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Updated: 18.12.2012 15:51 |
"Für Existenzsicherung mit und ohne Erwerbsarbeit" Die Sozialen Bewegungen haben zum Aktionstag am 05.09.05 mit folgenden Forderungen aufgerufen: "6-Stunden-Normalarbeitstag durchsetzen, um Erwerbsarbeit zu verteilen - Hartz-Gesetze zurücknehmen - bedingungsloses Grundeinkommen einführen" Der ver.di Aufruf zum gleichen Aktionstag enthält u.a. folgende Forderung: "Die ver.di Erwerbslosen fordern sozialversicherte, existenzsichernde Erwerbsarbeit für alle. Wo diese nicht zu finden ist, brauchen wir eine Grundsicherung, die eine Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben gewährleisten kann. Ähnlich lautet die Formulierung im Wahlaufruf des ver.di Bundesvorstands: "Mehr und bessere Arbeit! Existenzsichernde Mindestlöhne - ersatzweise ein entsprechendes Mindesteinkommen !" Ob der Vielzahl der zu dieser Thematik ins Spiel gebrachten Begriffe, habe ich es bei der letzten Sitzung des LEA absichtlich vermieden, mich auf einen Begriff festzulegen, nichtsdestotrotz denke ich, dass eine gewerkschaftliche Erwerbslosenvertretung sich mit der Forderung nach Existenzsicherung auch ohne Erwerbsarbeit auseinandersetzen muss. Der Begriff "Grundsicherung" ist m.E. zu stark durch ALG II und Hartz IV geprägt, ausserdem ist er irreführend, da diese Leistungen ja gerade nicht existenzsichernd sind - deshalb sollte er nicht für fortschrittliche Inhalte benutzt werden. Die Gewerkschaften müssen sich - wenn sie nicht den letzten Rest an Glaubwürdigkeit einbüssen wollen - den Forderungen der Betroffenenbewegungen öffnen und sie in den traditionellen Konzepten, die den Kampf um Arbeitsplätze in den Vordergrund stellen, gleichberechtigt aufnehmen. Dafür gibt es mehrere Gründe: Das Wachstumsargument, mit dem mehr Arbeit geschaffen werden soll, versagt angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung seit den 70er Jahren und angesichts der global sich abzeichneten Tendenzen zu Monopolisierung und Konzentration. Mehr Wirtschaftswachstum bedeutet eben gerade nicht automatisch einen Zuwachs an mehr bezahlter Erwerbsarbeit. Weltweit ist die Entwicklung eine andere. Die deutschen Gewerkschaften haben - vereint mit der sozialdemokratischen Regierung - diese Machtkonzentration der Konzerne mitgetragen, indem sie während der letzten großen Arbeitskämpfe der Strategie der Gegenseite aufgesessen sind, dem sog. "concession bargaining" (Begriff stammt aus den USA) und vorwiegend Konzessionen gemacht haben, ausgehandelte Vorteile für die Arbeiternehmer sind von der Gegenseite oft nach wenigen Tagen widerrufen worden (siehe Opel Streik). Auch haben die im DGB zusammengeschlossenen Gewerkschaften die Hartz IV Gesetze in der Hartz Kommission mitgetragen oder haben sie etwa diese Kommission boykottiert?? Es ist klar, dass die Kassen überall leer sind, wenn die Großverdiener derart hofiert werden wie bei uns. Im übrigen sind sie nicht leer, es ist immer noch genug Geld da, um nicht funktionierende Softwareprogramme für ein bundesweites Sozialtransfersystem einzukaufen, das nicht einmal eine Statistikfunktion erhält, dafür aber schön teuer ist und ständig nachgebessert werden muss. Deshalb ist die ganze Spartirade verlogen, jeder politisch fortschrittliche Mensch, zumal Gewerkschafter, müssten dies seit den 80er Jahren spätestens durchschaut haben. Was in diesem Land dringend nötig ist, ist der Zusammenschluss aller, die wirklich für eine UMVERTEILUNG der gesellschaftlich notwendigen Arbeit und des gesellschaftlich erwirtschafteten Einkommens sind. Die Spaltung hierzulande ist perfekt, der LEA macht dies noch mit, wenn er nicht Forderungen aufgreift, die Erwerbslose dazu bringen könnten, sich in Gewerkschaften stärker zu engagieren und die Massenerwerbslosigkeit zum Aufhänger nehmen könnten, einen Schulterschluss zwischen Erwerbstätigen und Erwerbslosen zu unterstützen, und anstatt dessen einem Phantom hinterher rennt, von dem namhafte Ökonomen aller politischer Richtungen sagen, dass es unter kapitalistischer und neoliberaler Ausrichtung niemals mehr eintreffen wird (Vollbeschäftigung). Das Netzwerk Grundeinkommen hat absichtlich die Bedingungslosigkeit eines zu fordernden Grundeinkommens herausgehoben, um die entwürdigenden Kontrollen zu vermeiden, die Bürgerrechte zu stützen und die Solidarisierung zwischen Erwerbstätigen und Erwerbslosen zu vereinfachen UND VOR ALLEM UM DIE FINANZIERBARKEIT ZU BEGÜNSTIGEN. Denn wenn man nicht mehr gezwungen ist, sich um jeden Preis zu verkaufen, wird sich automatisch langfristig die Arbeitszeit verkürzen, die Binnenwirtschaft wird gestärkt und die Nachfrage im Inland wird sich erholen. Der Verschuldung von 3 Millionen Bundeshaushalten würde perspektivisch etwas entgegen zu setzen sein, genauso wie der Ausweglosigkeit der jungen Generation, die ausgestattet mit einem GE besser eine Ausbildungsstätte finden würde, und sich nicht sinnlos besaufen oder in rechtsradikale Kreise abdriften müsste. Die Forderung nach einem Mindestlohn wird durch die Forderung nach einem Einkommen zum Auskommen für alle nicht ersetzt. Ich halte sie auch nach wie vor für wichtig. Diese allein zu erheben, verschweigt - genau wie es der Wahlkampf zur Zeit tut - dass alle die langfristig keine Chance mehr auf einen festen Arbeitsplatz mehr haben oder noch nie einen hatten - zunächst von einem Mindestlohn nichts haben. Ein Mindestlohn würde für diese Bürger nur dann Sinn machen, wenn alle bisher unbezahlten oder ehrenamtlichen Tätigkeiten in sozialversicherte Beschäftigung umgewandelt würde. Die Forderung nach staatlicher Investition in Beschäftigungsprogramme in arbeitsintensiven Bereichen wie Umweltschutz, Beziehungs- und Pflegearbeiten etc. wird meines Wissens nach besten Kräften ignoriert und die Ausbildungsabgabe wurde nicht durchgesetzt. Wohlfahrtsverbände und lokale Initiativen haben bereits Konzepte entwickelt, wie 1-Euro-Jobs in sozialversicherte (Teilzeit-) Stellen umgewandelt werden könnten, die im übrigen unterm Strich weniger kosten, da durch die abgeführten Sozialbeiträge und Steuern wieder Gelder in die Staatskassen zurückfließen würde. Wenn ver.di es mit seiner Erwerbslosenarbeit ernst meint, muss es solche Konzepte unterstützen, durch den BEA fördern und publizieren, sonst kann man die Forderung "Für mehr und bessere Arbeit" nicht mehr ernst nehmen. Dann werden auch diejenigen Kollegen, die in 1-Euro-Jobs stecken, sich leichter organisieren lassen. Der rein juristische Weg der Gegenwehr in Einzelfällen reicht nicht aus. So wie in Europa eine Stärkung der Arbeitnehmerrechte nur durch ein europäisches Zusammenwirken der nationalen Gewerkschaften miteinander und mit Euromärschen etc. erkämpft werden kann, kann sich auch der LEA Baden-Württemberg nicht den bundesweiten Kämpfen der Betroffenenbewegungen verschließen. Sollte er sich der zukünftig anstehenden Vernetzung mit anderen Erwerbslosenorganisationen verschließen, wie z.B. dem Runden Tisch der Erwerbslosen- und Sozialhilfe-organisationen bundesweit, dann ist dies für mich nicht der richtige Ort. Bevor ich aber wie meine Vorgänger aus Freiburg einfach wegbleibe, möchte ich dies doch aussprechen und mit den anderen Delegierten diskutieren. Ingrid Wagner, 16.09.05 |