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Updated: 18.12.2012 15:51 |
»Arbeit macht das Leben süß...« Ein Streifzug durch die Geschichte von Arbeitsaffirmation und Arbeitskritik Artikel von Gerhard Hanloser aus iz3w Nr. 309 (November/Dezember 2008) Der Beitrag ist exklusiv im LabourNet Germany erhältlich - wir danken der Redaktion! Am Ende des Textes befinden sich Infos und Editorial zum iz3w Nr. 309 (November/Dezember 2008) mit dem empfehlenswerten Themenschwerpunkt: Die Schraube anziehen - Arbeit macht das Leben schwer! »Arbeit macht das Leben süß...« Ein Streifzug durch die Geschichte von Arbeitsaffirmation und Arbeitskritik »Arbeit« gilt in nahezu allen Gesellschaften als pure Selbstverständlichkeit. Doch die heute dominante Form der Arbeit - die Lohnarbeit unter kapitalistischen Bedingungen - ist eine ganz spezifische Form der Selbstreproduktion. Sie ermöglicht nicht das Reich der Freiheit, sondern etabliert ein Zwangsregime, das allerdings fast alle Menschen verinnerlicht haben. Wie entstand die Affirmation der Arbeit historisch? Und welche Kritik wurde ihr entgegen gehalten? von Gerhard Hanloser (*) »Die Arbeit« feierte ihren Triumphzug mit der Durchsetzung der kapitalistischen Gesellschaft. In »primitiven« Gesellschaften war eine Trennung der produktiven Tätigkeit vom Rest des Lebens unbekannt, in vorindustriellen Gesellschaften war diese stets unvollständig und musste im Zuge der Industrialisierung brutal durchgesetzt werden. Arbeiten als Stoffwechselprozess mit der Natur ist nach Karl Marx jedoch ewige Notwendigkeit, denn wer sich Ernähren, Kleiden und noch einiges mehr tun mag, muss sich geistig und körperlich verausgaben und Hirn, Muskeln und Nerven anstrengen. In diesem Sinne ist jedes mögliche menschliche Zusammenleben auch von Arbeit geprägt. In welcher Form dies geschieht, ist allerdings gesellschaftlich bestimmt. Marx kritisierte daher nicht die Arbeitsgesellschaft an sich, sondern die kapitalistische Lohnarbeitsgesellschaft. In einer kapitalistischen Gesellschaft ist das Arbeiten als Lohnarbeit organisiert. Es gibt nach Marx eine eigentumslose Klasse, die gezwungen ist, für die Mußezeit anderer zu arbeiten und die einen Teil des selbst geschaffenen Werts in der Lohnform zu ihrem eigenen Unterhalt erhält. Zur gesellschaftlichen Reproduktion und der Reproduktion der Einzelnen könnten aber auch ganz andere - gerechtere, selbstbestimmtere, weniger hierarchisch geteilte - Formen des Arbeitens praktiziert und ausgebildet werden. Das ist eine Frage von Interesse und Herrschaft. Marx hatte einen transhistorischen Arbeitsbegriff, dennoch wollte er die Arbeit eingeschränkt sehen. Er hoffte auf die Entstehung einer neuen Zeitökonomie innerhalb der dynamischen, sich stetig verändernden kapitalistischen Gesellschaft. Die technologische Entwicklung ermögliche eine Reduktion der notwendigen Arbeit. Das »Reich der Freiheit«, in dem die Arbeit keine Rolle spielt, weitet sich Marx zufolge aus, das Reich der notwendig zu erledigenden Arbeit reduziert sich auf wenige Stunden. Dafür muss es aber zuerst zu einem revolutionären Bruch mit der auf Tauschwert und Profit beruhenden Gesellschaftsform kommen. Arbeit der Bewegung Die sich auf Marx berufende Arbeiterbewegung war keinesfalls von Anfang an ein Ort der schrankenlosen Arbeitsaffirmation. So schreibt August Bebel in seiner Schrift »Die Frau und der Sozialismus«, dass eine sozialistische Gesellschaft sich nicht bilden würde, um proletarisch zu leben, sondern um die proletarische Lebensweise der großen Mehrzahl der Menschen abzuschaffen. Die Arbeit solle im Zeitmaß mäßig sein und keinen überanstrengen. Auch der Theoretiker der 2. Internationale, Karl Kautsky, schrieb in der Erläuterung des Erfurter Programms der SPD: »Nicht die Freiheit der Arbeit, sondern die Befreiung von der Arbeit, wie sie das Maschinenwesen in einer sozialistischen Gesellschaft in weitgehendem Maße ermöglicht, wird der Menschheit die Freiheit des Lebens bringen, die Freiheit künstlerischer und wissenschaftlicher Betätigung, die Freiheit des edelsten Genusses.« Das Buch des Marx-Schwiegersohns Paul Lafargue »Recht auf Faulheit« von 1880 war innerhalb der Arbeiterbewegung so weit verbreitet wie das Kommunistische Manifest und fand eine größere Aufnahme als Marx' Kapital. In dieser Polemik stellte Lafargue fest, dass statt eines »Rechts auf Arbeit« die Menschen ein »Recht auf Faulheit« hätten. Er sprach sich für eine radikale Verkürzung der Arbeitszeit auf etwa drei Stunden täglich aus. Der Sozialdemokrat Wilhelm Liebknecht bezog sich in einer SPD-Parteitagsrede 1890 positiv auf Lafargue und erklärte, dass der Mensch nicht ausschließlich zur Arbeit geboren sei: »Nicht um zu arbeiten leben wir, sondern wir arbeiten, um zu leben.« Trotzdem griff innerhalb der Arbeiterbewegung eine Affirmation der Arbeit um sich. Der ursprünglich dem Apostel Paulus zugeordnete Spruch »Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen« wurde von Bebel bis Müntefering zu einer beliebten sozialdemokratischen Parole. Historisch betrachtet sollte die Agitation den Klassenkampf beflügeln: diejenigen, die in Fabriken, Bergwerken, im Straßenbau die Welt tagtäglich neu erschaffen, sollten auch die eigentlichen Herren dieser Welt sein, und nicht die den Profit abschöpfende Kapitalistenklasse. Der Klassenkampf war stets von einer solchen Agitation begleitet. So wurde »der Bourgeois« als Nicht-Arbeitender markiert, wodurch eine bürgerliche Form der Polemik übernommen wurde, hatte doch die sich durchsetzende Bourgeoisie diesen Vorwurf gegen den bloß prassenden Feudaladel erhoben. Die Negativfigur des Nicht-Arbeitenden, Unproduktiven geht in diesem Sinne auch auf die bürgerliche Revolution um 1789 zurück. Treten heutzutage SozialdemokratInnen gegen das »Recht auf Faulheit« an und rezitieren Paulus, so hat sich die Intention dieser Agitation vollkommen verkehrt: sie stigmatisieren Arbeitslose, greifen ihre Lebensbedingungen an, um damit im Sinne der UnternehmerInnen die Situation für die gesamte auf Lohnarbeit oder Sozialleistung angewiesene untere Klasse zu verschlechtern. Totalitäre Ideologie Bis Mitte des 19. Jahrhunderts hielt sich in den sozialen Bewegungen der ProletarierInnen die Vorstellung, die ArbeiterInnen sollen den ganzen industriellen Komplex in Form von Assoziationen und Produzentenkooperativen übernehmen. Die assoziierte Klasse entwarf sich als universelle Klasse der Arbeit. Diese Vorstellung prägte beispielsweise noch den Syndikalismus, der eine vollendete Arbeitsgesellschaft propagierte. Die Arbeiterbewegung nahm jedoch einen anderen Weg: sie beanspruchte nur noch einen Teil am Lohnsystem, den sie mittels Monopolbildung der Arbeit und dem Zurückdrängen von Marktbedingungen zu ergattern versuchte. Eine regelrechte Feier der Arbeitsgesellschaft fand in den realsozialistischen Ländern statt. Gezwungen, in kürzester Zeit ein rückständiges zaristisches Bauernland in eine industrialisierte und militärisch gesicherte Festung zu verwandeln, wurde der »Arbeiter- und Bauernstaat« der Sowjetunion zu einem einzigen »Reich der Notwendigkeit«, um die materielle und sicherheitspolitische Not zu wenden. Das sozialistische Lager bildete nichtkapitalistische Arbeitsgesellschaften heraus, die dennoch ausbeuterisch und klassenstrukturiert waren. Hinter »Subbotnik« und »Stachanow« - also dem sozialistischen Ethos der Arbeitspflicht - stand unmittelbarer, vom Staat organisierter Zwang zur Arbeit. Dies lässt sich keineswegs nur dem Stalinismus anlasten, wenn man bedenkt, dass bereits 1919 der Revolutionär Leo Trotzki in »Terrorismus und Kommunismus« erklärte: »Das Prinzip der Arbeitspflicht ist für den Kommunisten vollkommen unstreitig.« Der Zwang, der Rückständigkeit zu entfliehen, setzte sich gegen die materiellen Interessen der ArbeiterInnen durch und wurde von einer Nomenklatura durchgesetzt, die sich im Staatsapparat über die Gesellschaft stellte. Erst ab den 1950er Jahren bildete sich in der Sowjetunion ein sozialistischer Wohlfahrtsstaat heraus, der auch auf die Versorgungs- und Konsumbedürfnisse der unteren Klassen Rücksicht nehmen musste und sich schließlich aufgrund der Sozialausgaben auf der einen und mangelnder Effizienz auf der anderen Seite überdehnte. Der sowjetische und chinesische Arbeiter- und Bauernstaat war als sozialistische Entwicklungsdiktatur Leitbild vieler nationaler Befreiungsbewegungen, die sich aus kolonialer oder imperialistischer Rückständigkeit und Abhängigkeit herausarbeiten wollten. Die Befreiungsbewegungen brachten spezifische Produktivierungsmythen hervor. Das Unproduktive, der Saboteur, der Faule, das Beharrend-Konservative wurde zum Problem und zum Gegen-Bild des von Arbeit getragenen nationalen Aufbaus. Darin unterscheidet sich beispielsweise der ursprünglich stark sozialistisch geprägte Zionismus keineswegs vom Castrismus auf Kuba. Blickt man bloß phänomenologisch auf die Ikonographisierung der Arbeit, auf die Inszenierungen der nationalen Arbeit und ihrer Helden in allen großen industrialisierten Ländern zur Zeit des Zweiten Weltkrieges, so könnte man von einer totalitären Ideologie der Arbeit sprechen, die Mitte des 20. Jahrhunderts weniger fröhliche, denn bittere und gefährliche Urstände feierte. Doch das Loblied des Arbeiter-Soldaten, das der konservative Revolutionär Ernst Jünger in »Der Arbeiter« sang, die US-amerikanischen Methoden der Mobilisierung aller Ressourcen des Landes und die Aufbauwut in der Sowjetunion verfolgten politisch unterschiedliche Ziele. Die Zivilität einer Gesellschaft lässt sich auch darin erblicken, ob sie Arbeit noch als Mühe und Plage erkennen lässt. Insofern weisen der kalte Futurismus des faschistischen Italiens mit seiner Verehrung von Arbeit und Geschwindigkeit und die sozialkritischen und von der US-Regierung finanziell unterstützten Arbeiterfotografien der späten 1930er Jahre, die den arbeitenden und erschöpften Menschen in den Mittelpunkt stellten, in vollkommen andere Richtungen. Fließband und Kantine Wollte man eine Leittechnologie der spezifisch kapitalistischen Lohnarbeitsgesellschaft nennen, so dürfte dies das Fließband sein. Ausgehend von den Schlachthäusern Chicagos wurde das Fließband Anfang des 20. Jahrhunderts als technologische Revolution im Maschinensystem zur Erhöhung der Produktivkraft der Arbeit in der Automobilproduktion eingesetzt. Die Einführung der Fließbandarbeit, um die Erkenntnisse der wissenschaftlichen Betriebsführung (Taylorismus) durchzusetzen, nahm in der Frühphase in den USA die Form eines »bloody taylorism« an. Denn viele Arbeiter zeigten sich keinesfalls begeistert von diesem autoritären Produktionssystem. Das große Fordwerk River Rough war vor der gewerkschaftlichen Organisierung 1941 geprägt von bewaffnetem und prügelndem Werkschutz und barbarischen Taktzeiten. Mit der Fließbandarbeit setzte sich auch ein ganz neues Verständnis der Arbeit durch. Das Handwerker-Ethos der frühen Arbeiterbewegung löste sich auf, das Wissen über den gesamten Produktionsablauf verschwand aufgrund der Zerlegung der Fertigungsabläufe. Die Gleichförmigkeit der Arbeit korrespondierte mit einer Gleichgültigkeit gegenüber der Arbeit. Unter anderem in den romantizistischen und reaktionären Bewegungen in Deutschland wurde anfangs eine Kritik der entfremdeten und als »amerikanisch-undeutsch« apostrophierten Fließbandarbeit geübt. Der »deutsche Arbeiter« sollte als ganzer Mensch wieder zu Ehren kommen und nicht bloß ein Anhängsel »entseelter«, anonymer Prozesse sein. Diese Anschauung wurde allerdings rasch zurückgedrängt, der Nationalsozialismus an der Macht trachtete schließlich danach, mit seinem »Leistungsfanatismus« in Fabriken und an Fließbändern alle anderen Gesellschaften zu überflügeln. Die fordistischen Fabriken in den westlichen Ländern nach dem Zweiten Weltkrieg waren stets ambivalente Orte der Arbeiteridentität. Zwar begriffen konsistente Arbeitermilieus ihre fordistischen Fabriken oft als »Heimat«, doch hatte dies eher mit den Gesprächen in der Kantine und den ArbeitskollegInnen zu tun, als mit der Arbeit selbst. Ein solches Arbeitermilieu wurde in den letzten Jahrzehnten zerrieben. Nach Meinung der französischen Soziologen Stéphane Beaud und Michel Pialoux in der Studie »Die verlorene Zukunft der Arbeiter« ist mit dem Ende der Arbeiteridentität auch eine solidarische Widerstandskultur verloren gegangen, an deren Stelle Konkurrenz und Rassismus getreten sind. Den heutigen Neoliberalismus vor Augen, wird der »Fordismus« gerne als »goldenes Zeitalter« betrachtet, das nach dem Zweiten Weltkrieg begann und bis etwa Anfang der 1980er Jahre währte. Als herausragendes Merkmal gilt die Herausbildung eines Wohlfahrtsstaates, erst im Zuge des Zweiten Weltkriegs und später des Systemwettbewerbs im Ost-West-Konflikt. Die Begriffsreihung Taylorismus - Fordismus - Keynesianismus zur Etikettierung dieser Ausnahmephase des Kapitalismus ist jedoch irritierend und fehlerhaft, denn es werden unterschiedliche Dinge gleichgesetzt und als abgeschlossene Epoche behandelt. Davon kann jedoch keine Rede sein. Keynesianische Motive beispielsweise der Staatsverschuldung finden heute noch in der »Ära des Postfordismus« statt. In den aktuellen Krisenprozessen verstaatlichen die USA sogar Teile ihres Bankenwesens. Staatlich-reformerische Interventionen, die die Klassenverhältnisse moderieren, treten jedoch zurück und der Staat baut sich zu einem »autoritären Sicherheitsstaat« (Joachim Hirsch) aus. Der Fordismus ist - wie die Soziologin Beverly Silver in ihrem Buch »Forces of Labour« zeigt - unter anderem mit der Automobilindustrie in andere Weltregionen gewandert, also durchaus noch existent. Im heutigen China ähnelt er zuweilen dem vorgewerkschaftlichen Fordismus der USA aus den 1930er Jahren. Auch der Taylorismus als wissenschaftliche Betriebsführung und genaue Messung und Überwachung der Produktion, um diese fortwährend zu rationalisieren, findet in den neuen postmodernen industriellen Cluster-Konglomeraten mehr denn je statt. Der US-Marxist Ferruccio Gambino resümierte daher bereits Mitte der 1990er Jahre in einem Vortrag auf dem an der Universität von Salermo ausgerichteten Kongreß »Nationalstaat, Arbeit und Geld im integrierten Weltsystem«: »Im ganzen Westen wie auch im Osten arbeitet man länger als vor 20 Jahren, und in einer gesellschaftlichen Dimension, aus der sich die regulierende Macht des Staates davon gemacht hat. Man arbeitet länger und intensiver Dank der überholten tayloristischen Stoppuhr und des fordistischen Fließbands, die angeblich ,außer Mode' sind.« Heiliger Kapitalismus Arbeit war einmal heilig und wurde mit dem Nimbus des Sakralen versehen. Der Soziologe Max Weber stellte sogar die Behauptung auf, dass die »protestantische Ethik« als Geist des Kapitalismus zu betrachten sei. Religiös begründetes Sparen und Pflichtbewusstsein hätten dem Kapitalismus in Europa den Weg bereitet. Beruf kommt von Berufung. Doch eine solche Rückführung von kapitalistischer Prosperität auf Religion mag nicht so recht überzeugen. So machten historische Untersuchungen darauf aufmerksam, dass nicht der Kalvinismus als Religion, sondern der Flüchtlingsstatus vieler Kalvinisten für die »Wahlverwandtschaft« und offenkundige Beziehung zwischen Kalvinismus und Unternehmertum verantwortlich sei. Vollkommen ideologisch und im Kern antisemitisch war die Behauptung des ehemaligen Sozialdemokraten und Faschisten Werner Sombart, wonach Kapitalismus und Judentum eine Wahlverwandtschaft eingegangen seien. Schließlich finden sich in jeder Religion, wie Ernst Bloch herausstellte, antikapitalistische wie prokapitalistische Ideen, genauso wie verschleiert emanzipatorische und offen gegen-emanzipatorische. Auch die Debatte um die ökonomische Wirkung des Konfuzianismus zeigt den spekulativen Charakter von Vermutungen über eine besondere Beziehung zwischen Religion und Kapitalismus. So behaupten die einen, dieser habe in China das Entstehen des Kapitalismus trotz fortgeschrittener technologischer Zivilisation verhindert, während andere gerade den Konfuzianismus bemühten, um den Erfolg des Kapitalismus in den Tigerstaaten und in Japan zu erklären. Heutzutage kann davon ausgegangen werden, dass mehr als der Konfuzianismus schlichter Konsumismus für die Durchsetzung der kapitalistischen Logik in China verantwortlich ist. Global betrachtet trägt nicht die Heiligkeit der Arbeit, sondern das nackte Elend dafür Sorge, dass die Welt nachwievor und mehr denn je ein globales Arbeitshaus ist. Dokumentarfilme wie »Working Man's Death« oder »Eisenfresser« erzählen eindrucksvoll davon. Kritik! Welche Kritik? Eine philosophische Arbeitskritik, die den Glauben an die Arbeit bei BürgerInnen wie ProletarierInnen gleichermaßen in Form der »schwarzen Ideologiekritik« aufs Korn nahm, lag bei Friedrich Nietzsche vor. Jegliche Ideologie, mit der die Schwachen und Elenden ihre soziale Situation bemänteln, sollte ins Ätzbad der Kritik geworfen werden: Der falsche Trost, den Religion für die Mühsamen und Beladenen stiftet, oder die Ideologie der Arbeit, die Anerkennung und gesellschaftliche Geltung für diejenigen stiften sollte, die arbeiten müssen. Doch Nietzsche wollte keine egalitäre Gesellschaft, sondern eine neue Rangordnung mit einer aristokratischen Elite, die nicht gezwungen ist zu arbeiten. Von einem solchen Standpunkt lassen sich die Arbeit und die Arbeiter gut kritisieren, bemerkte Max Horkheimer: Nietzsches neuen Aristokraten »müssen natürlich andere die Toga nähen, damit sie nicht als Landstreicher herumgehen, denn könnten sie nicht vom Schweiß der Massen leben, müssten sie ja selbst an den Maschinen stehen.« Vor diesem Hintergrund ist »Arbeitskritik« stets ambivalent zu betrachten und provoziert die Nachfrage, mit welchem Ausblick und Interesse sie formuliert wird. Die Arbeitskritik, die aus der Neuen Linken nach 1968 entwickelt wurde, nahm eine andere, emanzipatorische Gestalt an. Marx wurde neu gelesen und zuweilen als fundamentaler Arbeitskritiker gehandelt. Von Herbert Marcuse über André Gorz bis zu Moishe Postone entstand ein neuer Marxismus, der die Möglichkeit einer Befreiung von der Arbeit aufgrund des automatisierten industriellen Produktionprozesses behauptete. Alle drei machten auf die Möglichkeit der Abschaffung von Arbeit aufmerksam. Marcuse stellte in seinem Buch »Der eindimensionale Mensch« von 1964 heraus, dass die vollständige Automation des Produktionsablaufs möglich sei und somit eine »Transzendenz zu einer neuen Gesellschaft« eröffnen würde. Der französische Sozialphilosoph Gorz machte schon früh auf den objektiven Umbau der Arbeitsgesellschaft aufmerksam, in dem die materielle Arbeit zugunsten der tendenziell nicht mehr messbaren, immateriellen Arbeit verschwinden würde. Bei Moishe Postone ist es die Dynamik des Kapitalismus selbst, die proletarische Arbeit letzten Endes abschaffen würde. In den 1960er Jahren kam es tatsächlich zu einer weit verbreiteten Ablehnung der bürokratischen Arbeitsgesellschaften, die Selbstbestimmung vermissen ließen. Luc Boltanski und Eve Chiapello machen hier Zeitpunkt und sozialen Ort der Herausbildung eines »neuen Geistes des Kapitalismus« in ihrem gleichnamigen Buch von 2003 aus. Die um 1968 formulierte Kritik an Fremdbestimmung und Hierarchie wäre von den Unternehmen aufgegriffen worden, um Flexibilität und flache Hierarchien zu verordnen und damit die Ausbeutung zu modernisieren. Tatsächlich lässt sich feststellen, dass die Debatten um »Humanisierung der Arbeit« und »Ende der entfremdeten Fließbandarbeit« ohne die in den 1960ern aufkommende Verweigerung der »Fabrikgesellschaft« nicht geführt worden wären. So wurde damals beispielsweise in den Volvo-Werken von Uddevalla versucht, die Industrie vom Taylorismus zu befreien, möglichst unentfremdete Arbeitsgruppen aufzubauen und die repetitive Arbeit abzuschaffen. Anfang der 1990er Jahre wurde dieses Experiment jedoch beendet. In anderen Automobilwerken sollten Gruppenarbeit und »Verbesserungsvorschläge« eine größere Arbeitsverdichtung und totale Unterwerfung der ArbeiterInnen unter die Produktivität erwirken. Mittlerweile wird in der Automobilproduktion fordistisch wie eh und je gearbeitet, und von einer Verlangsamung der Taktzeiten kann keine Rede sein. Charly Chaplins Kritik des Fließbands in »Modern Times« ist aktueller denn je. Das Ende der Arbeit? Der Modephilosoph Jeremy Rifkin behauptete 1995, dass unserer Gesellschaft die Arbeit ausgehen würde. Tatsächlich könnte man meinen, dass die enorme Erhöhung der Produktivität die Arbeitsgesellschaft zerstören wird. Es war Marx' Hoffnung, dass der massive Anstieg der Produktivkraft der Arbeit die Grundfeste des Kapitalverhältnisses erschüttern würde. Doch er machte auch darauf aufmerksam, dass es beständig »entgegenwirkende Ursachen« gäbe, die verhindern, dass immer mehr menschliche Arbeitskraft durch ein »automatisches System der Maschinerie« ersetzt werde. Dies muss so lange der Fall sein, wie ein Absinken der Durchschnittsprofitrate von Kapitalseite verhindert wird. Nur über die Mobilisierung von menschlicher Arbeitskraft kann das geschehen, weil schließlich Maschinen keinen Wert produzieren können. Die aktuellen Tendenzen des gigantischen Einsaugens von Arbeitskraft könnten als Bestätigung für dieses theoretische Modell von Marx angesehen werden. Global gesehen gibt es keinen Niedergang, sondern eine Ausweitung der Fabrikarbeit. Längst überwunden geglaubte Formen von ausbeuterischer Arbeit greifen um sich. Die Existenz einer strukturellen Arbeitslosigkeit in allen Ländern dieser seit 1990 nur noch kapitalistisch geprägten Erde bedeutet nicht, dass die Arbeit verschwindet. Ganz im Gegenteil. Im größten Elend, den Slumsiedlungen der sich rasch urbanisierenden Welt, greift die Arbeit um sich - nicht als Ideologie, sondern als Notwendigkeit. Sie nimmt die Form informeller, oft extra-legaler und stets prekärer Arbeit an. Ein Archipel von Sweatshops, Sonderwirtschafts- und Bordellzonen beutet immer häufiger sehr junge, weibliche Arbeitskraft aus. Selbständige Arbeit wird im Zeichen des Neoliberalismus gefördert und als Hilfe aus der Armutsfalle verkauft. Auch in den alten Metropolen nehmen selbständige Arbeit und Formen der arbeitenden Armut weiter zu. Eine garantierte und auf 35-Wochenstunden begrenzte Vollzeitstelle wird hierzulande für viele zur regelrechten Utopie, einem Nicht-Ort, der unerreichbar bleibt. Neuere Theorien, die von einer Multitude der kooperativen und kreativen Arbeit schwärmen (wie es Toni Negri und Michael Hardt in ihrem Bestseller »Empire« tun), sollte man daher zuallererst auf ihre empirische Basis hin befragen. Denn selbst in der neuen digitalen Welt der in Medien, Werbung und »Kreativarbeit« Beschäftigten ist wenig von Selbstverwirklichung zu spüren. Mögen sich manche als »Digitale Bohème« selbst entwerfen, so scheint dies eher einem Distinktionsvorgang zu gleichen, um im neuen Verarmungs- und Klassenbildungsprozess rein diskursiv einen besseren Platz behaupten zu können. Flucht vor der Arbeit ist heutzutage nur noch möglich, wenn man 180 Minuten die Produkte der Kulturindustrie genießt, denn Arbeit kommt darin meist nicht vor. Der Philosoph Slavoj Zizek hatte klug bemerkt, dass in sämtlichen James Bond-Filmen lediglich am Ende beim Showdown eine Fabrik auftaucht - als Hort des Bösen, als Ort der Zerstörung, der seinerseits zerstört werden soll. Bonds Intervention bestehe darin, diese Produktionsstätte in die Luft zu sprengen und es uns so zu ermöglichen, in einer Scheinwelt ohne Arbeiterklasse und Arbeit zu leben. Der Superheld - ob Batman oder James Bond - muss nicht arbeiten. Aber wir sind nicht Batman oder 007. Gerhard Hanloser ist Soziologe und prekärer Schreibtischarbeiter aus Freiburg. Wir möchten Sie auf das Erscheinen der Nr. 309 der nord-süd-politischen Zeitschrift iz3w aufmerksam machen. Die Zeitschrift kann für € 5,30 plus Porto beim Informationszentrum 3. Welt (iz3w) bezogen werden. iz3w Nr. 309 (November/Dezember 2008) Der Zwang zur lohnabhängigen Arbeit ist weltweit wieder größer geworden. Auf dem Vormarsch sind damit Rechtlosigkeit, schlechte Arbeitsbedingungen, Billiglöhne oder Diskriminierung, wenn auch je nach gesellschaftlichem Kontext in sehr unterschiedlichen Ausprägungen. Im Zeitalter der Auflösung des »Normalarbeitsverhältnisses«, Informalisierung, Individualisierung, Transnationalität, Arbeitsmigration und der immateriellen Arbeit ist Arbeit zwar anders organisiert als während des Fordismus, aber der Druck der Verwertungslogik nimmt zu. Leitfrage des Themenscherpunkts ist, wie sich die Ideologie der Arbeit und ihr Disziplinierungsregime in den heutigen Arbeitsbeziehungen widerspiegeln. Themen im Schwerpunkt: Zur Geschichte von Arbeitsaffirmation und Arbeitskritik + Prekär ist ganz normal - Was im Süden die Regel ist, bleibt auch im Westen keine Ausnahme + Arbeitsbeziehungen in China am Beispiel der Elektronikindustrie + Arbeitskonflikte in China jenseits der Gewerkschaften + Erzählungen chinesischer Arbeiterinnen aus den Weltmarktfabriken + Indien: Das neue Proletariat der informellen Arbeit + Workfare: Zwang zur Arbeit in der Entwicklungszusammenarbeit Weitere Themen im Heft: Politik und Ökonomie: Bolivien: Autonomie von rechts + Kaukasus: Der Krieg und das Ende außenpolitischer Illusionen & Zukünftige innenpolitische Umbrüche in Georgien + Iran: Wie die deutsche Politik und Wirtschaft das iranische Regime unterstützen + Türkei: Die Regierungspartei AKP zwischen Verbot und erfolgreicher Islamisierung + Blindstellen im NGO-Diskurs in Afrika Kultur und Debatte: Kolonialismus I: Der erste deutsche Genozid - zum Verhältnis zwischen Kolonialismus und Holocaust + Kolonialismus II: Entscheidende Unterscheide: Der Genozidbegriff ist wenig hilfreich + Reiseliteratur: Paul Theroux und Ryszard Kapuscinski - zwei unterschiedliche Blickwinkel auf Afrika + Interview mit dem chilenischen Regisseur Luis R. Vera Weitere Informationen zum aktuellen Heft finden Sie unter: www.iz3w.org/iz3w/index.htm
Editorial Arbeit macht das Leben schwer Ohne Arbeit können die Menschen nicht leben. So lautet eine weltweit verbreitete Ansicht über die »Natur« der Menschheit. In manchen Gesellschaften soll sogar nicht einmal essen dürfen, wer nicht arbeitet - oder zumindest nur am untersten Existenzminimum leben. Arbeit ist in allen kapitalistischen Gesellschaften zum Fetisch geworden, der sich von den realen Notwendigkeiten zur Reproduktion wie Ernährung und Wohnen weithin entkoppelt hat. Der heutige Stand der Produktivkräfte ließe es ohne weiteres zu, dass jede/r weltweit ein gutes Leben führen könnte, ohne allzu viel Lebenszeit für Arbeit verwenden zu müssen. Doch im Gegenteil, die Arbeitszeiten nehmen trotz aller Automatisierung wieder zu. Die Forderung nach der 35-Stunden-Woche erscheint wie ein Relikt aus einer längst vergangenen Epoche. Die Arbeitsgesellschaft hat die sprichwörtliche Schraube wieder einige Drehungen weiter angezogen. Noch in den 1980er Jahren fragten mit dem Arbeitskritiker André Gorz viele nach dem »Ende der Arbeit« - einerseits, weil Arbeit als die Tätigkeit galt, in der sich die entfremdende Warengesellschaft reproduziert, andererseits, weil der gesunde Menschenverstand erwartete, dass die Arbeit weniger wird, wenn ein hohes Niveau an gesellschaftlichem Reichtum erreicht ist und die Produktivität steigt und steigt. Daraus wurde nichts und ein anderer Arbeitskritiker, Herbert Marcuse, behielt Recht. Er wies nicht nur auf die Rolle der kapitalistischen Arbeit bei der Formierung des »eindimensionalen Menschen« hin. Er stellte auch weitsichtig fest, dass sich noch die größte Arbeitsproduktivität zur Verewigung der Arbeit nutzbar machen lässt und die leistungsstärkste Industrialisierung der Beschränkung der Bedürfnisse dienen kann. Die Arbeit ging also nicht zurück, und die abhängig Beschäftigten in der Arbeitsgesellschaft sind mehr denn je an sie gebunden, um Selbstwert und Einkommen zu realisieren. Die Arbeit ist heute allerdings anders organisiert als während des Fordismus (der ohnehin nie weltweit durchgesetzt, sondern ein relatives ,Privileg' der westlichen Industrieländer war). Im Zeitalter der Auflösung des »Normalarbeitsverhältnisses«, der immateriellen Arbeit, der Prekarisierung, Informalisierung und Arbeitsmigration sind die Formen der lohnabhängigen Arbeit sehr vielfältig geworden. Dazu zählen beispielsweise das »freie« KleinunternehmerInnentum und die vielen Dienstleistungen. Weil Arbeit zudem billiger geworden ist, entstanden sogar neue, oft unnötige und immer schlechter bezahlte Jobs, bis am Ende beispielsweise private BriefdienstleisterInnen für ein Drittel des Briefträgerlohnes die Briefkästen mit Werbepost verstopften. Nicht nur im Süden der Hemisphäre müssen viele Menschen für Hungerlöhne schuften, dort aber besonders. In Indien beispielsweise wird Kies für den Straßenbau nicht von Maschinen hergestellt, sondern in mühseliger Handarbeit von Steinebrecherinnen, weil ihre Arbeit so billig ist. Schwerstarbeit ist wieder auf dem Vormarsch, weil Energie und Stahl so teuer geworden sind. Trotz des Reallohnrückgangs reicht die lohnabhängige Beschäftigung im globalisierten Kapitalismus nicht für alle aus. Wie praktisch, denn eine Reservearmee aus Arbeitslosen bietet beim Lohndumping Vorteile. Diszipliniert werden sollen mit dem Konstrukt »Arbeitslosigkeit« freilich nicht nur die Lohnabhängigen, sondern auch die Arbeitslosen. Um sie willfährig zu machen, wird Arbeit für sie regelrecht erfunden. Workfare-Programme, die selbst Almosen an erbrachte Arbeitsleistung koppeln, sind weltweit im Trend, von den Ein-Euro-Jobs bis hin zu den Cash-for-Work und Food-for-Work-Programmen der Entwicklungszusammenarbeit. Ob die verrichtete Arbeit sinnvoll ist oder nicht, ist dabei egal, es geht ums Prinzip. Die mit Zwang gepanzerte Ideologie der Arbeit hat sich mittlerweile so sehr in den Köpfen festgesetzt, dass es ein Leichtes ist, die Arbeitsbeziehungen ganz im Sinne des Konkurrenz- und Leistungsregimes zu gestalten - von der Arbeitsbeschaffungsmaßnahme bis hin zu lukrativen Jobs. Leitfrage unseres Themenschwerpunkts ist, wie sich die Ideologie der Arbeit und ihr Disziplinierungsregime in den heutigen Arbeitsbeziehungen widerspiegeln. Wie stellen sich die veränderten Arbeitsmärkte in der Semiperipherie dar? Helfen Begriffe wie Prekarität, um einen kritischen Arbeitsbegriff zu aktualisieren? die redaktion |