letzte Änderung am 30. April 2003

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Arsch auf Grundeis? Oldenburg: Erwerbslosen-Proteste gegen 'Hartz' und Agenda 2010 vor dem Arbeitsamt

Vom 28.4. bis 1.5. protestieren Oldenburger Erwerbslose vor dem Arbeitsamt. Sie errichteten am Vormittag des 28.4. nach einer Auftaktkundgebung neben einem Infotisch zwei Zelte und richteten sich für die bis zum 1. Mai geplanten Proteste ein. Bis dorthin sind verschiedene Veranstaltungen im Zelt geplant. Wir dokumentieren den Veranstaltungsplan, die Presseerklärung sowie die Rede der ALSO bei der Auftaktkundgebung samt Fotos


Veranstaltungsplan

ALSO ruft auf zur Teilnahme an den Protesttagen vor dem Arbeitsamt vom Montag, den 28. April 03 bis zum ersten Mai und will die Proteste die ganze Zeit durchgehend aufrechterhalten:


Presseerklärung der Oldenburger Arbeitslosen zu den Protesttagen vom 28. April bis 1. Mai 2003

Natürlich protestieren wir in erster Linie gegen die aktuellen und geplanten Kürzungen und Streichungen unserer Einkommen. Die Arbeitslosenhilfe wird bereits seit Anfang des Jahres empfindlich gekürzt, indem Vermögen, z.B. auch private Alterssicherung, sowie Partnereinkommen schärfer angerechnet werden. Weiterbildung- und Umschulungsmaßnahmen werden vorrangig an kurzfristig Arbeitslose mit hohem Arbeitslosengeld vergeben, um zu sparen und die Statistik zu schönen. Säumnis- und Sperrzeiten werden schneller und mehr verhängt, der Druck wird erhöht, Arbeit – vor allem Leiharbeit – anzunehmen, von der man nicht mehr leben kann.

Nun soll auch noch die Bezugsdauer des Arbeitslosengelds von maximal 32 Monaten für ältere Arbeitslose auf höchstens 12 Monate verkürzt werden. Die Arbeitslosenhilfe soll abgeschafft und dafür ein neues Arbeitslosengeld II eingeführt werden auf einem Niveau, das allen Anzeichen nach unter der heutigen Sozialhilfe liegt. Der Kündigungsschutz soll gelockert und das Krankengeld auf private Vorsorge umgestellt werden.

Seit mittlerweile 20 Jahren propagieren CDU und nun auch die SPD als vorrangiges Ziel, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Was ist das Ergebnis? Keine neuen Arbeitsplätze, aber Arbeitslose in neuer Rekordhöhe: Fast 5 Millionen offiziell gemeldete Arbeitslose!

Wie gleichgeschaltet und ferngesteuert plappern heute die führenden SPD-Politiker, was 16 Jahre lang davor CDU-Politiker den Unternehmerverbänden nachgeplappert haben: Schuld an der hohen Arbeitslosigkeit seien die Arbeitslosen selber, die hohen Arbeitskosten und die Leistungen des Sozialstaats. Deshalb müssten die Leistungen drastisch gekürzt und mehr Druck auf Arbeitslose ausgeübt werden.

Je mehr diese Angriffe nicht nur unsere Existenz bedrohen, sondern auch unsere Würde als Menschen und unsere gleichberechtigte Zugehörigkeit zu dieser Gesellschaft in Frage stellen, desto mehr bekommt unser Kampf dagegen den Charakter einer sozialen Notwehr. Es brodelt unter der scheinbar demütigen Oberfläche, und wir warnen davor, die soziale Sprengkraft von mehr als sechs Millionen Ausgegrenzten und Armen zu unterschätzen!

Aber es geht um viel mehr als sogenannte Leistungskürzungen für uns. In einer beispiellosen Propagandakampagne wird versucht, die Schuld für die anhaltende Krise des Wirtschaftssystems auf die sozialen Sicherungssysteme und die Arbeitslosen abzuwälzen, um einen radikalen Wechsel im sozialen System der Bundesrepublik Deutschland einzuleiten.

Denn die Grenze für die Absenkung von Arbeitslöhnen nach unten ist in Deutschland die Sozialhilfe. Solange die Sozialhilfe als gesellschaftlich definiertes Existenzminimum staatlich garantiert wird, ist niemand gezwungen, für weniger zu arbeiten. Der radikale Wechsel im System der sozialen Sicherung besteht darin, über das Schleifen der Arbeitslosen-, Kranken- und Rentenversicherung auch die Sozialhilfe in ihrer Funktion als Mindestlohn abzuschaffen. Dies ist ein Angriff auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen von allen, die gezwungen sind, ihre Arbeitskraft gegen Lohn oder Gehalt zu verkaufen.

Gegen den Terror der Ökonomie und die Diktatur des Marktes!

Wenn nach ein paar Jahren Regierungstätigkeit unter der Diktatur der Marktwirtschaft die Maßnahmen der Regierungen sich allesamt gleichen, egal welche Partei regiert, haben wir dann nicht faktisch eine Einheitspartei, und die Freiheit der Regierung besteht in der Einsicht in die Notwendigkeit – der Ökonomie. Warum sollen wir wählen?

Wir brauchen eine neue gesellschaftliche Initiative gegen den Terror der Ökonomie und gegen die Diktatur des Marktes. Wir brauchen eine neues Modell Deutschland, ein neues Modell Europa, ein neues Modell einer Weltgesellschaft. Der Abwehrkampf gegen Sozialabbau ist nur ein erster Schritt. Der Kampf gegen Arbeitslosigkeit und Armut muss die Vision einer gerechten gesellschaftlichen Organisation und Verteilung von Arbeit und Einkommen beinhalten.

Die Arbeitslosen stellen ihre Forderungen – als Einstieg in eine gemeinsame Diskussion mit allen über ein neues Modell gesellschaftlichen Zusammenlebens, das ökologisch, sozial gerecht und nachhaltig ist für alle Menschen auf der ganzen Welt!

Wir fordern:

Redebeitrag ALSO, 28.04.03, Arbeitsamt

Liebe FreundInnen und Freunde, liebe KollegInnen und Kollegen,

ich freue mich Euch zum Auftakt dieser Protesttage begrüssen zu können.

Wir wollen diesen Auftakt nutzen etwas allgemeiner darzustellen, was die rot/grüne Bundesregierung plant, wenn sie derzeit von mit der Vokabel der unerläßlichen "Reformen" hantiert - letztlich aber immer wieder nur der Entzug unserer Einkommen gemeint ist. Doch es geht - und das sei vorweg gesagt, der rot-grünen Bundesregierung um einen radikalen Umbruch dieser Gesellschaft, eine Auflösung sozialer Sicherungssysteme und arbeitsmarktlicher Regularien, von dessen wirklichem Ausmaß fund gesellschafltichen Auswirkungen sich wohl kaum jemand wirklich ein Bild macht.

Wenn der Kanzler in seiner "Ruck-Rede" vom 14.03.03 von der "Neujustierung des Sozialstaates" sprach, war der Systemwechsel gemeint:

Doch ehe hier vorschnell das Bild der Unabwendbarkeit einer 'amerikanisierten' Gesellschaft und eines entsprechenden Arbeitsmarktes entsteht, zurück zur heutigen arbeitsmarktpolitischen Situation:

Nur eine Zahl: im Januar diesen Jahres waren 455.000 Personen weniger erwerbstätig als im Vorjahresmonat - und die ökonomischen Prognosen verheissen auch heute noch keine Besserung.

Und wie reagierte Rot-Grün auf diese Situation auf dem Arbeitsmarkt?

Mit einem Mal waren es die Arbeitsamtsvermittler der Ämter selbst, die zu wenig vermittelt hatten und zudem noch deutlich weniger, als in den Statistiken der Arbeitsämter verzeichnet. - Dabei war die Nürnberger BA bis dorthin de facto immer für ihre Kreativität gefeiert worden, der Politik beeindruckende Vermittlungszahlen zu liefern und damit dazu beitzutragen, jahrelang die Lage auf dem Arbeitsmarkt zu schönen.

Undank ist der Welten Lohn!

Der Sozialdemokrat Florian Gerster macht an Jogodas statt inzwischen vor, wie die BA Arbeitslose auch ohne freie Jobs loswerden kann: Im Jahr 2002 nahm die Zahl der Abmeldungen Arbeitsloser aus dem Leistungsbezug in Nichtarbeit um 283.000 zu! An den neuen Spielregeln für die Arbeitsämter, dem "Fordern statt Fördern", waren viele Erwerbslose gescheitert und wurden zumindest zeitweise nach Trainingsmaßnahmen, im Zusammenhang mit Eingliederungsvereinbarungen aus der Leistung herausgedrängt, oder waren wegen des erhöhten Drucks bereit zur Frühverrentung etc. … Und in diesem Jahr soll nach Vorgaben der Leitung der Bundesanstalt der Ausgrenzungserfolg aus 2002 noch erheblich übertroffen werden.

Doch auch im Wahljahr 2002 wurden wir Erwerbslose nicht weniger sondern mehr. Daran änderte die "Hartz"-Kommission zwar noch nichts, doch fand sie im August 2002, mitten in der gegenwärtigen Wirtschaftskrise, heraus, wo die wahren Ursachen der Arbeitslosigkeit liegen:

Sie liegen bei den Arbeitslosen selbst:

Doch auf der Suche nach den Ursachen der Massenarbeitslosigkeit ziehen 'Experten' nicht nur uns Erwerbslose ans Tageslicht.

Michael Rogowski, Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie, fand zu den Ursachen der Arbeitslosigkeit schon im Juni 2001 (9.6., FR) heraus: "Der Preismechanismus, das zentrale Steuerungselement in einer Marktwirtschaft, funktioniert auf dem Arbeitsmarkt nur unzureichend."

Übersetzt heißt das: Der Preis der Ware Arbeitskraft muss so lange fallen, bis alle Arbeitskräfte einen Käufer gefunden haben. Und da die LohnarbeiterInnen sich dagegen wehren, gelten sie als eigentliche Ursache der Arbeitslosigkeit.

Meinhard Miegel, industrienaher Wirtschaftsforscher und Intimfreund Kurt Biedenkopfs, wußte es noch genauer: Nach seiner Einschätzung müsste der Bruttolohn um ein Drittel sinken, um die Arbeitslosigkeit zu halbieren.

Der sogenannte Gleichgewichtslohn, bei dem die Marktwirtschaft verwirklicht und Angebot und Nachfrage nach Arbeitskraft im Gleichgewicht wären, dürfte dann bei weniger als der Hälfte des jetzigen Bruttolohns liegen.

So erklären die Hartz-Gesetze die LohnarbeiterInnen für schuldig. Lohnsenkungen werden über den Ausbau der Leiharbeit, der geringfügigen Beschäftigung, der Scheinselbständigkeit in Form von Ich-AG's und der sogenannten Lohnversicherung für Ältere usw. gefördert. All das verdrängt normal Beschäftigte.

Oder in den Worten Florian Gerster's:

Wir brauchen eine höhere Drehzahl auf dem Arbeitsmarkt - d.h. raus aus dem festen Job; die gleiche Arbeit kann auch vom Leiharbeiter für einen Bruchteil des Lohnes erledigt werden.

Wird die von Hartz und dem Gesetzgeber bezweckte Ausweitung der Leiharbeit wahr, dürften die bisherigen Tarifverträge - nach Expertenmeinung Verursacher der Massenarbeitslosigkeit - erheblich an Bedeutung verlieren.

Doch dann wenn Tarifverträge Lohnsenkungen nicht mehr im Weg stehen, bleibt immer noch ein Hemmnis: die Sozialhilfe.

"Die deutsche Sozialhilfe wirkt als Lohnuntergrenze, die die Schaffung von Jobs verhindert." So Prof. Dr. Hans-Werner Sinn vom Ifo-Institut in München bereits im Januar 2001. Ihm schweben Löhne von etwa 870 Euro brutto im Monat für Männer und 660 Euro brutto für Frauen vor, also vier bis fünf Euro die Stunde, um ein "Jobwunder" zu erzeugen.

Da ist die Froderung nach der Senkung der Sozialhilfe in gewissem Sinn einleuchtend, denn die Bereitschaft, für Hungerlöhne zu arbeiten, muss man erzwingen. Deshalb verlangt Stoiber die Kürzung der Sozialhilfe für Arbeitsfähige um 25 %. Der Sachverständigenrat der Bundesregierung ist bei 30 %, andere schon bei 50 %. Nur wer von Hunger und Obdachlosigkeit bedroht ist, ist bereit für Hungerlöhne zu arbeiten.

Was das mit Hartz zu tun hat?

Nehmen wir die Arbeitslosenhilfe, die durch ein Arbeitslosengeld II ersetzt werden soll:

* Wenn schon die Sozialhilfe dem Abbau der Arbeitslosigkeit im Weg steht, wie hinderlich muß dann erst die heutige Arbeitslosenhilfe sein:

– so das Weltbild der Experten, die unlängst Modelle eines Alg II zur "Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe" vorlegten.

Dem Arbeitslosengeld II fehlt all das, was Experten heute an der Alhi stört.

Lt. Kanzler Schröder wird das ALG II "in der Regel dem Niveau der Sozialhilfe entsprechen" - bei genauerem Hinsehen auf die Entwürfe in der Gemeindefinanzreformkommission soll sie teils noch darunter liegen.

Damit sind die für dieses Jahr angekündigten nächsten Hartz-Gesetze weitere Züge im Schachspiel des Sozialabbaus, um die LohnarbeiterInnen matt zu setzen. Möglichst viele Arbeitslose sollen auf das Niveau der Sozialhilfe abstürzen.

Dazu dient die Befristung des Arbeitslosengeldes auf 12 Monate und die Senkung der Arbeitslosenhilfe auf Sozialhilfeniveau. Sitzt erst mal die Hälfte der Arbeitslosen in der "Sozialhilfefalle", spätestens dann ist die Sozialhilfe selbst dran. Stoiber verrät es.

Und auch die Senkung der Zahl der Arbeitslosen wird die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe bringen, denn viele Erwerbslose werden sich eher irgendwie durchzuschlagen versuchen, ehe sie risikieren, dass

und dabei eh nicht mehr als rausspringen würde als 'ne knappe Sozialhilfe, Wohn- und Kindergeld schon inbegriffen.

Aber auch die Senkung der Sozialhilfe ist nur ein Übergangsstadium. Strategisches Ziel der Arbeitgeberverbände ist die negative Einkommensteuer. Die Finanzämter sollen mit Lohnzuschüssen aus Steuermitteln drastisch gesenkte Löhne aufstocken. Vorbild sind die USA. In den USA gibt es jedoch (mit Ausnahme der Sozialhilfe für Alleinerziehende) keinen einzigen Dollar Sozialhilfe für Arbeitsfähige. Hier ist Arbeit statt Sozialhilfe in Vollendung verwirklicht. Möglichst hohe Lohnzuschüsse und völlige Streichung der Sozialhilfe sind die günstigsten Bedingungen für Lohnsenkungen, um gegenüber den USA "wettbewerbsfähig" zu werden.

Liebe FreundInnen und Freunde, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die ganze Richtung der Hartz-Gesetze stimmt nicht. Nicht Arbeitslose und ihre Sachbearbeiter sind verantwortlich für Krise und Arbeitslosigkeit, sondern das Wirtschaftssystem selbst.

Die Krise ist nicht das Ergebnis einer plötzliche auftretenden Faulheitswelle. Es ist dieses Wirtschaftssystem selbst, das immer wieder zu viel produziert, zu viele Waren, zu viel Kapital, als dass es sich bei beschränkter zahlungsfähiger Nachfrage noch rentabel verwerten ließe.

Doch der Kanzler läßt nicht davon ab, sich den Wünschen der Wirtschaftsverbände nach immer weiteren Einschnitten zu beugen. Seit Jahren gefordert wird aus dieser Richtung - "zur Überwindung der Krise", wie sie sagen - die Senkung der Lohnnebenkosten. Danach - so versprechen sie auch seit Jahren - gibt's die Arbeitsplätze.

Und die Einschnitte sollen nicht nur uns Erwerbslose treffen. Auf der "Agenda 2010" stehen u.a.:

Zur Erinnerung: Die Riester-Formel senkt das Nettorentenniveau bereits von 70,4% im Jahr 2000 auf rund 64% im Jahr 2030.

Der – so Schröder 1998 – "unanständige" Blüm-Faktor (demographischer Faktor) soll jetzt offenbar noch drauf gesattelt werden und das Rentenniveau auf oder sogar unter 60% drücken

Schröders angekündigte Senkung des durchschnittlichen Beitragssatzes zur ges. Krankenversicherung von 14,4% auf "unter 13%" – also um rd. 13 Mrd. € - sollen überwiegend die Versicherten bezahlen.

Genug der Beispiele. Mit dem, was jetzt von rot/grün in den Sozialsystemen, aber auch im Arbeitsrecht und anderswo preisgegebenen werden soll, werden wir etwas verlieren, was auf lange Zeit Unwiederbringlich sein wird.

Unsere ganz unmittelbaren Forderung sind:

und

denn nicht Millionen Erwerbslose und auch nicht einige tausend ArbeitsvermittlerInnen sind Schuld an der ökonomischen Krise und dem Umwillen der politischen Parteien, für ein Wirtschaftssystem zu sorgen, das ohne Ausbeutung und Verarmung wachsender Teile der Bevölkerung auskommt.

Trotz wachsendem Unmut über Schröders Politik, sind wir leider noch keine Massenbewegung, die diese und weitere Ziele von heute auf morgen durchsetzen könnten, schon gar nicht allein hier in OL. Diese gilt es erst zu schaffen und wir wollen unseren möglichen Beitrag dazu leisten.

Daher laßt uns diese Tage und die nächsten Woche und Monate dazu nutzen, überhaupt wieder eine gesellschaftliche Debatte darüber zu ermöglichen,

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