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Produktiver Müßiggang statt Erziehung zu Arbeit - Bericht von der Veranstaltung

Als antipopulistischen Stachel gegen Schröders Blödzeitungs-Ablenkungsmanöver (Kein Recht auf "Faulheit"), das bis in jüngste Zeit (Spiegel-und Stern-Titelstorys) Wellen schlägt, hat der Marburger Erwerbslosenkreis im DGB (MarbElo) seine Veranstaltungsreihe zum eigenen 20-jährigen "Lob dem Müßiggang" genannt.

Den überaus gelungenen Auftakt machte am 19.Feb.02 der Vortrag von Prof. Erich Ribolits aus Wien über "Produktiver Müßiggang statt Erziehung zur Arbeit". [Bekannt ist er als Buchautor "Die Arbeit hoch?", Profil-Vlg. Wien 1995 (leider vergriffen) sowie durch seinen vielgelobten Rede-Auftritt beim Zukunftforum Gewerkschaften am 21.11.01 in Stuttgart.]

Knapp über 50 Kollegen und Interessierte waren der guten Pressearbeit (örtl. Veranstaltungskalender + Webpräsenz + Flugies) gefolgt. Sie erlebten einen souveränen, gut verständlich argumentierenden 38-minütigen Vortrag, der viel Zustimmung und eine ungewohnt lebendige Diskussion von 1 3/4 Std. auslöste.

Die teilweise skeptischen Rückfragen betrafen u.a. das gute, alte Vermittlunsproblem, den Arbeitsbegriff selbst, die Praxis-Dialektik von Bildung und Arbeit sowie last not least die "Macht"frage. Und dass auch wir vor lauter Arbeitsethos diesen in alle "freien" Lebensbereiche übertragen und den (re-)kreativen Selbstwert des Lebens (angesichts der von vornherein begrenzten Lebenszeit) zu vergessen neigen. Ribolits gelang das Kunststück, ohne falsche Revolten-Romantik klare, illusionslose Antworten zu geben und auf den Punkt zu bringen. Motto etwa: Der Gegner ist erdrückend, aber nutze deine Chancen trotzdem.

Inhaltliche Hauptgedanken des Vortrags waren:

1. "Arbeit" war schon immer das Reich der Fremdbestimmung. Bis in die Neuzeit definierte man "Menschsein" als das was jenseits dieser Not war. Schon damals liess wer konnte andere für sich arbeiten.

2. Heute stehen wir am Anfang vom Ende der so genannten Arbeitsgesellschaft. Ein "Recht auf Arbeit" einzufordern wird angesichts des realen Wegbrechens von "Normalarbeitsverhältnissen" zugunsten prekärer befristeter Verträge und McJobs zunehmend irreal und absurd. Von den Politikern haben wir da nichts zu erwarten, nur von uns selbst. Wer sich vom Medien-"Tititainment" verdummen und vernebeln lässt, der bleibt in der Ohnmacht gefangen.

3. Das vom Arbeitsethos gelähmte Denken verhindert die Forderung nach einer gerechten Aufteilung des Arbeitserfolgs. Offenbar besteht, bevor die unserer Gesellschaft eigene Vergötzung der Arbeit nicht grundsätzlich relativiert wird, überhaupt keine Chance, das Weniger-Werden der Lohnarbeit dafür zu nützen, gesellschaftspolitische Alternativen jenseits von Lohnarbeit und Arbeitsgesellschaft zu entwickeln.

4. Bildung war seit der Schulpflicht eine Erziehung zum Arbeitsethos. Ursprünglich ging das Wort "Schule" auf das griechische "scholé" zurück, das Wort für Muße. Muße zielte auf das selbstbestimmte, unverelendete Leben. Jede kreative Produktivität hat Muße zur Voraussetzung. Heute gibt "Bildung" bloß die Fassade für ein System ab, in dem es um das Zurichten von Humankapital geht.

5. Heute wird absurderweise angepeilt, die wachsende Kluft zwischen Arbeitsplätze-Angebot und -Nachfrage ausgerechnet über (Fort-)Bildung zu überdecken. Auf ihre Inhalte kam und kommt es dieser Art Bildung kaum an. Stattdessen auf den heimlichen Lehrplan (Strukturgehorsam). "Heimliche" Lernziele verkörpern sich in den strukturellen Bedingungen der Bildungseinrichtungen.

6. Eine Bildungspolitik, die an einer menschenwürdigen Gesellschaft orientiert ist, müsste zuallererst Abschied von der Vorstellung nehmen, das "Ende der Arbeit" durch marktgerechte Qualifizierungsmaßnahmen verhindern zu können. Bildung kann nicht leisten, worin Politik versagt!

7. Wir steuern (un-)freiwillig (?) zu auf eine "Totalverzweckung" der Menschen. Wir müssten die Fähigkeit wieder entfalten, das Leben an Prinzipien ausrichten zu können, die der "Rationalität des Nutzens" übergeordnet sind. Erst wenn wir uns der Verwertung in Arbeit und Konsum zumindest teilweise entziehen, können wir uns den nicht profitmäßig verwertbaren Wünschen und Bedürfnissen wieder langsam annähern.

Müßiggang ist nämlich ganz und gar nicht aller Laster Anfang, sondern - so wie es die Schriftstellerin Christa Wolf formuliert hat - aller Liebe Anfang.

Auf ein Neues! Der nächste Vortrag der Reihe ist am Do. 28.02.02 (siehe Rubrik Termine) mit Prof. Holger Heide über "Arbeitssucht in der Arbeitsgesellschaft". Wird bestimmt auch toll.

---Jürgen---


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