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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Ein neues Protestpotential? Christa Sonnenfeld In den letzten Wochen ist etwas passiert: Die Auswirkungen
des Sozialstaat-„Umbaus“ sind bei der Mittelschicht, also
bei denen, die materiell einiges zu verlieren haben, angekommen. Die Zeitungen
überschlagen sich mit Informationen über den Fragebogen zum
Alg II, es wird spekuliert, was eine „angemessene“ Wohnung
ist, Konten werden abgeräumt, Lebensversi-cherungen gekündigt.
Eine (Medien-) Öffentlichkeit, die sich in all den Jahren niemals
um die Tatsache gekümmert hat, dass es längst eine Bedürftigkeitsprüfung
gibt, ist aufgewacht. Zum anderen herrscht sicherlich auch deshalb Unruhe in diesen Kreisen, weil sie jetzt demnächst zu der Gruppe derjenigen gehören werden, die sie noch vor gar nicht langer Zeit als Faulenzer, Drückeberger, Alkoholiker und psychisch Kranke wahrgenommen haben. Und das schmerzt. Der nächste Schwall wird dann kommen, wenn die vormals Besserverdienenden feststellen müssen, dass sie im Rahmen der „gemeinnützigen Arbeit“ zu Jobs mit 1 Euro/Std. gezwungen werden können. So haben wir nicht gewettet! Ein diskriminierendes, verarmendes, repressives System wird angeklagt, weil es einen selbst trifft, - ein interessantes Phänomen, das allerdings in dieser Gesellschaft voller Untertanen zum gängigen Bewusstseinsrepertoire gehört. Sind im neuen Jahr deshalb soziale Unruhen zu erwarten? Es ist zu vermuten, dass eine Solidarisierung mit den „alten“ Erwerbslosen nachgerade ausge-schlossen ist. Auch, wenn man in den letzten Wochen in den Medien kaum Diskriminierendes über Erwerbslose hört (Vorsicht, sonst werde ich auch dazu gezählt!), so liegen doch Welten dazwischen. Zudem haben die Repräsentanten der Mittelschicht eine Lobby, die „Drückeber-ger“ nicht. Viel wahrscheinlicher ist, dass sich individuell mit Hilfe von Anwälten und Steuerberatern durchgeschlagen wird. Eine Unwägbarkeit bleibt aber noch: wenn Die Rücklagen bis auf die erlaubten 13.000 Euro (für Ledige) abgeräumt sind, - wo verbleibt das restliche Geld? Freunden kann man nicht immer so ganz trauen, gerade, wenn sie selber zittern müssen. Das Geld unter den Teppich, in das Wäschefach, die berühmte Matratze? Routinierte, belesene Einbrecher könnten in diesen Tagen aufhorchen. Das Gesetzeswerk Hartz I bis IV ist seit langer Zeit bekannt
und zugänglich. Hier kommt eine uralte psychischen Gesetzmäßigkeit
zum Ausdruck, sich nicht für die Lebensverhältnisse der „Anderen“
zu interessieren, und viele meinten eben, es würde nur Andere treffen.
Plötzlich wird es wieder um Hunger und Obdachlosigkeit gehen, um
fehlende Zähne und schäbige Brillen, - davon wollte bislang
niemand etwas wissen, und jetzt gerät das alles in den Bereich des
Möglichen. Jemand, der bisher gut verdient hat, die wesentlichen
Statusobjekte besitzt, sich auf der Überholspur wähnt, muss
alles Erdenkliche tun, um dieses drohende Schicksal abzuwenden. Und dieses
Erdenkliche wird zu allerlei Unberechenbarkeiten führen, nur nicht
zum solidarischen Massenprotest, wie es sich viele immer noch erträumen.
Aber immerhin: es kommt Bewegung ins Spiel. |