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Updated: 18.12.2012 15:51 |
II. Internationales Treffen zu „Renta basica“ (Existenzgeld) in Barcelona vom 17.-19.9.2004 Anne Allex
Zur quasi selben Zeit tagte in Barcelona das Europäische
Netzwerk „Basic Income European Network“ (BIEN) im Rahmen
des Kulturforums. BALADRE hatte sich entschieden, in Barcelona zu diesem
Zeitpunkt zu tagen, um einen Kontrapunkt gegen das Kulturforum und BIEN
zu setzen. Hauptthemen des BALADRE - Kongresses waren die Umsetzungsbedingungen, die Modelle der Renta Basica fuerte (starkes Existenzgeld) sowie die Umsetzungsstrategien der Renta Basica in verschiedenen Districten und Städten sowie die Auseinandersetzung mit anderen, bürgerlichen Modellen, die auch Renta Basica, aber eben anders definiert, versprechen. Privatisierung sozialer Rechte Das erste Hauptreferat des Kongresses hielt Senora Prof. Miren Etxezarreta. Ihr Referat befasste sich mit der Ökonomie der Sozialfürsorge im Rahmen der neoliberalen, auf die Spitze getriebenen Privatisierungswelle, die Spanien gegenwärtig erfasst. „Wenn der Arbeiter seine Arbeitskraft nicht verkaufen kann, hat er nichts. Heutzutage gehört ihm auch kein Stück Land zur Selbsterhaltung. Damit ihm die Arbeitskraft erhalten bleibt, hat der Kapitalismus die Form der Fürsorge erfunden. Die Existenz des Sozialismus hatte zur Entwicklung der sogenannten Wohlfahrt beigetragen.“ Nach ihrer Auffassung war Spanien immer ein bisschen rückständig gegenüber der sozialpolitischen Entwicklung in anderen westeuropäischen kapitalistischen Ländern. Investitionen wurden vor allem für neue Technologien, die das Kapital interessieren, eingesetzt – letztlich immer weniger für die Fürsorge. Heutzutage sind viele Menschen arbeitslos und haben Angst, Forderungen zu stellen. Gewerkschaften und sich sozialistisch nennende Parteien sind inzwischen voll in das kapitalistische System integriert. Die Arbeiterbewegung geht selbst immer mehr in der bürgerlichen Philosophie auf. Alle richten sich nach der Globalisierung aus, die im Endeffekt nichts weiter bedeutet, als das weltweit die Arbeiter sich gegeneinander Konkurrenz machen. Gegenwärtig ist eine Ausbreitung des Kapitals zu beobachten bzw. eine Durchkapitalisierung vieler Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Jeder muss bezahlen, was er erhält. Dazu gehören neben Kultur und Medien die gesamte öffentliche Infrastruktur und große Teile des öffentlichen Dienstes sowie die Privatisierung des Wohlfahrtsstaates. Letztere drückt sich in einer Privatisierung sozialer Rechte (z. B. Alterssicherung, Krankenversicherung) sowie in der Privatisierung sozialer Dienste aus. Eigenverantwortung wird großgeschrieben. Infolge der großangelegten Privatisierung gibt es immer weniger Arbeitsplätze. Frau Etxezarreta kennzeichnet die gegenwärtige Entwicklung als eine Übergangszeit, die u.a. deutlich macht, dass die jetzige Art und Weise der Gewerkschaftspolitik an einen Endpunkt gelangt ist. Wir haben es gegenwärtig mit einer Wiederauflage der Politik und der Lebensbedingungen zu Beginn des letzten Jahrhunderts zu tun. Alternativen werden kaum diskutiert. Die linken Kräfte sind erbarmungswürdig schwach. Dennoch kann eine dieser Forderungen die Renta Basica sein. Denn der gesellschaftliche Reichtum wird durch die Arbeit geschaffen – dazu gehört auch Haus-, Pflege- und Erziehungsarbeit. Aber wenn der gesellschaftliche Reichtum allen in der Gesellschaft zugute kommen soll, dann kann dies nur das Ergebnis von Kämpfen einer sozialen Kraft sein. Dazu müssen Entscheidungen von unten kommen. Leider entsteht durch die gesellschaftliche Entwicklung ein Ungleichgewicht. Auf Grund der sozialen Lage vieler wird es schwieriger, sich sozial zu organisieren, da viele kein Geld haben und die Ausweitung der prekären Verhältnisse kaum Zeit zur sozialen und politischen Arbeit lassen. Die Renta Basica kann Potenzen zur Organisation und sozialen Arbeit freimachen. Renta Basica als Entwicklungsinstrument Das Hauptreferat zu Renta Basica hielt Jose Iglesias. Er erinnerte daran, dass BALADRE noch vor 5 Jahren von einem Existenzgeld sprach – jetzt ist die Rede von mehreren Existenzgeldern. Vor fünf Jahren sprachen wir von einem statischen, von außen hereingetragenen Konzept, das wenig Nutzen brachte. Das Wort „Existenzgeld „ hatte einen großen ideologischen Gehalt“. Diejenigen, die die konventionelle Erklärung des Begriffes wollten, gerieten in Widerspruch zu dem, was wir uns darunter vorstellten. Die traditionelle Existenzgeld-Philosophie stimmte mit unseren Werten nicht überein. Es entspann sich ein Diskussionsprozess um die Begriffe „Arbeit“, „Einkommen“ und „Existenz“. Von Beginn an jedoch haben wir ein starkes und ein schwaches Modell des Existenzgeldes unterschieden. Die Kriterien für diese Unterscheidung hat Karl Marx gesetzt mit seinem Ausspruch „Die Philosophen haben die Welt nur interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“ Die verschiedenen Modelle und Interpretationen der Wissenschaftler sind für die Veränderung nicht hilfreich. Deshalb stand die Frage zur Diskussion, wie ein Existenzgeld aussehen muss, welches zu einem Instrument der Veränderung werden kann. Existenzgeld muss ein Instrument werden, kein Ziel „an sich“ sein. Auf welche Weise kann Existenzgeld ein Modell werden, dass die Produktionsverhältnisse (Produktion, Distribution, Zirkulation, Konsumtion) zu verändern. Derzeit gibt es unterschiedliche Modelle des Existenzgeldes in der Diskussion. Das starke Modell der Renta basica muss in dieser Debatte platziert werden. Das starke Modell der Renta Basica: Die bürgerliche Menschenrechtskonvention in Art. 31, Dieses Recht muss Instrument des Kampfes werden. Es soll individuell sein. [Diese Bedingungen erfüllt das schwache Modell im Baskenland nicht. Existenzgeld muss sich aber umsetzen lassen, denn Beiträge für Renten können nur wenige einzahlen. Die Meisten werden keine Renten bekommen. Die meisten Menschen in Spanien sind ökonomisch abhängig. Wir wollen kein Existenzgeld für Arme, dass den Charakter eines Almosens hat. Wegen des Existenzgeldes soll man sich nicht für den Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen müssen. Arbeitsmarktabhängigkeit gibt uns keine Autonomie und Unabhängigkeit.] Die individuelle Person muss es sein; sie ist das Subjekt,
die das Geld erhält. Es ist ihr individuelles Recht. Die Höhe des Existenzgeldes soll abhängig sein von der indirekten Steuererhebung: 50 % des Bruttoinlandsproduktes sollen für das Existenzgeld verwendet werden, dar. 80 % für die Personen und 10 % für kollektive Entscheidungen. Jeder hat ein Recht darauf ab dem Zeitpunkt der Geburt. Gesellschaftliche Teilhabe soll möglich sein. Wir orientieren uns nicht an den Sozialreformisten oder den romantischen Sozialisten. Wir lehnen die parlamentarische Demokratie ab, in welcher der Souverän nur alle vier Jahre wählen kann. Wir wollen eine echte Beteiligung der Menschen an der Demokratie. Aber es reicht nicht, wenn MultiplikatorInnen alleine für das Existenzgeld kämpfen. Sie können nur die Bevölkerung überzeugen. Problem ist, dass soziale Bewegungen noch nicht für das Recht auf ein Existenzgeld kämpfen, weil sie es nicht als ihr Ziel verstehen. Das zeigen auch die Studien in Katalonien und Extremadura. Über Beteiligungsmodelle die Idee des Existenzgeldes verbreitern In einer Arbeitsgruppe „Privatisierung und Wohnen“ wurden Beteiligungsmodelle zum Erhalt großer Gebäude als soziale Zentren und der Einführung von Informationsstellen für Mittellose vorgestellt. Denn es gibt sehr wenig Räume für die Befriedigung sozialer Bedürfnisse und für Anlaufstellen sozialer Bewegungen. Zum Beispiel in einem Ort wurden vor der Olympiade ganze
Wohnviertel mit kleinen Fischerhäuschen nebst Kleinstbetrieben kaputt
gemacht, in denen arme Leute wohnten. In Valencia wird ein Modell unterstützt, welches Bildungsarbeit für noch bestehende Strukturen von Assoziationen anbietet. In einem anderen Landesteil wurde festgestellt, dass offiziell errichtete Informationsbüros nichts bringen, weil sie die Leute nicht erreichen. Die InitiatorInnen sind deshalb näher an die Betroffenen mit einer dezentralen Bürostruktur herangerückt. Informationsbüros versuchen, Anstöße zu geben zum eigenständigen Handeln und Hilfen zu geben, um eigene Bedürfnisse zu erkennen. Die Büros würden gern mehr Probleme lösen, es fehlt ihnen aber an Fördermitteln. Im Baskenland gibt es mehrere Beteiligungsmodelle. Wegen der Schwierigkeit für die betroffenen Menschen, überhaupt eine Wohnung für sich zu finden, mussten einige Modelle in den Zielrichtungen völlig verändert werden. Beteiligung hat verschiedene Formen „von unten nach oben“ und „von oben nach unten“. Für beide Formen existieren eine Reihe von Techniken. Neue Formen der Beteiligung sind Informationsbüros
und städtebauliche Projekte. Renta Basica als Gestaltungsmodell Die Idee des Existenzgeldes wurde an verschiedenen wissenschaftlichen Einrichtungen implemetiert. Inzwischen gibt es Fallstudien und Machbarkeitsstudien für das Existenzgeld in Extremadura, in Andalusien und anderen Districten. Im Baskenland gibt das Existenzgeld als Almosen. In Andalusien dient die Idee des Existenzgeldes zur Aufklärung und zur Förderung von Beziehungen der gegenseitigen Hilfe. In einer ländlichen Region wurde eine Studie gemacht. Dort war der Zustand so, dass die Landarbeiter nur in der Saison Geld verdienen konnten und anschließend nicht. Außerdem wuchs die Anzahl der ausgefallenen Ernten wegen schlechter Wetterbedingungen; in dieser Zeit verdienten die Menschen auch nichts. Die Regierung schaffte einen Ergänzungsfonds mit Fördermitteln als Ernte-Ausfallgeld. Bürgermeister stellten die Mittel zur Verfügung, mit einem Teil der Mittel konnten die Leute Häuser bauen, Bibliotheken u.ä. Später wurde das Ernteausfallgeld wieder abgeschafft und nach dem Protest der Landarbeiter unter dem selben Namen, aber mit viel schlechteren Bedingungen wieder eingeführt. Nach 6 Jahren als Landarbeiter kann man das Geld nicht mehr bekommen. Diese Situation bewegt viele Landarbeiterfamilien zur Flucht in die Städte. Beim ersten Modell des Ernteausfallgeldes hatten die Landarbeiter zwischen den Ernten mehr Geld als während der Ernten. Als es die Ausfallhilfe nicht mehr gab, hat sich Baladre gefragt, warum die Menschen nicht für ein Existenzgeld kämpfen. Sie haben deshalb in Andalusien eine große Regionalstudie angestrengt. Innerhalb der Studie wurde erhoben, wer, wo , was an geld bekommt, was die Anbauprodukte sind, welche idealtypischen Menschen es in den Dörfern gibt, die Aussagen machen können über die Lebensbedürfnisse (Landarbeiter, Selbstädniger, Gewerkschafter, Geistlicher, Lehrer usw.), wie politisches und soziales Leben im Dorf abläuft und wie das Leben mit Geld aufgenommen wird. Es gab 100 qualitative Befragungen in gruppendynamischen Prozessen. Die Ergebnisse dieser Befragungen wurden mit den Meinungen der Menschen auf der Strasse aus diesen Gebieten verglichen. Sie haben versucht, auch die Meinung der Gewerkschaften herauszufinden, es gab 4 Treffen ohne Ergebnis. Anschließend wurde an die Gewerkschafter ein Formular mit Fragen ausgegeben. Ergebnis bei 70 % der Antworten war, dass alle bei Existenzgeldeinführung weiterarbeiten würden. Was noch untersucht werden muss, ist die Tatsache, wie das
Existenzgeld bei der Privatisierung und hoch privatisiertem Grund und
Boden auf die Investitionen in das Finanzkapital wirken würden. Eine weitere Art der Beförderung der Existenzgeldidee sind verschiedene Aktionen der Umsonst- und Aneignungskampagnen, mit denen Baladre zusammenarbeitet. Die Position des starken Modells des Existenzgeldes hat BALADRE parallel zu BIEN positioniert. Es wird schwierig, dass sich beide Netzwerke inhaltlich treffen, weil beide die antikapitalistische Orientierung von BALDRE trennt. Bei Existenzgeld geht es eben nicht nur um einen Geldbetrag, sondern um ein Recht. Einschätzung BALADRE ist mit dem Projekt des Existenzgeldes weit vorangeschritten. Wir in der Bundesrepublik sind durch die sozialen Proteste aus einer Position des Hintergrundes und der Ausgrenzung als antikapitalistisch orientierte Initiativen mit der Existenzgeldforderung an die Öffentlichkeit gelangt und haben plötzlich eine Vielfalt an Möglichkeiten zur Aufklärung und Schulung. Wir haben auch einige Bündnispartner gewonnen. Die Spanier sind hier bedeutend weiter. Sie haben in vielen Landesteilen und in vielen kleinen und größeren Orten, auf dem Lande und in der Stadt, Gruppen zur „Renta basica“ aufgebaut. Diese Gruppen diskutieren das Existenzgeld regional und verwirklichen Wege dahin mit Hilfe selbstorganisierter Beteiligungsmodelle. Weiterhin wurden in den letzten Jahren Kooperationsbeziehungen zu Universitäten und Hochschulen aufgebaut. Diese Institutuionen haben es Studierenden ermöglicht, die regional erarbeiteten Existenzgeldmodelle in Form spezieller Machbarkeitsstudien zu erforschen. Erforscht wurden Implementierungsbedingungen und –voraussetzungen. Offen sind derzeit einige volkswirtschaftliche Fragen. Methodisch wird die Existenzgeldforderung über Studien, Vorträge, Beteiligungsinstrumente und Erfahrungsaustausch verbreitert. Da das Existenzgeld nicht allein als Geldbetrag dargestellt wird, sondern als Recht zu einem würdigen Leben beginnen zur Zeit z. B. in Extremadura die ersten hoffnungsvollen Mobilisierungen. Existenzgedl muss mit Forderungen der Mobilität, der Gesunderhaltung oder auch der Informationsstellen verbunden werden. Gegenwärtig hat BALADRE damit zu kämpfen, dass sich institutionalisierte Netzwerke mit dem Namen „Renta Basica“ (Existenzgeld als Almosen, kein Recht, mitunter nur bestimmte gruppen, nicht individuell) herausgebildet haben, die das starke Modell der Renta basica zu verwässen drohen. Die SpanierInnen stehen gegenwärtig vor der Erscheinung der weiteren Privatisierung sozialer Dienstleistungen, der sozialen Leistungen, ja des gesamten Lebens sowie der Privatisierung des Wohlfahrtsstaates. Die Bündnisarbeit mit offziellen Gewerkschaften ist nicht möglich, nur mit einzelnen Gliederungen. Sozialistische Parteien nutzen Renta basica als Etikett für eigene Zwecke. |