Langfassung des Dossiers in Jungle World Nr. 24 vom 9. Juni 1999
Joachim Hirsch
Die Rede vom "Ende der Arbeitsgesellschaft" im soziologischen Feuilleton steht in etwas eigentümlichen Kontrast zu der Tatsache, daß Arbeit zu einem immer zentraleren gesellschaftlichen und politischen Thema wird. Nun neigt diese wissenschaftliche Branche ohnehin dazu, Endzeiten immer dann auszurufen, wenn sie reale Veränderungen nicht versteht. Dies verbindet sich mit der Erfindung immer neuer (Erlebnis-, Freizeit-, Dienstleistungs-, Bürger- usw.) Gesellschaften - und eben auch der Verabschiedung gerade aus der Mode gekommener.
Die Behauptung, Lohnarbeit tendiere zu einem allmählichen Verschwinden (besonderes simpel bei Beck 1998), steht ohnehin im Gegensatz zur empirischen Realität: In der BRD hat diese in den letzten Jahren eher zugenommen. Gleichzeitig ist aber auch die Nachfrage nach bezahlter Arbeit stark angestiegen (Hoffmann 1998). Dies resultiert aus der mit der kapitalistischen Entwicklung verbundenen Umwälzung der Lebensverhältnisse. Die allmähliche Beseitigung traditioneller Formen der Subsistenzproduktion hat die Folge, daß immer mehr Menschen materiell von Lohnarbeit abhängig werden. Damit entsteht auch der für den entwickelten Kapitalismus typische konsumistische Zirkel, d.h. die Kompensation fortwährender Arbeitsintensivierung und Leistungsstseigerung durch Warenkonsum. Zugleich macht Lohnarbeit im Vergleich zu traditionellen Arbeits- und Reproduktionsformen in gewisser Weise aber auch freier und unabhängiger macht und wird schon deshalb stärker "nachgefragt".
Der geläufigen These vom "Ende der Arbeitsgesellschaft" liegt ein grundsätzliches ökonomietheoretisches Mißverständnis zugrunde: unter kapitalistischen Produktionsbedingungen kann die Arbeit als Quelle von Mehrwert überhaupt nicht "ausgehen", ohne das System in eine fundamentale Krise zu stürzen. Ginge die Lohnarbeit tatsächlich zu Ende, so würde dies in Wirklichkeit den Übergang zu einer nicht mehr kapitalistischen Gesellschaftsform signalisieren, für den es nun allerdings keinerlei empirische Evidenz gibt. Zum Kapitalismus gehört indessen auch die permanente Umwälzung der Produktions-und Arbeitsbedingungen und die (zyklische) Produktion einer industriellen Reservearmee. Arbeitsplatzunsicherheit und Arbeitslosigkeit sind grundlegende Strukturmerkmale dieses Wirtschaftssystems.
Daß dies oft vergessen wird, hängt damit zusammen, daß im fordistischen Nachkriegskapitalismus diese Widersprüche eine Zeit lang überwunden zu sein schienen. Und die - im Übrigen nicht zum ersten Mal - wahrgenommene "Krise der Arbeitsgesellschaft" ist ein Teil der Krise dieser Formation. Was also tatsächlich zu Ende gegangen ist, ist eine spezifische historische Gestalt des Kapitalismus, nämlich der "Fordismus", der sich nach der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre unter den besonderen Bedingungen des Ost-West-Konflikts und des Kalten Kriegs herausgebildet hatte. Dieser war geprägt von der Durchsetzung der tayloristischer Massenproduktion und des Massenkonsums, was mit einer durchgreifenden Beseitigung traditioneller Formen der Subsistenzproduktion, insbesondere im Bereich der Landwirtschaft und der Hausarbeit einherging. Damit wurden viele Formen von selbstständiger "Eigenarbeit" zugunsten einer Verallgemeinerung der abhängigen Lohnarbeit und des Konsums kapitalistisch produzierter Waren beseitigt. Der fordistische Reproduktionszusammenhang war - wesentlich durch die Systemkonkurrenz bedingt - durch einen hohen Grad von Staatsinterventionismus, die Konzentration auf die Entwicklung der Binnenmärkte, eine stark ausgebaute tarifvertragliche und gesetzliche Regulierung der Arbeitsverhältnisse und der sozialen Sicherung im nationalstaatlichen Rahmen geprägt. Getragen wurde er von einem Klassenkompromiß, der auf die Stabilisierung und Expansion der nationalen Ökonomien und ein darauf gestütztes Wirtschaftswachstum gerichtet war. Ökonomisch-politisch beinhaltete diese Wachstumskoalition ein spezifisches wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis von "Kapital" und "Arbeit". Die Durchsetzung des Fordismus betraf vor allem die kapitalistischen Metropolen, vollzog sich teilweise und in abgeschwächter Form aber auch in der Peripherie. In der Form einer normalisierten und standardisierten Arbeitsgesellschaft kam der Kapitalismus als Lohnarbeitsgesellschaft im Fordismus gewissermaßen real auf seinen Begriff.
Die in den siebziger Jahren ausgebrochene Krise des Fordismus ist darauf zurückzuführen, daß dieses Produktions- und Reproduktionsmodell an immanente Schranken stieß. Diese lagen nicht nur in der Verbindung von Ressourcenverschwendung und Umweltzerstörung, die das herrschende Wachstums- und Fortschrittsmodell in Frage stellte, sondern vor allem auch in den Klassenverhältnissen, die das fordistische Modell kennzeichneten und trugen. Der fordistische, auf starke Gewerkschaften und staatliche Vermittlung gestützte Klassenkompromiß materialisierte sich in spezifischen Institutionen - korporativ-sozialpartnerschaftliche Regulationsinstanzen, reformistische "Volksparteien", sozialstaatliche Sicherungssystemen. Je mehr sich dieses Klassenkräfteverhältnis festigte und institutionalisierte, desto deutlicher wurde selbst zu einer Schranke der Kapitalverwertung, und dies um so mehr, als sich die in der tayloristischen Arbeitsorganisation liegenden Produktivitätsspielräume allmählich zu erschöpfen begannen. Die Folge war ein allgemeiner Fall der Profitrate und schließlich die zweite Weltwirtschaftkrise dieses Jahrhunderts.
Der kapitalistische Ausweg aus der Krise bestand in einer grundlegenden Umstrukturierung der Arbeits- und Klassenverhältnisse in globalem Maßstab. Diese wurde im Zuge der neoliberalen Globalisierungsoffensive verwirklicht, die nach dem Scheitern der sozialstaatlich-keynesianischer Reformpolitik durchsetzbar wurde. Sie beruht im wesentlichen auf einer weitgehenden Flexibilisierung und Deregulierung nicht nur der internationalen Waren-, Finanz- und Kapital-, sondern auch der Arbeitsmärkte, die wiederum Voraussetzung für die Einführung neuer Produktionstechnologien ist. Mit veränderten Formen der Internationalisierung der Produktion und der Schaffung globaler "Wertschöpfungsketten" befreite sich das Kapital aus seiner Abhängigkeit von nationalen Märkten und weitete nun auch wieder in den Metropolen peripherisierte, ungesicherte und "scheinselbständige" Lohnarbeits- und Beschäftigungsverhältnisse aus. Dies war begleitet von der Aufkündigung des fordistischen Klassenkompromisses und der Abkehr von der Politik der Vollbeschäftigung und der umfassenden sozialen Sicherung. Mit der Ausdifferenzierung und Spaltung der Lohnabhängigen und der Möglichkeit, ihre nationalen Segmente verstärkt gegeneinander auszuspielen, erreichte das Kapital nicht nur eine strukturelle Veränderung der Einkommensrelationen zu seinen Gunsten, sondern schuf auch die Voraussetzungen für einen umfassenden Rationalisierungsschub und damit auch von dieser Seite her für eine nachhaltige Erhöhung seines Profits. Im postfordistischen Restrukturierungsprozeß setzte sich damit verstärkt eine Tendenz durch, die dem Kapital grundsätzlich eigen ist: der Drang, sich von der lebendigen Arbeit zu befreien, was allerdings zugleich die Grundlage seiner strukturellen Krisenhaftigkeit ist. Im Zuge dieser Entwicklung nimmt die für die Produktion materieller Güter erforderliche Arbeit in der Tat ab, aber zugleich wachsen die auf den Produktions- und Reproduktionsprozeß im weitesten Sinne bezogenen Dienstleistungen an, z.B. im Bereich der Forschung und Entwicklung, Überwachung und Steuerung, des Finanzwesens, des Marketing usw. Der Dienstleistungssektor kann indessen nicht getrennt vom materiellen Produktionsprozeß gesehen werden, sondern bleibt mit ihm, seiner Entwicklung und Dynamik, eng verbunden. Allerdings hat die Ausweitung der Dienstleistungsarbeiten ganz erheblich zur "postfordistischen" Umwälzung der Arbeitsverhältnisse beigetragen. In ihm liegen derzeit die wichtigsten Rationalisierungsspielräume.
In der Tat ist also ein bestimmter historischer Typus von Arbeitsgesellschaft, nämlich der fordistische, zum Auslaufmodell geworden, und dies weder aus technologischen Gründen noch als Ausdruck allgemeiner evolutionärer Gesetzmäßigkeiten, sondern als Folge der kapitalistischer Krise und der damit verbundenen Klassenkonflikte. Die Durchsetzung des kapitalistischen Produktionsverhältnisses und die Trennung der Produzenten von den Produktionsmitteln ist generell mit der Zerstörung von Produktionsformen verbunden, die auf lokaler und familiarer Selbstversorgung beruht haben (vgl. Gorz 1998). Im Fordismus hatte diese Entwicklung einen Höhepunkt erreicht. Die aktuellen gesellschaftichen Umstrukturierungsprozesse scheinen insgesamt darauf hinauszulaufen, die fordistische Entwicklung in gewisser Weise wieder rückgängig zu machen: Weil der Fordismus darauf beruht hatte, die Produktions- und Reproduktionsarbeit möglichst weitgehend in die Waren- und Lohnarbeitsform zu bringen und diese zugleich zu regulieren und zu standardisieren, wurden die Kosten der Arbeitskraftreproduktion in den Kapitalkreislauf direkt einbezogen und insoweit "internalisiert". Jetzt scheint es darum zu gehen, viele Bereiche der gesellschaftlichen Arbeit wieder zu peripherisieren und gleichzeitig reproduktionsnotwendige Dienstleistungen in schlecht oder überhaupt nicht bezahlte Arbeitsverhältnisse abzudrängen. Dies ist der Grund für die Zunahme des "informellen" Sektors, nicht zuletzt auch der (Schein-)Selbständigkeit. Diese Entwicklung nimmt unterschiedliche Formen an: in den Orten, Regionen und gesellschaftlichen Bereichen, die vom globalen Akkumulationsprozeß abgekoppelt werden, ist er die Voraussetzung des materiellen Lebensunterhalts überhaupt, in den durchkapitalisierten Metropolen eher eine den formellen Lohnarbeitssektor ergänzende und kompensierende Ressource von billigen Dienstleistungen. Im globalen Maßstab findet also eine Neukombination unterschiedlicher Arbeitsformen und Produktionsweisen statt, zu denen auch solche gehören, die nicht die formellen Charakteristika von Lohnarbeit aufweisen. Schon immer hat das Kapital seinen Mehrwert nicht allein durch bezahlte Lohnarbeit, sondern auch durch Ausbeutung anderer Arbeitsformen (z.B. Hausarbeit, agrarische Subsistenzproduktion) erzeugt. Die aktuelle Tendenz besteht in einer Wiederausweitung der "Subsistenzproduktion", d.h. der Herstellung von infastrukturellen, natürlichen und sozialen Produktionsvoraussetzungen einschließlich der Reproduktion der Arbeitskraft durch un- oder schlechtbezahlte Arbeit. "Aufwertung" der Hausarbeit, freiwillige soziale Arbeit, "Bürgerarbeit", informelle Ökonomie, "real life economics" sind die geläufigen Stichworte für diese Entwicklung. Ulrich Beck (1998) ist einer der profiliertesten Propagandisten dieser Strategie.
Was mithin auf der Tagesordnung steht, ist gewissermaßen eine neue Form der "Hausfrauisierung" der Arbeit, die - in unterschiedlichen historischen und regionalen Formen - schon immer eine zentrale Exstenzbedingung des Kapitals und eine Grundlage imperialistischer Macht- und Ausbeutungsverhältnisse war (Werlhof 1985). Offenbar hat sich die allgemeine Einbeziehung der Arbeitskraft und ihrer Reproduktion in existenzsichernde, standardisierte und regulierte Lohnverhältnisse für das Kapital als eine Sackgasse erwiesen. Was nun ansteht, ist nicht das Ende der Arbeitsgesellschaft, sondern ihre grundlegende Neuorganisation und Neukonfiguration, sind neue Kombinationen unterschiedlicher Arbeitsformen und Produktionsweisen und damit eine weitgehende Restrukturierung nicht nur der Klassen-, sondern auch der Geschlechterverhältnisse. Daß es darum geht und nicht um eine Abschaffung von Arbeit, nicht einmal um eine der gewachsenen Produktivität entsprechende Verkürzung der Arbeitszeit, liegt daran, daß es sich bei der Organisation des Arbeitsprozesses nicht nur um eine technisch-organisatorische Frage, sondern um den Bestandteil eines Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisses handelt. Wenn heute auf "informelle Ökonomie" und "Subsistenzproduktion" als Ansatz für emanzipative Gesellschaftsveränderung gesetzt wird, muß berücksichtigt werden, daß diese Formen im Zuge der kapitalistischen Restrukturierung derzeit ohnehin massiv durchgesetzt werden.
Die Restrukturierung des Kapitalismus hat einschneidende Folgen für die globalen Klassenverhältnisse. Peripherisierte und marginalisierte Arbeitsformen weiten sich auch in den ehemals fordistisch strukturierten kapitalistischen Metropolen aus, die internationalen Konkurrenzen zwischen unterschiedlichen Lohnabhängigengruppen werden härter und die Spaltung zwischen dem kleiner und insgesamt unsicherer werdenden Sektor standardisierter Normalarbeit und den entformalisierten Bereichen prekärer und "deregulierter" Beschäftigung wächst. Mit der neuen Internationalisierung der Produktion im Zuge der Schaffung globaler "Wertschöpfungsketten" wird das Ausbeutungsverhältnis zwischen Zentren und Peripherie neu strukturiert. Damit verstärkt sich auch der Konflikt zwischen den BesitzerInnen von "Normalarbeitsplätzen" und dem Rest der Lohnabhängigen. Je konsequenter die immer noch privileigierten Lohnabhängigenkerne (die von den "neuen" sozialdemokratischen Parteien entdeckte "neue Mitte") diesen Zustand verteidigen, desto mehr unterstützen sie nicht nur die herrschenden Spaltungs- und Marginalisierungstendenzen, sondern fördern auch das, was André Gorz die "Südafrikanisierung" der Gesellschaft nennt: Die Gutverdienenden der "neuen Mitte" kaufen sich Freizeit oder mehr noch Zeit für mehr Arbeit und Warenkonsum durch Beschäftigung billiger Dienstleistungsarbeitskräfte (Gorz 1989).
Die Tatsache, daß "Globalisierung" nicht eine allgemeine kapitalistische Entwicklung der Welt bedeutet, sondern zu sich vertiefenden regionalen Ungleichheiten führt, ist schließlich auch ein Grund für massive Wanderungs- und Fluchtbewegungen. Nicht zuletzt die Zunahme der Arbeitsmigration treibt die Veränderung der Arbeitsverhältnisse stark voran. Hier ist die Tendenz, die Kosten der Arbeitskraftreproduktion aus dem metropolitanen Kapitalkreislauf auszugliedern und in periphere Regionen zu externalisieren, besonders deutlich. Damit wird ein Zusammenhang zementiert, der für das Verhältnis von metropolitanen Zentren und Peripherie im kapitalistischen Weltsystem immer schon charakteristisch war.
Die forcierte Rationalisierung der Produktion wirft allerdings die Frage der Gültigkeit der traditionellen ökonomischen Kategorien auf. Verbreitet ist die These, daß mit dem Übergang zur "Informations-" und "Wissensgesellschaft" die Wertproduktion nicht mehr so sehr von "Arbeit" und "Kapital" und immer mehr von Information und Wissen abhänge (vgl. z.B. Gorz 1998).
Die Tatsache, daß die Produktion materieller Güter immer weniger lebendige Arbeit erfordert (was sich in Marx`schen Kategorien in einem starken Anstieg der relativen Mehrwertrate äußert) hatte schon in den vierziger Jahren die Vertreter der Kritischen Theorie stark beschäftigt und zu weitreichenden Spekulationen bezüglich der Frage veranlaßt, inwieweit die gegenwärtige Gesellschaft noch mit dem Instrumentarium der materialistischen Kapitalismusanalyse zu verstehen sei (Adorno, Spätkapitalismus; Horkheimer, Autoritärer Staat).
Die Frage ist also nicht eben neu. Jedoch ist diese Entwicklung im Rahmen der Marx`schen Kategorien im Prinzip durchaus erklärbar. Dies setzt allerdings voraus, daß berücksichtigt wird, daß "Wissen" und "Information" keine freischwebenden "Produktionsfaktoren" sind, sondern in die Maschinerie oder in die lebendige Arbeitskraft inkorporiert bleiben. Dies schlägt sich in der tendenziellen Höherqualifizierung von Teilen der Lohnabhängigen und verstärkten Spaltungen zwischen qualifizierten und unqualifizierten Arbeitskräften nieder. Des weiteren ist der Diensteistungsbereich, innerhalb dessen "Wissen" und "Information" produziert und zirkuliert wird, integraler Bestandteil des materiellen Produktionsprozesses. Allerdings resultiert aus den Rationalisierungsschüben eine starke Veränderung der Kapitalzusammensetzung zugunsten des konstanten Kapitals, verbunden mit einer erheblichen Vergrößerung der relativen Mehrwertrate. Dadurch entsteht auf längere Sicht eine strukturelle Überschußbevölkerung, die entweder marginalisiert oder staatlich alimentiert wird. In den Metropolen muß ein immer kleinerer Teil der (normal arbeitenden) Bevölkerung die für den Arbeitsprozeß nicht mehr benötigten oder unpassend Qualifizierten via Sozialversicherungssystem oder Sozialhilfe mitversorgen. Was dabei deutlich wird, ist eine neue Akzentuierung des Widerspruchs von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen. Letztere werden tendenziell zwar nicht ökonomisch im Sinne der Profiterzielung, aber gesellschaftlich-politisch zu einer "Fessel".
Im Prinzip beantwortet sich die erste Frage von selbst, ist doch die Beseitigung von Lohnarbeit oder weitergehender: die Abschaffung von Arbeit als Zwangsverhältnis die Voraussetzung menschlicher Befreiung überhaupt. Nun hat die kapitalistische Entwicklung der Produktivkräfte dazu geführt, daß das Quantum der für die materielle Reproduktion notwendigen Arbeit erheblich abgenommen hat. Gleichwohl wäre Befreiung auf der Basis der herrschenden Technologie nicht zu realisieren: in diese sind Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnisse gegenüber Mensch und Natur strukturell eingeschrieben. Wirkliche Befreiung würde also revolutionäre Veränderungen voraussetzen, die weit über die bestehenden Eigentums- und Produktionsverhältnisse hinausgingen und bis zu den herrschenden Technologien und Lebensweisen reichen. Da revolutionäre Umwälzungen indessen derzeit nicht auf der Tagesordnung stehen, kreisen die aktuellen Debatten insgesamt eher um Reformansätze. Dabei lassen sich im Prinzip zwei strategische Optionen unterscheiden:
(1) Auf der einen Seite die Konzepte, die auf eine Erhaltung der traditionellen "fordistischen" Arbeitsgesellschaft hinauslaufen. Dies ist im Großen und Ganzen die traditionelle sozialdemokratische und gewerkschaftliche Politik. Massenarbeitslosigkeit und Marginalisierung sollen durch eine Umverteilung der Arbeit, z.B. durch massive Verkürzungen der Lebens-, Jahres- und Wochenarbeitszeit sowie durch eine Ausdehnung der Teilzeitarbeit bekämpft werden. Diese Konzepte sind zunächst einmal mit dem Problem konfrontiert, in deutlichem Widerspruch zu den dominanten Strategien des globalen Kapitals zu stehen. Sie setzen aber auch, sofern gleichzeitig an den überkommenen, an das Lohnarbeitsverhältnis gekoppelten sozialen Sicherungssystemen festgehalten wird, ein starkes kapitalistisches Wachstum voraus - eine Perspektive, die schon aus ökologischen Gründen hoch problematisch und im Prinzip nur zu Lasten der kapitalistischen Peripherie realisierbar ist. Angesichts der bestehenden Kräfteverhältnisse läuft dies darauf hinaus, die Position etablierter Lohnabhängigenkerne vor allem in den Metroplen um den Preis weitergehender gesellschaftlicher Marginalisierungen und Spaltungen zu verteidigen.
(2) Auf der anderen Seite und im Gegensatz dazu stehen Konzepte, die auf eine grundlegendere Neuorganisation der Beschäftigungsverhältnisse und der sozialen Sicherungssysteme abzielen. Zentral ist dabei die - mehr oder weniger weitgehende - Entkoppelung von Arbeit, Einkommen und sozialer Sicherung. Das Stichwort ist "garantiertes Grundeinkommen". Bei genauerem Hinsehen handelt es dabei allerdings um völlig konträre Strategien. Die Einführung einer "Grundsicherung" unabhängig vom Lohnarbeitsverhältnis kann dazu dienen, den ohnehin stattfindenden Prozeß der Ausdehnung niedrig und nicht bezahlter "Dienstleistungs- und Substistenzarbeit" zu unterstützen und damit die laufenden Marginalisierungs- und Spaltungsprozesse durch Schaffung entsprechender institutioneller Formen weiter voranzutreiben. Sie kann aber auch darauf gerichtet sein, Arbeitszwang und Arbeitsdisziplin zu verringern und Raum zu schaffen für selbstbestimmte Tätigkeit unter den materiellen Bedingungen, über die die Gesellschaft dem Stand der Produktivkräfte nach verfügt. Solche Überlegungen bleiben allerdings, wie zu zeigen sein wird, schlechte Utopie, wenn nicht erkannt wird, daß ihre Realisierung sehr weitehende, im strikten Sinne revolutionäre Veränderungen voraussetzt, die bis in die Psyche der Menschen und ihre alltäglichen Lebensverhältnisse, ihre sozialen Beziehungs-, Arbeitsteilungs- und Konsumformen reichen.
Der Arbeit wohnt grundsätzlich ein Doppelcharakter inne: Sie ist nicht nur Grundlage der materiellen Existenz, sondern auch von Subjektentwicklung, Anerkennung, Selbstverwirklichung und Selbstentfaltung der gesellschaftlichen Individuen. Zugleich aber beinhaltet Arbeit immer auch Zwang und Abhängigkeit. Dieses Zwangs- und Abhängigkeitsverhältnis verschärft sich unter kapitalistischen Bedingungen um so stärker, je mehr die traditionelleren Formen relativ selbstbestimmter "Eigenarbeit" durch straff reglementierte, hoch arbeitsteilige und disziplinierte Lohnarbeitsverhältnisse ersetzt werden. Trotz dieser Deformationen bleibt der Wunsch nach Selbstverwirklichung und Anerkennung durch Arbeit wirksam. Mit Arbeit verbinden sich Bedürfnisse, die weit über den materiellen Lebenserhalt hinausgehen. Der konsumistische Zirkel, d.h. die instrumentelle Identifikation mit entfremdeter und fremdbestimmter Arbeit mittels wachsendem Warenkonsum erklärt also nicht allein, weshalb das "Proletariat" immer schon mehr zu verlieren hatte als seine Ketten.
Sennett (1998) weist auf die psychischen Folgen hin, die durch die postfordistische Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse, d.h. durch erhöhten Mobilitätszwang, wachsende Arbeitsplatzunsicherheit, die Abhängigkeit von undurchschaubaren technischen Systemen und den permanenten Zwang zur Umqualifizierung verursacht wird. All dies führt zu einam Verlust historischer Erfahrung und kalkulierbarer individueller Perspektive im Sinne einer kohärenten Lebensgestaltung. "Die Erfahrung einer zusammenhanglosen Zeit bedroht die Fähigkeit der Menschen, ihre Charaktere zu durchhaltbaren Erzählungen zu formen" (Sennett 1998, 37). Entscheidender Charakterzug der flexiblen Persönlichkeit wird dagegen "die Fähigkeit, sich von der eigenen Vergangenheit zu lösen und Fragmentierung zu akzeptieren" (Sennett 1998,80). "Ein nachgiebiges Ich, eine Collage aus Fragmenten, die sich ständig wandelt, sich immer neuen Erfahrungen öffnet - das sind die psychologischen Bedingungen, die der kurzfristigen, ungesicherten Arbeitserfahrung, flexiblen Institutionen, ständigen Risiken entsprechen" (Sennett 1998, 182). Dies heißt, daß der "flexible" Kapitalismus besonders jene Charaktereigenschaften in Frage stellt, "die Menschen aneinander binden und dem Einzelnen ein stabiles Selbstwertgefühl vermitteln" (Sennett 1998, 31). Das Resultat ist eine generalisierte Angst und eine nur scheinbar paradox damit verbundene Verstärkung konservativer Orientierungen an Werten wie Disziplin, Autorität und persönlicher "Leistung", die in einem klaren Widerspruch zur sowohl beruflichen wie privaten Lebensrealität stehen. Es ist diese Mischung von Konservativismus und Angst, die die Menschen verstärkt an die bestehenden Verhältnisse kettet.
Mit der allgemeinen Durchsetzung von Lohnarbeit im Industriekapitalismus wurde diese zur zentralen Grundlage des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Sie verband und integrierte die Gesellschaftsmitglieder, verschaffte - mit der Aussicht auf berufliche Anerkennung, Sicherheit und relativen Wohlstand - individuelle Orientierung, Lebenssinn und -perspektiven. Die Einbindung in eine fordistisch regulierte "nationale" Ökonomie, verbunden mit dem Ausbau staatsbürokratischer Sicherungsnetze schuf nicht nur Abhängigkeit, sondern damit zugleich auch soziale Bindung (Sennett 1998, 29). Mit der Auflösung des fordistischen Lohnarbeitsparadigmas und der "Flexibilisierung" der Arbeitsverhältnisse lösen sich diese Abhängigkeiten und Verpflichtungen tendenziell auf. Die Gesellschaft wird tendenziell zu einer Ansammlung miteinander konkurrierender "Unternehmer" -und sei es nur solcher ihres eigenen Arbeitsvermögens. Gegenseitiges Vertrauen und Verpflichtungen auf ein gemeinsames Ziel gehen dabei verloren (Sennett 1998, 194). Eine Reaktion darauf ist die defensive Konstruktion kollektiver Identitäten, gestützt auf die Feindschaft gegenüber Immigranten, Fremden und Außenseitern. "Es ist...fast ein universelles Gesetz, daß das "Wir" als Abwehr gegen Verwirrung und Entwurzelung gebraucht wird" (Sennett 1998, 190).
Nachdem mit der Krise des Fordismus der tendenzielle Zusammenhang von Wachstum und allgemeinem gesellschaftlichem Wohlstand aufgehoben worden ist, impliziert der Fortschritt der Kapitalakkumulation wachsende gesellschaftliche Ungleichheiten und Spaltungen. Damit wird aber "Arbeit" immer mehr zu einem Moment gesellschaftlicher Desintegration und Spaltung. "Fortschritt" im Sinne technologischer Machbarkeit und Wohstandssteigerung "ist nun immer weniger etwas Gemeinsames, Arbeitsteilung faßt nicht mehr zusammen" (Koch 1998, 389). Über das Lohnarbeitsverhältnis vermittelte gesellschaftliche Zusammenhänge und kollektive Orientierungen gehen verloren, ohne daß sie durch andere ersetzt werden könnten. Der "Individualisierungsschub" , der in diesem Zusammenhang immer wieder diagnostiziert und als Ausdruck der Befreiung ("Kinder der Freiheit", Giddens, Beck) gepriesen wird, enthält damit das Moment einer weitgehenden gesellschaftlichen Desintegration. Dies führt zu einer weitreichenden Krise der liberalkapitalistischen, eben auf die Normalisierung des Lohnarbeitsverhältnisses gestützten Demokratie und ihrer Institutionen, symptomatisch sichtbar am Anwachsen nationalistischer, rassistischer und rechtsradikaler Strömungen, die angesichts grassierender "Politikverdrossenheit" von den Herrschenden populistisch gewendet werden können.
Lohnarbeit vermittelt nicht nur Anerkennung und soziale Bindung, sondern ist auch ein grundlegendes Herrschafts- und Disziplinierungsmittel, mit dem Konsens, Gehorsam und Einpassung hergestellt wird. Massenhafte Arbeitslosigkeit und die Ausdehnung peripherer Beschäftigungsverhältnisse hat die Tendenz, diesen Disziplinarzusammenhang zu untergraben, auch wenn sie zugleich mit verschärftem Leistungszwang einhergeht und diesen sogar verstärkt. Mit der Spaltung zwischen relativ gesicherten und privilegierten Beschäftigtenkernen und marginalisierten Sektoren entsteht eine Art sozialer Apartheidgesellschaft, die auf längere Sicht durchaus eine Bedrohung der bestehenden Herrschaftsverhältnisse darstellen kann. Erhaltung beziehungsweise Wiederherstellung von Disziplin ist daher ein wichtiges Motiv bei den Versuchen, die Grundstruktur der fordistischen Arbeitsgesellschaft zu erhalten, aber auch bei den Überlegungen zu einer grundlegenderen Reorganisation der Arbeitsverhältnisse (vgl. z.B. Beck 1998)
Darüber, daß die "Arbeitsgesellschaft" umgebaut werden muß, besteht eine recht weitgehende Übereinstimmung. Nicht so allerdings hinsichtlich der Inhalte und Ziele einer solchen Reform. Wie bereits erwähnt, beschränken sich einige - vor allem im traditionellen sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Spektrum vorgeschlagene - Konzepte im wesentlichen auf eine Fortschreibung bzw. Neukonsolidierung des in die Krise geratenen fordistischen Modells. Dies hätte zwar durchaus erhebliche und sozial konfliktreiche Veränderungen zur Voraussetzung, insbesondere was Arbeitszeit und Arbeitsverteilung angeht, zielt aber auf eine ungebremste Fortschreibung des fordistischen Wachstumsimperativs und ändert nichts an der Bindung von Lebensperspektiven und materieller Existenz an das formalisierte Lohnarbeitsverhälnis. Vor allem beinhaltet diese Strategie unter den gegebenen ökonomischen Bedingungen fortschreitende gesellschaftliche Spaltungen. Es ist ein Konzept, das im wesentlichen den Interessen noch relativ privilegierter Arbeitnehmerkerne (eben der sozialdemokratisch beschworenen "neuen Mitte") dient.
Den weitergehenden Umbau-Konzepten ist gemeinsam, daß sie das fordistische Vollbeschäftigungsmodell für historisch abgeschlossen und nicht wiederholbar ansehen, d.h. vor allem den aktuellen Tendenzen massenhafter Freisetzung nicht einfach mit mehr Wachstum, sondern durch einen weitergehenden Umbau der Arbeitsverhältnisse, nicht zuletzt durch die Gewährleistung einer materiellen Grundsicherung mehr oder weniger unabhängig von Lohnarbeit begegnen wollen. Hinsichtlich der Ziele und Verfahren bestehen allerdings fundamentale Unterschiede. Prinzipiell geht es darum, ob eine bloße Reorganisation von Abhängigkeitsbeziehungen, Disziplinmechanismen und gesellschaftlichen Spaltungen oder ob tatsächlich eine emanzipative Lockerung von Arbeitszwang und eine damit verbundene Veränderung der Lebensweisen angezielt wird. Dies heißt z.B. auch, daß mit dem Begriff "Grundsicherung" oder "Grundeinkommen" höchst Unterschiedliches verbunden wird. Unter den vielen im Umlauf befindlichen Konzepten werden im Folgenden nur einige wenige, gewissermaßen exemplarisch herausgegriffene behandelt.
Am striktesten auf die Erhaltung von Abhängigkeit, Disziplin und auf die Verfestigung sozialer Spaltungen zielt das Konzept ab, das von Giarini und Liedke in ihrem Bericht an den Club of Rome entworfen worden ist (Giardini/Liedke 1998). Ihr Ausgangspunkt ist die Feststellung, daß in den kapitalistischen Metropolen einerseits bezahlte Lohnarbeit knapper, zugleich aber auch reproduktionsnotwendige Produktions- und Dienstleistungsarbeiten wichtiger werden. Dieses Dilemma soll durch die Einführung eines Grundeinkommens gelöst werden, wofür zwei Alternativen vorgestellt werden: eine negative Einkommensteuer, d.h. die rechtlich fixierte und normierte Zahlung staatlicher Zuschüsse unterhalb eines bestimmten Einkommensniveaus, die aber das existierende Sozialhilfeniveau nicht überschreiten soll. D.h. es gehe darum, "das negative Einkommensteuersystem so abzustimmen, daß ein nachhaltiger Einfluß auf die Arbeitsmoral vermieden wird" (Giarini/Liedke 1998, 180). Die Schaffung eines derartigen Grundeinkommenssektors (der gegenüber der gegenwärtigen Sozialhilfe schon den Vorteil juristisch klarer kodifizierter Ansprüche hätte) soll zugleich dazu dienen, ein Reservoir für nicht oder schlecht bezahlte kompensierende Reproduktions- und Subsistenzarbeiten zu schaffen, z.B. zwecks "Optimierung der Nutzungsdauer von Waren ohne Inanspruchnahme von bezahlten Experten" (Giarini/Liedke 1998, 177) oder in der Pflege. Zugleich soll er die Basis für die Entwicklung marginaler Selbständigentätigkeiten ("Anreiz zu eigenem Unternehmertum") abgeben. Ziel ist also die Etablierung einer durch staatliche Subvention abgestützten "informellen Ökonomie" auf niedrigem Niveau, der den reproduktionssichernden Lohnarbeitsbereich ergänzt. Erweitert wird dies durch den Vorschlag, Teilzeitarbeit und flexible Arbeitszeiten als Grundlage für unbezahlte Reproduktions- und Subsistenzarbeit zu erweitern. Eine noch schärfere Fassung dieses Konzepts liegt in Form des ebenfalls zur Diskussion gestellten Modell eines "earned income tax cedit" vor, das sich auf Steuerermäßigungen bzw. -gutschriften für niedrige Familieneinkommen beschränkt. Ähnliche Vorstellungen werden für periphere Länder entwickelt, wo es darum gehe, "die zerstörerischen Wirkungen der Geldwirtschaft zu vermeiden" (Giarini/Lietke 1998, 182ff.). Hier wird das Konzept der Etablierung einer kompensatorischen "informellen Ökonomie" besonders deutlich, das sowohl zur Regulierung von Marginalität als auch zur Ergänzung von Inseln der Weltmarktproduktion durch Subsistenzproduktion dient. Dieses Modell enthält also ein ganz klares "Hausfrauisierungs"-Konzept.
Alternativ dazu wird von Giarini/Liedke allerdings im Rahmen eines "Mehrschichtenmodells der Arbeit" auch noch ein offenes Zwangsarbeitsmodell propagiert (Giarini/Lietke 1998, 231ff.): Der erste Sektor besteht aus einer zeitlich begrenzten Arbeitsverpflichtung (genannt werden 20 Stunden pro Woche) im Austausch für ein die minimale Existenz sicherndes Grundeinkommens . Die ließe einen Raum für weitere un- oder schlechtbezahlte Arbeiten im Dienstleistungs- und Subsistenzbereich . Der zweite Sektor umfaßt einen weitgehend unregulierten und sozial minimal abgesicherten regulären Arbeitsmarkt für diejenige, die sich darin behaupten können. D.h., wer im normalvertraglich ausgehandelten Lohnarbeitsverhältnis genug verdient, braucht nicht im ersten Sektor "zwangsarbeiten". Darüber soll sich schließlich der dritte Sektor von freiwilliger, un- oder schlechtbezahlter Arbeit für diejenigen erheben, die sich diese leisten können oder müssen. Dieser Ansatz geht über das Hausfrauisierungsmodell deutlich hinaus und visiert klar den neokonservativen "workfare state" und damit zugleich die formelle Errichtung einer sozialen Apartheidgesellschaft an. Man sieht also, was sich mit den durchaus wohlklingenden Begriffen "Grundsicherung" und "Grundeinkommen" verbinden läßt.
Mit seinen Vorschlägen zur "Bürgerarbeit" hat Ulrich Beck (Vgl. z.B. Beck 1998) ebenfalls ein Hausfrauisierungskonzept vorgestellt, das jedoch insofern sowohl naiver als auch zynischer ist, als es sich um die Frage der Bezahlung und materiellen Existenzsicherung kaum kümmert. "Bürgerarbeit" (von "Bürgerinnen" ist nicht die Rede, obwohl die Vorstellungen sich wohl vor allem auf diese beziehen) soll freiwillig, also ohne Arbeitszwang geleistet werden und gesellschaftlich insofern nützlich sein, als damit der Bedarf an reproduktionsnotwendigen Dienstleistungsarbeiten abgedeckt werden soll, den die kapitalistische Ökonomie von sich aus nicht zur Verfügung stellt . "Belohnt" werden soll sie vor allem durch größere gesellschaftliche "Anerkennung". Beck denkt dabei sogar an die Verleihung von Orden. Soweit die "BürgerInnen" ihren materiellen Lebensunterhalt nicht anders beschaffen können, sollen sie in den Genuß einer Grundsicherung kommen, die von Beck nach dem Muster der Sozialhilfe gedacht wird. Zusätzliche Mittel sollen aus dem Sozialsponsoring von Unternehmen fließen. "Bürgerarbeit" soll "selbstorganisiert" sein, wobei Beck allerdings an die Gründung von "Gemeinwohlunternehmen" nach dem Muster des kapitalistischen Betriebs denkt. Auch diesbezüglich wird das kapitalistische Prinzip der "Selbstorganisation", nämlich unternehmerische Freiheit nicht verlassen. Die "Gemeinwohlunternehmen" sollen von kommunalen "Ausschüssen für Bürgerarbeit" lizensiert, koordiniert und überwacht werden. Becks Ziel lautet ganz einfach: "Sozialkosten zu sparen, aber gleichzeitig soziale Leistungen zu verbessern" (Beck,334). Der neoliberale Blickwinkel eines in Schwabing verkehrenden beamteten Professors, der ganz gern etwas mehr kostenlose oder billige Dienstleistungen zur Verfügung hätte, ist unverkennbar. Oder um einen aufstrebenden Jungmanager zu zitieren, der auf die Frage, was für ihn Dienstleistung sei antwortete: "Auf der Autobahn im Stau ein kühler Bier serviert zu bekommen" (Spiegel 4/1999, S.67) - von wem wohl?
In deutlichen Gegensatz zu diesen Hausfrauisierungs- und Marginalisierungskonzepten stehen die von André Gorz entwickelten Vorstellungen zum "Umbau" der Arbeitsgesellschaft (vgl. z.B. Gorz 1998). Ausgangspunkt ist die Gorz`sche Unterscheidung von (fremdbestimmt-abhängiger) "Lohnarbeit", "Eigenarbeit" als Produktion lebensnotwendiger Gebrauchsgüter und Dienstleistungen , bei der Hersteller und Nutznießer identisch sind - Subsistenzproduktion also - sowie "autonomen Tätigkeiten", deren Eigenheit darin besteht, daß sie um ihrer selbst willen gemacht werden, also der Bereich der eigentlichen freien Entfaltung der Menschen jenseits der materiellen Existenzsicherung (Gorz 1989, 218,236). Gorz will die systematische Beseitigung von Eigenarbeit im Zuge der Entwicklung des Industriekapitalismus rückgängig machen und den Raum für autonome Tätigkeiten erweitern. Grundlage dafür soll ein garantiertes Grundeinkommen als Voraussetzung eines flexibleren Verhältnisses von "freier, individueller und gemeinschaftlicher" und bezahlter (Lohn-)Arbeit sein. Auf der Basis des garantiertennGrundeinkommens soll sich eine "peoples economy"entwickeln, "die sich sehr weitgehend auf Selbstorganisation, lokalen, vernetzten Selbstversorgungs- und Tauschringen aufbaut" (Gorz 1988, 351). Wesentlich ist, daß dieser "informelle Sektor" nicht als ökonomisch-technisch marginalisierter Bereich gedacht wird, sondern durchaus auf der Höhe der entwickeltsten Technologie stehen soll. Die "peoples economy" soll sich als ein zweiter und technisch avancierter Sektor neben dem kapitalistischen Arbeits- und Gütermarkt entwickeln.
Das Bemerkenswerte am Gorz`schen Vorschlag ist, daß ein duales Arbeitsmodell angestrebt wird: Der formalisierte Sektor kapitalistischer Lohnarbeit soll als der Bereich, in dem reproduktionsnotwendige Standardgüter hergestellt werden, weiterhin bestehen. Jedoch sollen dort die Arbeitszeiten erheblich verkürzt werden. Dies ermöglicht eine Freistellung für darüberhinausgehende "Eigenarbeit" und "autonome Tätigkeit". Das garantierte Grundeinkommen wird nicht nur einfach als materielle Existenzsicherung, sondern als Basis für die Entwicklung einer alternativen Ökonomie gedacht, die nach anderen Prinzipien als die des kapitalistischen Markts funktioniert. Der Eigenarbeits-Sektor wird nicht als abhängige Kompensation für den Lohnarbeitsbereich konzipiert, sondern als eigenständige, sich selbst tragende und entwicklungsfähige Ökonomie. Damit visiert Gorz eine grundlegende Veränderung der Arbeitsverhältnisse, Arbeitsformen und sozialen Beziehungen bis hin zu der geschlechtlichen Arbeitsteilung an. Das Modell ist freilich nicht ohne Widersprüche. Z.B. ist fraglich, wie sich eine regionale und lokale "peoples economy" angesichts der Dominanz der globalisierten kapitalistischen Produktion und ihrer Dynamik überhaupt relativ unabhängig und selbstbestimmt entwickeln lassen sollte. Unklar ist auch, was eine "peoples economy", die hoch technisiert und damit auf jeden Fall auch hoch arbeitsteilig sein soll, mit Gorz` Begriff von "Eigenarbeit" noch zu tun hat. Jedenfalls wären auch hier die Produzenten nicht zugleich auch die unmittelbaren Nutznießer der Produktion. Bis zu einem gewissen Grade ließe sich aber das Konzept der Eigenarbeit auch auf arbeitsteilige Produktionsverhältnisse anwenden, sofern diese überschaubar und demokratisch bestimmt sind.
Das Gorz´sche Konzept hat einen eigentümlichen Zwittercharakter. Einerseits läßt er das kapitalistische Produktionsverhältnis bestehen, auf der anderen Seite möchte er einen ökonomischen Sektor schaffen, der nicht nach kapitalistischen Prinzipien funktioniert. Selbst wenn man davon ausgeht, daß auf diese Weise eine schrittweise Überwindung des Kapitalismus innerhalb desselben möglich ist -wogegen einige ernstzunehmende Argumente sprechen, die schon Marx in seiner Proudhon-Kritik formuliert hat - setzt dies langwierige und schwierige soziale Auseinandersetzungen und Kämpfe voraus. Koch (1998) wirft deshalb mit einigem Recht Gorz eine "schlechte Utopie" vor, weil die politisch-gesellschaftlichen Bedingungen solcher Veränderungen nicht berücksichtigt werden. Im Anschluß an die klassische bürgerliche Sozialphilosophie (Rousseau) vertraue er auf eine naturhafte Autonomie und Selbstverantwortlichkeit der Individuen. Damgegenüber muß in der Tat betont werden, daß ein emmanzipativer Umbau der Arbeitsgesellschaft, der sich nicht darauf beschränkt, die Arbeitsverhältnisse einfach nur kaptalförmig neu zu arrangieren, revolutionäre Prozesse voraussetzt, die auf eine Veränderung von herrschenden Werten, Normen und Bewußtseinsinhalten abzielen, auf eine "Kulturrevolution", die das herrschende Leistungsoprinzip und den daran geknüpften konsumistischen Zirkel durchbricht. Eine emanzipative Veränderung der Arbeitsverhältnisse setzt eine tiefgreifende Umwälzung der Lebensweisen, Konsumformen und sozialen Beziehungen voraus.
Der befreiende "Umbau der Arbeitsgesellschaft" läßt sich also nicht nur durch technisch-organisatorischer Planskizzen und Modelle erreichen, sondern wird im Rahmen politisch-sozialer Kämpfe und den daraus resultierenden Lernprozessen durchgesetzt werden müssen. Angesichts gesellschaftlicher Verhältnisse, die darauf angelegt sind, die Menschen zu bloßen Konsum- und Leistungsmarionetten zu machen, stellt sich die Frage nach den Akteuren einer solchen Entwicklung besonders drängend. Nun sind Revolutionen, nicht zuletzt kulturelle, langwierige und konfliktreiche Prozesse. In dieser Beziehung haben reformistische Schritte durchaus ihren Sinn. Der Kampf um die Durchsetzung einer allgemeinen materiellen Grundsicherung auf dem gesellschaftlich-technisch möglichen Niveau wäre dabei sicherlich ein wichtiger Schritt, trotz aller Widersprüchlichkeiten, die diesem Konzept innewohnen. Dies gilt allerdings nur dann, wenn sich in diesen Auseinandersetzungen die Menschen, ihre sozialen Beziehungen, Konsum- und Arbeitsteilungsformen sowie ihre gesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen grunsätzlich verändern.
Literatur:
Beck 1998: Ulrich Beck, "Die Seele der Demokratie. Wie wir Bürgerarbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren können", in: Gewerkschaftliche Monatshefte, Nr. 6/7, 1998
Giarini/Liedke 1998: Orio Giarini und Patrick M. Liedke, Wie wir arbeiten werden. Der neue Bericht an den Club of Rome. Hamburg 1998
Gorz 1998: André Gorz, "Enteignung und Wiederaneignung der Arbeit", in: Gewerkschaftliche Monatshefte, Nr. 6/7, 1998
Hoffmann 1998: Jürgen Hoffmann, "Jenseits von `Horrorszenarien` und `Weiter so`", in: Gewerkschaftliche Monatshefte, Nr. 6/7, 1998
Koch 1998: Claus Koch, "Arbeit verbindet nicht, Arbeit trennt", in: Gewerkschaftliche Monatshefte, Nr. 6/7, 1998
Sennett 1998: Richard Sennett, Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus. Berlin 1998