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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Harald Rein Das garantierte Grundeinkommen und eine andere, mögliche Welt Ein bedingungsloses Grundeinkommen muss Bestandteil einer umfassenden grundlegenden Gesellschaftsveränderung sein. Ohne diesen Zusammenhang wäre ein Grundeinkommen nur einer von vielen Mosaiksteinen zur Bewahrung und Fortentwicklung kapitalistischer Strukturen. Aus diesem Grund ist es auch wichtig die Begriffe Grundeinkommen und Grundsicherung auseinander zu halten. Grundsicherung ist von einer Bedürftigkeitsprüfung abhängig, Erwerbsarbeit hat Vorrang mit dem Ziel der Integration in den Arbeitsmarkt. Daneben geht es auch um die Sicherung des Existenzminimums (je nach Definition) des Personenkreises, der arbeitsuchend bzw. arbeitslos ist oder aus unterschiedlichen Gründen nicht am Erwerbsarbeitsprozess teilnehmen kann. In diesem Sinne sollen die sozialen Sicherungssysteme reformiert werden. Ihre Struktur bleibt weitgehend unangetastet. Beim Grundeinkommen besteht ein Rechtsanspruch auf eine bedarfsunabhängige, ausreichende materielle Absicherung für alle. Bedürftigkeitsprüfungen und Abhängigkeiten von zu leistenden Arbeiten entfallen. Das Grundeinkommen wird an den einzelnen Bürger ausgezahlt. Die Sozialsysteme sollen ersetzt werden. Aber auch allein die Begrifflichkeit des Grundeinkommens ergibt nicht per se eine fortschrittliche Position. So spricht Oskar Negt im Zusammenhang mit materiellen Sicherungsgrenzen von einem Grundeinkommen, "das gewiss nicht üppig ausfallen dürfte" (Negt 2004). Michael Opielka geht von einem "partiellen Grundeinkommen" aus. Es soll in Form eines "Bafög für alle" (Opielka 2004) ausgezahlt werden. Wer sich "am Arbeitsmarkt orientiert" (ebenda) erhält volles Grundeinkommen ohne Anrechnung sonstiger Einkommen und Unterhaltsansprüche. Wer nicht arbeitsbereit ist erhält "50 Prozent des Grundeinkommens als Darlehen" (ebenda). Dieses kann entfallen, wenn der Betroffene bereit ist "in angemessenem Umfang" (ebenda) gemeinnützig tätig zu sein. Das heißt, er knüpft an den Bezug von Grundeinkommen Bedingungen und bestätigt die Dominanz der Lohnarbeit. Nach Opielka ergibt sich so keine Arbeitsverpflichtung, sondern eine "Botschaft der Wahlfreiheit" (ebenda). Resultat wäre dann der "Freie Bürger" mit einer Menge Schulden. Und der Vorkämpfer der Grundeinkommensidee Philippe Van Parijs will einen "bescheidenen" (Van Parijs 2005) individuellen Sockel unter die vorhandenen sozialen Sicherungssysteme schieben. Dieses geringere Grundeinkommen für alle Erwerbsfähigen sollte niedriger sein "als der Rest der Bürger und als das heutige Sozialhilfeniveau" (Van Parijs 2005a). Van Parijs nimmt ein Aufweichen des Prinzips Bedingungslosigkeit in Kauf, denn wird das Grundeinkommen nur als Almosen ausgezahlt, ergibt sich die von Gegnern des Grundeinkommens befürchtete Kombi-Lohn Funktion, einzig der einzelne Unternehmer wird finanziell entlastet. Aber es tritt auch noch ein weiterer Effekt auf. Durch die minimale Höhe wird dem Arbeitszwang wieder Tür und Tor geöffnet: Wer überleben will, muss fast jede Erwerbsarbeit zusätzlich annehmen. Aus dem bisher ausgeführten lassen sich verschiedene Beurteilungskriterien für ein Grundeinkommen entwickeln:
Unabhängig von der Beurteilung der Inhaltsfestigkeit verschiedenster Grundeinkommensvorstellungen und der möglichen Finanzierbarkeit ergibt sich auch die Frage nach der Möglichkeit des "richtigen" Lebens im falschen System. In einer dogmatisch-radikalen Form hieße die Antwort: erst mit der Beseitigung des kapitalistischen Systems ist eine wirkliche Umwälzung gesellschaftlicher Verhältnisse in Gänze möglich. Geschieht dies nicht, führt es unweigerlich zu einer Bezugnahme auf und Integrationstendenzen in kapitalistische Strukturen. Ein Grundeinkommen ist somit nicht möglich, da es nur (wenn überhaupt) als Stabilisator eines mit Problemen zu kämpfenden Systems angesehen wird. In dieser Argumentation wird vergessen, dass ein richtiger Gedanke nicht automatisch zum Massengedanken wird. Es braucht Zwischenschritte, die überzeugend auf eine weitergehende gesellschaftliche Perspektive hinweisen (zum Beispiel ausreichende Erhöhung der Lohnersatz- bzw. der Fürsorgeleistungen, kostenlose Benutzung des öffentlichen Nahverkehrs, Wegfall verschiedener Bedürftigkeitsprüfungen, Einstellung erzwungener Arbeitseinsätze). Orientierungspunkt ist der von Joachim Hirsch geprägte Begriff des "radikalen Reformismus". Dabei handelt es sich um eine Strategie, "der nicht vorrangig auf ,Eroberung' und Gebrauch der Staatsmacht, sondern ihre Zurückdrängung, nicht auf bürokratische Kontrolle, sondern Selbstorganisation, nicht Verstaatlichung der kapitalistisch geformten Produktionsmittel, sondern auf ihre grundlegende Umgestaltung . "(Hirsch 1986: 21) zielt. Es geht darum "kapitalistische Reformpolitik, die notwendig etatistisch sein muss und die die materielle Bedingungen und Spielräume zu schaffen hat für die Durchsetzung und Praktizierung alternativer Lebensformen. Der Erweiterung von Selbstverwaltung und Selbstorganisation sowie für außerinstitutionelle politische Bewegung." (ebenda: 22) Entscheidend bei der Aufstellung von Strategien und Forderungen, die nicht in eine kapitalbestimmte Strategie eingebettet sind, ist die Feststellung ob sie das herrschende Bewusstsein umwälzen können, sie in der Lage sind, eine breite außerparlamentarische Bewegung zu formieren und ob sie substantiell eine gesellschaftliche Perspektive enthalten. Als jüngstes Beispiel einer Bewegung, in der dieser Zusammenhang eine große Bedeutung erfuhr, sei Argentinien genannt. Die Straßenblockaden der Piqueteros, die Aktionen gegen die Verantwortlichen der Militärdiktatur, die Stadtteilversammlungen, die besetzten Fabriken, der Aufbau einer Eigenversorgung und vieles mehr, zeigte auf, dass die Ablehnung des Bestehenden zu alternativen Praxen führen kann (etwa in Form von demokratischen Entscheidungsstrukturen, Selbsthilfeversuchen, solidarischer Ökonomie usw.). Ein Zusammenspiel sozialer Bewegungen mit gelebten Alternativmodellen ist unumgänglich. Und hier finden sich auch die Schnittmengen zum bedingungslosen Grundeinkommen. Es gilt bereits jetzt Umrisse einer anderen Gesellschaft zu konzipieren und wo möglich auch zu leben. Ziel wäre, in Anlehnung an Gorz, die Arbeit von der Tyrannei des Lohnsystems zu befreien und in Selbsttätigkeit aufzuheben. Was wir brauchen sind im ganzen Land Grundeinkommensguerilleros, die überall dort auftauchen, wo nicht mit ihnen gerechnet wird und die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens erläutern, verbreiten und verbreitern. Und was wir brauchen sind "gallische Dörfer" in denen das "schöpferische Experimentieren, (die) kreative Phantasie . (die) Selbstversorgung, alternative Technologien, Wiederaneignung von Produktionsmittel, . Selbsthilfenetzwerke" (Gorz 2000: 125) usw. inmitten des weltweiten Imperiums. Zusammen mit einer breiten sozialen Bewegung wird dann auch der "Exodus aus der Lohnarbeitsgesellschaft" gelingen! Literatur
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