Home > Diskussion > Prekär > Jenseits > adanderewelt2 | |
Updated: 18.12.2012 15:51 |
Schrittmacher Peter Vollmer über Wolfgang Schaumberg: »Eine andere Welt ist vorstellbar?« Mit der Veröffentlichung der Thesen von Wolfgang Schaumberg unter der Überschrift »Mehr ist drin! Radikale Linke und Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit heute« hat die Redaktion meines Erachtens einen guten Beweis dafür erbracht, dass der express eine wichtige und kaum verzichtbare »Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit« ist. Sozialistisch schränkt allerdings meines Erachtens die Sichtweise unnötig ein, sollte der express nicht besser in Richtung »links-alternativ« offen sein, entspricht das nicht überhaupt auch der Realität? In der Tat »vereint der Beitrag auf eine in der bundesrepublikanischen Diskussion der politischen und akademischen Linken vergleichsweise seltene Weise eine Auseinandersetzung sowohl mit aktuellen theoretischen Ansätzen zur Frage, was postkapitalistische Orientierung heute heißen könnte, als auch mit der Verarbeitung von Erfahrungen von Beschäftigten aus der industriellen Produktion, der Rolle betrieblicher Oppositionsgruppen sowie der besonderen Bedeutung der Gewerkschaften für die Beförderung bzw. Verhinderung dieser Erfahrungen«. Mir gefällt Schaumbergs Zusammenstellung sehr, sie scheint mir insbesondere gut geeignet als Grundlage für weitere Überlegungen und Diskussionen. Hier ein paar Hinweise: Bei den Thesen empfinde ich die Konzentration auf die Arbeitszeitverkürzung etwas übergewichtig. Schaumberg beschreibt hier ausführlich, wie attraktiv in einer anderen Gesellschaft mit der durch Rationalisierung verkürzten notwendigen Arbeitszeit umgegangen werden kann, er entwickelt hier eine realistisch klingende Utopie. Das ist gut so. Aber im Verhältnis dazu enthält der Artikel nicht allzu viele Überlegungen über den Weg, wie diese Utopie zur Wirklichkeit werden könnte. Allerdings finde ich es sehr wichtig, dass und wie Schaumberg die deutschen Gewerkschaften als großes Hindernis herausarbeitet. In der in der Reihe »Ränkeschmiede« (herausgegeben von AFP e.V., Redaktion express und TIE e.V.) veröffentlichten Langfassung des o.g. Beitrags schildert Schaumberg ausführlich die Erfahrungen, die die ArbeiterInnen in der Keramikfabrik Zanon in Argentinien gemacht haben und weiterhin machen. Diese untermauern in plastischer Weise, wie die Selbstverwaltung eines Betriebs aussehen könnte. Hierzu gibt es in Südamerika eine wachsende Zahl von Beispielen. Drei Jahre haben die ArbeiterInnen bei Euzkadi in Mexiko gestreikt, bevor sie dann die Produktion in eigene Hände genommen haben. Und Azzellini und Ressler lassen in ihrem Film »5 Fabriken – Arbeiterkontrolle in Venezuela« viele Menschen über diesbezügliche Erfahrungen mit Selbstverwaltung zu Wort kommen (der Bericht darüber ist ein weiterer Beweis für den Nutzen des express!). Hier könnten wir aber auch mal genauer hinsehen, welche Formen von Selbstverwaltung in Deutschland unter dem Begriff »Solidarische Ökonomie« existieren. Die AG SPAK organisiert im November in Berlin zu diesem Thema einen Kongress, der als Möglichkeit des Erfahrungsaustauschs für die vielen, teils sehr unterschiedlichen Projekte in diesem Bereich konzipiert ist. Da gibt es alte und neue Genossenschaften, selbstverwaltete Betriebe, Wohn- und Gemeinschaftsprojekte, Tauschringe, alternative Finanzierungseinrichtungen, fairen Handel, landwirtschaftliche Kommunen und Direktvermarktung, Frauenprojekte, Initiativen für offenen Zugang zu Wissen und andere Formen wirtschaftlicher Selbsthilfe. Bei diesen Projekten wäre die Betrachtung der Schnittstellen zum existierenden Kapitalismus von besonderem zusätzlichen Interesse. Denn der Übergang zu einer »möglichen anderen Welt« ist bekanntermaßen besonders problematisch. Schaumberg beschreibt in den Ränkeschmieden ein Schulprojekt, in dem heute schon in einer staatlichen Grundschule die Kinder (für »eine andere Welt« oder) wie in »einer anderen Welt« als Individuen positiv an- und ernst genommen, zum Lernen angeleitet und zu selbstbewusster Selbständigkeit, verbunden mit Gruppenfähigkeit von den LehrerInnen hingeführt werden. Dabei werden nach Möglichkeit die Eltern einbezogen und darüber hinaus Verbindungen in den Kiez entwickelt. Diese Schule ist nicht so einmalig. Es gibt in der Tat in Deutschland eine Reihe von derartigen ermutigenden Projekten, nicht nur in Grundschulen. Solche Alternativen lassen sich zur Zeit sicherlich am ehesten in gesellschaftlichen Bereichen verwirklichen, die nicht alleine von Profitmaximierung angetrieben sind. Das wären insbesondere Bildungseinrichtungen und viele staatliche Institutionen, in denen sich vergleichbare Freiräume ergeben; aber sicher auch andere Organisationen wie Bürgerinitiativen, Vereine, Stiftungen oder Nicht-Regierungs-Organisationen überhaupt. Schaumberg beschreibt am Beispiel der Gruppenarbeit bei Opel, wie hier KollegInnen ein Stück Demokratie am eigenen Leib erfahren haben und wie sie diese verteidigen, wenn sie ihnen wieder weggenommen werden soll (wie etwa die Wahl des Gruppensprechers). Vergleichbare Erfahrungen von Selbständigkeit, Eigenverantwortung, Kollektivität oder Demokratie machen KollegInnen aber auch an verschiedenen anderen Stellen im Großbetrieb. Es gibt heute doch durchaus eine Vielzahl von Möglichkeiten, wo sich Linke einklinken können, um die Vorzüge »einer anderen Welt« schon ein wenig bewusst und erfahrbar zu machen. Werksschließungen nehmen zu, und der Kampf der KollegInnen dagegen weitet sich aus, die Kampfformen werden ideenreicher, die KollegInnen mutiger und ausdauernder. Als Beispiele seien hier stellvertretend für andere Opel-Bochum, AEG-Nürnberg, Orenstein & Koppel, Gate Gourmet und Bosch-Siemens-Hausgeräte genannt. Auch ohne verbrieftes Streikrecht legen KollegInnen die Arbeit nieder, oder sie wählen dafür den Umweg des Kampfes um einen Sozialtarifvertrag, oder sie verhindern durch Werksbelagerungen den Abtransport von Maschinen und Produkten, oder sie besetzen den Betrieb wie im Falle von Alcatel in Berlin. Die Kampfformen lassen sich auch noch weiter verbessern, wie besonders das Campaigning in den USA zeigt. Trotz alledem und des großen Einsatzes der KollegInnen und all der wichtigen Erfahrungen von Solidarität standen am Ende bisher fast ausnahmslos Beschäftigungsgesellschaft, Sozialplan und Arbeitslosigkeit. Hier könnten Linke über die Unterstützung des einzelnen Kampfes hinaus die Betroffenen zusammenbringen und mit ihnen gemeinsam die tieferen Ursachen der Niederlagen herausarbeiten mit dem Ergebnis: »Eine andere Welt« ist nötig. Die für den November im express angekündigte Konferenz weist in diese Richtung. Jetzt fehlt dann nur noch, dass der express vielleicht zusammen mit der Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken eine Woche Bildungsurlaub organisiert, um sich mit Schaumbergs vollständigem Text in der »Ränkeschmiede« auseinanderzusetzen und um in der Diskussion über die Aufgaben und Möglichkeiten der Linken kollektiv ein Stück voranzukommen. Peter Vollmer, Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt, Berlin Auf diesem Wege danken wir der Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt noch einmal ganz herzlich für die Förderung der Broschüre »Eine andere Welt ist vorstellbar? Schritte zur konkreten Vision«, erschienen in der Reihe Ränkeschmiede, Nr. 16. Die Broschüre kann über die Redaktion des express bezogen werden (s. Impressum). Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 9-10/06 |