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aus: ak 442 vom 28.09.2000
ak - analyse & kritik
Zeitung für linke Debatte und Praxis
Antonio Negri, ehemalige Kultfigur nicht nur des italienischen Linksradikalismus und ex-operaistischer Querdenker, hat wieder zugeschlagen. Zusammen mit Michael Hardt hat er eine fulminante Stellungnahme zur Globalisierungsdiskussion vorgelegt: "Empire". Autoren wie Etienne Balibar und Saskia Sassen überschlagen sich mit Lobeshymnen, andere sehen gar das "Kommunistische Manifest des 21. Jahrhunderts". Ein Urteil, das nach Lektüre dieses 480 Seiten starken Werks jedoch mehr als verwegen ist.
Obwohl bisher nur in der englischen Originalausgabe erhältlich, wird "Empire" auch hier heftig diskutiert; das ist kein Wunder, denn Negri und Hardt haben sich viel vorgenommen. Nicht weniger als eine Fundamentalanalyse der Gegenwart. Wohl wissend um die analytische Problematik eines Begriffes wie "Postmoderne" verwenden ihn Negri und Hardt dennoch, um unsere Zeit als Epochenbruch zu beschreiben, als Übergang des Kapitalismus von seiner imperialistischen zu seiner "imperialen" Stufe. Dabei führen sie einen Parforce-Ritt durch die europäische Geistes- und Philosophiegeschichte vor, dass einem der Atem stockt: Vom antiken Rom über den Humanismus der Renaissance zu Marx und weiter zum französischen (Post-)Strukturalismus. Aristoteles, Spinoza, Marx, Nietzsche, Lenin, Foucault, Deleuze und Guattari - kein wichtiger Theoretiker, der unverarbeitet bliebe.
Doch Negri und Hardt betreiben ihre Analyse der kapitalistischen Entwicklung nicht nur als politische Philosophie- und Ideengeschichte. Sie erheben auch den Anspruch, die materiellen Triebkräfte dieser Entwicklung zu entschlüsseln. Und schließlich suchen sie nach den Totengräbern der Postmoderne, nach den Kräften, die das "Empire" zu Fall bringen und die weltweite Befreiung auf die Tagesordnung setzen können. Man sieht, Negri und Hardt begnügen sich nicht mit Peanuts, ihnen geht's ums Ganze.
"Empire" ist in vielem eine Provokation. Eine Provokation im positiven Sinne, dass sie nämlich dazu anregt, bestimmte vertraute Begriffe und Denkweisen zumindest zu überprüfen oder neu zu diskutieren. Das beginnt mit dem Titel. Der Imperialismus ist tot, was lebt, ist das "Imperium", das "Empire".
Bei aller Expansion waren politische und ökonomische Macht im Imperialismus an nationalstaatliche Souveränität gebunden, vom klassischen Zeitalter des Imperialismus bis zur US-Dominanz nach dem Zweiten Weltkrieg. Jetzt, im Zeitalter der Postmoderne - so Negri und Hardt - hat politische und ökonomische Macht keinen nationalstaatlichen Ort mehr, sie ist räumlich entgrenzt. Die Kontrollgewalt des "Empire" beruht auf einer weltweit durchgesetzten Herrschaftslogik ohne örtliches Machtzentrum, die sich statt dessen in einem hochgradig dezentralisierten Apparat nationaler und supra-nationaler Organe und Körperschaften manifestiert.
Mit ihrer These vom Ende imperialistischer Herrschaft befinden sich Negri und Hardt somit mitten in der Auseinandersetzung um das gegenwärtige und zukünftige Gesicht der politischen Macht in einer globalisierten, sowohl zentralisierten als auch dezentralisierten Welt.
Ungewöhnlich für einen alten Operaisten wie Negri ist der starke Bezug auf Foucault und vor allem Gilles Deleuze. Macht, so Negri und Hardt, wird produziert. Sie tritt den Beherrschten nicht nur als etwas Externes entgegen, manifestiert in Institutionen wie Verwaltung, Polizei, Armee oder Knast. Heute, im Übergang von der Disziplinargesellschaft (Foucault) zur Kontrollgesellschaft (Deleuze) wird die Macht und die Unterwerfung direkt in die Körper, Seelen und Affekte der Menschen geschrieben und dort produziert.
Politische Macht und Machtausübung im "Empire" ist "Biomacht" und Biopolitik. Die Wortschöpfung "Biopolitik" ist sicherlich ähnlich schillernd wie "Empire". Die damit aber diskutierte Problematik einer weltweiten Verinnerlichung von Herrschafts- und Machtlogiken, der Durchgriff von Herrschaft und Unterwerfung auf die Subjektivität der Menschen, ist von erheblicher politischer Relevanz.
Die materielle Grundlage von "Biopolitik" und imperialer Herrschaft sind die neuen Formen von Produktion und Arbeit. Diese, so ihre bereits früher entwickelte These, seien heutzutage zunehmend "immateriell". Gemeint ist damit zweierlei: Zum einen eine völlige Durchdringung des klassischen industriellen Produktionsprozesses mit den neuen Formen der Informatik, der Computerisierung, der kommunikativen Netzwerke und der Wissensproduktion. Zum zweiten bedeutet "immaterielle Arbeit" auch, dass mit der Kommunikationstechnologie, den kommunikativen Fähigkeiten, mit dem Wissen um Kommunikationsabläufe und -strukturen nicht nur Waren und Dienstleistungen produziert werden, sondern auch soziale Beziehungen, die Denkweisen, Gefühle und Affekte der Menschen selbst.
Die immaterielle Arbeit wird für Negri und Hardt die gesellschaftlich dominierende Form der Arbeit, und die ArbeiterInnenklasse bekommt ein neues Gesicht. Der Massenarbeiter der fordistischen Fabrik wird als hegemoniale Figur abgelöst durch den "gesellschaftlichen Arbeiter" mit schier unbegrenzten kommunikativen Fähigkeiten, hoch mobil und flexibel und mit enormer sozialer Kompetenz.
Doch hier rächt es sich, dass Negri und Hardt in ihrem Buch großzügig auf jegliche Empirie verzichten. Mit ihren Helden der immateriellen Arbeit orientieren sie sich an einem zutiefst ideologischen Bild der schönen heilen IT-Welt. Das Mindeste, was über die Arbeitsverhältnisse in der sog. "New Economy" gesagt werden kann, ist, dass sie hochgradig heterogen sind. Oft genug sind sie extrem taylorisierte und standardisierte Massenarbeit. Auch in den viel gepriesenen neuen Internet-Firmen ist Kommunikation häufig eine bloß formale Qualität, die noch gar nichts über ihren politischen oder sozialen Inhalt aussagt. Und wer kennt nicht die Geschichten von den genialen, aber nichtsdestotrotz eigenbrötlerischen, kommunikationsunfähigen Software-EntwicklerInnen.
Dort, wo kommunikative Kompetenz in der Tat gefragt ist, sind das die Meister-, Vorarbeiter- und Abteilungsleiterposten der postfordistischen Fabrik und der Büros. Hier allerdings sind kommunikative Fähigkeiten inhaltlich gleich bedeutend mit Herrschaftstechnik, Herrschaftswissen und Kontrolle. Soziale Kompetenz dient hier der Unterwerfung. Der Begriff des "gesellschaftlichen Arbeiters" suggeriert eine ähnliche Homogenität wie der Massenarbeiter der 60er Jahre, eine Homogenität, die heute in Bezug auf Arbeitsverhältnisse, Kompetenzen und Arbeitsorganisation überhaupt nicht existiert.
Negri und Hardt haben aber nicht nur einen gewissen Tunnelblick auf die realen Arbeitsverhältnisse. Sie haben darüber hinaus einen mehr als bedenklichen Arbeitsbegriff. Die immaterielle Arbeit ist bei ihnen grenzenlos, Produktion und Reproduktion sind genauso wenig zu unterscheiden wie Arbeitszeit und Freizeit. Alles ist produktive Arbeit. Während heute linke Betriebsräte und GewerkschaftsaktivistInnen nach Widerstandsformen gegen den grenzenlosen Zugriff des Kapitals auf die Arbeitszeit suchen und "der Arbeit wieder ein Maß" geben wollen, bejubeln Negri und Hardt die Maßlosigkeit der Arbeit.
Wo der klassische Operaismus die Zentralität der Arbeit noch verknüpft hatte mit dem politischen Programm eines Kampfes gegen die Arbeit, dort wenden Negri und Hardt die Arbeitszentriertheit in ein grenzenloses Lob der Produktivität. In der "immateriellen Arbeit" ist jede menschliche Regung Arbeit und "Bioproduktion". Diese Argumentationsweise wird entweder zu einem definitorischen Trick oder aber zu einer indirekten Kampfansage an alles vielleicht doch noch verbliebene "Unproduktive". Die Forderung nach einem gesellschaftlichen Lohn oder einem garantierten Einkommen ist so bei Negri und Hardt tatsächlich eine Lohnforderung, eine Gegenleistung für Arbeit. Die Idee eines unbedingten, an keinerlei Gegenleistungen gebundenen Existenzrechts und eines entsprechenden Existenzgeldes ist den beiden völlig fremd.
Ähnlich wie sie die operaistische These von der Zentralität der Arbeit aufgreifen und zu einem grenzenlosen und expansiven Produktivismus radikalisieren, so gehen Negri und Hardt auch mit den Klassenauseinandersetzungen um. Sie wenden sich scharf gegen jede Geschichtsmechanik: Nichts geschieht, wenn die handelnden Subjekte, sprich die ArbeiterInnenklasse, es nicht geschehen lassen. Alle Entwicklungen und Reaktionen des Kapitals sind Reflexe auf die Bedürfnisse und die Kämpfe des Proletariats.
Problematisch an einer solchen Sichtweise ist nicht die Betonung der Klassenauseinandersetzungen an sich. Inzwischen dürfte es nahezu ein linker Gemeinplatz sein, dass die Kämpfe Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre eine wesentliche Rolle bei der Krise des sog. Fordismus gespielt haben. Doch im Verlauf der Argumentation wird die dominierende Rolle der Klassenauseinandersetzungen bei Negri und Hardt zunehmend zu einer Beschwörungsformel, die die differenzierte Analyse ersetzt.
Die biopolitischen Kontrolltechniken und die globale Herrschaft des "Empire" werden zu hilflosen Reaktionen auf die überragenden sozialen und kommunikativen Kompetenzen des weltweiten Proletariats. Die Macht des "Empire" wird zur leeren Hülle, die nur noch abgestreift werden muss, und der Kommunismus steht da in seiner ganzen weltweiten Herrlichkeit. Wow!
Sehr richtig betonen Negri und Hardt immer wieder, dass es im globalisierten Kapitalismus kein "außerhalb" mehr gibt. Widerstand kann sich also nur noch aus dem - inzwischen weltweiten - "Inneren der Bestie" entwickeln. Allerdings, und auch darauf weisen Negri und Hardt ja hin, beruht die politische Macht des "Empire" nicht nur auf der blanken Repression, sondern auf einem bis in die Körper und die Psyche der Menschen reichenden Zugriff in Form freiwilliger Selbstunterwerfung. Wie vor diesem Hintergrund und in welchen Kämpfen Befreiungsbedürfnisse - und damit ein Klassensubjekt - überhaupt entwickelt werden, sagen die beiden der/m LeserIn leider nicht. Trotz der Totalität von imperialer Macht sind Negri und Hardt weit davon entfernt, die Globalisierungsprozesse als solche zu kritisieren. Eine unter Linken weit verbreitete Anti-Globalisierungshaltung, oft verbunden mit nationalstaatlich orientierten Re-Regulierungsforderungen, ist ihre Sache nicht. Im Gegenteil, in dem Maße wie die Globalisierung nationalstaatliche Orientierungen, räumliche Grenzen, ethnische Spaltungen etc. einreißt, bereitet sie die Bühne für die menschliche Emanzipation im Weltmaßstab.
So sinnvoll die Betonung einer globalen und kosmopolitischen Emanzipationsidee
gegen Tendenzen einer linken Re-Nationalisierung oder Re-Lokalisierung sind:
Negri und Hardt gehen gelinde gesagt die Gäule durch, in der Art, wie sie
ein grenzenloses und vereinheitlichtes Befreiungssubjekt herbeifantasieren.
Die Tendenz einer weltweiten Angleichung proletarischer Lebenssituationen zu
- betonen, wie das etwa Karl Heinz Roth getan hat, ist das eine. Dabei aber
real existierende - und weltweit zunehmende - nationalistische und rassistische
Spaltungslinien einfach wegzuschreiben, wie das Negri und Hardt tun, führt
zur Mystik.
So bleibt nach der Lektüre von Empire ein sehr gespaltener Eindruck. Das Buch bietet mit Sicherheit jede Menge Stoff für notwendige Auseinandersetzungen. Von der Form politischer Herrschaft in der globalisierten Welt über die verschiedenen Aspekte der Mikrophysik der Macht, von der Analyse postfordistischer Produktion bis zur Neuzusammensetzung des Proletariats bietet dieses Buch bei aller Kritik wertvolle Diskussionsanregungen. Als politisches Programm jedoch ist es mehr als problematisch: Sein radikaler Produktivismus und die Perspektive einer grenzenlosen Herrschaft der produktiven Arbeit hat gerade in einer Zeit, in der die Neue Mitte den aktivierenden Staat, lebenslanges Arbeiten und Produktivität bis in die letzten Lebensäußerungen propagiert, mehr von Unterwerfung und Kapitulation als von Befreiung. Im schlimmsten Fall mutiert "Empire" zu einer neuen Herrschaftsideologie.
Antonio Negri/Michael Hardt: Empire. Harvard Univesity Press 2000. 480 Seiten,
35$. Der Buchversand Missing Link in Bremen bietet das Buch zum Sonderpreis
von 73 DM (inkl. Porto):
Missing Link, Westerstr. 114-116, 28199 Bremen, Tel.: 0421/50 43 48, www.missing-link.de
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