Das Problem ist bekannt: Menschen suchen Arbeit, aber bekommen sie nicht. In aller Regel suchen sie bezahlte Arbeit - Erwerbsarbeit. Arbeit, die es ihnen ermöglicht, mit dem Lohn ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Von der Mehrheit der Arbeitssuchenden wird ein Vollzeitarbeitsplatz nachgefragt, entlohnt nach Tarifen. Auch über Arbeitszeiten und andere Arbeitsbedingungen hat die Mehrheit der Arbeitssuchenden eine klare Vorstellung: sie wollen Arbeitsplätze mit tariflich vereinbarten Standards, die die Arbeitenden vor den gröbsten Auswüchsen schützen. Auch suchen sie sichere Arbeitsplätze für einen sehr langen Zeitraum, vielleicht sogar für ein ganzes Arbeitsleben. Solche Arbeitsplätze sind seit einigen Jahren knapp geworden. Immer mehr Menschen suchen solche Arbeitsplätze. Immer weniger solcher Arbeitsplätze werden angeboten.
Dafür werden andere Arbeitsplätze angeboten. Unsichere Arbeitsplätze, zeitlich begrenzte Arbeitsplätze, Arbeitsplätze mit sehr geringem Lohn, Teilzeitarbeitsplätze. Viele Arbeitsplätze wurden in den letzten Jahren geschaffen, die eigentlich gar keine sind. Es sind sozialversicherungsfreie Beschäftigungsverhältnisse oder umgangssprachlich "geringfügige Beschäftigungen". Wie viele Menschen "geringfügig beschäftigt" sind, weiß keiner so genau. Die Statistischen Ämter führen jährlich bei rund 350.000 Haushalten einen Mikrozensus durch. Aufgrund der so ermittelten Daten wird dann hochgerechnet. Danach hatten 1996 etwa 1,5 Mio. Menschen als einzige Erwerbstätigkeit eine "geringfügige Beschäftigung".(1) Wie viele Menschen zusätzlich zu ihrer eigentlichen Tätigkeit noch eine oder mehrere "geringfügige Beschäftigungen" ausüben, ist nicht bekannt.
Weniger "good jobs" - mehr "bad jobs" - so könnte man die Entwicklung des Angebots am Arbeitsmarkt in den letzten Jahren beschreiben. Senkung der Arbeitskosten ist das Ziel. Damit die Gewinne entsprechend steigen.
Die Arbeitskosten setzen sich bekanntlich aus den Lohnkosten und den Lohnnebenkosten zusammen. Die Lohnkosten sind die Domäne der Tarife. Im Regelfall werden sie zwischen Unternehmern bzw. ihren Verbänden und Gewerkschaften ausgehandelt. Die Stellung der Gewerkschaften hat sich verschlechtert, die der Unternehmer verbessert. Dies schlägt sich nieder in den Tarifabschlüssen. Das Resultat: magere Zuwachsraten bei den Löhnen, längere Arbeitszeiten, ungünstigere Arbeitsbedingungen. Die Lohnnebenkosten werden dagegen entscheidend von gesetzlichen Vorschriften bestimmt..Ein ganzes Bündel von Maßnahmen haben deshalb auch die derzeit die Regierung stellenden Koalitionsfraktionen der CDU, CSU und FDP auf den Weg gebracht, um den Unternehmern diese Kosten zu senken. Ab Oktober 1996 gilt der volle gesetzliche Kündigungsschutz erst für Betriebe mit mehr als 10 Beschäftigten. Die Regelungen für befristete Arbeitsverträge sind seit dem 1. Oktober 1996 zuungunsten der ArbeitnehmerInnen verändert worden. Die Rahmenbedingungen für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sind ebenfalls ab 1. Oktober 1996 neu geregelt worden: das Entgelt im Krankheitsfall und bei Kuren wurde auf 80% des Arbeitsentgelts festgelegt. Diese Beispiele zeigen: Arbeit soll billiger werden. Die Hoffnung dabei: Arbeitsplätze sollen erhalten oder geschaffen werden. Schlechtere Arbeitsplätze, "bad jobs".
Selbst die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bemüht sich um mehr Arbeit im Arbeitskreis "Arbeit für alle - Neue Initiativen zur Beschäftigungsförderung" Ihr Ziel: "Wenn einfache Dienstleistungen in Deutschland wieder stärker nachgefragt werden sollen, wenn verhindert werden soll, daß weitere Arbeitsplätze ins Ausland abwandern, dann muß die Lohnstruktur wieder stärker gespreizt werden."(2) "Lohnstruktur spreizen" ist ein anderer Ausdruck für Billiglöhne bzw. Billigarbeitsplätze schaffen. "Bad jobs" eben.
Ein Heer von Wissenschaftlern beschäftigt sich seit geraumer Zeit schon mit dem Problem der Arbeitslosigkeit. Die Regierungen der Freistaaten Bayern und Sachsen haben eine "Zukunftskommission" unter Vorsitz von Prof. Meinhard Miegel damit beauftragt, Vorschläge zur Verbesserung der Lage am Arbeitsmarkt zu machen. Das Ergebnis: Verbesserungen am Arbeitsmarkt durch Lohnsenkungen und Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen. Sogar unentgeltlich Arbeit haben sich die Zukunftsforscher ausgedacht: "Einen weiteren Ansatzpunkt sieht die Kommission in der verstärkten Erschließung sogenannter gemeinwohlorientierter Bürgerarbeit, die freiwillig und grundsätzlich unentgeltlich sein und allen Erwerbsfähigen offenstehen soll. Ein sogenanntes Bürgergeld sollten nur diejenigen erhalten, die darauf existentiell angewiesen sind (gleiche Voraussetzungen wie bei Gewährung von Sozial- bzw. Arbeitslosenhilfe)."(3) "Bad jobs".
Auch die christlichen Kirchen arbeiten in den Arbeitsloseninitiativen und Aktionsbündnissen mit. Die dort aktiven Gruppen müssen sich - soweit sie es noch nicht geworden sind - klarwerden darüber, daß die Einschätzungen ihrer Kirchenoberen zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland nicht annähernd der Lage der Arbeitenden und Arbeitslosen gerecht wird. "Unser Wort ist ein Ruf zum Teilen und zum gemeinsamen Tragen der Lasten."(4) - "Es ist dringend nötig, daß es in Deutschland zu den erforderlichen Veränderungen und gesamtgesellschaftlichen Anpassungsleistungen kommt. Es ist unverzichtbar, daß gemeinsame Wege, die wirklich allen Seiten notwendige Opfer und Beiträge abverlangen, neu beschritten werden ...".(4) Arbeitende und Arbeitslose haben nichts zum Teilen. Sie tragen auch nicht mit anderen die "gemeinsame Last". Sie tragen diese Last seit geraumer Zeit ganz alleine. "Gesamtgesellschaftliche Anpassungsleistungen" ist nur ein schönfärbender Ausdruck für die Zumutungen, denen die gesamte Arbeiterklasse unterworfen ist: Lohnsenkungen und Sozialabbau. Soweit Arbeitende und Arbeitslose Lohnsenkungen und Sozialabbau tragen, geschah dies nicht, weil sie mit diesen Maßnahmen einverstanden waren, sondern weil sie den Angriffen derer, die sich an ihnen schamlos bereicherten, keine wirksame Gegenmacht entgegenstellen konnten. Daß endlich eine wirksame Gegenmacht entsteht, dafür kämpfen die Arbeitsloseninitiativen und Aktionsbündnisse. "Schluß mit der Selbstentmachtung der Politik zugunsten der Wirtschaft!" wird eine der Forderungen während der Großdemonstration am 20. Juni 1998 in Berlin sein.
Wir haben versucht, an ausgewählten Beispielen, deutlich zu machen, daß nicht jeder, der vorgibt, auf der Seite der Arbeitslosen zu stehen, auch deren Interessen vertritt. Ein Riß geht durch die Gesellschaft: Die Einen, wenige, profitieren von Arbeitsplatz- und Sozialabbau. Die Anderen, viele, leiden unter den Folgen wirtschaftlicher und politischer Entscheidungen, die die bestehenden Eigentumsverhältnisse und Vermögensverteilungen widerspiegeln. Arbeitslose schauen sich im Moment sehr genau diejenigen an, die sich um ihre Sache kümmern wollen. Die Arbeitsloseninitiativen und Aktionsbündnisse werden es nicht zulassen, daß ihre Forderungen umgedeutet und entstellt werden, zu dem Zweck, die soziale Lage der Arbeitenden und Arbeitslosen weiter zu verschlechtern. "Schluß mit der Mißachtung der Lebensinteressen der Menschen zugunsten des Profits!" wird eine andere Forderung sein während der Großdemonstration am 20. Juni 1998 in Berlin.
Wir haben weiter versucht, darzustellen, daß Forderungen, wie "Arbeit für alle" oder "Wir wollen Arbeit", gefährliche Forderungen sind. Verschweigen sie doch, daß Arbeitende und Arbeitslose auf Arbeitsplätze angewiesen sind, die ihnen ihre Existenz ermöglichen. Solche undifferenzierten Forderungen spalten, gewollt oder ungewollt, Arbeitende und Arbeitslose. Forderungen, die zu weiteren Verschlechterungen der sozialen Lage der arbeitenden und arbeitslosen Menschen führen können, werden von den Arbeitsloseninitiativen und Aktionsbündnissen nicht unterstützt. Arbeitslose wollen arbeiten, aber nicht zu jedem Preis. Die meisten lehnen "bad jobs" ab; sie wollen "good jobs". Arbeitsloseninitiativen und Aktionsbündnisse für Arbeit fordern deshalb auch nicht einfach "Arbeit für alle", oder "Wir wollen Arbeit". Sie kämpfen gegen Sozialabbau und Lohnsenkungen. Sie begreifen sich als Teil des gewerkschaftlichen Kampfes, den sie gemeinsam mit den arbeitenden KollegInnen führen müssen. Ihre wichtigsten Forderungen deshalb:
(1) Statistisches Bundesamt - Mitteilungen für die Presse v. 12. 11. 1997
(2) Web Site der CDU Deutschlands im Internet: Arbeit für alle - Neue Initiativen zur Beschäftigungsförderung
(3) Web Site der Bayerischen Staatsregierung: Bericht aus der gemeinsamen Kabinettssitzung der Freistaaten Bayern und Sachsen vom 25. November 1997
(4) Web Site der EKD - Pressemitteilung "Gemeinsame Erklärung des Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Manfred Kock, und des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Karl Lehmann, aus Anlaß des ersten Jahrestages der Veröffentlichung des gemeinsamen Wortes zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland" v. 25. 2. 1998