, dass Menschen ohnmächtig den Verhältnissen ausgeliefert sind, die sie selbst erzeugen. Das Kapital hat kein Interesse, sie zu ändern, weil es davon profitiert. Die LohnarbeiterInnen aber könnten dieses Interesse haben.
Sie haben das Interesse an Verhältnissen, in denen sie als Menschen keine Nebensache, sondern Hauptsache sind. Das ungeheuere Potenzial, das in Menschen steckt, kann sich letztlich nur dann voll entfalten, wenn sie und ihre elementaren Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen.
Vier amerikanische Psychologen haben in Umfragen versucht herauszufinden, was Bedingungen des Glücks sind. In Situationen, die die Befragten als unglücklich empfanden, hatten sie Gefühle von Abhängigkeit, Minderwertigkeit, einer Niederlage oder von Einsamkeit. Zentrale Bedeutung für Glück dagegen hatten das »Gefühl, dass die eigenen Aktivitäten selbst bestimmt sind« und zum gewünschten Ziel führen, die Nähe zu anderen Menschen und das Selbstwertgefühl, also der Eindruck, etwas wert zu sein.
Die Befriedigung dieser elementaren Bedürfnisse »brauchen wir Menschen wie Pflanzen ihren Dünger.«
Die Zukunft jedes Wirtschaftssystem entscheidet sich an der Frage, ob die Eigentumsverhältnisse dazu geeignet sind, das vorhandene menschliche Potential zu entwickeln und die elementaren menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen.
Aber: »Ohne das Gefühl, dass das Leben sicher und in Grenzen voraussagbar ist, können sich die anderen Gefühle erst gar nicht einstellen.« (Ludger Weß, Was uns wirklich glücklich macht, FTD 15. 02. 2001, 31) Eine Wirtschaftsordnung, die serienmäßig Existenzunsicherheit, Abhängigkeit, Konkurrenz und Minderwertigkeitsgefühle produziert, bietet kaum den fruchtbaren Boden, auf dem die Pflanzen des menschlichen Glücks gut gedeihen können.
Die Verhältnisse, in denen Menschen ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen bewußt so einrichten können, dass sie wenigstens im Durchschnitt glücklich werden können, müssen erst noch geschaffen werden.
LabourNet Germany | Top ^ |